TANITH: Interview mit Gitarrist Russ Tippins

24.04.2023 | 22:29

Endlich ist das zweite Album von TANITH am Start! Wer unsere Seite ein bisschen verfolgt, weiß, wie sehr ich die Band schätze. Da ist ein Interview mit Gitarrist Russ Tippins nur selbstverständlich. Der gute Mann war so nett, meine teils etwas wirren Fragen im Laufe der SATAN-Tour zu beantworten. Offenbar kann man dabei auch Spaß haben, wie man während der nachfolgenden Antworten erkennen kann.

Hey Russ! Lass' uns doch mal direkt nach "In Another Time" anknüpfen. Was ist im Anschluss an das Debütalbum geschehen? Hattet Ihr irgendwelche Erwartungen und haben sich diese erfüllt?

Die einzige Erwartung, wenn man es so nennen will, war, dass wir auf etwas zurückblicken konnten, was wir erschaffen hatten. Etwas, abseits von Trends, was für sich allein steht. Aus meiner Sicht ist uns das gelungen. Weitere Erwartungen von uns waren eher moderat. Wir wollten etwas veröffentlichen, vor Publikum auftreten und interessante Orte besuchen. Ich bin glücklich, sagen zu können, dies ist alles eingetreten.

Wo Du schon von der Tour sprichst, konntet Ihr das genießen? Gibt es nette Geschichten zu erzählen?

Es dauerte ein paar Auftritte, bis wir unseren Flow hatten. Nach unserer vierten Show in London sind wir direkt vom Club zum Flughafen gefahren, da wir am nächsten Tag in Athen spielen durften. Wir litten bereits am Jetlag, sodass wir nach einem Nachtflug dachten, der Auftritt würde zum mittelgroßen Desaster werden. Das Gegenteil war der Fall, denn der Gig wurde zum Wendepunkt der Tour, denn auf der Bühne funktionierte plötzlich alles ganz wunderbar. Wir haben diese Erfahrung im neuen Song 'Olympus By Dawn' zusammengefasst. Eine andere Geschichte ist uns in Düsseldorf passiert. Wir kamen morgens nach der Show aus dem Hotel und unser Van war weg. Also sind wir zur Polizei, um ihn als gestohlen zu melden. Dort hat man uns allerdings aufgeklärt, dass der Wagen wegen Falschparkens abgeschleppt worden war, hahaha. Also mussten wir ihn für 130 € auslösen und konnten weiterfahren.

Coole Story. Bleiben wir aber bei den Konzerten. Ich war etwas überrascht, dass ihr ausgerechnet 'Lady In Black' als Zugabe gecovert habt. Ich hatte da mit einem obskureren Song gerechnet. Warum habt ihr diesen Hit gewählt?

Denk' mal drüber nach, Holger. Unabhängig davon, dass das ein wunderbarer Song ist, ist es einer der wenigen URIAH HEEP-Songs ohne Keyboards. Der Song basiert auf Akustik-Gitarren, die wir meist zur Hand haben. Außerdem funktionieren natürlich die zweistimmigen Gesänge hier ganz hervorragend.

Da hätte ich natürlich auch alleine drauf kommen können. Etwas anderes, was mir offensichtlich komplett entgangen ist: Wieso seid ihr nur noch zu dritt?

Nun, Charlie hat sich völlig überraschend dazu entschlossen, uns zu verlassen. Wir wollten ihn nicht gehen lassen, aber er hatte seine Gründe und wir mussten das so hinnehmen. Immerhin ist es uns gelungen, das Album als Trio zu beenden. Dazu haben wir allerdings ein paar Gäste anheuern müssen, was aber nicht schlimm war.

Natürlich nicht, denn das Ergebnis gibt Euch ja recht. Das heißt aber auch, dass Ihr aktuell auf der Suche nach einem zweiten Gitarristen seid?

Ja, sind wir. Wir können dieses Material nicht mit einer Gitarre live spielen. Völlig unmöglich. Bis jetzt hilft uns Dino Destroyer von NATUR aus. Immerhin gibt es bald eine Release Show zum Album, wo er uns aushelfen wird. Wie das allerdings längerfristig passt, ist noch ungewiss.

Da drücken wir mal die Daumen! Wenden wir uns jetzt aber endlich mal dem neuen Album zu. Schon beim Anblick des Covers und vor allem bei der Farbwahl bekommt man gleich dieses Seventies-Feeling. Ich nehme an, dass die Farbwahl sehr bewusst so ausgefallen ist?

Natürlich. Es ist wichtig, auch optisch eine Kontinuität zu entwickeln, daher hat wieder Luke Cantarella das Artwork gestaltet. Ich finde, es repräsentiert ganz ausgezeichnet, worum es bei dem Album geht.

Vielleicht klärst Du uns mal auf, was wir denn da genau sehen. Wie schon beim Debüt fliegt etwas herum und ich habe den Eindruck hier einen Bezug zu 'Architect Of Time' zu sehen?!

