LIQUID GOD: Interview mit Chris

01.01.1970 | 01:00

LIQUID GOD lieferten mit "Nangol" eines der coolsten, abwechslungsreichsten und gefühlsstärksten Alben (und ich rede hier nicht nur von Metal) der letzten Jahre ab; dabei schufen sie einen ganz eigenen Stil. Eine äußerst reife Leistung - zumal für eine noch recht junge Band. Ihre Musik klingt nicht nur außerordentlich ungewöhnlich, sondern auch unerhört frisch - die Musiker selbst sind jedoch alles andere als Frischlinge in ihrem Metier, wie man bereits beim ersten Hören von "Nangol" erahnen wird, und wie es sich im Interview dann auch bestätigte. Ich korrespondierte mit Gitarrist und Sänger Chris, der mir bereitwillig Auskunft über Bandkonzept, Arbeitsweise und Einflüsse von LIQUID GOD, sowie über von ihm bewunderte Musikergrößen und südpazifische Reinigungrituale erteilte...


Eike:
Tolles Album! Wie lief die Tour?
Chris:
Dankeschön! Nun, eine Tour in dem Sinne gab seit unserem Trip mit MOTHER TONGUE nicht. Wir haben diverse Konzerte gespielt und uns aufgrund von Line-Up-Problemen in letzter Zeit ziemlich rar gemacht. Das wird sich jetzt aber wieder ändern, denn die Band ist stärker denn je und spätestens ab Oktober werden wir wieder auf deutschen Bühnen zu sehen sein, nämlich erstmals dann, wenn wir am 1.10. unsere Release-Party im Hamburger Headbangers Ballroom feiern.

Eike:
Ihr spielt mittlerweile seit zwei Jahren zusammen. Was habt ihr vorher gemacht, und wie habt ihr zusammengefunden?
Chris:
Wir waren vorher alle in diversen anderen Bands beschäftigt und die musikalische Spanne dabei zog sich von Death Metal bis Jazz. Vor gut zwei Jahren begegnete ich dann mehr oder weniger zufällig Roman, der auf der Suche nach Musikern für sein Projekt LIQUID GOD war. Seine musikalischen Visionen ähnelten meinen sehr und so kam eins zum anderen. Schon zwei Monate nach der Gründung der Band gingen wir das erste Mal ins Studio und nahmen "Chapter One" auf, eine Mini-CD, die mittlerweile restlos vergriffen ist. Daher steht sie zum Download auf unserer Homepage bereit. 

Eike:
Euer Sound ist sehr abwechslungsreich, und doch passt alles gut zusammen. Da stellt sich natürlich die Frage, auf welche Weise die Stücke entstanden sind...
Chris:
Songs entstehen bei uns auf viele verschiedene Arten und Weisen. Meistens kommen Roman oder ich mit einem Fundament, auf das dann im Proberaum aufgebaut wird. Es gibt allerdings auch die Variante in der sich Stücke ganz klassisch aus Jam-Sessions entwickeln. Wir geben uns Mühe, nicht zu viel über Musik zu reden, sondern sie intuitiv zu machen. Auf „Nangol“ kann man das denke ich sehr gut hören.

Eike:
War es ein schwieriger Prozess für euch, den eigenen Sound zu finden, oder war von Anfang an klar, wohin die musikalische Reise gehen sollte?
Chris:
Ich denke, die Entwicklung unseres Sounds war ein absolut natürlicher und logischer Prozess, über den wir nicht all zu viel nachgedacht haben. Jeder einzelne von uns hatte irgendwann einen Punkt erreicht, an dem er auf dem Markt nicht mehr die Musik fand, die er hören wollte. Da blieb nichts anderes, als es selbst in die Hand zu nehmen. Die Verschiedenheit unserer Backgrounds tat dann ihr übriges und heraus kam ein Stil, den wir weder geplant, noch wirklich erwartet hatten. Gerade das macht es so spannend. 

