Rockharz Open Air 2013 - Ballenstedt

29.07.2013 | 21:33

11.07.2013,

20. Rockharz Open Air - ein beeindruckendes Jubiläum!

Die aus Bayern stammende Truppe AKREA war mir bisher nur namentlich bekannt. Die Jungs können trotz früher Spielzeit eine Menge Leute vor die Bühne holen und werden heftig abgefeiert. Gespielt werden vor allem Songs von den ersten Alben "Lebenslinie" und "Lügenkabinett", mit 'Schleier aus Blüten' wird aber auch vom bevorstehendem Album "Stadt der toten Träume" ein Song zum Besten gegeben. Die Schlange zur anschließenden Autogrammstunde erreicht Rekordlänge. Stark!

[Jakob Ehmke]

Die schwedischen Hard Rocker MUSTASCH haben ihren Slot mit DARK AT DAWN getauscht, denn am selben Abend füllen Sie auf einem finnischen Festival noch die Lücke, die Motörhead durch Lemmys krankheitsbedingten Ausfall in deren Billing hinterlassen hat.
Das wurde aber offenbar nicht kommuniziert, sodass viele Schnauzbart-Fans gerade noch entspannt auf dem Zeltplatz ihre Würstchen umdrehen. Die folgenden viel zu knapp bemessenen vierzig Minuten lassen vermuten, dass die Jungs um Frontmann und Rhythmusgitarrist Ralf Gyllenhammer ihrer Aufgabe auch in Finnland gerecht werden, denn dass man zu Hause weitaus größere Zuschauermengen zu späterer Stunde gewöhnt ist, lässt man sich zu keiner Sekunde anmerken. Neben viel Rock 'n' Roll ist die Band auch mit einer Menge Humor gesegnet, denn als mal kurz die Technik ausfällt, beschimpft Ralf seine abgerauschte Gitarre als "Amerikanische Scheiße!" und lobt das neue, funktionierende Exemplar als "Deutsche Qualität!". MUSTASCH scheint mir, was das Songwriting und ihre Qualitäten als Liveband betrifft, auf jeden Fall reif für den Durchbruch.

[Arne Boewig]

Ich hatte hohe Erwartungen an DER WEG EINER FREIHEIT. Ihr komplexer, atmosphärischer Black Metal mit angeblich deutschen Texten passt aber einfach nicht zur glühenden Mittagszeit. So hatte weder Band noch Publikum viel Elan an der Sache und recht lieblos wurden Songs wie 'Lichtmensch' runtergespielt. Meine Erwartungen wurden heute leider nicht erfüllt, aber was nicht ist, kann ja noch werden.

[Jakob Ehmke]

Die Lokalmatadore DARK AT DAWN um Sänger und ROCKHARZ-Chef Thorsten Kohlrausch sollten laut Running Order an der Billingposition von MUSTASCH spielen. Da der Slotwechsel offenbar schlecht kommuniziert wurde, sind einige Fans, die sich jetzt vor der Rock Stage versammelt haben, um MUSTASCH zu sehen, etwas irritiert und verärgert. Doch auch diese etwas verstimmten Fans kann man mit melodischem Power Metal, einer für das Genre angenehm tiefen Stimme und einer eigenen Note, nach und nach für sich gewinnen.
Die Herren spielten ihr Abschiedskonzert 2007, als das Festival noch in Osterode stattfand, bereits auf dem ROCKHARZ. So ist es natürlich Ehrensache, im Rahmen der laufenden Reunion-Tour durch den deutschsprachigen Raum die runde Geburtsagsparty des Festivals ebenfalls mit einem Auftritt zu beehren. An der Performance und der Kommunikation mit dem Publikum gibt es jedenfalls nichts zu kritisieren, sodass man heute bestimmt ein paar neue Fans gewinnen konnte und der Band im Zuge ihrer Wiedervereinigung durchaus ein zweiter Frühling zu gönnen wäre.

