SECRETS OF THE MOON: Interview mit T. Thelemnar

04.12.2009 | 00:23

"Der Großteil der Menschheit ist wahrscheinlich einfach nur blind." Rüdiger Stehle und Julian Rohrer baten T. Thelemnar zum Kreuzverhör.

Mit "Privilegivm" hat die deutsche Black-Metal-Institution einen starken Hassbatzen zähfließender Schwärze auf den Markt geworfen. Der starke 6. Platz in unserem September-Soundcheck zeigt, wie ambivalent das Werk ist: Auch die dem Black Metal eher abgeneigten Redakteure waren von der Rafinesse, der Schwere, der Melancholie und der Dunkelheit des Albums begeistert.

Wer oder was hinter SECRETS OF THE MOON steckt, was die Band bewegt, diesen Fragen und vielem mehr gingen zwei POWERMETAL.de-Redakteure in Zwei-Mann-Interview mit dem Schlagzeuger der Band, T. Thelemnar, nach. Das Interview mit dem total entspannten Drummer nahm seinen Lauf und wollte gar nicht mehr enden. Vielmehr entwickelte sich das Interview zu einem interessanten Gespräch, das noch weit in den Auftritt der ersten Band CODE hinein reichte.  Doch es gab einiges zu sagen ... 


Julian Rohrer:
Ihr seid ja gerade auf Tour. Wie ist das Feedback der Fans zur aktuellen Platte "Privilegivm"?

T. Thelemnar:
Oh, wir haben verschiedene Leute getroffen – in allen möglichen Ländern, wo wir jetzt waren – die sich gerne über das Album unterhalten wollen. Das finde ich persönlich sehr schön, da wir ja Musik machen, auf die man sich einlassen muss und Musik, bei der es etwas zu entdecken gibt. Es ist eine Reise und da ist es interessant, was die jeweiligen Hörer so entdecken auf diesem Pfad.

Julian Rohrer:
Zwischen der letzten Platte "Antithesis" und der aktuellen kann man ja schon fast eine Zäsur ausmachen. Gerade vom Soundkonzept ist die neue Platte deutlich anders geworden. Kannst du die Veränderungen beschreiben, die da stattgefunden haben?

T. Thelemnar:
Wir hatten auf "Antithesis" einen hervorragenden Sound. Mit "Privilegivum" haben wir allerdings das erreicht, was wir bislang immer haben wollten – unsere Vision. "Antithesis" war einfach ein ganz anderes Kapitel in der Bandgeschichte mit einer anderen Besetzung. Auf der neuen Platte konnten die beiden Songwriter der Band arbeiten, ohne Kompromisse eingehen zu müssen. Natürlich ist zwar unsere Bassistin dabei, jedoch ist sie in den Songwritingprozess nicht so integriert. Dadurch konnten wir viel freier agieren, was man zum Beispiel auch am Sound hört. Wir wollten eine sehr druckvolle Produktion, ohne allzu zu übertreiben – deswegen sollte auch nichts getriggert werden. Deswegen war es vom Aufnahmeprozess so ein bisschen wie in den Achtziger Jahren. Dass wir alleine über die Musik und den Sound entscheiden konnten, ist somit wohl der größte Unterschied.

Julian Rohrer:
Zwischen den beiden letzten Alben lagen etwa drei Jahre. 2006 habe ich in einem Interview gelesen, dass ihr damals schon dabei ward, neue Songs zu schreiben...

T. Thelemnar:
Es gibt auf "Privilegivum" einen Track, 'Harvest', das ist quasi das Kernstück mit 13 Minuten, welcher 2007 im alten Line-up entstanden ist. Das war allerdings alles. Die anderen Songs sG und ich in der zweiten Jahreshälfte 2008 geschrieben. Innerhalb von sechs oder sieben Monaten haben wir ein Grundgerüst gehabt und haben die Songs bewusst nicht perfekt vorbereitet, um freier ins Studio gehen zu können. Das bedeutet auch, keine Grenzen zu haben. Bei "Antithesis" war es so, dass wir die Songs sehr oft live und uns damit daran satt gespielt hatten. Wir hatten zum Teil keine Lust mehr auf die Songs und haben sie dennoch aufgenommen. Jetzt waren die Songs teilweise noch gar nicht fertig. Durch unsere Personalpolitik ging der Prozess unseres neuen Albums etwas schleppend voran, dennoch ist der Line-up-Wechsel das Beste, was uns passieren konnte. Wir haben jetzt das beste Line-Up, das wir uns vorstellen können.

Julian Rohrer:
Das bedeutet dann drei plus eins?