Eike:
Wodurch seht ihr euch persönlich beeinflusst, und was ist euch als Band besonders wichtig?
Chris:
Musik fasziniert uns, und gewisse Künstler aus den unterschiedlichsten Genres, die ihren eigenen kleinen Kosmos schaffen, beeindrucken uns. Wie groß ihr jeweiliger Einfluss auf unsere Musik ist, wage ich nicht zu bemessen. Ich liebe beispielsweise BJÖRK und PETER GABRIEL, glaube aber kaum, dass auch nur ein Mensch unsere Musik mit diesen Künstlern vergleichen würde. KATATONIA und OPETH hingegen, die ich ebenfalls verehre, tauchen immer wieder als Bezugspunkte in Kritiken zu unserem Album auf. 

Eike:
Wie entstehen bei LIQUID GOD die Texte?
Chris:
Unterschiedlich. Manchmal entsteht erst der Song und dann der Text. Ich mag diese Art, Texte zu schreiben, denn oft ergeben sich einfach gewisse Zeilen oder Worte aus der Metrik unserer Musik. Es passiert aber auch, dass man ganz klischeehaft bei einem Glas Wein zu Hause sitzt und sich etwas von der Seele schreiben muss. 

Eike:
Gab es für das Album eine Art Leitthema?
Chris:
Nein. "Nangol" spiegelt uns selbst und die Zeit in der es geschrieben wurde wieder. Es ist alles andere als ein Konzeptalbum. Dennoch haben wir versucht, alle Einflüsse mit unserem speziellen roten Faden zu verknüpfen. Wenn man die Songs einzeln hört, könnten es verschiedene Bands sein, aber wenn du erst einmal die ganze Platte durchgehört hast, bekommt jeder Song seine essenz(t)ielle Bedeutung.

Eike:
"Nangol" ist ein südpazifisches Reinigungsritual.Was genau hat es damit auf sich, und wie kamt ihr darauf, euer Album danach zu benennen?
Chris:
Es gibt einen südpazifischen Eingeborenenstamm, der ein Ritual zur Reinwaschung der Seele praktiziert, bzw praktizierte. Wenn ein Stammesmitglied ein Kapitalverbrechen begangen hatte, war es vogelfrei und konnte von jedem anderen ohne Konsequenzen umgebracht werden. Lediglich ein Selbstreinigungsritual konnte die Schuld des Täters reinwaschen. Er musste sich mit einer Liane ums Bein gebunden von einem riesigen Baum stürzen. Wenn er überlebte, war er von allen Sünden rein. Die wenigsten schafften es. Unser Album "Nangol" ist wie dieses Ritual der Versuch, uns von allen musikalischen Dogmen zu befreien (und etwas neues zu erschaffen) und uns zu reinigen von den aufwühlenden Momenten, mit denen man jeden Tag konfrontiert wird.

Eike:
Das Cover zeigt allerdings eine Engelsdarstellung, die man ja eher mit monotheistischen Religionen in Verbindung bringt. Auf mich wirkte es ziemlich düster, und ich war dann etwas verblüfft, im Inlay ein eher blumiges Artwork vorzufinden.
Chris:
Wir wollten weg von allen Klischees. Unsere Musik setzt sich zwischen die Stühle, verbindet gut und böse, Yin und Yang. Das Artwork spannt diesen Bogen weiter. Die Engelsdarstellung vom polnischen Künstler Wlodek Bzowka hat uns von Anfang an fasziniert. Sie ist fast schon eine Art Corporate Identity für uns geworden. Eigentlich ist der Engel hässlich, hat aber trotzdem eine positive, erhabene Ausstrahlung. Weitere Interpretationen findet ihr in 50 Jahren in unseren Rockumentaries.

Eike:
Wie wichtig sind euch eigentlich Fragen des Designs?
Chris:
Sehr wichtig. Wie schon gesagt, ist "Nangol" sicherlich kein Konzept-Album, eher sind LIQUID GOD eine Konzept-Band. Wir wollen, dass die Menschen, die unsere CD kaufen, keine Abstriche machen müssen. Es wäre vermessen, zu behaupten, alles solle von vorn bis hinten durchgestylt sein, dann würde auch unsere Musik ihre Spontaneität verlieren. Allerdings gibt es Qualitäts-Standards, die wir uns selbst auferlegen. Ich könnte einfach nicht mit einem schlecht designten Coverartwork leben.

