IN EXTREMO: Interview mit Michael Rhein und Sebastian Lange
03.06.2020 | 23:16Mit "Kompass zur Sonne" hat die Spielmannstruppe IN EXTREMO kürzlich ihr nunmehr 13. Studioalbum veröffentlicht. Doch anstatt sich der Zahl nach ins Unglück zu stürzen, stürmen die Musiker um Frontmann Michael Rhein und Sebastian Lange an der Gitarre und Cister voller Kraft voraus. Wir sprachen mit den Beiden über 25 Jahre Bandgeschichte, das neue Album, die anstehenden Pläne inklusive Burgentour sowie über etwas weiter entfernte Zukunftspläne. Herausgekommen ist ein hochinteressantes Gespräch, das wir euch natürlich nicht vorenthalten möchten.
Jungs, erst einmal ein großes Dankeschön, dass ich, der mit dem Album "Sünder ohne Zügel" Einsteiger in die IN EXTREMO-Welt war, ein paar Worte mit euch wechseln darf. Wie ist die Lage?
Micha: Ja, uns geht es gut, vielen Dank, wenn man mal vom Corona-Spuk absieht. Im Grunde geht es uns wie dir, wie allen, wir sind ein bisschen demütig. Im Grunde harren wir der Dinge, die da kommen mögen.
Das letzte Album "Quid Pro Quo" hat fast vier Jahre auf dem Buckel. Noch nie hattet ihr in eurer Geschichte solch eine lange Zeit zwischen zwei Alben, doch gut Ding will Weile haben. Trotzdem: Warum hat es verhältnismäßig länger gedauert, bis "Kompass zur Sonne" in trockenen Tüchern war?
Micha: Du, ganz einfach: Wir haben uns diesmal einfach keinen Druck gemacht. Und mit der letzten Scheibe waren wir auch stolze vier Jahre auf Tour. Das war ziemlicher Wahnsinn. Dann hat es sich eben auch ergeben, dass wir sehr viel im Ausland tätig waren, daher eben die vier Jahre. Aber so lange empfand ich die Zeit auch nicht.
Basti: Im Grunde genommen waren wir mit dem neuen Album Ende 2019 schon fast fertig, hatten es zumindest schon im Dezember eingespielt und die Singles standen auch schon fest. Und da "Quid Pro Quo" unsere bis dato erfolgreichste Platte war, waren wir auch länger als gedacht unterwegs. Es kamen immer wieder neue Festival- und Touranfragen. Ursprünglich wollten wir "Kompass zur Sonne" auch am 27. März herausbringen, also quasi fast noch 2019, haha.
Welche Bedeutung hat für euch der Ausdruck "Kompass zur Sonne"? Wenn ich die Augen schließe und den Titel höre, kommen mir sehr lebensbejahende, durch und durch positive Gefühle in den Sinn. Welche Bilder erscheinen da vor eurem inneren Auge auch im Hinblick auf die Gesellschaftskritik oder eure Anti-Kriegs-Hymne 'Saigon und Bagdad'?
Basti: Der Titel ist natürlich total positiv gedacht, speziell in der jetzigen Zeit. Der stand auch schon fest, bevor es überhaupt Corona gab. Wir sind generell 'ne lustige Bande, also wollten wir auch etwas positiv in die Welt heraustragen.
Micha: "Kompass zur Sonne" ist ja schon ein recht positiv behaftetes Wortspiel, eine Art Slang, dass man die Hoffnung nicht aufgeben und bis zum Schluss daran glauben soll, dass man eher auf der Sonnenseite des Lebens steht. Wir hätten das Album auch "13" nennen können, aber das war uns einfach zu düster behaftet. Der jetzige Titel spiegelt uns als Band einfach am ehesten wider, wie wir als Gemeinschaft ticken.
Seid ihr denn mit ähnlich positiver Zielsetzung und Intention an "Kompass zur Sonne" herangetreten?
Micha: Das war eigentlich der letzte Titel, der fertig war, muss ich sagen. Aber im Grunde gehen wir immer positiv ans Werk heran, je nachdem, was du für ein Thema hast. Das ist auch enorm wichtig für uns. Wenn du ein eher düsteres Thema hast, gehst du trotzdem genauso positiv heran, weil du dann auch sichergehen kannst, dass es vernünftig wird.
Nach "Verehrt und angespien" sowie "Quid Pro Quo" ist bereits zum dritten Mal die komplette Band auf dem Artwork vertreten. Welche Bedeutung steckt dahinter auch im Hinblick auf den Titel "Kompass zur Sonne"?
Micha: Es wurde einfach wieder Zeit, haha. Wir finden es auch alle klasse, dass wieder alle Köpfe auf dem Cover sind. Das war auch unsere Vorlage. Du machst natürlich auch eine Ausschreibung an Leute, die Artworks entwickeln, und dann kommen die coolsten Ideen dabei heraus. Es müssen nicht immer die sieben Mitglieder drauf sein, aber diesmal hat es einfach wieder gepasst. Wir sind auch nicht die Typen, die ihre eigenen T-Shirts tragen.
