RATT: Wir blicken auf die Jahre bei Atlantic Records

09.06.2023 | 12:39

Heute haben wir ein besonderes Schmankerl für euch. Auch wenn mit "Infestation" das letzte RATT-Album nun 13 Jahre zurückliegt und die Band derzeit ohnehin auf Eis zu liegen scheint, ist der Einfluss der Hard'n'Heavy-Rocker mit Hang zum Glam nicht zu leugnen. Im Gegenteil, vor allem in der Hochzeit der Szene – wir reden von den 1980er Jahren – waren Stephen Pearcy und Co. aus San Diego eine feste Größe, sorgten für ausverkaufte Hallen und galten als innerkalifornische Antwort auf MÖTLEY CRÜE (Los Angeles). Auch wenn der Kopf der RATT-Bande immer mit wechselndem Line-up zu kämpfen hatte, versorgte RATT die Fans mit schmissigen Hits, krachenden Ohrwürmern und allerlei Glam. Im Zuge des Box-Sets "The Atlantic Years – 1984 – 1990" schauen wir gemeinsam auf die fünf 80er-Jahre-Alben RATTs, die großen Erfolge der Band und weshalb so mancher Song auch aus heutiger Sicht nicht mehr wegzudenken ist.

Wir reisen zurück ins Jahr 1979 und befinden uns im schönen, sonnigen Kalifornien. Irgendwo unter der Sonne des Goldenen Staats beschlossen Stephen Pearcy und Chris Hager eine Band zu gründen, nahmen kurzerhand Jake E. Lee, der wenige Jahre später bei OZZY OSBOURNE Karriere machte, Matt Thorne und John Turner mit ins Boot und MICKEY RATT war geboren. Im Folgejahr erschien eine von der Band selbstfinanzierte Single mit dem Namen 'Dr. Rock', die ersten musikalischen Gehversuche wurden fleißig auf Konzerten geteilt. Doch bevor die Band an Fahrt aufnehmen konnte – für den ersten "Metal Massacre"-Sampler nahm die Band einen Song namens 'Tell The World' auf – bewegte sich das Besetzungskarussell fröhlich im Kreis und ein erstes wirklich festes Bandgefüge gab es schließlich 1983, nachdem man sich im Vorjahr auf den Namen RATT einigen konnte.

Mit Stephen Pearcy am Gesang, den beiden Gitarristen Robbin Crosby und Warren DeMartini, Drummer Bobby Blotzer und Juan Croucier am Bass nahm RATT zunächst eine EP in Eigenregie auf, was der Band einen Platz bei Time Coast Records ermöglichte. Die EP verkaufte sich ordentlich, die Songs liefen fleißig im Radio und letztendlich fand Atlantic Records den schmissigen Hard Rock der Burschen so gut, dass sie einen Plattenvertrag bekamen und ins "The Village Recorder"-Studio eingeladen wurden, in dem das Debüt "Out Of The Cellar" entstand. Und dass energetischer Hard Rock der Marke BON JOVI, AEROSMITH, DOKKEN und Co. ohnehin in dieser Zeit ein gefundenes Fressen war, bewies auch das RATT-Debüt, das es bis auf Platz 7 der US-amerikanischen Albumcharts schaffte und in der Heimat der Rocker drei Millionen Exemplare absetzte.

Ein voller Erfolg also für Pearcy und Co., die danach mit Größen wie MÖTLEY CRÜE und OZZY OSBOURNE auf Tour gingen. Fast 37 Minuten lang rockt sich RATT in einen Rausch, feuert mit 'Wanted Man' gleich zu Beginn einen Mega-Song ab, hat mit 'Back For More' und 'I'm Insane' absolute Ohrwurmgarantien am Start, nur um mit 'Round And Round' wohl DEN RATT-Song schlechthin an den Mann zu bringen, der bis heute seine fleißigen und nimmermüden Runden dreht. Die Riffs auf "Out Of The Cellar" sind simpel, aber effektiv, die Refrains sehr catchy und auch heute hat die Platte nichts an Charme verloren. Einzig 'In Your Direction' plätschert etwas müde vor sich hin, doch die wirklich tollen Gitarrensoli von DeMartini, der markante Gesang Pearcys oder auch dynamischere Nummern wie 'She Wants Money' – ein tolles Beispiel für den schmalen Grat zwischen Heavy Metal und Hard Rock, für den RATT anfangs noch stand – sorgen letztendlich dafür, dass das Debüt der Jungs durch die Decke ging.

