Nightwish - Helsinki

10.10.2007 | 21:45

26.09.2007, Tavastia

Als NIGHTWISH vor Monaten bekannt gaben, dass die Live-Feuertaufe mit Anette Olzen nicht im Bandheimatland Finnland, sondern in den USA von Statten gehen würde, gab es natürlich einige lange Gesichter in Fankreisen. Um so glücklicher waren die Fans dann, als plötzlich eine Record-Release-Party auf dem Program des Tavastia Klubs in Helsinki stand. Auf der Bühne: NATUVISSYSET, eine NIGHTWISH-Coverband aus Estland ... oder? Da die finnischen Metalheads bereits vor einigen Jahren einige Geheimgigs unter falschen Namen gespielt hatten, wurden auch diesmal schnell Gerüchte laut, dass hier keine Esten, sondern the one and only NIGHTWISH themself die Bühne entern würden. Dementsprechend schnell waren die Karten für das Event auch ausverkauft und der Rockclub im Herzen Helsinkis am 26. September (dem Tag, an dem das neue NIGHTWISH-Album "Dark Passion Play" in Finnland veröffentlicht wurde) bis die Nähte spannten gefüllt. Der Bühnenbanner verrät bereits: An den Gerüchten ist etwas dran, hier wird definitiv keine Coverband aufreten.

Kurze Pause und eine Zeitreise einige Tage zurück: Tallin, am 22.September. An diesem Tag spielt eine weitere mysteriöse Coverband im Rock Café. Dieses Mal wird der Act als NACHTWASSER aus Deutschland angekündigt, und auch hier stehen in Wirklichkeit Anette, Marco, Tuomas, Jukka und Emppu selbst auf der Bühne. Die Fans sind begeistert von einem Set, das sowohl alte als auch neue Lieder präsentiert, und Anette kann bereits beweisen, dass die Jungs mit ihr die richtige Wahl getroffen haben. Nach dem Konzert ist die Stimmung ausgelassen und erleichtert, nicht nur vor, sondern vor allem auch hinter der Bühne. Gerade Anette ist besonders aufgedreht, so dass sie den guten Vorsatz, nach dem Konzert direkt in die Federn zu fallen kurzerhand über Bord schmeißt und die komplette Band bis in die Morgenstunden feiert.

