No Mercy-Festival - Berlin

22.03.2005 | 13:19

16.03.2005, ColumbiaClub

Frühling in Berlin. 17 Grad. Die Haare fluffen. Aus dem Columbiaclub tönt der Soundcheck? Nein. Gegen halb sechs haben bereits die Amis von WYKKED WYTCH begonnen. 20 bis 30 potentielle Zuschauer verteilen sich zwischen Garderobe und Tresen. Sängerin Ipek mit dem roten Mop auf dem Kopp müht sich redlich, aber ihr kraftvolles Gekeife kann sich nur schwerlich aus dem Musikmatsch der fünf Instrumente abheben. WYKKED WYTCHs Konglomerat auf Black Metal-Basis mit hier einem Schuss Death und da einem Spritzer Thrash bleibt wegen der Bemühungen, das Ganze mit Lautstärke- und Tempowechseln zu strukturieren, ein zerhackter Brei. (Was ja schon auf der Tour mit CARPATHIAN FOREST zu beobachten war... - Anm. v. HK) Wenig später betritt eine Brüllwurst in offenbar thermoaktiver Hose die Bühne mit seiner Band.
(Gretha Breuer)

Spätestens da wird einem wieder bewusst, wie hassliebig die Beziehung zu den jährlich um Ostern herum stattfindenden "No Mercy"-Festivals ist. So geil die Headliner meist besetzt sind, für die ersten Bands ist es nach wie vor ein schlechter Witz auf dem vollgepackten Billing spielen zu dürfen. So ergeht es auch CATARACT und ihrem vollschlanken Sänger Fedi. Vor der Bühne herrscht gähnende Leere und so gleicht ihr Auftritt eher einer Probe vor noch relativ gelangweiltem Publikum. Dabei drischt sich die Band recht wacker durch ihr Metalcore-Set, Schreihals Fedi ist der Energiepol des Quintetts. So verfärbt sich denn auch seine Thermo-Hose mit zunehmender Dauer von schwarz zu rot - ein sicheres Indiz, dass der Typ sich trotz der nicht vorhandenen Fanschar angestrengt hat. Nützen tut dies freilich nichts, bis auf ein wenig Anstandsapplaus kann der mit feinen Melodic-Riffs durchzogene Sound der 1998 gegründeten Schweizer Band aber auch gar nichts an diesem frühen Abend reißen. Was vielleicht auch an dem mit viel Death Metal gespickten Billing zu tun hat: da passt eine deutlich vom Hardcore beeinflusste Band - die erste in dieser Sparte jemals bei einem "No Mercy"-Festival - nicht wirklich.
(Henri Kramer)

Was DYING FETUS mit der Hardcoreattitüde gemein haben, schlägt sich dankenswerter Weise größtenteils nur in den Texten nieder. Ein bisschen P.C. hier, ein bisschen Sozialkritik da, man kommt schließlich aus Amerika. Versteht aber sowieso kein Mensch, denn Sänger und Gitarrist John Gallagher, einziges verbliebenes Gründungsmitglied, röhrt aufs Beeindruckendste tief. 'One Shot, One Kill' von der immerhin schon 2003 erschienenen, aktuellen "Stop At Nothing"-Scheibe gibt ihm Gelegenheit zu den DYING FETUS-typischen hängenden und doch treibenden Gitarren schmerzhaft lang gezogen zu growlen, um seinen Unmut dann aggressiv abhackt ins Mikro zu pressen. Auch Bassist Sean Beasley hat eines vor sich stehen, das er immer mal wieder grunzenderweise nutzen darf Das folgende Gitarrengefidel sitzt trotz Glatzkopf Gallaghers Ohrstöpseln akkurat. Endlich stimmt im Columbiaclub auch der Sound, was wohl nicht zuletzt an den vereinzelt Bangenden liegt, die sich vor die Bühne bemüht haben. Die angebrachte Begeisterung für die perfekt zwischen Lässigkeit und Perfektion ausbalancierte Walze auf der Bühne hält sich allerdings in überschaubaren Grenzen. Nach 'Praise The Lord (Opium For The Masses)' und 'Schematics' fragt Gallagher nach, ob noch alle wach sind, was ihm bei den ersten Tönen von 'Pissing In The Mainstream' bejaht wird. Mit einem zeitlichen Rückgriff auf 'Killing On Adrenaline' verabschieden sich die sterbenden Föten.
(Gretha Breuer)

