Bierathlon - Leipzig

21.06.2004 | 12:59

15.06.2004, ganze Stadt

Nur noch drei Stationen. Ratter, ratter. Oder doch nur zwei? Knirsch, knirsch. Trinken nicht vergessen. Ein fordernder Ruf: "Wir müssen weiter." Wohin? Meine Gehirnwindungen kochen, Konzentrationsversuche scheitern kläglich am bereits erreichten Füllstand. Es ist Dienstag, es ist heiß, die Sonne brennt aufs lange Haar - es ist der 12. Bierathlon in Leipzig. Torsten, Jochen, Matthias und ich sind ein Team, unser Name "Die Bierräte". Vier Kerle und ein Ziel: "Wir müssen durchhalten! Bier Metal ist Krieg!"

Was ist ein Bierathlon? Die Regeln sind einfach. Es gibt zehn Stationen, jeweils Kneipen oder Stände, die Strecke ist rund fünf Kilometer lang. Dort trinkt jeder pro Mannschaft jeweils ein Bier, insgesamt rund vier bis fünf Liter. Spielstationen stellen sich den Läufern zusätzlich in den Weg. Überall erhält der Bierathlet einen Stempel auf seinen Zettel, damit niemand unehrlich trinkt. Alle Teams starten zeitlich versetzt. Wer am wenigsten Zeit verbraucht, hat gewonnen. Zu gewinnen gibt es unter anderem das begehrte Bierathlon-Sieger-Shirt: Echte metallische Prahl-Ware für später rockende Enkelgenerationen.

15.40 Uhr startet unsere Mannschaft "Die Bierräte" an der Hochschule für Technik, Wissenschaft und Kultur (HTWK). Das erste Gerstenkaltschälchen muss jeder unserer Vierer-Gruppe auf Ex saufen. Das bringt wichtige Zeitpunkte - eine Sekunde gilt als eine Minute, wer zulange trinkt, hat keine Chance auf das Gewinner-Saufaus-Shirt. Unsere vier Becher sind nach 13 Sekunden leer, kaltes Bier drängt in den Magen. Kohlensäure steigt auf: "Rülps, Rülps, Rülps, Rülps!" Viermal für einen kleinen Sieg. Wir sind hier schließlich nicht auf einem Kindergeburtstag. Hier geht es um sportliche Trinker-Ehre. Wir gehen flott zur nächsten Station, einer Kneipe bei der HTWK. Torsten voran, Jochen und Matthias dahinter, ich bin die metallische Nachhut.

Den Bierathlon gibt es seit 1993. Der Veranstalter ist seitdem der Leipziger Studentenklub F11, der früher noch in der Friederikenstraße 11 in Lößnig wohnte. "Die Strecke ging damals in den Leipziger Süden, nicht wie jetzt zum Sportler-Campus Jahnallee", sagt Andreas Mattner, Organisator der feucht-fröhlichen Angelegenheit. Eine Sache hat sich in den letzten Jahren verändert. Andreas erzählt: "Am Anfang gab es noch unbegrenzt Kürbiere. Wer die getrunken hat, bekam Zeit gutgeschrieben. Das ist dann immer ein bisschen ausgeartet." Als Ersatz gibt es nun diese bösartigen "Trinker"-Spiele...

Inzwischen sind vier Stationen durchlaufen, das Bier fließt gut. Eine andere Mannschaft haben wir schon überholt. Das Hauptproblem: Bier macht träge. Schnell will man sich setzen und quatschen, Homo Trunkus ist ein geselliges Wesen. Doch Labern führt nicht zum Sieg! Gegenseitige Anfeuerungsrufe: "Weiter geht's!". Bald warten erste sportliche Herausforderungen. An der siebten Station muss ein Stift in eine auf dem Boden stehende Flasche eingeführt werden. Das Problem: Das Schreibutensil hängt an einem wild umher baumelnden Bindfaden von meinem Arsch herunter. Auch hier gilt wie beim Sturztrinken am Anfang: Eine Sekunde ist eine Spielminute. Nach fünf Sekunden ist der Stift tatsächlich versenkt. Jubel: "YEEAAHH!!" Fassungslosigkeit! Das in diesem Zustand! Hoch die Tassen. Jochen, Matthias, Torsten und ich setzen unsere Biere an: Fast übermütig trinken wir sie ganz schnell aus. Nur Jochen ist etwas langsamer. Ich trinke seinen Rest. Soll er mir später einmal helfen!