Basti: Aber ich habe mich auch zur "Quid Pro Quo" dafür stark gemacht, dass wir wieder alle auf dem Cover vertreten sind, da seit der "Verehrt und angespien"-Scheibe eine lange Durststrecke war, wo man die Band nicht vorne auf dem Cover sah. Und bei IN EXTREMO kann man nie damit rechnen, dass es wie immer abläuft, denn normalerweise wäre jetzt wieder ein Cover ohne Band an der Reihe. Aber wir bekamen den jetzigen Entwurf und waren total begeistert. Aber gut beobachtet, sehr gut beobachtet, haha.
Ja, besten Dank. Gerade das Unvorhergesehene ist das Attraktive an IN EXTREMO. Wie beispielsweise bei 'Wer segeln kann ohne Wind'. Hier habt ihr mit Johan von AMON AMARTH gearbeitet. Wie kam der Kontakt zustande? Musikalisch ist der Song ja eher melodisch mit sehr gemütlichem Seegang. Warum dann ausgerechnet Johan?
Micha: Johan rief mich an und fragte, ob er bei uns mitmachen kann.
Ernsthaft?
Micha: Haha, nein. Keine Sorge. Wir kennen ihn und die Band natürlich durch die Festivals, die in den letzten Jahren so anstanden. Mit den einen kann man mehr, mit den anderen weniger. Und so haben wir uns auf dem Summer Breeze getroffen, mittags rumgesessen, geschnackt, Faxen gemacht und da habe ich ihn gefragt, ob er nicht Lust hätte, bei uns mal mitzumachen. Und auf dem Wacken Open Air habe ich ihn nochmal darauf angesprochen, zumal wir auch langsam in die Arbeiten zum neuen Album gingen. Er sagte, ich solle ihn anrufen, wenn es dann soweit ist. Und was soll ich sagen? Ein Mann, ein Wort. So tickt er auch, hat alles gepasst. Kurzer Dienstweg, kann man sagen.
Basti: Man kennt es ja von Festivals, dass man in der Sufflaune etwas verspricht, und am nächsten Tag erinnert man sich nicht mehr, mit wem man überhaupt gesprochen hat. Und bei manchen würde auch eine Kooperation gar nicht passen. Aber wir sind immer dafür zu haben, ein bis zwei Gäste mit auf den Platten zu haben.
Und bei RUSSKAJA war das ähnlich, oder?
Micha: Bei RUSSKAJA war es ein wenig anders. Die Band kannte damals wirklich keiner und ein Veranstalter aus Österreich, der sich ein wenig um RUSSKAJA gekümmert hat, hat uns dann gefragt, ob wir die Jungs nicht mit auf Tour nehmen können. Und daraus ist diese Freundschaft entstanden, sind gute Kollegen geworden, die ja auch Party-Mucke machen. Und 'Gogiya' geht in Sachen Stimmung in eine ähnliche Richtung. Da hat es gepasst, dass man ihn [Sänger Georgi Alexandrowitsch Makazaria - Anm. d. Red.] fragt.
Kommen wir kurz zum Titeltrack, bei dem ich die ganze Zeit an 'Küss mich' vom "7"-Album denken muss. In dem Video geht es, wenn ich das richtig gesehen habe, um einen Gefängnisausbruch. Welche Idee steckt in Kombination mit dem Song dahinter?
Micha: Das ist eine Hommage an "Gesprengte Ketten", ein Film von Steve McQueen, ein Klassiker wie "Einer flog über das Kuckucksnest". Wir wollten diesmal ein wenig Kunst machen und kein übliches Video mit Gitarren, Bass und Schlagzeug. Das Budget hat gepasst und jemand von der Plattenfirma hat uns auch den Rücken gestärkt, dass wir einfach zwei geile Filme drehen. Einmal mit 'Troja' und eben 'Kompass zur Sonne'. Das hat hervorragend geklappt und wir sind auch sehr glücklich mit diesen beiden Videos.
In 'Troja' befindet ihr euch als Band im Zug, in dem ihr - bitte korrigiert mich, wenn ich falsch liege - mit dem Reichtum der Upperclass abrechnet. Wie ist die Verbindung zwischen dem Video und 'Troja' auch im Hinblick auf die Geschichte Trojas?
Basti: Man kann das natürlich aus dem Blickwinkel betrachten, den du beschrieben hast. Aber 'Troja' kann auch zeigen, dass man mit uns auch Party machen kann. Ein kleiner politischer Seitenhieb ist das natürlich auch. Das hast du gut erkannt, ein richtiger Fuchs, hehe.
Danke. Ich verfolge euch natürlich so gut ich kann. Ich habe vor einiger Zeit auf YouTube eine Reportage über euch und euren Alltag fernab von den Bandaktivitäten gesehen. Dort habe ich euch als unheimlich bodenständige, bescheidene und fannahe Menschen kennengelernt, die auch nebenan wohnen könnten und im Vorbeigehen die Albumcharts entern und Festivals headlinen. Wie wichtig ist für euch diese Art der Bodenständigkeit trotz des Erfolgs?