Nun könnte eigentlich die Zeit reif für DISBELIEF sein, nachdem DYING FETUS schon so brachial den Boden der Halle vorgeplättet haben. Allein, die Stimmung im Saal scheint urplötzlich wieder zusammenzufallen wie ein leerer Sack Mehl. Liegt es an dem neuen Album "Six Six Sick", dass zwar DISBELIEF in doomig-grooviger Hochform zeigt, gleichzeitig aber auch erste Spuren der Selbstkopie offenbart? Zumindest steht der Titeltrack der Scheibe am Beginn des Gigs, der mit modernen Klassikern wie 'To The Sky' oder 'Ethic Instinct' aber auch die Fans der "Spreading The Rage"-Platte zufrieden stellen sollte. Doch im Publikum tut sich nichts. Selbst bei dem Uralt-DISBELIEF-Hit 'God Master' tut sich im vorderen Teil der Halle erschreckend wenig, nur ein paar Fans schütteln die Haare und feuern die Mannen um Ausnahmefronter Jagger an. Der Hüne ist auch an diesem Tag in der Lage, mit seiner kranken und charismatischen Stimme für wohlige Gänsehäute zu sorgen. Doch als von Song zu Song in der Besucherschar kein ernsthaftes Interesse an der Show des Quintetts erkennbar wird, scheint Jagger langsam aber sicher der Geduldsfaden zu reißen. Nach 'Misery' fragt er deshalb schon ungläubig: "Seid ihr bereit?". Beim anschließenden 'For God' vom neuen Album passiert aber immer noch nichts bei den Fans. Da ist es um die gute Laune der Jungs geschehen, fast ein wenig lustlos zocken sie noch den neuen Song 'Rewind It All (Death Or Glory)' herunter. Dann brandet kurz so etwas wie Jubel auf, Jagger sagt kurz angebunden "Danke" und DISBELIEF verlassen die Bühne.
Als Trost mag den Mannen um Jagger erscheinen, dass das Berliner Publikum auch von den anschließend spielenden DARK FUNERAL nicht zu knacken ist. Die fünf Polterer in Satans Namen kommen in traditionellem Corpsepaint-Look auf die Bühne und machen auch mit ihrer Musik klar, dass ihnen neue musikalische Trends im Black Metal herzlich egal sind. So dreschen die fünf Wampenträger - ja, das Essen in Schweden muss gut sein - von Sekunde Eins an los. Der Sound für das schwarzmetallische Inferno ist annehmbar. Nur scheint dies der verwöhnten hauptstädtischen Fanschar herzlich egal zu sein. Nur knapp 30 der inzwischen gut 300 bis 400 Anwesenden bewegen ihren Kopf. Der Rest wartet ab. Da helfen auch Hammer-Songs der Art von 'An Apprentice For Satan' nicht. Doch zumindest lassen sich DARK FUNERAL von den wenigen Reaktionen kaum beeindrucken und ziehen dennoch ein recht engagiertes Programm ab. Mittelpunkt ist natürlich der ewig keifende Emperor Magus Caligula. Doch auch er kann nicht darüber hinweg täuschen, dass mit steigender Konzertdauer die Songs von DARK FUNERAL sich immer mehr ähneln, was der Atmosphäre im Columbiaclub nicht unbedingt gut tut. So endet der Gig gegen 21.30 Uhr mit einem lapidaren "Thanks", dann ist auch die nächste Band für den Abend Geschichte. An dieser Stelle spätestens stellt sich auch die Frage nach dem Sinn der österlichen "No Mercy"-Festivals in diesem Jahr: Die Bands hat im Prinzip schon jeder gesehen, die Zusammenstellung offenbart keine absoluten Highlights, die nur selten in Deutschland zu sehen sind. Dazu der hohe Preis - der nicht allzu dicht gefüllt Columbia Club spricht eine deutliche Sprache, dass die Fans nicht böse über ein paar Veränderungen im Konzept des jährlichen Tourtrosses wären...
(Henri Kramer)

