Graveworm Listening Session - Donzdorf

19.04.2003 | 08:55

05.04.2003, Nuclear Blast Office

Bis vor gar nicht allzu langer Zeit sind mir zu dem Wort "Tirol" eigentlich nur drei Begriffe eingefallen: Berge, Jodeln und Wandern. Dass das aber bei Weitem nicht das einzige ist, was das Alpenvölkchen zu bieten hat, dafür können GRAVEWORM bürgen, die seit 1997 mit ihrer Debüt-EP "Eternal Winds" für epischen Black Metal von der südlichen Front sorgen. "As The Angels Reach The Beauty" (1999) und "Scourge Of Malice" (2001) etablierten Stefan (Vocs), Steve (Gitarre), Eric (Gitarre, Bass), Sabine (Keyboards) und Martin (Drums) endgültig als eine äußerst potentielle Band aus der schwarz-mystischen Metal-Ecke, die Vergleiche mit DIMMU BORGIR oder CRADLE OF FILTH alles andere als zu scheuen brauchen.
Am 23.06.2003 ist es wieder an der Zeit: GRAVEWORM veröffentlichen ein neues Studioalbum, pathosschwanger mit dem Titel "Engraved In Black" versehen. Aus diesem Anlass lud Plattenlabel Nuclear Blast Anfang April ins Donzdorf'sche Büro, um der europäischen Presse - neben Kollegen aus Deutschland hatten sich ebenfalls Schreiberlinge aus Italien, Spanien und Schweden eingefunden - das Werk vorab näher zu bringen.


Die ersten vorgestellten Songs 'Abhorence', 'Dreaming Into Reality' und 'Beauty Of Malice' des von Andy Classen (u.A. DIE APOKALYPTISCHEN REITER) produzierten Silberlings legen gleich die markantesten Neuerungen im Grabwurm'schen Gesamtkonzept offen: Den Gitarren wird viel mehr Volumen, Kraft und Präsenz zugestanden als früher, was dem Sound eine beträchtlich fettere Note verleiht. "Wir sind live-orientierter geworden", so Steve. "Auf 'Scourge Of Malice' haben wir noch ein Streichquartett und einen Dudelsackspieler mit ins Studio genommen, während wir jetzt für 'Engraved In Black' stärker auf die Metal-Instrumente und dabei insbesondere die Gitarre zurückgegriffen haben."
Nicht ganz unschuldig an dieser Entwicklung mag auch Produzent Andy gewesen sein, der selbst gern mal die Sechssaitige zur Hand nimmt und GRAVEWORM in ihrem Bestreben, mehr Druck in die Riff-Fraktion zu bringen, tatkräftig unterstützte. Als gutes Anschauungsbeispiel hierfür lässt sich ebenfalls 'Legions Unleashed' anführen - heftige Gitarrenparts treffen auf treibende Rhythmen und machen den Song zu einem der härtesten Stücke Schwarzmetall, das die Band jemals auf Tonträger bannte.
Ansonsten haben sich die Tiroler ihre typischen Trademarks bewahrt, schwarzromantische epische Melodien wechseln sich ab mit fiesen Kreischvocals, tiefem Grabesgrunzen, donnernden Gitarren und schnellem Double-Bass-Gewitter. "Wir haben alles etwas grooviger gestaltet, und nur, weil wir die Streicher diesmal weggelassen haben, heißt es ja nicht, dass wir auch die Melodie verloren hätten, das machen wir nun allein mit Gitarre und Keyboards" erläutert Steve näher die Details. Über den lyrischen Teil des Songwritings weiß Martin folgendes zu berichten: "Die Texte, die wir verwenden, basieren wieder auf der Sagenwelt Südtirols, sind aber nicht eins zu eins übernommen, unser Sänger Stefan, der auch die meisten Songs schreibt, hat dieses Material sozusagen transponiert in unsere Welt und umgesetzt in eine Art Kampf zwischen Gut und Böse."

Neben eigenen Ideen führt man die auf "Scourge Of Malice" begonnene Tradition der Neuinterpretation vergangener Klassiker weiter - war es 2001 noch eine Coverversion des IRON MAIDEN-Krachers 'Fear Of The Dark' hat sich der Fünfer dieses Mal ein bekanntes Evergreen aus Pop-Gefilden gekrallt: 'It's A Sin' von den PET SHOP BOYS, das im Black Metal-Gewand mit mördermäßigem Tempo eine erstaunlich gute Figur macht. Drummer Martin dazu: "Musikalisch sind wir alle sehr offen und flexibel und hören nicht nur eine bestimmte Musikrichtung. Wenn man als Band ein Album veröffentlicht, dann sollte man auch verschiedene Einflüsse haben, um das Ganze spannend zu gestalten; warum also nicht einen Song aus einem anderen Genre als dem Metal covern?"
Doch damit nicht genug der Alternativfassungen, als letztes präsentiertes Stück des Nachmittags erschallt 'Losing My Religion' der unerreichten REM aus den Boxen - mich als bekennenden Fan der Truppe um Michael Stipe lässt das natürlich gleich zweimal aufhorchen. Erkennt man das Lied noch durch die Intromelodie, fällt es im weiteren Verlauf schwer, die Ursprünge des zur hämmernden Metal-Attacke umgemodelten Materials zu erahnen. "Diese Verfälschung ist Absicht", erklärt Eric, "wenn wir etwas covern, dann bringen wir auch immer etwas von uns, GRAVEWORM, mit ein." Vorerst wird es 'Losing My Religion' aber nur auf der japanischen Edition von "Engraved In Black" zu hören geben.

Für die Zukunft wollen GRAVEWORM am nun endgültig gefundenen Stil und ihren Idealen festhalten. Martin: "Man hört ständig, dass immer mehr Bands kommerziell werden, das wollen wir sicher nicht." "Als typische Black Metal-Band sehen wir uns übrigens ganz und gar nicht, wir müssen uns ja schon zusammenreißen, böse zu kucken" lacht Steve. "Wir wollen einfach Spaß haben, das ist die Hauptsache." Darauf ein Bier... .


Nach der Arbeit folgte das Vergnügen: Im benachbarten Dorf Reichenbach fand im Anschluss ein mittelalterliches Rittermahl statt, bei dem sich neben GRAVEWORM, Presse und Nuclear Blast-Crew auch die Schweden-Combo MESHUGGAH verköstigte - Basser Gustav Hielm schaffte es übrigens nichtmal fünf Minuten nach Eintreffen, seine Hand mit einem als Besteck dienendem Fleischermesser aufzuschlitzen (jaja, Messer, Gabel, Schere, Licht sind für kleine Kinder nicht; oder so ähnlich :-)). Mit steigendem Alkoholpegel heizte sich entsprechend auch die Stimmung auf, was nach kurzer Zeit zur ausgelassenen Schlacht mit der Erdnuss-Tischdeko führte und neue interessante Techniken beim Kegeln offenlegte (erzielt man mit nacktem Hintern eine höhere Trefferquote, Gustav?). Wie auch immer, dass die anwesende Meute einen spaßigen Abend verlebte, steht außer Frage. Ein bisschen leid tat mir nur die arme Bedienung, die die ganze Sauerei später aufräumen durfte.


GRAVEWORM - Engraved In Black
VÖ: 23.06.2003

Tracklist:

1. Dreaming Into Reality
2. Legions Unleashed
3. Renaissance In Blood
4. Thorns Of Desolation
5. Abhorence
6. It's A Sin
7. Drowned In Fear
8. Beauty Of Malice
9. Apparation Of Sorrow

Redakteur:
Kathy Schütte

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