DISILLUSION, FALL OF SERENITY und THE FRIGHT - Leipzig

18.05.2024 | 09:13

27.04.2024, Werk 2 - Kulturfabrik Leipzig e.V.

Eine progressive Geburtstagsfeier der Extraklasse.

Man könnte jetzt Dutzende Seiten schreiben, wie großartig das DISILLUSION-Debüt "Back To Times Of Splendor" ist. Wer sich auch nur am Rande mit progressiver Musik beschäftigt und es gern auch etwas härter mag, der muss dieses Album kennen und, da gibt's eigentlich auch kaum andere Meinungen, dann auch vergöttern. Somit braucht man auch gar keine weitere Begründung zu finden, warum man eine Tour besuchen möchte, bei der dieser Meilenstein komplett aufgeführt wird. Es gibt einfach Pflichttermine im Leben.

Lasst uns lieber über Geburtstage reden. Ich liebe Geburtstage und wenn gefeiert wird, dann bin ich am Start. Egal, wie suboptimal manche Termine liegen oder wie lange man die jeweiligen Personen nicht mehr gesehen hat, ich freue mich wie ein Kleinkind auf die jeweiligen Feten, um endlich mal wieder mit der "alten Gang" zu feiern. Nur leider werden diese Partys immer weniger. Der Alltag hat scheinbar so einen negativen Einfluss auf Hinz und Kunz, so dass an allen Ecken und Enden die Lust beziehungsweise der Elan fehlt, mal wieder gemeinsam zu eskalieren. Es muss doch kein Spring Break mehr sein, wie mit 18, aber selbst zum Tanztee, kriegt man kaum jemanden mehr motiviert. Traurig, aber wahr – mit zunehmendem Alter werden die Feten immer weniger, dabei ist die Möglichkeit das Leben zu feiern doch endlich und umso näher man der Ziellinie kommt, umso schöner wäre es doch gemeinsam in Erinnerungen zu schwelgen und dem Arschgesicht namens Zeit mal den Stinkefinger zu zeigen.

Lasst uns wieder mehr Geburtstage feiern! Aber wenn Freunde, Bekannte und Familie nicht mehr wirklich einladen, dann kann man sich zumindest auf Musikgruppen verlassen. Hier wird wirklich jede noch so fadenscheinige Begründung als Verkaufsargument für das Jubiläum genutzt und zu Reisen in die Vergangenheit eingeladen. Die Nostalgiepeitsche knallt nun mal so schön. Das kann man vollkommen zu Recht kritisieren und neue Musik würde ich eigentlich auch immer bevorzugen, aber aus oben genannten Gründen freu ich mich halt trotzdem wie Bolle, wenn mal wieder eine "Einladung" zu einem Geburtstag eintrudelt. Nun laden halt die Leipziger von DISILLUSION zum Jubiläum und 20 Jahre "Back To Times Of Splendor" ist eine progressive Geburtstagsfeier, zu der man erscheinen muss. Da die geilsten Feten für mich übrigens immer Home-Partys waren, ist klar, dass wir uns für den Auftritt im Werk 2 in Leipzig entscheiden. Heimspiel Baby!

Eine schöne Begleiterscheinung bei solchen Abenden ist auch, dass man immer mal wieder neue Gesichter kennenlernt, welche man unter Umständen gar nicht dem Geburtstagskind zugeordnet hätte. Im Fall von DISILLUSION machen wir Bekanntschaft mit THE FRIGHT. Und verglichen mit der Hauptband müssen wir uns stilistisch mal ganz anders aufstellen. Die Dark-Rock-Gruppe aus Hermsdorf spielt einen Hybrid aus Horror-Punk, ganz in der Tradition der MISFITS und dem Soloschaffen von Glenn Danzig, und eine ordentlichen Schippe Dark Wave. Okay – bis auf die düstere Komponente sind die Überschneidungen mit dem Main-Act überschaubar. Aber egal. Ich kann mich für eine wilde Mischung genauso begeistern, wie für ein perfekt kuratiertes Programm. Musikalisch ist das für mich vollkommen okay, auch wenn es schon sehr simpel strukturiert klingt und die Refrains auch nicht so zwingend sind, wie es diese Richtung erfordert. Grade bei so einer Band hilft die Live-Atmosphäre dann aber gewaltig. Während ich auf einem Langdreher hier sicherlich die Skip-Taste bewegt hätte, bleibe ich heute am Ball und kann mir doch so einige Riffs schönhören.  Auch das Werk 2 agiert eher verhalten, wobei in den ersten Reihen doch ein paar Damen durchaus sehr euphorisch die einzelnen Songs feiern. Die müssen einfach ein etwas feineres Gehör haben als ich. Auch Kollege Norman hat seinen Spaß, da die Band die Bühne zu nutzen weiß und ein Best-Of an 1980er Posing vom Stapel lässt, was man sonst so nur bei echten Sleaze-Größen zu sehen bekommt. Zwar kein Wow-Effekt aber trotzdem Daumen hoch.