Zurück in die finnische Hauptstadt. Die Band mag den Tallinn-Auftritt mit Bravour gemeistert haben, aber die Performance vor heimischem Publikum ist trotzdem etwas ganz Besonderes und Nervosität macht sich breit. Besonders Anette ist unsicher, wie sie als Schwedin von den Finnen empfangen werden wird. Wird man nach Tarja verlangen? Die Stunde der Wahrheit rückt näher, und schon bald ertönt nach einer kurzen Ansage auf estnisch das Intro mit dem passenden Namen 'Resurrection' aus dem Soundtrack des Films "The Passion Of The Christ". Als Schlagzeuger Jukka als erster die Bühne betritt, ist das Publikum schon nicht mehr zu halten, fast zwei Jahre ist es her, dass NIGHTWISH - damals natürlich noch mit Tarja - auf der Bühne standen, und nun ist Finnlands Exportschlager zurück. Hintereinander betreten auch Emppu, Tuomas und Marco die Bühne, die ersten Töne der neuen Single 'Bye Bye Beautiful' ertönen - und dann kommt sie, Anette. Im Gothic-Lolita-Look ist sie auf alle Fälle schon einmal ein optischer Blickfang, aber auch stimmlich lässt die schwedische Dame aufhorchen. 'Bye Bye Beautiful' entpuppt sich als fantastischer Live-Track mit dem die Band das Publikum sofort auf ihre Seite zieht. Es folgt 'Cadence Of Her Last Breath' - ebenfalls vom aktuellen Album -, bevor man sich mit 'Dark Chest Of Wonders' auch an Material wagt, das zuvor Tarjas Stimme als Signatur trug. Zugegeben, es ist eine Umstellung, alte Lieblingslieder plötzlich mit neuer Stimme zu hören, aber diese fällt letztendlich nicht schwer. Anette macht ihr Ding und versucht erst gar nicht, Tarja zu kopieren, sondern drückt den alten Liedern ohne Umschweife ihren eigenen Stempel auf. Das funktioniert überraschend gut, 'Ever Dream' erzeugt noch immer Gänsehaut, ebenso wie 'Sleeping Sun', auch wenn letzteres Stück die Dramatik durch Tarjas Opengesang nun natürlich eingebüßt hat. Auch der Überhit 'Wishmaster' erstrahlt durch Anette in neuem Glanz und hat zudem noch ein neues Intro verpasst bekommen. Auch wenn Anette sich ihrer Macht über das Publikum noch nicht bewusst ist, so kommuniziert sie dennoch erfolgreich mit den Anwesenden und ist sichtlich gerührt, als wieder und wieder "Anette, Anette..."-Chöre laut werden. Auch die Kommunikation der Bandmitglieder untereinander läuft wie geschmiert, plötzlich wird auf der Bühne gelacht, geknuddelt und Anette immer wieder ermutigend auf die Schulter geklopft. Niedliche Gesten, welche die hübsche Schwedin aber eigentlich nicht braucht, denn sie überzeugt voll und ganz; selbst Stücke wie 'Sacrament Of Wilderness' aus den NIGHTWISH-Anfängen oder das aggressive 'Slaying The Dreamer' meistert sie ohne Abstriche. Dass die Stücke von "Dark Passion Play" zu ihr passen, muss eigentlich nicht mehr extra erwähnt werden - und so wundert es nicht, dass bei 'Sahara' oder der Single 'Amaranth' die Stimmung vor der Bühne überkocht. Ein Highlight der Show ist definitiv die Live-Performance von 'The Islander': mit Akustikgitarre zeigt Marco Hietala, dass auch Rocker ihre sanfte Seite haben, und als Tuomas ein Keyboard-Solo mit der Melodie von 'The Heart Asks Pleasure First' aus dem Soundtrack zu "Das Piano" einwirft, ist die Atmosphäre perfekt. Auch das 14minütige 'The Poet And The Pendulum' kann live überzeugen, und nachdem die Band nach 'Nemo' (das Anette meiner Meinung nach sogar besser als Tarja singt) die Bühne verlässt, ist klar, dass hier noch nicht Schluss sein kann.

Bevor es Nachschlag gibt, bekommen die fünf Mitglieder allerdings noch eine besondere Auszeichnung, denn "Dark Passion Play" hat bereits nach einen Tag Platin-Status in Finnland erreicht. Die Jungs können es fast nicht glauben, sind aber dennoch nicht so perplex wie Anette, für die solche Ehrungen noch Neuland sind. Völlig gerührt bedankt sie sich artig und ist im Nachhinein noch so verwirrt, dass die Gute nicht nur ihr Mikrofon bei 'Eva' vergisst, sondern auch noch mit ihrem Rock hängenbleibt und diesen mit einem Riss ruiniert. Der Performance selbst tut dies alles keinen Abbruch: Mit 'Wish I Had An Angel' hat man das Schlusslied der letzten Tour auch für diese Konzerte als Rausschmeißer auserkoren. Marco und Anette beweisen noch einmal, dass sie im stimmlichen wie persönlichen Duett perfekt harmonieren, dann fällt der symbolische Vorgang. Die vier Finnen und ihre Schwedin verbeugen sich zum melancholischen 'London' aus dem Film "Blood Diamond" und können es allesamt wohl noch nicht fassen, dass keine Tomaten geworfen wurden, sondern das finnische Publikum Anette so warmherzig begrüßt hat. Zufriedene Gesichter sieht man auch im Publikum, man hat die neue Stimme akzeptiert und blickt in die Zukunft. Nightwish sind wieder da und haben nichts von ihrem Erfolg eingebüßt - selbst Kritiker können das im Angesicht der Auszeichnungen nicht abstreiten.

Setlist Tallinn/Helsinki:

Intro (JOHN DEBNEY - 'Resurrection' aus "The Passion Of The Christ OST")
Bye Bye Beautiful
Cadence Of Her Last Breath
Dark Chest Of Wonders
Ever Dream
Come Cover Me
Amaranth
Sacrament Of Wilderness
The Islander
The Poet And The Pendulum
She's My Sin
Sahara
Sleeping Sun
Slaying The Dreamer
Nemo
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Eva
Wishmaster
Wish I Had An Angel
Outro (JAMES NEWTON HOWARD - 'London' aus "Blood Diamond OST")

Redakteur:
Ricarda Schwoebel

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