Nach einer unglaublich langen Umbaupause inklusive Soundcheck und wer weiß nicht was für Budenzauber beginnen NILE mit einem ihrer Sample-Intros vom fünften Bandmitglied, dem Laptop. Dieses Bemühen um Atmosphäre haben die Ami-Deather absolut nicht nötig, trotzdem passiert es noch ein paar weitere Male. Im heimischen Wohnzimmer mit perfekt abgemischter Aufnahme erzielen diese ernsthaften Spielereien den wohl gewünschten Effekt, aber live zerstören die aufgesetzt atmosphärischen Intros die sonst so geschlossenen Liedstrukturen. Aber wo die Begeisterung für ägyptische Mythologie hinfällt, werden nicht nur Ankhs getragen. Alle drei NILE-Saitenbearbeiter haben hier in Berlin Mikros vor sich stehen, in die sie zunächst leicht versetzt hinein grunzen, was allemal eher für Gänsehaut taugt. Der Bassist - es ist der für die Europa-Tour eingesprungene und erst 19-jährige Joe Payne - kann auch noch dekorativ bangen, verdammt noch mal. Und die beiden Gitarristen Dallas Toler-Wade und vor allem das sympathisch-moppelige Blondchen Karl Sanders hantieren so verliebt mit ihren Instrumenten, dass das Publikum fast verstört scheint. Entweder das oder es lauscht gebannt diesen Kompositionen, an denen sich alles, was sich als technischer Death Metal bezeichnen möchte, messen sollte. Diese vermessene These untermauert der Titelsong der im Mai erscheinenden NILE-Platte "Annihilation Of The Wicked": Nach dem vergleichsweise schleppenden, jedoch keinesfalls lahmenden Beginn beschleunigt das Zusammenspiel bis das übliche "zuschnappendes Krokodil"-Tempo erreicht ist und die Growls einsetzen. Der folgende Midtempo-Part besticht bei aller Perfektion durch fast schon NILE-untypische, groovende Riffs, die tatsächlich vereinzelt Banger auf den Plan rufen. Uff! Jetzt den Mund wieder zu kriegen. Die Ansage zu 'Black Seeds Of Vengeance' klingt spaßigerweise wie "God feeds the pigeons". Doch mit blöde flatternden Tauben hat diese - Entschuldigung - Gitarrenwand nichts zu tun, so geschlossen steht sie da, um umso effektvoller für den Bruchteil einer Sekunde unterbrochen zu werden. Herzklopfen. Und dann ist Schluss mit einem dieser Samples nach gefühlt viel zu kurzer Spielzeit.
Denn jetzt geht großes Gebastel am Mischpult los: SIX FEET UNDER haben Berlin ausgewählt, um das Konzert für eine zu veröffentlichende DVD aufzunehmen. Zwar ist Chris Barnes zu Beginn einige Takte lang nicht zu hören, aber schon das Erscheinen des Zottelkopps ist mit Jubel quittiert worden. Ein richtiger Star also? Die Fans sind sich zumindest einig. Von bekiffter Lethargie ist auch auf der Bühne nichts zu finden, die "Motherfucker"-Brüller ins Publikum kommen regelrecht zackig raus gerülpst. Die liebevollen Beschimpfungen ziehen: Spätestens bei 'Murdered In The Basement' produzieren sich die Mosher nicht nur vor der Kamera im Fotograben. 'No Warning Shot' wird ohnehin brav mitgebrüllt - "Die, Motherfucker, die!" - heute (für die Kameras?) in rotziger Geschwindigkeit und auch das Gitarrensolo ist alles andere als schläfrig. 'Feasting On The Blood Of The Insane': Frontmann Chris Barnes hat das Publikum in der Hand und weiß das offenbar. 'Victim Of The Paranoid.' Chris Barnes ist SIX FEET UNDER. 'Human Target.' Chris Barnes ist nahezu angestrengt motiviert, lässt nicht nach. 'The Day The Dead Walked.' Er spielt mit dem Publikum und genießt es. 'Suffering In Ecstasy.' Seine berüchtigten Kreischer kommen pointiert wie bei einem routinierten Sprengkommando. Zugaberufe, die sich auf DVD so gut machen. Hits zum Mitsingen und ein charismatischer Entertainer, der sich nicht um Rumgemoser an Cover-CDs oder musikalischer Eindimensionalität schert. Das Zusammenwirken mit dem Publikum rechtfertigt den Headlinerstatus. Die Haare fluffen jetzt zwar nicht mehr bei allen, aber selbst an der Untergrundstation am Platz der Luftbrücke ist die Stimmung ausgelassen. Ostern kann kommen.
(Gretha Breuer)

Redakteur:
Henri Kramer

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