T. Thelemnar:
Ja genau, Ar ist zwar der Live-Gitarrist, ist allerdings auch vollwertiges Mitglied. Er ist ein Viertel von SECRETS OF THE MOON auf der Bühne, beim Songwriting ist er allerdings nicht beteiligt.

Julian Rohrer:
Die ersten Songs von "Privilegivm" habe ich auf dem Summer Breeze 2009 gehört. Zuvor kannte ich sie noch nicht. Obwohl viele nichts mit dem Auftritt anfangen konnten, war ich gerade von der Atmosphäre sehr positiv überrascht und dachte mir "wow, wenn die Songs auf Platte genau so mächtig rüberkommen, wird das großartig". Als ich die Platte dann hatte wurde mir klar, dass die Songs doch sehr anders klingen: Viel trockener.

T. Thelemnar:
Ich muss sagen, dass wir in den letzten Jahren teilweise eine sehr, sehr schlechte Live-Band waren. Sowohl vom spielerischen Aspekt, als auch vom Stage-Acting her. Wir haben uns nicht in der Form präsentiert, wie es der Band gerecht geworden wäre. Durch das neue Line-Up sind wir auf der Bühne aggressiver denn je, wir haben dreimal Gesang insgesamt und wir haben ein richtig großes Bandgefüge, wo jeder irgendwie aktiv ist. Das merkt man auch, da wir eine ganz andere Wucht haben. Außerdem ist live-spielen einfach nochmal etwas anderes als von Platte. Und da klingen wir doch nochmal etwas druckvoller würde ich sagen. Auf Platte muss sich mehr mit dem Ganzen beschäftigen. Und wäre da der Sound zu krass, wären viele möglicherweise doch eher abgeschreckt worden.

Julian Rohrer:
Was ist das Thema von "Privilegivm"?

T. Thelemnar:
Blasphemie, Tod und Verderben.

Julian Rohrer:
Okay, kurz und prägnant, ich verstehe.

Rüdiger Stehle:
Was hat der Apfel damit zu tun?

T. Thelemnar:
Der Apfel... was hat er damit zu tun? Ich denke mal, ne ganze Menge: Er spiegelt sehr viel von dem Album wieder. Man kann ja das Loch im Apfel sehen – übrigens ganz bewusst "Loch", denn es ist kein Biss. Der Apfel ist ein alltäglicher "Gegenstand", den man überall sehen kann, genauso wie eine CD. Und wenn man jetzt diese CD mit dem glänzenden Apfel sieht, erkennt man dunkle und helle Seiten. Und die hat unsere Musik auch. Wenn man sich also das Cover ansieht, weiß man nicht, was in der CD drin ist. Man muss sich ersteinmal damit beschäftigen. Bei einem Apfel ist es ganz ähnlich: Man weiß nicht, wie er schmeckt. Der Apfel ist außerdem der ultimative Sündenfall im christlichen Sinne und wir haben uns einfach dieses Privileg herausgenommen, mit anderen blasphemischen Objekten zu hantieren. Wir brauchen keine umgedrehten Kreuze oder Christus-Schlachtszenen. Wir haben das Ganze etwas intelligenter verpackt und das ist auch ein Cover für die Ewigkeit. Es wird vielleicht sogar Leuten im Gedächtnis bleiben, die das Album gar nicht kaufen. Es bleibt bestimmt hängen.

Rüdiger Stehle:
Ich denke auch, dass der Apfel als solcher nihilistischer wirkt, als viele andere Bilder, die andere Bands auf ihre Cover klatschen.

T. Thelemnar:
Richtig, genau. Und so sehen wir das auch. Ich denke, dass das unser persönliches invertiertes Kreuz ist.

Julian Rohrer:
Ein zentraler Begriff auf "Privilegivm" scheint mir Monotonie zu sein. Nicht im Sinne von Lageweile oder Eintönigkeit, sondern eher eine traurige Art der Zurückhaltung. Ist Monotonie in Teilen möglicherweise gewaltiger als eine Eruption in der Musik?

T. Thelemnar:
Auf jeden Fall! Es gibt so viele Bands, die monoton agieren – nimm nur mal EARTH. Allein diese Langsamkeit ist so erdrückend, so schwer. Oder damals, Bands wie BEHERIT, brauchten keine Spielereien oder sonstiges. Sie konnten mit einfachen Mitteln sehr viel Atmosphäre erzeugen. Das wollten wir mit diesem Album auch machen... was heißt, das wollten wir? Es ist einfach aus uns herausgeflossen. Wir sind ein perfektes Songwritingteam und bei manchen Parts haben wir überlegt, ob wir zeigen sollen, was wir drauf haben. Aber das zerstört unter Umständen einen Part. Wenn man beispielsweise einen einfachen Schlagzeugrhythmus nimmt oder ein simples Gitarrenriff, dann kann das viel, viel mehr erzeugen als ein unglaublich technischer Super-Part.