Dieses Jahr nehmen 37 Mannschaften beim Bierathlon teil, letztes Jahr waren es 52. "Das liegt wohl an dem EM-Deutschlandspiel", denkt Andreas. Er kennt zwei Kategorien von Mannschaften: "Es gibt solche, die möchten einfach einen gemütlichen Nachmittag verbringen. Und dann ist da der Teil, der antritt, um zu gewinnen und dabei richtigen Ehrgeiz entwickelt." Für Unfälle beim Spurt unter Alk-Bedingungen ist jeder selbst verantwortlich, jeder muss vorher unterschreiben, dass er weiß, worauf er sich hier einlässt. "Es ist aber bis auf leicht Blessuren nie was Ernstes passiert", sagt Mattner.

Uff. Was ist das jetzt? Jetzt sollen wir kegeln! Matthias und Torsten melden sich als Freiwillige. Torsten zuversichtlich: "Ich hab schon mal gekegelt." Mit Medizinbällen sollen die beiden mehrere Mineral-Wasserflaschen umstoßen, wohl als eine Art stiller Protest gegen die unalkoholisierte Mehrheit in Leipzig. Doch daraus wird nichts. Nur zwei Flaschen fallen nach den Würfen um, acht bleiben stehen. Egal! An der nächsten Station - oder war es die davor? - müssen auf Zeit Maiskörner von einer Schale in eine andere geschichtet werden. Mit chinesischen Stäbchen und geschätzten 1,9 Promille ist das gar nicht so einfach. Das wars schon mit den Spielen. Zwei Stunden und zehn Minuten dauert der Lauf insgesamt für uns "Bierräte", danach ist Pumpe und wir im Ziel am Sportler-Campus.

Die Ergebnisse stehen tags darauf fest. Die letzte Mannschaft sind "Die antialkoholischen Humpenheber", sie haben es noch nicht einmal ins Ziel geschafft. "Die Bierräte" sind souverän auf dem vierten Platz. Auf dem dritten Platz torkeln die "Bergwitzer Saufknappen", Platz zwei belegen das Team "P.O.S.T - Potentielle Opfer suchen Täter". Erster wird die "L B G". Bierathlon-Cheffe Andreas Mattner: "Die Mannschaften geben sich oft sehr coole Namen und kommen zum Teil sogar kostümiert."

Im Ziel interessieren am Tag des Bierathlons weder Namen noch Platzierung. Weiter trinken. Enthemmung. "Vor dem Bierathlon ist nach dem Bierathlon", entlallt es mir. Jetzt merkt Freund Körper, was ich ihm angetan habe. Er sträubt sich. Nichts da. Als Bierathlet muss es jetzt weitergehen. Erinnerungen verschwimmen, dass EM-Spiel Deutschland gegen Holland wird zum Konzentrationstest. Rückkehr von der Nacht: Drei Uhr. Verletzungen: Ein zerschrammtes Knie, eine zerschrammte Hand. Ist ja wie früher beim Spielen im Kindergarten... Sonstige Verluste: Der nächste Tag - was für ein Kater... Das ist METAL!!! ROCKT ON!!!

(Henri Kramer)

Und hier noch der Suff-Bericht von Powermetal.de-Redakteur (wir kündigen ihn laut an:) MR. STEPHAN VOIGTLÄNDER:

Es gibt Teams, für die beim Bierathlon nur der Sieg zählt, die mit aller Kraft um eine möglichst gute Platzierung kämpfen. Dann gibt es Teams, die einfach die günstige Gelegenheit Bier zu konsumieren, nutzen wollen (immerhin zehn Bier für 14 Euro pro Teammitglied), sich mit Gleichgesinnten vergnügen und die sich dementsprechend mehr Zeit lassen. Und dann gibt es noch Teams wie unseres, bei denen der Ehrgeiz proportional zum Alkoholpegel steigt und dabei gar seltsame Auswüchse annimmt. Aber dazu später mehr.