Nope. Das Bild hat einen Bezug zum Song 'Seven Moons', welches ja der zweite Teil unserer 'Galantia'-Trilogie ist. Dazu musst Du aber den Text des dritten Teils lesen, um zu verstehen, was man da sieht. Ich finde es besser, dass neugierige Menschen die Chance bekommen, dies für sich selbst herauszufinden. Von daher schweige ich ab hier jetzt still.

Okay. Kommen wir zum Albumtitel "Voyage". Das klingt beinahe etwas programmatisch. Da hätten wir auf der einen Seite Deine andauernde Reise zwischen UK und US, was ja vor allem in den letzten Jahren nicht so ganz einfach gewesen sein dürfte, und dann gibt es die musikalische Reise von TANITH in die Seventies. Und additiv kommt jetzt aktuell noch der Trip als Trio ins Studio dazu.

Wo ist denn hier jetzt die Frage, Holger?

Such' sie Dir!

Nun gut. Du hast natürlich recht, all das passt gut zum Titel, aber im Kern geht es dann doch um die eben erwähnte Trilogie.

Nun denn. Du hast oben bereits von Gästen auf dem Album gesprochen. Einer davon ist Andee Blacksugar, der unter anderem mit Peter Murphy, BLONDIE und KMFDM unterwegs war. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Wie ich bereits weiter oben ausgeführt habe, haben wir im Studio fast alles als Trio eingespielt. Bei den Gitarrensoli war es mir aber wichtig, einen anderen Style, eine andere Farbe, aufzunehmen und von daher wollte ich unbedingt einen zweiten Player auf dem Album haben, damit es auch für den Zuhörer spannender klingt. Unser Drummer Keith ist gut vernetzt in der New Yorker Session-Szene und hat uns dann Andee empfohlen. So sind wir seiner Empfehlung gefolgt und haben Andee Blacksugar geholt, damit er die Sahnehäubchen auf dem Album einspielt. Ich denke, dass das sehr gut gelungen ist.

Absolut! Bleiben wir noch mal einen Moment beim Aufnahmeprozess. Ihr habt erneut komplett analog aufgenommen, was in meinen Ohren sensationell klingt. Erzähl' doch mal ein bisschen mehr darüber.

Hatten wir da nicht letztes Mal schon drüber gesprochen? Anyway, wir haben uns erneut für analoge Aufnahmen entschieden, obwohl diese drei Mal so teuer sind wie digitale Aufnahmen, weil sie einfach neun Mal so gut klingen. Um das mal zu verdeutlichen: Ich würde analoges Aufnehmen mit dem häuslichen Kochen mit frischen Zutaten im Gegensatz zu der Verwendung von Tiefkühlkost und einer Mikrowelle betrachten. Was mag wohl besser schmecken?

Es scheint, Du kennst meine Vorlieben, Russ, aber zurück zu TANITH. Um beim Klangbild zu bleiben, habt Ihr keine Angst, dass die Hörgewohnheiten der meisten jungen Menschen gar nicht mehr auf solche Sounds stehen und dass denen bei Eurer Musik der Wumms fehlen könnte?

Weißt Du … das ist mir tatsächlich komplett egal. Ich werde mich nicht mit Dingen befassen, die ich eh nicht beeinflussen kann. Ich schreibe keine Musik, um anderen Leuten zu gefallen.

Okay. Wenn wir schon beim Entstehungsprozess der Musik sind, wie entscheidet Ihr, wer welche Passage singt? Passiert das ganz automatisch?

Gute Frage. Meistens ist es von Beginn an klar, wer singen wird. Manchmal sammeln wir aber auch Ideen und wir singen beide auf den Demos. Unsere Stimmen ähneln sich, sodass es meist nur um die Dynamik geht. Manchmal wollen wir auch beide die Hauptstimme singen und dann kämpfen wir darum!

Verstehe. Wenn wir mal auf Deine Gitarrenarbeit schauen, schimmern natürlich immer wieder Momente durch, die auch an SATAN erinnern. Daher frage ich mal, ob Du von Beginn an weißt, für welche Band Du gerade schreibst oder sammelst Du vielleicht auch einfach Riffs?

Ich kann nichts dafür, welche Art von Riffs aus mir herauskommen. Ich setzte mich niemals hin und komponiere. Ideen kommen, wenn sie kommen wollen. Meistens wenn ich mit irgendetwas beschäftigt bin, was nichts mit Musik zu tun hat. Wenn mir die Idee gefällt, höre ich mit der Arbeit auf und nehme schnell ein Demo auf, meist ein Voice Memo. So geht das schon so lange ich zurückdenken kann. Ich habe Ideen für TANITH aus einer Zeit lange bevor es die Band überhaupt gab. Damals hatte ich aber keine Verwendung für diese Ideen. Ich kann mich nur an eine Begebenheit entsinnen, wo ich nicht sofort wusste, für welche Band ich das verwenden wollte. Oftmals passt es für beide Bands nicht, sodass es ungenutzt in meinen Memos verweilt.