Rüdiger Stehle:
Es lässt der Atmosphäre sozusagen mehr Zeit, zu wachsen...

T. Thelemnar:
Ja, genau, sie kann sich dadurch entfalten. Wenn man solch einen Part hört, bleibt er sofort hängen, da man nicht über Frickeleien nachdenken und es verstehen muss. Nein, es ist einfach da und kann sich entfalten.

Julian Rohrer:
Ist das vielleicht auch eine Sicht auf den Kosmos? Auch wenn ihr immer wieder davon Abstand genommen habt und den Namen nicht zwangsläufig darauf gelesen haben wolltet, beinhaltet er halt einfach das Wort Mond. In eurer Musik sehe ich auch immer wieder dieses Gefühl, diese Allegorie zur Weite und Unendlichkeit. Kann Monotonie in der Hinsicht dann auch Ausdruck für den Kosmos und die Unendlichkeit sein?

T. Thelemnar:
Ich denke schon. Viele Leute zerbrechen sich über den Kosmos so sehr den Kopf und versuchen etwas zu ergründen, was man nicht ergründen kann. Sie sollten das vielmehr als großes Ganzes nehmen, was man nicht begreifen kann. Vielleicht ist das auch ein bisschen mit unserer Musik so, da nicht jeder das Gleiche in unserer Musik sehen wird, was wir darin erleben. Aber das ist ja auch sehr spannend, denn es gibt ja auch Menschen, die im Kosmos sehr viel sehen, was andere dort überhaupt nicht erkennen. Er bietet so viel Raum für Spekulationen – das ist in unserer Musik ähnlich. Die Unendlichkeit haben wir ja auch durch das Zeichen im Schriftzug einfließen lassen. Also: Richtig erkannt (schmunzelt).

Rüdiger Stehle:
Steckt da ein kosmischer oder ein antikosmischer Gedanke dahinter? Es ist ja zur Zeit in, über antikosmische Dinge zu reden...

T. Thelemnar:
Es ist eher so, dass unser Schaffensprozess für die Ewigkeit ist. Wir wollen nichts für ein gewissen Zeitraum oder ein Kapitel erschaffen, sondern etwas, das gedeiht. Über kosmisch oder antikosmisch machen wir uns eigentlich gar keine Gedanken.

Julian Rohrer:
Worüber macht ihr euch dann Gedanken? Du hast vorher von Blasphemie geredet, was ja immer einen Ankerpunkt beinhaltet, mit dem man sich auseinandersetzen muss – sonst gäbe es keine Blasphemie. Was ist bei euch blasphemisch?

T. Thelemnar:
Blasphemisch ist eben beispielsweise der Apfel. So etwas auf diese Art und Weise zu zeigen... da wird im christlichen Sinne der Glaube angegriffen.

Rüdiger Stehle:
Das heißt, dass da ein gewollter biblischer Bezug drin ist?

T. Thelemnar:
Was heißt gewollt? Wer unsere Texte kennt, weiß, dass da immer etwas Blasphemie zugrunde liegt. Und wir invertieren mit diesen Texten einfach christliche Thesen. Das heißt, dass wir einfach mal den Spiegel zeigen... für christliche Gläubige. Einfach, um etwas zu zeigen. Gut, manchmal passiert das vielleicht etwas krass, aber das ist Ausdruck der Wut. Es kann auch aus persönlichen Gründen sein: Man kannte mal einen, der sehr gläubig war, was aber alles nichts gebracht hat und trotzdem an irgendwelchen Krankheiten gestorben ist. So etwas könnte es theoretisch sein.

Rüdiger Stehle:
Oder das schlechte Gewissen, das der Glaube in vielen Menschen auslöst?

T. Thelemnar:
Genau, das Schlimme ist, dass viele Menschen einfach nur folgen ohne nachzudenken. Sie folgen irgendwelchen Thesen und Predigten und denken gar nicht über ihre eigene Rolle nach oder darüber, was für ein Puzzlestück sie selbst sind in diesem ganzen, großen Bild. Und in unseren Texten zeigen wir das sehr krass auf. Vor ein paar Tagen hatte mich jemand in einem Interview gefragt, ob ich mich als gläubiger Christ sehe [lacht]. Der hat das glaube ich nicht so ganz verstanden. Aber im Ernst: Religionen interessieren uns zwar, wir haben also das Wissen darüber und sind nicht nur plakativ a la "Christen sind scheiße", "Moslems sind scheiße" oder "Zeugen Jehovas sind scheiße", sondern uns interessiert auch die Geschichte. Die Bibel ist ein unheimlich interessantes Geschichtsbuch, wird aber so sehr verfremdet und falsch gedeutet von der Kirche, das macht uns einfach etwas sauer.