Wir starten mit zwei Teams - "Bierpumpe" und "Ein Stockwerk tiefer" (der Dank für diesen einfallslosen Namen geht an meinen Mitbewohner, nächstes Jahr nehmen wir wieder die "Dosenpfand Hate Crew"), zu dem ich gehöre. Die Bier auf Ex am Start rutschen nur bei drei Teammitgliedern gut die Kehle runter, sodass am Ende 21 Sekunden zu Buche stehen, ein nicht gerade optimaler Auftakt. Merke: Beim Startbier sind Genießer unerwünscht!

Von regelrechten Rülpskanonaden durchgeschüttelt, erreichen wir schnell die zweite Station, trinken zügig aus und ziehen weiter. Zwischen Station 2 und 3 führt uns unser Weg noch einmal am Start vorbei. Dort beginnt gerade das spätere Siegerteam mit seiner Vorstellung, wobei ein bemerkenswertes Teammitglied nach geschätzten drei Sekunden sein Start-Bier gekippt hat und sich flux noch das angefangene seines Kollegen greift und ebenfalls in einem Affentempo vernichtet - rekordverdächtige elf Sekunden dauert das wahnwitzige Prozedere insgesamt.

Bei unserem nächsten Halt bei "Ingolfs Bierchen" sehen wir dann zum letzten Mal unser anderes Team, das drei Minuten nach uns gestartet war, und das den restlichen Weg sehr gemächlich zurücklegen wird. Erst einige Stunden nach unserer Zielankunft treffen unsere Wege wieder aufeinander.

Beim Weg von Station 4 zur 5 wird erstmals eine kleine Joggingeinheit eingelegt, gewürzt mit einigen Sinnlos-Parolen der Marke "Wir müssen schneller laufen, dann könn' wir eher saufen", was viele belustigt grinsende Gesichter bei den unseren Wegrand säumenden Leuten hervorruft. Es ist ja auch erst kurz nach 18 Uhr. Eine richtige Joggerin mit sehr attraktivem Äußeren lässt uns spontan abbiegen und kurz von unserem angestrebtem Weg abkommen, bis wir uns dann endlich zusammenreißen und auf das Wesentliche konzentrieren. Da nun die letzte Kneipe mit anständigen Sitzgelegenheiten erreicht ist, lassen wir uns mit unseren Bieren etwas mehr Zeit und bewundern den 1:0-Führungstreffer der Letten gegen die Tschechen auf der Videoleinwand, was das neben uns campierende tschechische Bierathlon-Team zu ein paar bösen Flüchen verleitet.

In der Hinterhof-Schenke Absturz überholt uns das spätere Siegerteam "L.B.G.", immerhin eine halbe Stunde nach uns gestartet, während wir uns schaukelnderweise an einem aufgehängten Autoreifen betätigen und der Bierathlon für einen Augenblick in ganz weite Ferne rückt. Nachdem wir der Realität wieder in die hässliche Fratze sehen und jeder Pipi machen war, geht's weiter.

Nun kommen nur noch einfache Bierstände mit unangenehmen Aufgaben auf uns zu. Ich bin dazu auserkoren worden, das lustige Spiel durchzuführen, bei dem man einen an einem Strick um den Bauch gebundenen Kuli mit elegantem Hüftschwung in einer Weinflasche versenken muss, nur leider hat mich sämtliche Geschicklichkeit bereits verlassen und so zirkele ich 56 Sekunden lang herum, bis ich das Loch endlich getroffen habe. Das entspricht bekanntermaßen einer Zeit-"Gutschrift" von 56 Minuten. Mit solch einer Leistung sind die vorderen Plätze im Klassement natürlich in weite Ferne gerückt, dennoch packt uns die unerklärliche Vorstellung ein kleiner Sprint könnte das kaschieren. Und nicht nur das - der plötzliche Ehrgeiz führt so weit, dass wir uns sogar aufteilen und die beiden aktiven Sportler im Team bis zur nächsten Station durchrennen und schon mal mit dem Saufen weitermachen.

