Edguy (Listening Session) - Donzdorf

13.02.2004 | 02:07

31.10.2003, Hotel Becher

Die Geschichte von EDGUY geht - man mag es kaum glauben - bis ins Jahr 1992 zurück, als sich fünf vierzehnjährige Rotznasen zu einer Band zusammenfinden. Nachdem sie zunächst lediglich die Songs ihrer Lieblingsbands (u.a. DEEP PURPLE, KISS, AC/DC, IRON MAIDEN) gecovert hatten, haben sie relativ schnell angefangen eigene Songs zu schreiben. Irgendwann - genau genommen im Jahr 1997 - wurden AFM Records auf die Band aufmerksam und nahmen die Band unter Vertrag. Fünf Studioalben später - zuletzt "Mandrake" (2001) -, die die Band immer populärer werden ließen, entschlossen sich EDGUY nach dem Summer Breeze 2002 eine längere Pause einzulegen. Ganz ohne EDGUY geht es natürlich auch 2003 nicht, denn mit "Burning Down The Opera" erscheint ein Doppel-Live-Album. Bereits ein paar Monate später wird bekannt, dass die Band bei Nuclear Blast unterschrieben hat, und ein Ende der EDGUY-losen Zeit scheint in Sicht...

So war es dann auch, denn am 31. Oktober 2003 - ja, das ist schon ein Weilchen her *schäm* - haben EDGUY bzw. Nuclear Blast eingeladen, um der schreibenden Zunft die neuesten Machenschaften der Band vorzustellen. Als Ort dieser Listening-Session wurde der - passenderweise halloween-mäßig dekorierte - Saal des Hotels Becher in Donzdorf (= Nuclear-Blast-City) ausgewählt, sodass auch für Speis und Trank bestens gesorgt war. Im Mittelpunkt des Nachmittags bzw. Abends standen aber selbstverständlich die neuen Songs von EDGUY, die in Form des Albums "Hellfire Club" (Release: 15.03.2004) bzw. der EP "King Of Fools" (Release: 02.02.2004) veröffentlicht werden.

Da zwei Songs, die auf dem Album "Hellfire Club" zu hören sein werden, nämlich 'Down To The Devil' und 'The Spirit Will Remain', noch nicht ganz fertiggestellt waren, bekamen wir lediglich acht der elf Songs zu hören - ja, selbst ich als Mathematiker weiß, dass 8 + 2 = 10 ist, aber der Titeltrack der EP, also Nr. 11, blieb zunächst einmal außen vor...

'Mysteria'
Der erste Song (und Opener des Albums) ist zunächst eine sehr harte und kraftvolle Nummer, die man EDGUY in dieser Form sicherlich nicht zugetraut hätte. Er wird vor allem geprägt von harten Gitarrenriffs, die immer wieder Vergleiche zu JUDAS PRIEST zulassen, und auch Tobias' Screams zu Beginn des Songs verstärken diese Parallele. Der Gesang ist hier überhaupt ziemlich aggressiv ausgefallen, aber gerade dadurch passt er sehr gut zu der druckvollen Rhythmusabteilung, die die Gitarristen hervorragend unterstützt. Recht gut gelungen ist auch der finale Instrumentalteil, der mit leicht orientalischen Klängen aufwarten kann.

'The Piper Never Dies'
Mit 'The Piper Never Dies' folgt sogleich der mit Abstand längste und vielschichtigste Song des Albums. Der Anfang ist zunächst recht verhalten ausgefallen und würde am ehesten zu einer Hard-Rock-Nummer im Stile von RAINBOW & Co. passen, aber im weiteren Verlauf entwickelt sich der Song immer mehr in Richtung Heavy Metal und ist zweifelsfrei 100% EDGUY. Besonders hervorheben möchte ich bei diesem Song den recht kurzweiligen Mittelteil, bei dem die Musiker ganz in ihrem Element sind und der trotz der verschiedensten musikalischen Auswüchse immer wie eine Einheit wirkt. Für den Schluss haben EDGUY den typisch melodischen Chorus - zusammen mit einer großen Portion Heaviness und Geschwindigkeit - durch den metallischne Fleischwolf gedreht, der vor allem in dieser Form richtig Spaß macht.

