DEPRESSIVE AGE, DISTANT SHADOW und INSTRUCTOR - Hamburg
18.10.2025 | 13:0603.10.2025, Bambi Galore
Alte Hasen treffen auf junge Dachse. Der Metal lebt!
Passend zum Tag der Einheit geben sich in Hamburgs beliebtesten Metal-Tempel, dem Bambi Galore in Billstedt, gleich zwei Bands mit ostdeutschen Wurzeln die Ehre: INSTRUCTOR aus Rostock und die Legenden von DEPRESSIVE AGE aus Berlin. Vervollständigt wird das Line-Up durch die lokale Nachwuchshoffnung DISTANT SHADOW.
Da gibt es nur eine Option: Nix wie hin da! Das sehen die geschätzten Kollegen Lenze und Holg offenbar genauso, laufen Sie mir doch direkt, nachdem ich den Einlass passiert habe, als erstes über den Weg.
Nach einer warmen Begrüßungsformel und einem kalten Begrüßungsbier fassen wir den Beschluss, den Konzertbericht für den heutigen Abend brüderlich unter uns aufzuteilen.
Jeder von uns wird über eine der auftretenden Bands berichten, wobei mir dabei die mir bis dato völlig unbekannte Band INSTRUCTOR zufällt, die den Abend pünktlich um 20.30 Uhr eröffnet - und von Beginn an mit allerlei technischen Problemen zu kämpfen hat.
So muss dass Quartett gleich mal seinen Opener abbrechen, weil es sich auf der Bühne nicht hören kann und somit noch einmal von vorne beginnen. Leider bleibt den Rostockern das Pech treu, denn auch im weiteren Verlauf des Auftritts, kommt es immer wieder zu kleineren oder größeren Problemen, die wohl, so erfahre ich später ohne Gewähr, zum Teil auf das In Ear System der Band zurückzuführen sind.
Aber alles halb so schlimm, denn die Truppe kämpft sich wacker durch alle Widrigkeiten und findet beim Publikum durchaus Anklang.
In den ersten Reihen herrscht schon einiges an Bewegung, was bei dem, für seine hanseatische Zurückhaltung bekannten, Hamburger Publikum durchaus keine Selbstverständlichkeit ist, zumal zu dieser frühen Stunde. Auch mir gefällt, was mir hier zu Ohren kommt.
Garstiger melodischer Death Metal regiert, der mit ordentlichem Groove versehen aus den Boxen wummert. Als die Band sich nach etwa 40 Minuten verabschiedet, hat sie sich den Applaus erstens erkämpft und zweitens verdient. Ich jedenfalls beschließe, mich mal etwas intensiver mit dem bisherigen Werk der Jungs zu beschäftigen.
[Florian Abbe]Nach dem robusten Auftakt der mir bis dahin unbekanten INSTRUCTOR folgt nun das Hamburger Thrash-Gespann DISTANT SHADOW. Das junge Quartett hat vor kurzer Zeit mit "Whispers And Lies" ein erstes Lebenszeichen veröffentlicht und will uns mit einer modernen Version des altehrwürdigen Thrash die Wartezeit auf DEPRESSIVE AGE versüßen.
Schon beim Opener 'Shadows Remain' wird klar, dass diese moderne Version für mich nicht zu modern ist, denn ich bin sofort angetan von der Spielfreude der Jungs. Alle Vier geben gleich mächtig Gas und das Songmaterial ist schön verspielt.
Ich fühle mich ein kleines bisschen an gute MEGADETH aus der ersten Hälfte der 90er erinnert, wobei der Gesang von Gitarrist Nico Abbe deutlich melodischer ausfällt als der von Dave Mustaine. Dies soll aber nicht bedeuten, wir würden heut Abend keine aggressiven Vocals geboten bekommen. Ganz im Gegenteil! Nur singt Nico eben mehr als Dave. Was mich besonders beeindruckt, ist der Umstand, wie die Truppe mit einer technischen Panne umgeht als Nico wegen gerissener Saiten die Bühne kurz verlassen muss, überbrücken die anderen Drei mal eben die Zeit mit einer instrumentalen Improvisation, die sehr cool rüberkommt. Das zeugt von Selbstbewusstsein und einem ausgewiesenen Verständnis für Bühnenpräsenz. Alle Daumen hoch dafür!
Die von der EP gespielten Nummern kommen beim zahlreich anwesenden Fan Club der Band besonders gut an, aber auch bei den restlichen vier Songs, geht vor der Bühne mächtig der Bär ab. Auch ich fühle mich allerbestens unterhalten und werde die Jungs ab jetzt mal nachhaltiger im Auge behalten, denn die EP ist wirklich extrem klasse! Vier Daumen nach oben (im Schuh leider schlecht zu sehen!)