Julian Rohrer:
Du meinst so Dinge wie das Engelsbild?

T. Thelemnar:
Ja, genau.

Julian Rohrer:
Wie lässt sich denn eure Musik charakterisieren? Stehen die Texte vor der Musik?

T. Thelemnar:
Die beiden Dinge stehen unabhängig voneinander, können unabhängig voneinander gesehen werden, da manche Texte schon entstehen, bevor überhaupt Musik da ist. Wie Geschichten. Wenn ein passender Song da ist, wird das dann zusammengebaut. Man kann deshalb auf unserer Platte unabhängig von der Musik die Texte lesen oder einfach nur die Musik hören und die Texte erst mal außen vor lassen. Viele Bands sind die Texte leider viel zu oft lästiges Beiwerk, bei uns auf jeden Fall nicht. Es geht um das Gesamtkunstwerk. Unsere CD sehe ich als Reise oder Film mit diversen Kapiteln, Anfang und Abspann. Man kann sich darauf einlassen und komplett eintauchen, wenn man die Texte liest und so kann man viele musikalische Dinge vielleicht auch besser verstehen. Wir wollen den Leuten damit nichts vorschreiben, sondern jeder soll sich in den Texten selber wiederfinden. Das bedeutet, dass wir mit unseren Texten lediglich Schlüssel liefern.

Julian Rohrer:
Wenn ich dir so zuhöre, stelle ich fest, dass ihr schon den Ansatz verfolgt, aufzuwecken und den Leuten den besagten Spiegel vorzuhalten. Können sich die Leute aber überhaupt für etwas anderes entscheiden als für das, wo sie "geerntet" wurden? Hat der Mensch eigentlich einen freien Willen?

T. Thelemnar:
Viele wissen vielleicht gar nicht, dass sie einen freien Willen haben. Der Großteil der Menschheit ist wahrscheinlich einfach nur blind. Die finden das toll, was andere toll finden und machen sich keine Gedanken. Überhaupt: Die Menschheit denkt zu wenig. Würde sie mehr denken, gäbe es weniger schlechte Dinge auf dieser Welt. Das hört sich jetzt vielleicht etwas geschwollen an, aber ich meine das wirklich so. Um nochmal auf den Glauben zurückzukommen: Diese Glaubenskriege im Nahen Osten, das ist etwas, was einfach unglaublich ist. Wenn die Menschen einfach anfangen würden, mal nachzudenken und sich auf sich selbst konzentrieren würden. Oder der Vater, der seine Tochter steinigt, weil sie ein Verhältnis ohne Eheschluss hatte. Wir liefern einfach Schlüssel, auf die man sich einlassen kann oder nicht. Irgendwo wird man sich da wiederfinden können. Es gab schon so viele Leute, denen unsere Texte wirklich etwas gebracht haben – darauf sind wir sehr stolz. Wir hatten auch schon jemanden, der gesagt hat, dass ihm die Texte auf "Antithesis" das Leben gerettet hätten. Das ist wahrscheinlich das größte Kompliment, das man bekommen kann.

Rüdiger Stehle:
Schließen sich dann Religion und der freie Wille bei der Ausübung eigentlich aus? Oder gibt es deiner Ansicht nach eine Art und Weise, wie man das vereinbaren kann?

T. Thelemnar:
Religion ist ja jetzt nicht nur immer auf Gott bezogen. Es gibt Religionen, die den freien Willen vorraussetzen, beispielsweise irgendwelche Naturreligionen, Asatru, da muss man einen freien Willen haben, da man einfach nur begleitet wird. Im christlichen Sinne soll der freie Wille bewusst ausgeschaltet werden. Weil sie ihre Schafe brauchen...

Rüdiger Stehle:
... das ist das Problem der Offenbarungsreligionen...

T. Thelemnar:
... ganz genau, aber ich denke mir, dass starke Mesnchen entweder gar keine Religion brauchen oder Dingen folgen, die ihrem Willen entsprechen – also auch frei sind.

Rüdiger Stehle:
Die den freien Willen vielleicht auch als erstrebenswerte Größe begreifen?