'Rise Of The Morning Glory'
'Rise Of The Morning Glory' beginnt zunächst fast schon balladen-mäßig - BLIND GUARDIAN lassen grüßen -, doch schon bald entwickelt es sich zu einer typischen EDGUY-Nummer im gehobenen Tempo. Der flotte Refrain ist sehr eingängig geworden und ist am besten mit Happy Metal zu umschreiben. Der Zwischenteil kommt wieder etwas ruhiger daher, kann aber mit einer Spoken-words-Passage aufwarten, die in ein pfeilschnelles Gitarrensolo mündet. (Zu dem zweideutigen Titel sag' ich jetzt lieber nichts... *grins*)

'Navigator'
Beim anschließenden 'Navigator' frönen EDGUY dann erstmals exzessiv dem Midtempo, und obwohl dieser Song mit seinem stampfenden Rhythmus recht simpel gestrickt ist, hat er doch seinen Reiz. Der Chorus ist - wie es sich für einen solchen Song gehört - sehr melodisch ausgefallen und geht zügig ins Ohr. Bei dem Gitarrensolo, das zwar etwas technisch, aber keineswegs frickelig ist, kommen Parallelen zu AXEL RUDI PELL auf, aber es gibt in Deutschland ja weitaus schlechtere Gitarristen.

'Lavatory Love Machine'
Dass EDGUY mit sehr viel Spaß bei der Sache und für Blödsinn immer zu haben sind, ist weitreichend bekannt, und das unterstreichen sie mit 'Lavatory Love Machine', das ursprünglich nur als Spaßnummer geplant war, ein weiteres Mal. Musikalisch ist auch dieser Song recht einfach gehalten - er kommt mit flottem, leicht eingängigem Riffing und treibendem Drumming daher -, aber er versprüht dafür jede Menge gute Laune. Dafür sorgt nicht zuletzt auch der super-eingängige Refrain - Happy Metal eben...

'Forever'
Natürlich darf bei einer Band wie EDGUY auch eine extrem melodische (O-Ton Tobias Sammet: "cheesy") Ballade nicht fehlen, und diese heißt im Falle von "Hellfire Club" eben 'Forever'. Die Strophen werden hier von den Akustikgitarren geprägt, während in Bridge und Chorus das Film-Orchester Babelsberg durchaus Akzente setzen kann. Obwohl sich im Chorus dann auch die Stromgitarren behaupten können, ist 'Forever' eine recht schnulzige Angelegenheit geworden, doch bei einer Ballade kann man das ja gerade noch verzeihen. ;-)

'We Don't Need A Hero'
Das anschließende 'We Don't Need A Hero' ist dann wieder sehr viel flotter unterwegs, und im Grunde handelt es sich hierbei um einen typischen EDGUY-Uptempo-Song, der auch auf früheren Scheiben der Band nicht sonderlich aufgefallen wäre. Der Song wird von schnellen Gitarrenläufen und doublebass-lastigem Drumming bestimmt, und auch Tobias' Gesang ist recht hoch ausgefallen. Besonders hörenswert ist hier jedoch vor allem der neoklassische Instrumentalteil, bei dem sich Gitarren und Schlagzeug sehr gut ergänzen, ehe sich gegen Ende erneut das Film-Orchester Babelsberg einschaltet und dem Song eine besondere Note verleiht.

'Under The Moon'
Auch 'Under The Moon' ist ein sehr schneller Song, der aber mit weitaus härteren Gitarrenriffs und einem treibenden Drumming aufwarten kann. Überhaupt ist dieser Song recht heavy ausgefallen, und das wird durch den vergleichsweise rauhen Gesang zusätzlich verstärkt. Der melodische Aspekt wird aber natürlich auch hier nicht vernachlässigt, beispielsweise durch den mehrstimmigen, eingängigen Refrain.

Nachdem wir uns nun also ein Bild von dem neuen Album gemacht hatten, durften wir uns anschließend auch noch die fünf Songs der EP "King Of Fools" anhören. Diese Scheibe ist zwar bereits erhältlich (Release: 02.02.2004), aber da es hierzu vermutlich keine eigene Rezension geben wird, will ich euch meine Eindrücke auch zu diesen Songs nicht vorenthalten.