Setliste: Your Love; Suicide Sun; Disbelief; Choices; Miles; End; Identity; Fall; Dark

Wie es sich für eine echte Geburtstagsfeier gehört, muss natürlich auch jemand aus dem Rahmen fallen. Meistens sind es ja Freunde, die zu lange nicht dabei waren und dann etwas übermotiviert sind. Zu viele Feiern in der Vergangenheit verpasst und jetzt heißt es Vollgas, um einen memorablen Abend zu schaffen. Leider sind es dann meistens 2-4 Bier zu viel und der Kumpel wird zu besoffen und muss dann leider verfrüht nach Hause geschickt werden. Ziel des memorablen Abends erreicht, aber leider anders als gewünscht. Auch FALL OF SERENITY hat heute so einen erinnerungswürdigen Abend, nur auch leider ganz anders als gewünscht. Nach über 16 Jahren ist die Melodic-Death-Metal-Band zurück und möchte nun endlich das aktuelle Album "Open Wide, O Hell" auf den Brettern, die die Welt bedeuten, präsentieren. Und wie ein altes Feierbiest ist die Band bereits mit dem ersten Track auf Krawall gebürstet und bereit das Werk zu zerlegen. Aber wie ist das, wenn man sich direkt mal 4 Weizen reinschraubt? Genau – erste Ausfallerscheinungen. Und das passiert leider auch FALL OF SERENITY und eine Gitarre fällt komplett aus. Nach Rücksprache mit Norman, welcher selbst Gitarre spielt, scheint es ein Defekt am Funkmodul zu sein. Somit werden alle Beteiligten mit einer mehr als unangenehmen Pause konfrontiert. Um in der bisherigen Analogie zu bleiben: Unser Kumpel sitzt nun breit in der Ecke und bewegt sich nicht mehr. Zwar erwacht er irgendwann wieder aus seinem Suff-Koma, aber eigentlich gehört er nach Hause und muss ins Bett. Und so ergeht es auch FALL OF SERENITY. Zwar kommt die Band wieder in Tritt, aber die Leadgitarre hat ständig Aussetzer und überhaupt keinen Gain. Das ist natürlich, insbesondere bei dieser Form von schwedischem Todesstahl mit Black-Metal-Einflüssen, ein Todesurteil. Somit Chapeau, dass die Band ihr reduziertes, zerpflücktes Set noch zu Ende bringt, aber auf eine qualitative Einschätzung verzichte ich. Kopf hoch Jungs – euer Album ist gut und ich denke mit einem richtigen Set könnt ihr noch einige Fans überzeugen, sich intensiver mit euch auseinanderzusetzen. Heute verbuchen wir es mal unter Schadensbegrenzung.

