Perlen der Redaktion: Norman Wernicke und seine Highlights 2025

29.12.2025 | 16:23

Zwischen Anspruch, Routine und magischen Momenten

Gibt es sie noch, diese Alben, die mehr sind als nur Momentaufnahmen? Neuveröffentlichungen, die nicht bloß den Zeitgeist abbilden, sondern ihm trotzen und sich mit langfristiger Kraft in das kollektive Gedächtnis der Szene einbrennen? Wenn sich ein Musikjahr dem Ende neigt, stellt sich diese Frage zwangsläufig. Gerade aus der Perspektive eines Redakteurs, der Woche für Woche mit neuen Releases, Promozyklen und wohlklingenden Versprechen konfrontiert wird.

Der musikalische Rückblick auf 2025 fällt für mich ambivalent aus. Einerseits war es ein Jahr voller handwerklich starker Veröffentlichungen, routiniert produzierter Alben und souveräner Bands, die genau das geliefert haben, was man von ihnen erwarten durfte. Andererseits fehlte mir oft das letzte Quäntchen Wagemut, jene kreative Unberechenbarkeit, die aus guten Platten zeitlose macht. Wie man so schön sagt, und als Fotograf lernt man das besonders schnell, wo Licht ist, ist auch Schatten. Und genau in diesen Kontrasten bewegte sich mein persönliches Metaljahr.

Doch möchte ich nicht über die großen Enttäuschungen oder verpassten Chancen schreiben, sondern den Blick auf die positiven Ausreißer lenken. Auf jene Alben, die mich trotz Übersättigung, trotz algorithmischer Dauerbeschallung und trotz immer kürzerer Aufmerksamkeitsspannen wirklich gepackt haben. Drei Neuerscheinungen ragen für mich aus der Masse heraus und bemerkenswerterweise spannt sich dabei ein weiter geografischer Bogen über gleich drei Kontinente.

 

DISARMONIA MUNDI - "The Dormant Stranger"

Die auditive Reise beginnt in Italien, wo Ettore Rigotti und Claudio Ravinale mit ihrem Projekt DISARMONIA MUNDI einmal mehr unter Beweis stellen, dass Melodic Death Metal auch jenseits skandinavischer Blaupausen funktionieren kann. "The Dormant Stranger" ist kein Album, das den Hörer mit radikalen Brüchen oder stilistischen Experimenten überrumpelt. Stattdessen setzt die Band auf Feinarbeit, auf Nuancen und auf eine Produktion, die ebenso druckvoll wie transparent aus den Boxen schiebt.

Nach dem bis heute gefeierten Meilenstein "The Isolation Game" aus dem Jahr 2009 war die Erwartungshaltung naturgemäß hoch. Und ja, wer das Haar in der Suppe sucht, wird es finden. Doch wir bewegen uns hier auf einem Niveau, bei dem Kritik fast schon akademisch wirkt. Die Riffs sind messerscharf, die Leads hymnisch, das Zusammenspiel aus Härte und Melodie gewohnt souverän. Einzelne Songs funktionieren für sich genommen exzellent, auch wenn dem Album in seiner Gesamtheit vielleicht ein minimal stringenter Spannungsbogen fehlt.

Besonders hervorzuheben ist der Track 'Outcast', der sich mit seiner sofortigen Eingängigkeit und emotionalen Tiefe mühelos in meine Dauerrotation geschoben hat. DISARMONIA MUNDI gelingt hier das Kunststück, vertraute Genre-Elemente neu zu arrangieren, ohne sich selbst zu kopieren. Ein Album, das wächst, je öfter man sich darauf einlässt und für mich die stärkste Veröffentlichung des Jahres.