Mit DR. LIVING DEAD! betritt nun ein kleiner Geheimtipp die Bretter des ROCKHARZ. Und wie es sich für einen Geheimtipp gehört, ist die Schar der Zuhörer eher gering. Doch auch wenn nichts los ist, ist die Stimmung ganz hervorragend. Schon nach kurzer Aufwärmphase gibt es den ersten Circle Pit. Dieser wird mit zunehmender Spielzeit immer größer und umfasst bald die gesamte Bühnenbreite. Ein schöner Anblick, wenn man direkt dahinter steht. Und der aufgewirbelte Staub ist auch irgendwie ein cooler Effekt. Doch nicht nur vor der Bühne geht's ab. Die schwedischen Crossover-Thrasher zeigen viel Körpereinsatz und schwitzen sich in ihren bis zu den Kniekehlen hochgezogenen Ringelsocken sicherlich zu Tode. Und dann tragen sie auch noch diese Masken! Die wirken auf verschiedenen Fotos immer etwas lächerlich oder fehl am Platz, live ist das aber eine sehr stimmige Sache. So starrt man nicht ständig die Musiker an, sondern konzentriert sich eher auf die Aggressivität der gebotenen Musik und kann richtig schön abschalten. Kopf aus, Im-Kreis-Rennen an, sozusagen. DR. LIVING DEAD! setzt hier und heute eine erste und überzeugende Duftmarke, das nächste Mal dürfen dann gerne auch ein paar mehr Menschen zugucken.

Nachdem beim schwedischen Qualitäts-Thrash nebenan eben kaum fünfzig Leute anwesend waren, ist der Platz vor der Rock Stage für VAN CANTO beim dritten ROCKHARZ-Besuch sehr gut gefüllt. Vielleicht waren die fünf Sänger plus Schlagzeuger ob dieser Menschenmenge sehr verwundert, denn normalerweise grüßt man um 16:15 Uhr nicht mehr mit „Guten Morgen!“ [auf einem Festival durchaus legitim, Jakob] [Wieso, sind da nur SozPäd-Studenten? Der Lektor]. Aber kommen wir zur Musik: Wie immer spielt die Band viele, viele Coverversionen bekannter Songs und ein paar eigene Stücke zwischendurch. Während man MANOWARs 'Kings of Metal' heute netterweise ausspart, müssen dieses Mal unter anderem NIGHTWISH, GRAVE DIGGER und METALLICA dran glauben. Und 'Fear of the Dark' darf natürlich auch nicht fehlen. Nur der 'Bard's Song' habe gefehlt, so beschwerte sich im Nachhinein ein enttäuschter Fan. Trotzdem freuen sich die meisten Zuschauer und feiern die gespielten Songs ab, als hätte die Band sie selbst geschrieben. Ich hingegen frage mich, seit wann und warum eine Coverband so einen guten Slot bekommen kann. Den eigenen Songs wie dem abschließenden 'The Mission' kann man zwar eine gewisse Ohrwurmqualität nicht absprechen, aber die praktisch nicht vorhandene Instrumentierung ist für meine recht konservativen Metalohren doch eine Ecke zu schräg.

Achtung, Eilmeldung: TANKARD-Frontmann Gerre hat seine schlanke Form nicht halten können und nimmt momentan wieder zu! Diese Information ist den meisten Fans sehr wichtig, wie eine repräsentative Umfrage nach dem Auftritt ergeben hat. Davon abgesehen ist bei Frankfurts Bier-Thrashern aber alles im Lot und die Fans lassen sich von der gelungenen Mischung aus Klassikern und aktuellen Hits zum Mitsingen und Fäusterecken animieren. Gerre scheint allerdings eine Menge daran zu liegen, wieder auf sein schmales Gewicht zu kommen, denn er rennt die ganze Zeit wie von der Tarantel gestochen über die Bühne, schwitzt das Bier, das er in gerade in diesem Moment trinkt, wieder aus und lüftet mehrmals unfreiwillig sein Hemd, um seine Plauze mit den Fans bekannt zu machen. Auch wenn das lautstark geforderte 'Freibier' nicht ausgeschenkt wird, geht TANKARD bei ihrem dritten ROCKHARZ als vorläufiger Tagessieger vom Platz. Prost, '(Empty) Tankard'!

Auch die Folk Metal-Institution der letzten Jahre darf auf diesem ROCKHARZ natürlich nicht fehlen. So hat ENSIFERUM leichtes Spiel und bekommt genügend Leute für eine ordentliche Sause zusammen. Schon beim Intro wird die metgetränkte Meute heiß und beginnt mit dem Mitsingen. Die Finnen, die letztes Jahr ihr fünftes Album veröffentlichten, haben mehr als genug Songs, um die fünfundvierzig Minuten locker zu füllen. Klassiker vom Format 'Iron' und 'Token of Time' werden genauso abgefeiert wie die starken neueren Songs 'Burning Leaves' und 'From Afar'. Ein besonderer Blickfang ist natürlich Keyboarderin Emmi, die ruhig etwas weiter vorne stehen dürfte. Ansonsten agiert die Band bis auf Bass-Tier Sami sehr statisch und bewegt sich kaum vom Fleck, was gar nicht so zum wilden Folk passen mag. Auf die Stimmung im Publikum hat dies jedoch keinen Einfluss, es wird gemosht, bis vom Himmel wegen des aufsteigenden Staubs nichts mehr zu erkennen ist.