T. Thelemnar:
Richtig, denn der freie Wille ist ja eigentlich das Größte, was man anstreben und in sich selbst entdecken kann. Wir haben zum Beispiel den Hintergrund, haben uns mit vielen Dingen beschäftigt und haben so den freien Willen für uns entdeckt. Und gefördert. Dadurch kann man vieles verwirklichen. Zum Beispiel das neue Album.

Julian Rohrer:
Ist der Satz "Lass sie walten, denn sie wissen nicht, was sie tun" eher Polemik oder Ironie oder gar die Wahrheit?

T. Thelemnar:
[zögert] ... ich würde es mehr als Sarkasmus betrachten. Es ist sehr traurig und es ist aber leider Fakt, da viele Menschen nicht wissen, was sie tun. Sie denken eben nicht.

Julian Rohrer:
Ist es ein Grund, die Menschen eher zu verabscheuen oder sie zu bemitleiden?

T. Thelemnar:
Bemitleiden natürlich, ich verabscheue keinen. Ich habe gegen niemanden etwas und würde auch keinem etwa antun. Natürlich mag man gewisse Menschen auf eine gewisse Art und Weise nicht, diese sind einem unsympathisch. Aber jeder hat das Recht auf Leben und muss selber wissen, was er tut. Das ist es halt. Und viele tun etwas, ohne darüber nachzudenken. Das ist das schlimme.

Rüdiger Stehle:
Ich würde gerne nochmal auf den Apfel zurückkommen: Da sind so spiralförmige Formen im Booklet. Ist da der Wurm im Apfel drin?

T. Thelemnar:
[lacht] Ne, ich würde das vielleicht nicht als Wurm sehen... [zögert]... wobei, warum nicht als Wurm? Gute Idee. Lass es mich so sagen: Schlangen spielen eine große Rolle, in der Asatru sind Schlangen ja auch das Wurmsymbol und deshalb kann man das vielleicht auch als Schlangenhaut sehen. Ursprünglich hatten wir als Cover ein Bild mit einem Kreuz und Schlangen, dieses Bild durften wir dann allerdings aus Urheberrechtlichen Gründen nicht nehmen. Da mussten wir umdisponieren.

Julian Rohrer:
Gut, aber so erhält das ja nochmal eine neue Dimension.

Rüdiger Stehle:
Wusstest du, dass im September (2009) noch ein Album mit einem Apfel erschienen ist?

T. Thelemnar:
EUROPE natürlich! Das ist aber völlig okay. Ich mag EUROPE schon seit ihren ersten Alben. Ich war natürlich sehr überrascht aber erstmal ist das ja der krasse Gegensatz, da die ein weißes und wir ein schwarzes Cover haben. Und sie haben nur eine Hälfte, während wir einen ganzen Apfel haben.

Rüdiger Stehle:
Und sie haben einen gepanzerten Apfel.

T. Thelemnar:
Oder so.

Julian Rohrer:
Das hat ja vielleicht sogar noch eine paranoide Bedeutung, wenn der Apfel derart gepanzert ist... Lass uns nochmal über das Nachdenken nachdenken: Die Menschen denken ja in Teilen doch wieder nach und zwar vielfach über den Tod. In massiver Form sogar. Oftmals hat man den Eindruck, dass die Menschen beim Nachdenken über diesen einzelnen Tag ihres Lebens geradezu tausende Tage verwenden. Was sagst du zu dieser Allegorie?

T. Thelemnar:
Ich denke, dass jeder diese Momente gehabt hat, wo er über seinen eigenen Tod nachdenkt, darüber, was passiert, wenn es soweit ist. Aber man weiß es ja nicht. Es ist sehr schwer, sich davon loszulösen, gerade wenn man Sterbefälle im näheren Umfeld hat, wo es unerwartet oder absehbar war. Zum Beispiel, wenn ein Mensch nicht nur über den Tod nachdenkt, sondern darauf wartet. Das ist etwas, worüber man gar nicht nachdenken sollte. Die Gefahr besteht darin, sich zu viel auf die Schultern zu laden. Es ist einfach eine zu große Belastung und man ist nicht mehr richtig frei. Wenn man sich nur Gedanken über seinen Tod und sein Ableben macht ... wenn ich darüber nachdenke, dass wir nächste Woche in die USA fliegen: Vielleicht stürzen wir ab oder verunglücken in Denver. Ich weiß es doch nicht. Oder gleich passiert etwas. Oder erst 2064. Ich habe keine Ahnung. Ich denke, dass man da verrückt wird – im Prinzip ähnlich wie mit dem Kosmos. Wenn man sich über etwas den Kopf zerbricht, was man nicht greifen und fassen kann, wird man wahnsinnig. Der Tod begleitet uns zwar, ist alltäglich und immer da, aber sich darüber den Kopf zerbrechen, sollte man nicht tun. Lieber freier leben und es als großes Finale akzeptieren.