Setliste: Shadows Remain; Empty Vision; Conquer The Masses; Whispers And Lies; World Disillusion; Into The Unknown, War Against Ourselves
[Holger Andrae]Wenn man einmal den Festivalauftritt vor zwei Jahren beim Rock Hard Festival außer Acht lässt, ist dies heute der erste Club-Gig von DEPRESSIVE AGE seit über dreißig Jahren, den ich und so manch andere Person heute wieder erleben dürfen. Die sympathischen Berliner veröffentlichten Anfang der 90er zwei ganz superbe (Underground-)Meilensteine des Technical Thrash Metal, bevor sie sich mit den Alben drei und vier ein wenig in experimentelle Fahrwasser begeben haben und sich, auch aufgrund des Drucks der damaligen Plattenfirma GUN Records, daraufhin noch mehr Richtung Industrialmusik orientierten und sich im weiteren Verlauf in D-Age umbenennen sollten. Ob das alles die richtigen Entscheidungen zur richtigen Zeit gewesen sind, lässt sich heute wohl nur noch schwerlich beurteilen. Jedoch erfolgte Anfang der 00er Jahre die endgültige Auflösung, bevor man sich 2022 dann wie aus dem Nichts wieder reformierte. Von der Ur-Besetzung sind heute noch Sänger Jan Lubitzki und Gitarrist Jochen Klemp übrig.
Ich hatte anno 1993 immerhin noch zweimal das Vergnügen, die Jungs auf der Bühne zu sehen. Einmal mit NUCLEAR ASSAULT in Hamburg sowie ein weiteres Mal in Bremen gemeinsam mit CORONER. Auch wenn in der Zwischenzeit die totale jugendliche 1000-Prozent-Euphorie bei Konzerten einer gewissen Abgeklärtheit gewichen ist, so fühle ich mich bereits in der Umbaupause wieder wie der damals 16-jährige Jungspund und sichere mir daher wie in den alten Zeiten rechtzeitig einen guten Platz ganz vorne am Bühnengeschehen. Ja, mit DEPRESSIVE AGE verbinde ich noch immer einen ganzen Haufen schöner Erinnerungen, deswegen habe ich auch (fast) alle meine Metal-Jungs aus eben der Zeit heute mit im Schlepptau, die natürlich allesamt ebenso ihre eigenen Momente mit der Band verknüpfen. Wir sind damit allerdings nicht alleine. Denn während es sich die jüngeren Semester der beiden Vorbands und ihrer Gefolgschaften im hinteren Teil des Bambi gemütlich gemacht haben oder sogar schon (Schande über deren alle jungen Häupter) den Heimweg angetreten haben, sind die vorderen Reihen gefüllt mit langjährigen Fans und etwas älteren Säcken, die das "Comeback" hier ebenso wenig erwarten können wie wir.
Dann ist es endlich soweit. Die fünf Berliner Herren suchen ihre Plätze auf der wie immer klein-kuscheligen Bambi-Bühne, während Bassist Mario Prause unverkennbar 'Lying In Wait' vom gleichnamigen zweiten Album anzupft. "There is a new time, There is a door, The door is open to a floor". Wir fühlen uns bei diesen eröffnenden Textzeilen des mittlerweile sehr hübsch ergrauten Sangesbarden Jan Lubitzki in der Zeitmaschine sogleich einige Jahrzehnte in die Vergangenheit katapultiert, bevor alle Dämme brechen und wir älteren Herrschaften da vorne ein Headbangergewitter par excellence entfachen. Dann folgen zwei Songs von der dritten Platte "Symbols For The Blue Times", die uns alle seinerzeit bei Erscheinen irgendwie nicht wirklich abholen konnte. Der Fairness halber muss ich allerdings sagen, dass sowohl diese als auch die folgende vierte und letzte Scheibe "Electric Scum" in der Zwischenzeit mehr als gut gealtert sind, so dass wir nun auch diese kraftvollen Stücke endlich einmal live erleben können und diese hier nun auch in vollen Zügen genießen.