Eike:
Wie kam der Kontakt mit den Künstlern zustande, und wart ihr selbst am Artwork beteiligt?
Chris:
Bzowka trafen wir zufällig. Wir sahen den Engel und waren uns sicher, dass wir ihn haben wollten. Alles andere, d.h. die Fotos und das Artwork an sich haben wir selbst gemacht. Ich lege großen Wert darauf, an jedem Produktionsschritt aktiv beteiligt zu sein. Immerhin besteht unsere Band schon aus vier Leuten. Wir versuchen alle, uns mit LIQUID GOD zu verwirklichen, da können wir keine weiteren Einmischungen gebrauchen.

Eike:
Auf eure Homepage habt ihr u.a. auch einige Links zu anderen Bands gestellt (MOTHER TONGUE, TAPE, CAPUT, OPETH, KATATONIA, MANDRAKE). Wodurch fühlt ihr euch ihnen verbunden?
Chris:
MOTHER TONGUE sind eine der besten Live-Bands auf diesem Planeten, außerdem sind wir mit ihnen getourt. All die anderen Bands haben unterschiedlich viel mit uns zu tun. Es sind Freunde, Bekannte, Einflüsse und durch die Bank großartige Bands, denen jeder Aufmerksamkeit schenken sollte, der auf unserer Link-Seite landet.

Eike:
A propos Homepage: Führt ihr die selbst oder wird sie outgesourct?
Chris:
Momentan machen wir alles selbst (, es wird allerdings hoffentlich bald eine Zeit kommen, in der wir uns vollständig auf die Musik konzentrieren können). Daran soll sich eigentlich auch nichts ändern, denn jede Aussage, die ein anderer macht, sei's verbal, musikalisch oder darstellerisch, kann von keinem anderen als ihm selbst in der Fülle ihrer Bedeutungen nachvollzogen werden. Und damit genau das ausgedrückt wird, was wir wollen, müssen wir's selber machen.

Eike:
Zurück zur Musik: In der Kernbesetzung seid ihr ein Trio. Am Album waren aber auch noch andere Musiker beteiligt. Wie lief die Zusammenarbeit?
Chris:
Gregore, Roman und ich sind seit der Bandgründung im Mai 2002 dabei. Wir haben ziemlich oft unseren Schlagzeuger gewechselt, was immer wieder zu Verwirrungen führt. Daher haben wir einfach aufgehört, über unsere Besetzung zu reden. Jay Uken ist unser Produzent und quasi das fünfte Bandmitglied. Er spielte auf "Nangol" Drums bei zwei Songs und ist für ziemlich viele Samples verantwortlich. Das aktuelle Line Up besteht aus Gregore (bass), Nac (drums), Roman (guit/vox) und mir, Chris (guit/vox).

Eike:
Hattet ihr auf Tour noch Verstärkung dabei?
Chris:
Nein, die Besetzung sah damals zwar noch ein wenig anders aus, aber so etwas wie Session-Musiker gab es eigentlich nie. Man braucht Zeit, um sich in unsere Musik hinein zu fühlen.

Eike:
Habt ihr vor, auch weiterhin mit anderen Musikern zusammen zu arbeiten?
Chris:
Ich bin immer sehr offen, was Kooperationen angeht, halte sie aber prinzipiell gering. Auf "Nangol" hat beispielsweise lediglich unser ex-Sänger ein paar Textzeilen gesungen. Wir hatten uns einige Zeit vorher im Guten von ihm getrennt und sahen ihn immer als Teil der Geschichte LIQUID GODs. Daher war uns wichtig, dass auch er seinen Credit bekommt.