ENDRØM - "The Last Swordsman"

Weiter geht es nach Südostasien, genauer gesagt nach Indonesien. Ein Land, das im extremen Metal längst kein blinder Fleck mehr ist, aber dennoch regelmäßig für Überraschungen sorgt. ENDRØM ist ein Duo, das sich konsequent weigert, in klar definierbaren Genre-Schubladen zu denken. "The Last Swordsman" ist ein Album, das Black Metal, Crust-Attitüde, Groove und melodische Passagen zu einem eigenständigen Klangbild verschmilzt.

Multiinstrumentalist Adi und Sänger Ega schaffen es, rohe Aggression mit erstaunlicher Zugänglichkeit zu kombinieren. Die Songs atmen, nehmen sich Zeit, bauen Spannungsbögen auf und entladen sich nicht in bloßer Raserei. Gerade die langen Spielzeiten einzelner Tracks erweisen sich hier als Stärke, da sie Raum für Atmosphäre und Entwicklung lassen.

Stücke wie der Titelsong oder 'The Lone Wolf' stehen exemplarisch für diesen Ansatz. Die Band erinnert dabei stellenweise an DÖDSRIT, ohne deren Ästhetik einfach zu kopieren. Stattdessen transportiert ENDRØM eine eigene, fast epische Melancholie, die dem harschen Grundton Tiefe verleiht. "The Last Swordsman" ist kein leicht konsumierbares Album, aber genau das macht seinen Reiz aus. Ein Werk, das fordert, ohne zu überfordern.


LORNA SHORE - "I Feel The Everblack Festering Within Me"

Die Bronzemedaille geht über den Atlantik in die USA. LORNA SHORE ist längst mehr als nur ein Deathcore-Act, die Band ist eine Institution innerhalb des modernen Extrem-Metal-Zirkus. Entsprechend hoch waren die Erwartungen an den Nachfolger von "Pain Remains". Mit "I Feel The Everblack Festering Within Me" liefert die Band ein Album ab, das handwerklich über jeden Zweifel erhaben ist, mich emotional aber nicht ganz so tief trifft wie sein Vorgänger.

Die im Vorfeld veröffentlichten Singles wirkten wie kalkulierte Appetizer, allen voran 'Oblivion', das mit epischer Wucht und maximaler Dramatik neue Maßstäbe setzte. Das Album hält dieses Niveau über weite Strecken, doch es fehlt mir stellenweise das gewisse Maß an Eingängigkeit, das "Pain Remains" so besonders machte.

Ein spätes Highlight ist 'Glenwood', das für mich das Herzstück der Platte darstellt. Hier kommen all jene Elemente zusammen, die ich an LORNA SHORE schätze: monumentale Arrangements, emotionale Melodien und der unverwechselbare Gesang von Will Ramos. Ein starkes Album, aber kein neuer Gamechanger.

So bleibt eine Ernüchterung auf hohem Niveau.

 

Unterm Strich überdauert das Gefühl, dass 2025 ein solides, aber kein historisches Jahr für Metal-Veröffentlichungen war. Auch etablierte Größen wie AMORPHIS konnten mich mit "Borderland" nur punktuell überzeugen. Songs wie 'Bones' oder 'Dancing Shadow' sind hervorragend, doch das Album hält dieses Level nicht konsequent durch. Die Liste solcher Beispiele ließe sich problemlos fortsetzen.

Mein Fazit: Es gibt 2025 kein Album, das ich guten Gewissens in die Geschichtsbücher schreiben würde. Und doch wäre es unfair, das Jahr allein an Tonträgern zu messen.


Live: dort, wo Metal wirklich lebt

Denn abseits der Plattenteller, jenseits von Streamingzahlen und Review-Scores, entfaltet Metal seine wahre Kraft noch immer auf der Bühne. Und hier hatte 2025 einiges zu bieten. Daher meine drei schönsten Konzerterlebnisse in Bild und Schrift.