Mit diesem Elan ging es im Frühjahr 1985 in gleicher Besetzung erneut ins Studio, um dem famosen Debüt einen kongenialen Nachfolger zu schenken. Und das gelang Pearcy, Croucier, DeMartini, Crosby und Blotzer auch, knüpft "Invasion Of Your Privacy" doch genau dort an, wo "Out Of The Cellar" aufhörte: Die Marschroute mit knackigen Riffs, prägnanten Refrains und diesem wilden, nach den Sternen greifenden Lebensgefühl der Hard-Rock-Szene der 1980er Jahre wurde konsequent beibehalten, die Power fließt wie Öl aus den Poren dieser Platte und der Opener 'You're In Love' hätte gleich zu Beginn als Dosenöffner nicht besser gewählt werden können.

Es folgen die frei von Kitsch dahinschmelzende 'Closer To My Heart'-Ballade, Hymnen der Marke 'You Should Know By Now' und 'Dangerous But Worth The Risk' sowie rockendes Erste-Sahne-Headbanger-Material wie 'Never Use Love' oder 'What You Give Is What You Get'. So steht bei allem Glanz auch eine gewisse Ernsthaftigkeit RATT enorm gut, was sich am nicht ganz so plumpen Artwork und den Songs, die sich eben nicht nur um Sex, Drugs & Rock'n'Roll drehen, zeigt. Trotzdem strahlt die leicht bekleidete, junge Frau auf dem Cover eine gewisse Attraktivität aus. Doch vor allem musikalisch steht "Invasion Of Your Privacy" mit dem vorangegangenen Debüt mindestens auf einer Stufe und ermöglichte RATT eine weitere Tour mit Herrn OSBOURNE, zweifach Platin sowie einen Slot auf dem legendären "Monsters Of Rock"-Festival in Castle Donington.

Weiter im Text geht es im unveränderten Line-up mit Album Nummer drei, das 1986 aufgenommen und veröffentlicht wurde. Von den Verkaufszahlen her hinkte "Dancing Undercover" dem Vorgänger ein wenig hinterher, obwohl auch diesmal für RATT Edelmetall und Platz 26 der Albumcharts heraussprang. Viel verändert haben Pearcy und Co. bisweilen nicht, griffen sie erneut auf ihren etablierten Produzenten Beau Hill (WINGER, ALICE COOPER) zurück, hatten allerlei schmucke Riffs, tolle Hooks, mächtige Refrains und alle weiteren Zutaten mit an Bord, um im Hard Rock und etwas poppigeren Heavy Metal der 1980er Jahre mit einem gelungenen Langspieler am Start zu sein.

Themen, die in den wildesten, betrunkensten und nicht ganz legalsten Nächten Kaliforniens entstanden, Stadionshows und Mega-Auftritte, bei denen der Schweiß von der Decke tropfte und das Gefühl, dass ihnen die Rockwelt zu Füßen liegt – RATT kann hiervon ein genauso lautes Liedchen trällern wie W.A.S.P., TWISTED SISTER, QUIET RIOT oder DOKKEN. Und das machen die fünf Rocker aus dem Sonnenstaat auch mit dem Groover 'One Good Lover', den 'Body Talk'- und 'Drive Me Crazy'-Hits sowie dem fetzigen 'Enough Is Enough'-Abschluss. Die Songs und Texte gingen mehr in Richtung Glam Rock mit allem, etwas freizügigeren, was dazu gehört. Man höre sich nur 'Slip Of The Lip' an, was allerdings weder die Qualität noch die Griffigkeit des RATT-Liedguts anno 1986 schmälerte. Im Gegenteil, rocken 'It Doesn't Matter' oder 'Looking For Love' doch in bester "Invasion Of Your Privacy"-Manier. Mit "Dancing Undercover" ging RATT den vorgefertigten Weg ohne jedoch den wilden, anzüglichen Geruch des damaligen Zeitgeistes zu ignorieren.

Nach sehr erfolgreichen und ausgiebigen Tourneen mit CHEAP TRICK, POISON und QUEENSRYCHE ging es 1988 für die Band nach Los Angeles, wo sie mit "Reach For The Sky" ihr viertes Album einspielte. Es sollte die letzte Kooperation RATTs mit Beau Hill werden, der nach dem verkorksten Erstentwurf von Mike Stone dieser Platte nochmal einen ordentlichen Sound bescherte. Warum es letztendlich nicht die Anerkennung findet, die es verdient, weiß ich nicht, stellt sich "Reach For The Sky" doch mehr als konsequente Weiterentwicklung als dröger Stillstand heraus. Der einstige Heavy Metal musste dem glam-rockigen, dezent bluesigen Stil weichen, das Liedgut wurde weicher und der Fokus auf doch eher mainstreamlastigere Refrains größer. Letztendlich gingen dadurch die Verkaufszahlen und Ticketverkäufe zurück, obwohl es noch für Platin reichte.