Julian Rohrer:
Wenn sich der Mensch das Privileg herausnehmen darf, darüber zu entscheiden an etwas zu denken oder eben nicht zu denken, worin besteht dann eigentlich das Streben des Menschen?

T. Thelemnar:
Ein freies Leben zu führen.

Julian Rohrer:
Überleben?

T. Thelemnar:
Leben und Überleben. Und ein eigenständiges Individuum zu sein und eine Persönlichkeit zu haben. Das sollte das größte Streben eines Menschen sein. Jemand zu sein und seinem eigenen Weg zu folgen. Und nicht nur vor sich hin leben. Individualität und unabhängiges Denken sollten die größten Ziele sein.

Julian Rohrer:
Steht ihr mit eurem Schaffen innerhalb der Gesellschaft und der Kultur oder seid ihr etwas, das von außen auf die Kultur Einfluss nehmen will?

T. Thelemnar:
Wir sind Teil der Musikkultur, aber so außenstehend. Wir haben mit dem normalen, sozialen Leben wenig zu tun, da wir Individuen sind. Allein als Metalband stehst du immer außen vor. Du wirst niemals akzeptiert von der Gesellschaft, allein durchs Aussehen und das, was du tust. Wir sind dadurch unabhängig. Klar, in manchen Teilen sind wir auch auf die Masse angewiesen, was Konzerte angeht beispielsweise. Aber primär machen wir das alles für uns selbst.

Julian Rohrer:
Ihr kritisiert die Szene an sich zwar nicht unbedingt, seht euch aber auch nicht als Teil derselben. Das hat sich nicht geändert, oder?

T. Thelemnar:
Nein, natürlich nicht. Früher gab es einen großen Zusammenhalt von ein paar Bands.

Julian Rohrer:
Wann früher?

T. Thelemnar:
Ich sag mal Ende der Neunziger. Oder vielleicht noch bis 2002. Da gab es Bands wie NAGELFAR, LUNAR AURORA, KATHARSIS und später noch WATAIN – das hing irgendwie alles noch zusammen. Es waren wirklich nur ein paar Bands. Aber jetzt ist der ganze Markt derart überfüllt und dadurch reizlos und uninteressant, da es nur noch Kopien gibt. Die Originale gibt es zum Teil nicht mehr oder sie sind einfach nur müde geworden. Wir haben uns immer unabhängig gesehen, weil gerade auch die Black-Metal-Szene ein soziales Umfeld und eine Massenansammlung ist. Damit wollen wir halt nichts zu tun haben. Das mag zwar arrogant klingen, aber wir ziehen unser eigenes Ding durch. Das ist auch unser Privileg.

Rüdiger Stehle:
Es gibt aber schon eine gewisse Wertschätzung gegenüber alten Bands und anderen Musikern, oder?

T. Thelemnar:
Natürlich. Massenweise. Einige meiner besten Freunde spielen in Bands, zum Beispiel bei ARCHGOAT. Die Musik war früher gut und ist heute gut. Die neue BEHERIT ist super und ich kaufe mir auch nach wie vor DARKTHRONE-Alben und ansonsten wurden wir bei "Privilegivm" auch von alten Bands beeinflusst: Beispielsweise MASTER'S HAMMER - Dinge, die heutzutage vielleicht fast gar keiner mehr kennt. Die alten Sachen beeinflussen uns also, nur haben wir uns vom Geschmack her vielleicht ein bisschen woanders hin entwickelt.

Julian Rohrer:
Das heißt, dass es jetzt bald ein Video mit Altar und einer Jungfrau wie bei MASTER'S HAMMER gibt?

T. Thelemnar:
[lacht] Ne, das nicht. Ich glaube, dass es bei uns überhaupt keine Videos gibt – außer bei Youtube irgendwelche mitgeschnittenen Live-Videos. Wir lassen unsere Konzerte bewusst nicht mitfilmen und auf DVD pressen, weil man bei einem Konzert einfach dabei sein muss. Das muss man erleben und im Kopf oder im Herzen behalten. Das sollte ein einmaliger Moment sein. Sich es immer wieder anzusehen – da verliert es meiner Ansicht nach den Reiz. Das kenne ich auch, da ich auch einige Musik-DVDs habe. Und das ist nicht schön.

Julian Rohrer:
Klar, die MASTER'S-HAMMER-Geschichte war natürlich nicht ernst gemeint. Aber sie hat eine tatsächliche Grundlage, da euer ganzes Konzept eine sehr starke Theatralik beinhaltet, was sich nicht zuletzt in den Bandfotos widerspiegelt. Welche Rolle spielt das für euch?