Das Podium geht dabei an das "RockHarz"-Festival in Ballenstedt, welches sich als wirkliche Herausforderung präsentieren sollte. Bei Temperaturen von 36 bis 38 Grad Celsius, je nachdem welche Quelle man zu Rate zieht, bewegten wir uns weit außerhalb der eigenen Komfortzone, um den Künstlern eine angemessene Berichterstattung zu gewährleisten. Diese Hitze war wirklich brutal, und umso höher ist mein Respekt an all die Fans, besonders im Infield, und die gesamte Crew des Festivals, welche trotzdem alles gegeben haben, um den Laden am Laufen zu halten. Besonders bei APRIL ART fiel mir dies auf, als die Band ihren Slot in der prallen Sonne phänomenal meisterte und vor der Bühne das Publikum allen Widrigkeiten trotzte. Wenn es aber einen Auftritt gibt, der wirklich memorable Eindrücke hinterließ, dann war abseits der persönlichen Headliner HEAVEN SHALL BURN, ABBATH und NON ES DEUS, der Underdog SÓLSTAFIR. Als letzter Act des Festivaltages, in blaues Licht gehüllt und voller Mystik, haben die Isländer eine enorme Stimmung transportiert, welche ich selten bei einem Konzert erlebt habe. Einfach grandios.

 

Stimmung und Emotionen hat auch mein zweiter Platz der Liveauftritte geweckt und dies in gänzlich anderer Art und Weise. Im UT Connewitz, in Leipzig, bekam DÖDSRIT die Gelegenheit, mich in den Bann zu ziehen. Die Jungs aus Borlänge entfachten mit nur fünf Songs ein wahres Metal-Gewitter, was seinesgleichen sucht. Melodisch, treibend und mit dem richtigen Maß an Härte fegten die Mannen um Christoffer Öster über uns hinweg. Lediglich die Tatsache, dass es katastrophales Licht gab und irgendjemand den Knopf der Nebelmaschine nicht mehr loslassen wollte, dämpft hier den Gesamteindruck. Musikalisch ein echt starker Auftritt, aber zu sehen gab es leider nicht sehr viel.


Völlig anders waren die Gegebenheiten bei meinem nächsten Konzert der Liste. Im alten Schlachthof Dresden wurde nichts dem Zufall überlassen und der Headliner aus den USA perfekt in Szene gesetzt. LORNA SHORE, angeführt von Extrem-Shouter Will Ramos, zeigte, wer der Platzhirsch im internationalen Deathcore ist. Das war kein gewöhnlicher Auftritt, das war die pure Eskalation, beherrscht von einem kreischenden Dirigenten. Luftverhältnisse, die man nur von einem Saunabesuch kennt und schmerzverzerrte Gesichter bleiben Zeugnisse des Spektakels.


Die Neuveröffentlichungen des Jahres ließen Luft nach oben, doch die Live-Erlebnisse machten vieles wett. 2025 war vielleicht kein Jahr für die Ewigkeit, aber eines, das gezeigt hat, warum sich diese Arbeit immer wieder lohnt.



Rang

Band Album
01. DISARMONIA MUNDI The Dormant Stranger
02. ENDRØM The Last Swordsman
03. LORNA SHORE I Feel The Everblack Festering Within Me
04. DRUDKH Shadow Play
05. VELVET RUSH Trail Of Gold
06. ALLEGAEON The Ossuary Lens
07. AMORPHIS Borderland
08. HELLOWEEN Giants & Monsters
09. DEVIL MAY CARE Limit
10. MORS PRINCIPIUM EST Darkness Invisible
11. AFTER EARTH Dark Night Of The Soul
12. THE HALO EFFECT March Of The Unheard
13. OMNIUM GATHERUM May The Bridges We Burn Light The Way
14. VALHALORE Beyond The Stars
15. EROCIS The Sunken Lands
16. GRIMA Nightside
17. DER WEG EINER FREIHEIT Innern
18. AEPHANEMER Utopie
19. NEPHYLIM Circuition
20. ...AND OCEANS The Regeneration Itinerary

Redakteur:
Norman Wernicke

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