So gehen Artwork und Musik auf "Reach For The Sky" Hand in Hand, ploppen beim ersten Blick auf das Cover sowie dem ersten Komplettdurchlauf der Scheibe doch viele Fragezeichen auf, die sich bei näherer Betrachtung in Wohlgefallen verwandeln: 'City To City' ist ein für RATT-Verhältnisse sehr untypischer, aber hochinteressanter blueslastiger Opener, wohingegen 'I Want A Woman' wieder typischer nach RATT und Sex, Drugs & Rock'n'Roll schrie. Vom ähnlichen Schlag sind auch 'Way Cool Jr.', eine immens coole Singleauskopplung, das ach so typische 'Chain Reaction' und 'Bottom Line' – allesamt coole Rocker, die damals wie heute viel Freude bereiten. Leider haben sich mit 'Don't Bite The Hand That Feeds' sowie den etwas glücklosen 'I Want To Love You Tonight' und 'No Surprise' auch einige Rohrkrepierer auf das Album geschlichen, die dem Hörvergnügen in Gänze allerdings nur bedingt schaden. Dafür ist das restliche Songgut, vor allem am Anfang und Ende der Scheibe, zu stark und auch aus heutiger Sicht fast schon zeitlos.

Viel Licht und etwas Schatten, davon kann auch die fünfte RATT-Scheibe und die letzte im Zuge dieser Box-Besprechung ein Liedchen singen. Für Hill saßen nun Desmond Child und Arthur Payson an den Reglern, die "Detonator" einen vollen, warmen Klang verpassten. "Detonator" sollte das letzte Album mit Croucier und Crosby sein, das letzte wirklich gute, fast schon herausragende RATT-Album, auf dem die Band ihrem persönlichen, etwas dreckigeren Blick Richtung Glam Metal Ausdruck verlieh. 'Shame Shame Shame' ist nach dem unnötigen Intro ein Einstieg nach Maß, der von der beeindruckenden Zusammenarbeit der Riffs genauso getragen wird wie von Pearcys tollem Gesang.

Nach 'Lovin' You's A Dirty Job' folgt mit 'Scratch That Itch', dem belanglosen 'One Step Away' und wenig später 'All Or Nothing' wieder jenes Füllmaterial, das es auf den ersten drei RATT-Alben schlichtweg nicht gab und "Detonator" wie auch schon dem Vorgänger nicht sonderlich gut tat. Trotzdem durchbrechen die Kalifornier mit 'Hard Time' in Sachen Härtegrad, 'Givin' Yourself Away' in Sachen Geschmack, 'Head I Win, Tails You Loose' in Sachen Catchiness und dem Ende hin 'Top Secret' in Sachen Wucht nochmals die Qualitätsschallmauer und bringen "Detonator" letztendlich doch mit mehr Licht als Schatten über die Ziellinie. So schließt sich mit diesem fünften RATT-Album der Kreis der Atlantic-Records-Jahre, der wirklich goldenen Ära der Jungs und die Box-Besprechung, deren Zeitreise ich durch und durch genossen habe.

Auch wenn man alle fünf Alben in den letzten Jahren bereits am Stück gehört hat, lohnt sich ein etwas detaillierter Blick auf die Dinge doch allemal, um den einen oder anderen weiteren Glanzpunkt für sich herauszukristallisieren. Glaubt mir, diese "The Atlantic Years – 1984 – 1990"-Rückschau lohnt sich.

Die darauffolgenden Jahre bei RATT, die Zeit also nach "Detonator" und im Schoße von Atlantic Records, waren geprägt von sehr verwirrenden Line-up-Wechseln, Pearcys Ausstieg, der tragischen AIDS-Erkrankung Crosbys und Songs, die die Messlatte der 1980er Werke zwar halten wollten, aber nicht konnten. Wie RATT hat sich eben auch der Geist des einstigen Hard Rocks gewandelt, sodass die Band in den 90ern sowohl qualitativ sowie zeitgeistig nicht mehr an den Erfolg von einst anknüpfen konnte. Trotzdem ist der Name RATT bis heute und vollkommen zurecht fest verankert im wilden, verschwitzten und anzüglichen Hard Rock dieses noch wilderen Jahrzehnts und blickt heute auf eine überaus fruchtbare Zeit mit Bands wie DOKKEN, BON JOVI, MÖTLEY CRÜE und Konsorten zurück. So wie wir es in diesem Artikel gemacht haben. Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit, ihr Rocker!

Redakteur:
Marcel Rapp

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