"Laut, dreckig, kaputt, aber irgendwie geil". Ich weiß bereits vom Gig beim Rock Hard Festival, dass auf diese Ansage nur ein Song kommen kann. Na klar, es ist die großartige und düstere Halbballade 'Berlin' vom zweiten Album. Einfach nur geil! Nach 'World In Veins' wird nun auch die "Electric Scum"-Platte mit zwei Songs gewürdigt. Dafür, dass das Bambi heute weit entfernt ist von "complete sold out", machen die gut sechzig, siebzig Nasen vor der Bühne hier mal so richtig Alarm, sowohl bewegungsaktiv als auch lautstärkemäßig. Kein Wunder also, dass der Schuppen es in einem sehr prominenten Printmagazin immer wieder (ZURECHT!) in die Top 10 der bundesweit besten und beliebtesten Clubs schafft. Die Energie verlagert sich sukzessive Richtung Bühne, so dass die Mucker da oben von Minute zu Minute steil und steiler gehen. Genau so funktioniert der Austausch von LIVE-Energien. Nicht umsonst soll die Band einen Tag später auf ihrer Facebook-Seite schreiben: "Hammer! Was war das denn bitte? Ihr habt das Bambi Galore förmlich zum Überkochen gebracht!" Vielen Dank, bitte schön. It was OUR pleasure as well.Alles ist hier so ekstatisch aufgeladen, dass ich wirklich erst im Nachhinein peile, dass uns mit 'War' und 'She Lights My Way' gerade zwei komplett neue Songs präsentiert werden, die sich, soweit ich das erinnere, grob an der Marschrichtung der letzten Platte orientieren. Wollen wir stark hoffen, dass die Jungs nun auch endlich mal mit einem neuen Release um die Ecke kommen. Als Jan sich kurz darauf zwei einzelne Trommeln samt Schlagstöcken Backstage greift und diese gut zentriert vor sich auf den Boden stellt, ist klar, dass 'Electric Scum' nun folgen wird.
Ich spare mir nun erklärende Worte und verweise am besten gleich auf das Video am unteren Ende des Artikels, denn manchmal erzählen bewegte Bilder bekanntermaßen mehr als alle Worte zusammen. Da vom famosen und von vielen wohl als Lieblingsalbum geltenden Debüt "First Depression" bisher noch kein Stück dargeboten wurde, ist es nun an der Zeit für die vielschichtige und geniale Nummer 'Innocent In Detention', in welcher der Sänger seine dunkle Zeit im DDR-Knast verarbeitet, bevor die Jungs sich Backstage nun erstmal ihre klatschnassen Körper und Gesichter abtupfen dürfen.
Die ebenfalls schweißnasse Meute hat hier allerdings noch lange nicht genug und schreit den Fünfer folglich lautstark noch einmal zurück auf die Bühne. Der lässt sich nicht zweimal bitten und kehrt mit 'Port Graveyard' und einem weiteren Song vom ersten Album ('Circles Colour Red') noch einmal zurück.
Wie es bei solch "magischen" Konzertabenden oft der Fall ist: Man kennt die Songs mehr oder weniger im Schlaf, so dass es sich im ekstatischen Rausch gefangen anfühlt, als würde die Band einen ewig langen Song spielen. Ob die Einsätze richtig passen, sich womöglich ein Spielfehler einschleicht oder hier und da etwas fehlen mag, ist heute aber mal sowas von schnurzegal, dass wir alle auch großzügig verzeihen, dass bei der absolut finalen Zugabe 'Eternal Twins' weder Brutus noch Matthias Rütz als zorniger Widersacher von Jan zugegen sind.
Basser Mario erklärt uns allen, warum das logistisch nicht hingehauen hat und kommt dabei buchstäblich vom Hundertsten ins Tausendste. Gitarrist Jochen macht ihn daraufhin dezent auf die Tatsache aufmerksam, dass man sich hier, auch wenn Freitag ist, in einem endenden Zeitfenster befindet. Ich allerdings hätte dem auf wunderbar berlinerisch deklarierten Monolog noch stundenlang zuhören können.
Wie dem auch sei. Der textsichere Pulk in Gestalt des Publikums übernimmt kurzerhand einfach im Kollektiv den Part des finsteren Antagonisten und brüllt sich hierbei alle noch verfügbaren Seelen aus den nun doch ziemlich angeschlagenen Körpern. Ein viel besserer Konzertabschluss lässt sich wahrlich wirklich nicht erfinden, so dass am Ende des Abends nicht nur eine Person hier von dem "Konzert des Jahres" sprechen wird. Ich gehe dahingehend mit, dass auch ich ziemlich sicher bin, dass es der Gig auch in meinem Fall sehr sehr weit nach oben ins Ranking meiner besten Livegigs des Jahres bringen wird. BOMBE!!!
Setliste: Intro; Lying In Wait; We Hate Happy Ends; Rusty Cells; Berlin; World in Veins; Cairo Crabat; Toyland Hills; War; She Lights My Way; Electric Scum; Innocent in Detention; Zugaben: Port Graveyard; Circles Colour Red; Eternal Twins
[Stephan Lenze]
Texte: Florian Abbe, Holger Andrae und Stephan Lenze
Photo Credits: Florian Abbe und Stephan Lenze
'Electric Scum' am 03.10.2025 in Hamburg im Bambi Galore
https://www.youtube.com/watch?v=LusCg4uXDW4
- Redakteur:
- Stephan Lenze