An der Bowlingstation mit dem Medizinball verzeichnen wir zwar nur zwei oder drei Treffer, dafür können wir auf einem stark verkrieselten Fernseher das tschechische Siegtor zum 2:1 beobachten. Merke: alles richtig gemacht. Was nun folgt, ist klar - wir borgen uns einen der Medizinbälle aus und stellen besagten Treffer in filigraner Manier und auf technisch höchstem Niveau nach. In Zukunft sollte man allerdings eine Parkverbotszone rund um diesen Stand einrichten, nur zur Sicherheit von Rückspiegeln, Scheinwerfern etc. der hier abgestellten Autos. Der Zeitverlust aufgrund dieser Fussball-Einlage ist natürlich immens und erst der einsetzende Regen verleitet uns zum Weitergehen.

Der Rest ist schnell erzählt. Beim Umschichten der Maiskörner mit Stäbchen stellt sich unser Proband richtig geschickt an und braucht nur 2:30 Minuten. Und das, obwohl das vorherige Team, das drei Minuten länger gebraucht hatte, die Performance immer wieder mit fiesen Schubsattacken stören musste.

So etwas lässt man natürlich nicht auf sich sitzen. Da jetzt nur noch das Ziel vor uns liegt, liefern sich meine Wenigkeit und einer der konkurrierenden Teammitglieder einen erbitterten Sprint. Zumindest so lange, bis ich den Konkurrenten in ein dichtes Gebüsch stoße. Nur leider ließ dieser bei der Aktion meinen Arm nicht los, sodass ich ebenfalls äußerst unsanft zu Boden gehe und mir den gesamten rechten Unterarm bis auf die Knochen aufschramme. Dennoch, davon lässt man sich natürlich bei solch einem sportlichen Wettstreit nicht aus der Fasson bringen, also rappele ich mich auf und lasse den Konkurrenten links liegen.

Und jetzt nur noch schnell zur Zielstation geeilt, aber denkste. Während der Club F11 bzw. die benachbarte Mensa voll gerammelt mit Menschen sind, die dem Spiel Deutschland-Holland entgegenfiebern, machen sich bei uns Verwirrung und Panik breit. Jetzt zählt jede Minute, doch wo ist das verdammte Ziel? Eine nicht sehr vertrauenserweckend aussehende, ältere Dame gibt Auskunft: direkt gegenüber in einem etwas kleineren Gebäude. Also schnappe ich mir unseren Teamzettel, stürme in das Haus, reiße die erstbeste Tür auf und rufe: "Juhu, hier bin ich, ich hab's geschafft". Irritierte Blicke und verdutztes Schweigen belehren mich eines Besseren. Ich war gerade in eine StuRa-Sitzung oder etwas ähnliches hineingeplatzt, woraufhin die beteiligten, schrecklich nüchternen Personen mich sehr belustigt wieder von dannen schicken. Hoffentlich war keiner dabei, der mich kennt. Nach ewigem Hin und Her ist dann endlich auch die fies versteckte letzte Station geschafft, der Zettel abgegeben und eine Zielzeit von 2:41 Stunden vermerkt, insgesamt ein doch recht gutes Ergebnis, das aber durch die schlechten Spiel-Ergebnisse natürlich noch abgewertet wird.

Etwa eine Viertelstunde später treffe ich meinen Konkurrenten, den ich in den Busch befördert hatte, wieder, der immer noch verzweifelt auf der Suche nach der Schlussstation ist. Ich erkläre ihm genau, wo er langzugehen hat und er dampft ab. Aber natürlich habe ich ihn in die völlig falsche Richtung losgeschickt und er ward den restlichen Abend auch nicht wieder gesehen. Mag bösartig erscheinen - aber so viel Spaß muss sein!

Die Erinnerungen an den weiteren Abend verschwimmen - zwischen einem späten Ausgleichstor der Holländer, zerissenen Kleidungsstücken, unangenehmen Begegnungen mit unseren grün gekleideten Freunden und Helfern, vietnamesischem Reisschnaps und allgemeiner Orientierungslosigkeit habe ich es dann aber doch noch irgendwann in mein Bettchen geschafft. Gute Nacht!

(Stephan Voigtländer)

Redakteur:
Henri Kramer

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