EISBRECHER spielte 2010 schon einmal auf dem ROCKHARZ, allerdings auf einer deutlich niedrigeren Position. Wie der Aufstieg zum Co-Headliner gelingen konnte, ist mir persönlich schleierhaft, denn als Vertreter der eigentlich schon ziemlich alten Neuen Deutschen Härte ohne eigene künstlerische Identität kommt man heutzutage für gewöhnlich nicht mehr weit. Das Publikum sieht das aber gänzlich anders als ich und feiert Stücke wie 'Willkommen im Nichts' und 'Miststück', als gäbe es kein Morgen. Außerdem kann die Damenwelt mit roten Rosen begeistert werden und man setzt ein Zeichen gegen das Bienensterben, indem gemeinsam mit dem Publikum das alte Biene Maja-Lied von Karel Gott angestimmt wird. Leider verhält sich Sänger Alex Wesselsky abseits der Bühne einzelnen Fans gegenüber völlig unnahbar. Warum?

AVANTASIA, der größte Wanderzirkus des Melodic Metal, macht nach drei Monaten Welttournee durch aller Herren Länder Halt auf dem ROCKHARZ, dem einzigen deutschen Festival der Gastspielreise.  Nach den Biene Maja-Mitsingspielchen der unsäglichen EISBRECHER ist das Publikum auf jeden Fall bereit für eine große Kitschrundreise durch AVANTASIAs Märchenwunderland und alle haben Bock auf das All-Star-Ensemble. Leider ist der Gesang im Gesamtsound zu weit hinten gelandet, sodass man die zum Großteil fantastischen Gesangseinlagen von Michael Kiske, Bob Catley, Eric Martin und Amanda Sommerville nur erahnen kann. Tobias Samment lässt sich davon aber nicht aus dem Konzept bringen und führt sowohl souverän als auch humorvoll durchs Programm. Bestandteil ist auch die Simulation des Zusammenstoßes der Titanic mit dem Eisberg, wobei sich Amanda Sommerville in der Rolle des Eisbergs recht wohlzufühlen scheint, mit Sammet als Titanic. Die Band ist von den Publikumsreaktionen schwer begeistert und so macht Tobi einen Antrag, bei einer eventuellen nächsten Tour das ROCKHARZ wieder zu beehren und so den Enthusiasmus, den das Publikum zu so später Stunde noch an den Tag legt, zu belohnen. Ein absolut ehrenhaftes Angebot. Schmunzeln muss man allerdings schon, wenn Tobi erst Witze über MANOWAR macht, letztenendes aber bei zwei Stunden Show auf nur 90 Minuten Nettospielzeit kommt, weil eine ausgiebige Bandvorstellung  und lange Ansagen natürlich auch sein müssen. Da das aber alles durchaus sympathisch ist, kann man es auch einfach einmal nicht kritisieren und AVANATASIA als würdige Headliner durchwinken.

Noch während AVANTASIA nebenan ihren Zwei-Stunden-Slot voll ausnutzt, wartet eine große Fangemeinde auf erneuten Finnen-Folk von FINNTROLL. So wechseln sich Sprechchöre mit "Halt die Schnauze"-Rufen in Richtung Tobi Sammet ab. Doch dann geht es glücklicherweise endlich los, der Titelsong des aktuellen Albums "Blodsvept" erklingt und sieben Gestalten mit großen Ohren erklimmen die Bühne. Leider ist der Sound nicht wirklich gut abgemischt, Keyboards und Gesang sind viel zu leise. Der Humppa-Metal kommt trotzdem gut an und die Band ist bei bester Laune. Es macht wahrlich Spaß, der Truppe zuzuschauen. Zudem kann sich FINNTROLL damit rühmen, eine Wall of Death verursacht zu haben, was beim ROCKHARZ eher selten vorkommt. Der Aufforderung des Sängers, der meinte, dass das ganz cool aussah und er es gerne noch einmal sehen würde, wird natürlich Folge geleistet. Gespielt werden ein paar alte Klassiker und viele neue Songs mit dem aktuellen Sänger. Ein sehr runder Auftritt auf der Zielgeraden dieses tollen Festivals.

[Arne Boewig]

 

Danke an Stefan Schumann für die Fotos!

Redakteur:
Jakob Ehmke

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