T. Thelemnar:
Wir sehen uns irgendwo als Maler von Bildern. Das heißt, dass wir ein Werk abliefern, verbunden mit einer gewissen Vision - ganz wie ein Maler oder ein Theater-Regisseur – und schicken den Hörer auf eine Reise. Wenn ich beispielsweise von Stockholm nach Göteborg reise, habe ich da andere Bilder vor Augen als du. Das ist das gleiche bei unserer CD. Wir schicken die Leute auf einen Weg, und was es dort zu entdecken gibt - ob sie dabei alles entdecken oder sogar noch mehr? - bleibt jedem einzelnen offen. Wobei die Theatralik, die du meintest, sicher nicht bewusst gewollt ist. Ich würde eher sagen, dass es ein Spiel mit den Emotionen ist. Ein guter Bekannter von uns, Thor Wanzek, sagte, dass er sich das Album nicht auf einmal geben kann, da es ihn zu sehr runterzieht. Das finde ich gerade sehr spannend bei dem Album. Und wenn jemand erstmal nur die ersten vier Songs hört und in drei Monaten den Rest, dann ist das doch egal, Hauptsache er beschäftigt sich damit.

Julian Rohrer:
Ihr hattet mit "Antithesis" eine Trilogie abgeschlossen. Ist "Privilegivm" außenstehend oder der Beginn einer neuen Konzeption?

T. Thelemnar:
Nein, "Privilegivm" ist eigenständig. Bei "Antithesis" war es so, dass wir ein Gesamtkonzept hatten. Bei der aktuellen Platte steht eigentlich jeder Song für sich alleine, man kann es aber auch als gewaltiges, großes Ganzes sehen. Es ist wie bei einem Film, wo man diverse Szenen anwählen kann. Es wird auch keine Trilogie sein. Es ist wie der Phönix aus der Asche: Wir hatten sehr viel Scheisse in der Band in den letzten Jahren und letztes Jahr war wirklich so ein Punkt, wo wir nicht wussten, wo die Reise hingeht. Wir mussten uns gegenseitig in den Hintern treten. Und das haben wir sehr erfolgreich gemacht, denke ich mal. Deshalb ist das jetzt quasi unsere dunkle Botschaft von wegen "wir sind noch da". Was danach kommt weiß man nicht. Es gibt keine Pläne, wir machen erstmal Konzerte und haben das Album draußen. Aber ich denke schon, dass wir nächstes Jahr wieder ins Studio gehen.

Julian Rohrer:
Wie ist es, derart emotionale Songs live zu spielen?

T. Thelemnar:
Ich spiele die Songs sehr gerne live – eben auch solche Songs wie 'Queen Among Rats'. Den spielen wir schon seit März. Da kamen wir direkt aus dem Studio und haben schon am nächsten Tag diesen Song live gespielt. Da gehört sehr viel Emotion dazu. Wenn wir uns nicht danach fühlen würden, könnten wir den Song gar nicht spielen. Bei "Antithesis" war es das große Problem, dass wir all die Songs, die auf der CD sind, vorher auch schon live gespielt haben. Eine lange Zeit, über zwei Jahre. Und da hat man es irgendwann satt. Da geht die Frische dieser Songs verloren. Man hat einfach keinen Bock mehr drauf. Das war das Schlimmste, was wir machen konnten. Jetzt war es halt so, dass die Songs einfach da sind und wir in dem Sinne auch nicht proben. Wir treffen uns natürlich vor dem Konzert mal ganz kurz, haben dann eine Setlist und spielen die Songs einmal an oder so. Dadurch bewahren wir uns das Gefühl, die Emotion. Das ist ganz wichtig. Wenn man immer übt, übt, übt, spielt man sich irgendwann tot an den Songs. Da kann man nicht mehr realistisch auf der Bühne wirken. Bei uns wird man sehen, dass wir diese Songs auch mitleben – jeder in der Band. Was in der Vergangenheit oft anders war. Aber jetzt fühlt jeder einfach mit – egal, ob er den Song mitgeschrieben hat oder nicht. Das ist toll.

Rüdiger Stehle:
Das Tourpackage auf dieser Tour war angenehm?

T. Thelemnar:
Das war ja unsere Tour, wir brauchten aber zwei Bands, die uns begleiten. Weil wir CODE und SOLSTAFIR einfach sehr gerne mögen, haben wir sie mitgenommen. Da wir vorher schon in Kontakt waren, hat das zum Glück alles sehr gut geklappt. Es gab keinen Headliner, es gab keinen Support, wir wechselten jeden Tag. Im Bus war eine super Atmosphäre und alle haben sich super verstanden. Nächstes Jahr werden wir auch noch mehr Shows zusammen spielen.