'King Of Fools'
Der Titelsong 'King Of Fools' ist relativ modern geworden und insbesondere das kräftige Riffing geht schon fast in die RAMMSTEIN-Ecke. Auch das Drumming ist äußerst druckvoll ausgefallen, und so transportiert dieser Song jede Menge Power. Passenderweise kommt auch der Gesang recht aggressiv daher, der stellenweise zusätzlich noch verzerrt wurde. Spätestens beim Chorus wird jedoch klar, dass hier eindeutig EDGUY am Werk sind, da dieser sehr melodisch ist und auch die typische Eingängigkeit nicht vermissen lässt. (Mit diesem zwar nicht besonders harten, aber dennoch recht heavy klingenden Song kann man schon mal den Angriff auf die Charts wagen... ;-))

'New Age Messiah'
'New Age Messiah' ist das erste von zwei Stücken, bei denen auch auf dieser Scheibe das Film-Orchester Babelsberg mitwirkt. So beginnt dieser Song zunächst auch ziemlich soundtrack-mäßig, bevor die Band mit schnellen Gitarrenriffs und einer druckvollen Rhythmusarbeit einsteigt. Der Gesang ist hier überwiegend gewohnt melodisch ausgefallen, auch wenn es ein paar A-capella-Parts gibt, die etwas aggressiver klingen. Auch auf einen potentiellen "oh-oh-oh"-Mitsingteil hat man hier nicht verzichtet, ebensowenig wie auf einen ziemlich "abgefuckten" Teil am Ende.

'The Savage Union'
'The Savage Union' beginnt mit schweren, drückenden Gitarrenriffs gleich recht heavy, doch mit der Zeit wird der Song immer melodischer und somit EDGUY-typischer, ohne jedoch zu sehr an Durchschlagskraft zu verlieren. Das Schlagzeug brettert im Hintergrund vor sich hin und sorgt damit für einen ordentlichen Drive, kann aber ansonsten kaum Akzente setzen. Der Gesang ist auch hier wieder einmal unverkennbar Tobias Sammet, und so kann sich auch dieser Song über mangelnde Eingängigkeit nicht beschweren.

'Holy Water'
Bei 'Holy Water' handelt es sich dann um einen Midtempo-Song, der über den dafür typischen stampfigen Rhythmus verfügt. die Gitarren kommen über weite Strecken recht kräftig daher, auch wenn sie während der Strophen stark zurückgenommen wurden, um Schlagzeug und Gesang mehr Freiraum zu lassen. Rechtzeitig zum Chorus sind die Sechssaitigen aber wieder da, um ebenfalls für die extreme Eingängigkeit zu sorgen. Das Film-Orchester Babelsberg ist auch hier wieder mit im Boot, hält sich aber sehr zurück, sodass es kaum in Erscheinung tritt.

'Life And Times Of A Bonus Track'
Der abschließende Song über das Leben eines Bonus-Tracks zeigt wieder einmal sehr deutlich, mit wieviel Ernst (?) EDGUY bei der Sache sind. Die Diskussion über den (Un-)Sinn eines Bonus-Tracks ist eine Sache, aber darüber auch noch einen Song zu schreiben - das können wohl nur Tobias Sammet & Co. - Musikalisch handelt es sich hierbei um eine reinrassige Piano-Ballade, die durchaus an QUEEN erinnert und bei der sämtliche Facetten des Gesangs zur Geltung kommen. Insgesamt ganz nett - nicht mehr, aber auch nicht weniger...

Was kann man nun abschließend sagen? - Die etwas längere Pause scheint EDGUY sichtlich bzw. hörbar gut getan zu haben, da sie vor Kreativität nur so strotzen. Dabei sind sie sich auch mit den neuen Songs hundertprozentig treu geblieben, ohne dabei aber auf der Stelle zu treten. Mit einigen Stücken haben sie sogar Neuland beschritten, und das im Grunde ganz erfolgreich. Leute, die bislang schon Fans der Hessen waren, werden der Band daher vermutlich auch in Zukunft die Treue halten, und durch einige Schritte in die richtige Richtung dürften auch neue Anhänger hinzukommen. Mit dieser Band ist wohl 2004 im ganz großen Stil zu rechnen...

Redakteur:
Martin Schaich

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