Joe Satriani - München

11.06.2008 | 13:57

01.06.2008, Backstage Werk

Wer hätte das gedacht? JOE SATRIANI im Backstage Werk - der Halle, die jüngst mit dem Paganfest ausverkauft war, in die 1500 Leute reinpassen? Ich dachte, dass dieser lebende Gitarrengott eher vor einer kleinen, aber dafür umso illustreren Meute im Metropolis spielen würde - oder ähnliches. Aber nein, es sollte das Backstage Werk sein. Und Tatsache, vor Ort angekommen, stellen wir fest, dass die Schlange vor dem Werk recht lang ist. Insgesamt wird das Werk am Abend durchaus voll, allerdings immer angenehm und nicht überfüllt.

Um Punkt 20.00 Uhr kommt ein quirliger und gut gelaunter STEVE FISTER auf die Bühne gelaufen, um uns mit einem Solo auf den Abend einzustimmen. Trotz total komischer Frisur (die auch einem Tobias Sammet zur Ehre gereicht hätte - aber das nur nebenbei) feuert FISTER ein Hammer-Lead nach dem anderen ab und zieht die kritische Meute auf seine Seite. Auch der Bass wird ordentlich malträtiert, teilweise verkommt er zu einer etwas größeren Gitarre mit dickeren Saiten - also eigentlich das, was er ist - und wird auch so gespielt. Ganz klar, Barend Courbois am Bass ist ein Großer seines Fachs. In einem Kurzinterview nach dem Auftritt macht uns Steve klar, dass er einen Plattendeal in Deutschland hat und deswegen des öfteren über den großen Teich kommt. So ist ihm das alles nicht unbekannt und außerdem mit großem Spaß verbunden, was man in jeder Minute seines künstlerischen Schaffens auf der Bühne anmerkt.

Musikalisch wird uns von handfestem Rock bis Fahrstuhl-Fusion eigentlich alles geboten. Einzig der Gesang des Herrn Fister ist irgendwie nicht so der Bringer. Andererseits ist die Entscheidung für die Personalunion auch klar, da es ja im wesentlichen um die Gitarrenarbeit des Protagonisten geht. Aber gut, wir können darüber hinwegsehen und lassen bei rockigem Riffing mit funky Einlagen und dem Hang zum Laber-Rock los und gehen mit. Auch das finale Bass-Solo inklusive akkurat eingesetztem Verstimmen des Intruments wird immer wahnwitziger und mit ebenso großem wie euphorischen Applaus belohnt. Nach knapp 40 Minuten entlassen wir die Herren zu ihrem nächsten Ziel, Prag, das, wie wir uns mit Steve Fister gerne einigen, nicht nur musikalisch so einiges zu bieten hat.

Fazit: Total sympathische Band, netter Sound und klasse Einstimmung auf das anschließende Konzert des in Lichtgeschwindigkeit spielenden Gitarrengotts in Mike-Myers-Dr. Evil-Optik: JOE SATRIANI.

Dieser kommt nach einer halbstündigen Umbau-Pause auf eine Bühne gerannt, welche großartiges vermuten lässt: Zehn bis zwölf Monitor-Boxen, drei Original-Verstärker-Kombos des Meisters im Hintergrund, ein dickes Schlagzeug und viel, verdammt viel Platz für den überdurchschnittlichen Bewegungsdrang des Gurus unter den Gitarrenlehrern. Das Publikum, im Alter von 10 bis 60 Jahren, ist von Beginn an hin und weg und auch wir können uns bei 'I Just Wanna Rock' kaum mehr halten, aber nicht nur wegen des geilen Songs, sondern auch wegen des Drucks, den die PA aufbaut. Ich habe den Eindruck, und die wahren Fans der gleich genannten Band mögen mir das verzeihen, dass das letzte MANOWAR-Konzert leiser war. Aber gut, das sollte uns nicht davon abhalten, dem Geschehen mit einer Mischung aus Unglauben über das Dargebotene und Neid wegen des geilen Equipements auf der Bühne zu folgen. Wer sich das genauer ansehen will, sollte in unserer Bildergalerie vorbei gucken.

Allein eins sollte man mir erklären: Warum spielt der eine unter den Gitarristen nicht einfach Halb-Playback, also ohne Hintergrund-Band? Die sind in der ersten Stunde ja dermaßen farblos und unnötig, dass es einem fast leid tut. Erst nach eineinhalb Stunden bekommt Stu Hamm seine zehn Minuten, in denen er zeigen kann, was er drauf hat. Und die nutzt er. Damit kann er nicht nur mich, sondern auch das Publikum überzeugen, das es ihm mit Buh-Rufen dankt. Buh-Rufen? Mitnichten, denn vielmehr ist ein mehrstimmig intoniertes "Stooooo", welches sich bei Konzerten des Herren eingebürgert hat (Satriani: "They Stooo him, cos they love him."). Also: nicht wundern, sondern mitmachen.

SATRIANI zeigt uns über die Spielzeit hinweg, was man so alles mit einer Gitarre machen kann, schießt das Publikum mit 'Super Colossal' in andere Welten voll Ekstase und heller Lichter, führt bei 'Time Machine' zu spontanen Freundschaften wildfremder Menschen, welche sich für Minuten in den Armen liegen, und bei 'One Big Rush' zu mehrfach gebrochenen Fingern und Handgelenken - allein durch's Zuschauen. Mit 'Cryin' gibt es ein Feature aus SANTANA und SATRIANI: SATRIANA on stage now! Schließlich bin ich froh, dass Satriani sich dazu entschieden hat, Rock und Metal zu machen, ansonsten wäre unserer Hartwurst-Welt wohl nicht nur ein großartiger Musiker durch die Lappen gegangen. Das Publikum sieht es genauso und so wird der Bühnen/Gitarren-Extrem-Sport-Glatzkopf ekstatisch abgefeiert. Wie ihr der Setlist entnehmen könnt, spielt der Meister alle wichtigen Songs in gewohnt großartiger Qualität. Ein Wermutstropfen bleibt dennoch: All das kann man sich auch auf CD anhören - richtig Neues ist nicht dabei. Improvisation oder Spaß abseits des Gewohnten? Bis auf einen kurzen Jam - Fehlanzeige. Doch gerade in diesem Jam zeigt sich der wahre Spirit des Oberkultisten unter den Sechssaitern, des Fleisch gewordenen Zeus mit seiner Gitarre namens Europa, des goldenen Kalbs, vor dem sogar die Bundeslade blass wirkt, des Oberbonzen unter den Noten-Kapitalisten, des ... schon gut, ich hör ja schon auf.

Nach fast zweieinhalb Stunden geht ein großartiges, genial-virtuoses und in seiner Gesamtheit völlig unglaubwürdiges Konzerterlebnis zu Ende, dessen Existenz ich schon am nächsten Morgen bezweifle. Deshalb lasst mich folgenden Schlussstrich ziehen: Ich wusste nicht, dass es in München genug Gitarrenlehrer gibt, um das Backstage Werk tatsächlich voll zu bekommen ...

Setlist:
I Just Wanna Rock
Overdriver
Satch Boogie
Ice 9
Diddle-Y-A-Doo-Dat
Flying
Ghosts
Revelation
Super Colossal
One Big Rush
Musterion
Of The Sunrise
Time Machine
Cool #9
Andalusia
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Bass-Solo
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Cryin'
Mystical
Always
Surfing
Crowd Chant
Summer

Redakteur:
Julian Rohrer

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