Julian Rohrer:
Da die beiden Bands ja auch neue Alben in diesem Jahr veröffentlicht haben: Beeinflussen sie dich? Oder was beeinflusst dich momentan musikalisch aus der Szene?

T. Thelemnar:
Also Szene? Ich sehe SOLSTAFIR jetzt keiner Szene zugehörig...

Julian Rohrer:
... ja, du hast euch vorher als Metal-Band charakterisiert und in diesem breiten Spektrum meinte ich das jetzt auch.

T. Thelemnar:
Also zu Hause höre ich wenig Metal – in dem Sinne. Ich höre viele Doom-Bands. Ansonsten beschäftige ich mit viel psychedelischer Musik aus den 70ern, Krautrock, Prog Rock, solche Sachen begeistern mich halt. Ich bin da in einer ganz anderen Welt. Genauso wie SOLSTAFIR. Wir haben eigentlich schon in den ersten Stunden gemerkt, dass es vom Musikgeschmack her sofort passte. Ich habe eine CD eingelegt von der Berliner Band ASHRA TEMPEL von 1971 und da war sofort Begeisterung da. Wir hatten keinen Krach an Bord. Natürlich höre ich ab und zu auch irgendwelche neue Veröffentlichungen. Zum Beispiel das neue ARCKANUM-Album ist etwas, das ich mir unbedingt anhören muss. Es beeinflusst mich aber nicht. Ich lasse mich lieber begleiten von Musik. Zum Beispiel von vielen Drone-Bands. Das mag ich halt sehr gerne. Das ist so gemischt, dass ich das gar nicht auf einen Punkt bringen kann. Aber Metal in dem Sinne ist mir einfach zu vollgepackt, da habe ich keinen Überblick mehr – da habe ich keinen Spaß. Es gibt aber auch zuviel.

Julian Rohrer:
Wie findest du dann eine Band wie THE DEVIL'S BLOOD, die heute Musik aus den Siebzigern spielt?

T. Thelemnar:
THE DEVIL'S BLOOD ist eine Band, die ich jeden Tag von Morgens bis Abends hören könnte. Und ich könnte Nachts nochmal den Wecker stellen, um aufzustehen und das dann zu hören. Das ist eine Band, die sehr mutig ist. Sie haben in ihrem Sound ein großes Black-Metal-Feeling. Nicht nur der Name deutet auf einen Black-Metal-Background. Und die Musik, die sie einbauen, kennen viele nur von ihren Eltern: JEFFERSON'S AIRPLANE, Rocky Erickson, das kennen leider nicht mehr viele. Das finde ich natürlich schade, da das Perlen waren, die nur ein paar Leute noch kannten. Jetzt sind die Namen immer öfters in Interviews zu lesen und viele Leute holen sich das irgendwo, weil sie THE DEVIL'S BLOOD gut finden. Dass so eine Band aber die Eier in der Hose hat, so etwas heutzutage zu machen, finde ich großartig – und auch die Tatsache, dass sie soviele Anhänger aus extremen Musikrichtungen begeistern können. Obwohl die Band natürlich sehr kontrovers ist: Viele Leute können mit ihnen nix anfangen. Ich liebe sie aber und freue mich darüber, dass es sie überhaupt gibt.

Julian Rohrer:
Sprechen wir nochmal über psychedelische Musik: Sie war mit Sicherheit deswegen derart abgefahren, weil halt einfach mit vielem herumexperimentiert wurde: Menschlich, musikalisch, mit Drogen...

T. Thelemnar:
Okay, Drogen hatten bei unserem Aufnahmeprozess keinen Einfluss, weil ich in meinem Leben noch nie Drogen genommen habe. Aber dieses Album klingt so, weil wir frei waren. Mein Wunsch war es, so agieren zu können, wie Bands in den Siebzigern. Die sind auch einfach frei an die Sache herangegangen sind. Bei Songs wie 'Harvest' wussten wir nicht, wie der Song ausgehen sollte. Vieles ist uns spontan gekommen. Wir haben jetzt unsere Gefühle auf eine CD gepackt. Und das ist das schönste, was es gibt. Wir haben genauso frei wie damals diese psychedelischen Bands agiert. Das war ein total geiles Gefühl.

Julian Rohrer:
Der Rausch der Freiheit?

T. Thelemnar:
Richtig, das ist etwas, das wir jetzt auskosten konnten. Endlich. Da freue ich mich sehr darüber.

Redakteur:
Julian Rohrer
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