Zurück zum Gesang. Ich stehe total auf diese unaufgeregte Art des Singens, denn damit erreicht Ihr bei mir eine sofortige emotionale Verbindung. So sehr ich auch auf Dio und Halford stehe, empfinde ich diese Art des Vortrages als besonders emotional.

Vielen Dank, dass Du das sagst. Wenn Du Fragen dazu hast, lass' es mich bitte wissen.

Nö. Habe ich nicht, aber Danke für das Angebot. Themenwechsel: Ihr habt ein Video zu 'Snow Tiger' gemacht. Erzähl' mal was dazu.

Jawoll! Das ist ein hundertprozentiges Do-It-Yourself Produkt. Es war Keiths Idee, den gesamten Aufnahmevorgang auf Video zu dokumentieren. Das ging so weit, dass er eine Kamera im Drumraum aufgestellt hat, um sich selbst zu filmen. Cindy und ich wussten gar nicht, wie viel Material da zusammengekommen war, bis er uns seinen ersten Entwurf gezeigt hat. Er hat sogar selbst geschnitten. Das war ein ganzer Haufen Arbeit für eine Person allein, aber es hat sich mehr als gelohnt, denn das Video macht sehr viel Spaß.

Absolut. Ich denke, es fängt sehr gut Euren Spirit ein. Wenn ich mal auf einzelne Songs eingehen darf, möchte ich gern den letzten Song des Albums 'Never Look Back' hervorheben. Die Nummer hat es mir von Beginn an besonders angetan. Was gibt es zu der Nummer zu berichten?

Well, das ist lustigerweise eine Nummer von Keith. Er kam mit den Ideen zum Intro-Riff, dem Verse-Riff und der Gesangsmelodien beim Chorus um die Ecke. Der Song ist seine erste Komposition für TANITH und wenn man bedenkt, dass er auf dem ersten Album noch als Session Schlagzeuger an Bord war, ist es umso erstaunlicher, wie weit er sich heute einbringt. Wir sind sehr glücklich darüber, dass er nun voll bei uns eingestiegen ist, und diese Nummer spiegelt das wunderbar wider.

Wer ist denn der 'Architect Of Time'?

Das ist eine alternative Erklärung zum Urknall, um es mal in Kurzform zu erklären. Es ist natürlich nur eine von wahrscheinlich tausend Erklärungsoptionen, aber ich finde sie ziemlich spannend. Es ist wie bei vielen unserer Texte, es ist ein großer Anteil an Fantasiegeschichte, damit der Song schön klingt. Ich denke, es ist unsere Art zu sagen: "Hey! Wäre es nicht cool, wenn alles so begonnen hätte?"

Kommen wir noch einmal auf die Trilogie zu sprechen? Warum ist Teil zwei erst auf dem zweiten Album, während die Teile eins und drei bereits auf dem ersten waren?

Es war nicht unsere Absicht, die Trilogie zu splitten, aber die Backing Tracks zum zweiten Teil waren bei den Aufnahmen zum Debütalbum noch nicht fertig geschrieben. Zum Inhalt werde ich hier nicht viel schreiben. Wir haben einige Jahre über dem Konzept gebrütet und eine komplexe Fantasy-Story geschrieben, die man nicht mal eben in ein paar Sätzen zum Kaffeegenuss für Magazin-Leser zusammenraffen kann.

Kommen wir zu 'Flame'. Das scheint mir ein sehr positiver, aufbauender Song zu sein. Hast Du ihn während der Covid-Depression geschrieben um Dich selbst aufzubauen?

Ja und nein. Die ersten Gehversuche mit dem Song haben wir bereits 2019 unternommen. Damals hieß die Nummer noch 'Magic Of The Runes' und es war textlich natürlich ein mystisches Märchen. Aber sogar für uns war es dann irgendwie doch zu … niedlich. Also legten wir die Nummer auf Eis bis dann 2020 die Welt in einem dunklen Loch versank. Da wollten wir eine fröhliche Komposition raushauen, die so etwas wie "das Licht am Ende des Tunnels" sein sollte. Der ursprüngliche Text war da schon lange verschwunden und da das Stück rein musikalisch eher optimistisch klang, dachten wir, es wäre ein schöner Hintergrund zu unserer kleinen Hoffnungsbotschaft.

Das klingt nett. Werfen wir doch dann mal vorsichtig einen Blick in die Zukunft. Was sind die nächsten Pläne?

Zuerst steht die Records Release Party am 20.04. an. Da wollen wir das komplette Album spielen. Danach ist im Herbst eine kleine Tour an der Ostküste angedacht und Ende des Jahres würden wir gerne nochmal in Europa spielen.

Toll! Ich freue mich! Gibt es noch etwas, das Du unseren Lesern sagen möchtest?

Nö.

 

Pics: Mit freundlicher Genehmigung von Metal Blade Records, wenn nicht anders angegeben.

Redakteur:
Holger Andrae

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