Eike:
Ich bin ein ziemlicher Nerd was mein Faible für kleine, feine Soundspielereien angeht, besonders wenn sie gut eingebaut sind. Für solche scheinbar nebensächlichen Dinge wie das unwirkliche Drehorgel(-oder-was-auch-immer)-Intro bei 'Be My Clown' kann ich mich echt begeistern. Tüftelt ihr gerne an so etwas herum, und ist da jemand bestimmtes für zuständig? (Verratet ihr unseren Lesern, wie ihr den Klang so hinbekommen habt?)
Chris:
Ja, wir sind echte Freaks, was Spielereien angeht. Unser Produzent Jay hat viele Samples und Sounds eingebaut, was der Platte eine ganz eigene Atmosphäre gibt. Aber auch wir selbst sitzen gern an den Reglern. Die Drehorgel bei 'Be My Clown' passte zum Song. Ich habe sie schlichtweg in einen riesigen Hall gepackt und mit ein paar Effektgeräten zum Leiern gebracht, das Resultat klingt echt schräg.

Eike:
Auf "Nangol" sind zu Anfang und Ende auch Radio- bzw. Schallplattengeräusche zu hören. Habt ihr eine gewisse Affinität zu diesen Medien, bzw. wie steht ihr zu ihnen?
Chris:
Auch wenn wir "Nangol" leider nicht mehr auf einer echten Bandmaschine aufgenommen haben, besteht zumindest bei mir eine gewisse Affinität zu analogen Medien. Als Kind des Digital-Zeitalters habe ich zwar die Vinyl-Ära weitgehend verpasst, sie als Soundtüftler jedoch wiederentdeckt und zu schätzen gelernt. Nichts geht über Plattenknistern. Man sollte sich nicht auf ein bestimmtes Medium festlegen, da das (fast) nichts mit der Aussage der Musik zu tun hat. CDs haben einfach die billigsten Produktionskosten, und sind mittlerweile überall einsetzbar. Das gute alte Vinyl kommt aber aus einer Zeit, in der noch keine Autotuner auf die Gesangsspuren losgelassen wurden, und diese somit, egal wie "falsch" oder "richtig" sie waren, einfach nur die ehrlichen Gefühle beim Einsingen wiedergeben. Jede Verunsicherung und jeder Zweifel ist später auf Band zu hören. Das kann die Gefühlsebene eines Songs schon stark bereichern.

Eike:
In eurer Musik sind öfters mal offene Rhythmen zu hören, was ich im harten Rockbereich eher ungewöhnlich finde. Was haltet ihr eigentlich von Jazz?
Chris:
Jazz und natürlich Blues waren essentiell für die Entwicklung der heutigen Musikszene, immerhin entstand aus diesen Genres alles, was heute im Bereich der Rockmusik existiert. Wir haben alle unsere Wurzeln in der härteren Ecke, allerdings waren wir nie besonders fixiert auf die Szene. In erster Linie ist es einfach zu eintönig, ständig dieselbe Musik zu hören. Die Jazz-Szene ist beeindruckend. Zwar empfinde ich beispielsweise Free-Jazz als unerträglichen Krach, wenn ich allerdings GILLESPIE oder MINGUS höre, bin ich immer wieder vom schier unglaublichen Können dieser Musiker beeindruckt.

Eike:
Welche Alben haben euch in letzter Zeit überrascht und/oder begeistert?
 (Habt ihr überhaupt noch Zeit, Musik zu hören?)
Chris:
Wenn ich noch zum Musikhören komme, grabe ich meistens ältere Sachen aus. Momentan höre ich viel MY DYING BRIDE, KATATONIA und MASSIVE ATTACK, gerne auch mal MESHUGGAH. Überrascht hat mich die neue DILLINGER ESCAPE PLAN. Ein verdammt starkes Album!

Eike:
Und was steht bei LIQUID GOD demnächst an?
Chris:
Nach der Release-Party am 1.Oktober werden wir viel Live spielen und im Frühjahr/Sommer mit den Aufnahmen zum zweiten Album beginnen. Auf http://www.liquidgod.com findet ihr regelmäßig News und Tourdaten.

Eike:
Habt ihr den Powermetal.de-Lesern sonst noch etwas mitzuteilen?
Chris:
Ja, kauft "Nangol" und bleibt sauber!


Genau, kauft "Nangol"!

Redakteur:
Eike Schmitz

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