Damit wenden wir uns nun doch mal dem Geburtstagskind zu und bereiten uns mental auf progressiven Death Metal vor, welcher die Tür zum Avantgarde-Bereich ganz weit auftritt. Ohne große Umschweife startet DISILLUSION direkt mit der Göttergabe. Eine knappe Stunde gibt es nun Kunst auf die Ohren, aber solche Kunst, wie von Salvator Dalí geschaffen. Soll heißen, man muss auch gar nicht verstehen, was da alles abgeht, sondern man kann es auch einfach auf sich wirken lassen und trotzdem irgendwie geil finden. Insbesondere die drei zentralen Longtracks '...And The Mirror Cracked', 'Back To Times Of Splendor' sowie 'The Sleep Of Restless Hours' sind mal wieder nicht von dieser Welt. Und das ist alles andere als selbstverständlich, denn von der ursprünglichen DISILLUSION-Mannschaft ist nur noch Band-Leader Andy Schmidt aktiv. Aber auch die aktuelle Besetzung macht einen großartigen Job und ich kann einen Qualitätsabfall zu den letzten Konzerten in anderer Besetzung nicht erkennen.
Wie es sich für einen echten Geburtstag gehört, dürfen zum Titeltrack dann tatsächlich auch noch die ehemaligen Mitglieder Rajk Barthel (Gitarre) und Jens Maluschka (Schlagzeug) einspringen und sorgen für ein kleines emotionales Highlight. Wie wichtig Andy Schmidt dieses Konzert und dieses Album ist, merkt man an der Tatsache, dass er den Abschlusstrack 'The Sleep Of Restless Hours' nach knapp zwei Minuten abbricht und sich für diese Performance entschuldigt und bittet, ihn nochmal beginnen zu dürfen. Diese 17-minütige Reise muss perfekt austariert sein. Halt die Leiter fest. Ich habe nicht mal gehört, wo sich da ein falscher Flow eingeschlichen haben sollte. Wer den Unterschied zwischen Prog und Rock'n'Roll nochmal verdeutlicht haben möchte – hier ist das Beispiel. Wenn jemand auch in Leipzig dabei war und bemerkt hat, was dort falsch oder nicht gut genug lief, der darf mich gerne kontaktieren, diese Ungewissheit quält.

Ebenfalls quälte mich vorab das Gedankenspiel, was die Band, denn nach diesem Block noch alles in die Waagschale werfen kann, um zu verhindern, dass der dramaturgische Fall zu tief wird. Und das löst Andy Schmidt erstklassig. Es gibt eine wilde Mischung aus den letzten Alben, wobei mich persönlich wieder mal 'Alea' komplett in den Bann zieht. Die heutige Version verzichtet auf die ikonische Trompete und adaptiert das ganze für die Violine. Diesen Zug wiederholt die Band im Anschluss bei 'Time To Let Go', wobei hier das Cello ersetzt wird. So bekommen beide Songs eine vollkommen neue Dynamik und Klangfarbe. Ganz großes Kino.



Doch DISILLUSION ist ja nicht nur Musik für Nerds, sondern liefert auch 1A-Nackenbrecher. Somit beschließt das reguläre Set ein richtig alter Banger. Sie haben tatsächlich 'The Porter' aus der Mottenkiste geholt und schwingen mit dieser aggressiven Nummer nochmal richtig die Nostalgie-Keule. Nur konsequent, dass Jens und Rajk für diesen Moment nochmal auf die Bühne dürfen, um diesen Song von 2002 zu veredeln. Klasse Ende! Somit alles perfekt? Leider nicht nicht ganz, denn die Wahl der beiden Zugaben lässt mich etwas ratlos zurück. Ohne Frage sind 'Tormento' und 'Driftwood' erstklassige Songs. Aber als Zugabe? Ich verstehe, wenn die Band nicht schon wieder mit 'Don't Go Any Further' auf Nummer sicher gehen will, aber etwas längeres von "The Liberation" oder gar ein Ausflug zu den "Three Neuron Kings" würde den Abend auf einer größeren Note beenden. Aber so ist es halt mit Künstlern. Manchmal versteht man sie halt nicht. In Summe war das Konzert trotzdem über jeden Zweifel erhaben und beide Blöcke in ihrer Art und Weise höchst beeindruckend. Ich kann jedem nur empfehlen, die Band zu besuchen, wenn sie mit einem Konzert in der Nähe ist, es lohnt sich! Jetzt bin ich mal gespannt was die nächste Geburtstagssause sein wird.

Setliste: ...And The Mirror Cracked; Fall; Alone I Stand In Fires; Back To Times Of Splendor; A Day By The Lake; The Sleep Of Restless Hours; The Black Sea; Am Abgrund; Alea; Time To Let Go; The Porter – A Lament; Zugaben: Driftwood; Tormento

Fotocredit: Norman Wernicke

Redakteur:
Stefan Rosenthal

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