Micha: Das hast du auch sehr gut erkannt. Es ist wirklich so, wir haben uns all das natürlich von der Pike auf erspielt und überall gespielt, wo eine Steckdose war. Da bleibst du automatisch bodenständig. Wer uns kennt, der weiß, dass wir normale Typen sind, die wissen, woher sie kommen. Aber du meinst sicherlich diese WDR-Rockpalast-Doku, oder?
Richtig.
Basti: Da haben wir uns dazu überreden lassen, ein bisschen mehr von unserem Privatleben zu zeigen. Das ist wirklich eine schöne Doku geworden und der WDR begleitete Micha und mich ja bereits seit den 1970er Jahren. Und für uns war die Anfrage eine Art Ritterschlag, dass der große WDR auf uns zugekommen ist und eine Dokumentation über uns drehen wollte. Das hat wirklich Spaß gemacht.
Das glaube ich euch gerne. Den 25. Bandgeburtstag wolltet ihr nicht nur mit neuem Album und entsprechender Tour feiern, sondern auch mit der Burgentour, u.a. auch auf der wunderschönen Burg Satzvey. Die wurde jetzt auf den Sommer 2021 verschoben. Wie kam es zu der Idee?
Micha: Das haben wir vor vielen Jahren schon ins Leben gerufen. Das passt einfach gut zum Ambiente, die Leute kommen verkleidet, entfliehen ihrem Alltag. Der Termin auf Burg Satzvey am 19. September ist allerdings noch nicht abgesagt. Ich war neulich erst dort und man geht auch davon aus, dass der Auftritt stattfindet, aber in der heutigen Zeit muss man davon ausgehen, dass wenige Tage zuvor anders entschieden wird. Aber das ist natürlich die Hoffnung, die wir noch haben. Die anderen drei Termine - Augusta Raurica in Augst, Burg Esslingen und die Worbis Burg Scharfenstein in Leinefelde - sind auf jeden Fall auf nächstes Jahr verschoben worden.
Wie ihr schon sagtet: Harren wir der Dinge, die da kommen. Ihr habt generell schon mit vielen Musikern zusammengearbeitet: HEAVEN SHALL BURN, Mille von KREATOR, BLIND GUARDIANs Hansi und nun eben Johan. Wenn ihr euch für eure künftigen Alben ein, zwei Kooperationen aussuchen dürftet, welche Musiker...
Basti: UDO LINDENBERG! Ganz klar!
Das ging schnell.
Basti: Diese Frage bekommen wir tatsächlich häufiger gestellt. Aber wie du schon sagtest, wir haben schon mit vielen weiteren Künstlern gearbeitet: DIE FANTASTISCHEN VIER, UNHEILIG oder auch Henning Wehland von H-BLOCKX. Manchmal ist es sehr interessant, auch mal mit Künstlern aus anderen Genres zu arbeiten. Daraus hat sich ja auch unsere Bonus-CD der "Kein Blick zurück"-Scheibe ergeben. Da rechnet natürlich niemand mit, dass wir von Götz Alsmann oder SILBERMOND gecovert werden. Auf die Kooperationen sind wir auch richtig stolz, das hat auch mit jeder Menge Respekt zu tun.
Dann hoffe ich, euch eine Frage zu stellen, die euch noch nicht so häufig entgegenkam. Wo steht IN EXTREMO in weiteren 25 Jahren?
Micha: Puh, das kann man natürlich nicht beantworten. Wenn wir dann noch alle da wären, wäre das natürlich total schön. Aber so weit denken wir noch nicht voraus. Eher 30 Jahre, haha. Bleiben wir alle gesund und munter, das reicht uns schon.
Wenn ihr die letzten 25 Jahre mal Revue passieren lasst, was waren in all den Jahren eure persönlichen Highlights? Gibt es Ereignisse, an die ihr euch am liebsten zurückerinnert?
Micha: Da fällt mir etwas ganz Kleines ein. Ein winziger Club in Chile, das müsste 2007 gewesen sein. Das werde ich niemals vergessen. Die Bühne war mitten im Publikum, das Wasser tropfte von der Decke und die Menschen versuchten die ganze Zeit, auf die Bühne zu klettern. Das war unglaublich. Und wenn es größer werden soll, dann fällt mir das legendäre Woodstock-Festival in Polen ein paar Jahre später wieder ein. Da haben wir dann vor knapp 650.000 Leuten gespielt.
Basti: Stimmt. Ich dachte, du nennst jetzt ein Open Air in Mexiko-City, als die Menschen nach unserem Konzert, wie bei THE ROLLING STONES, die Stühle zerkloppt haben. Die konnten das nicht begreifen, dass sieben Leute mit Dudelsäcken ankamen. Am Ende waren auch alle Autodächer eingetreten, da der Platz so überfüllt war, sodass die auch auf ihren Autos standen. Aber Micha hat schon recht, das Woodstock-Festival war eines der interessantesten und buntesten Festivals überhaupt, auf denen wir jemals gespielt haben. Als wir dann auf der Bühne standen, haben wir unseren Augen nicht trauen können, wie viele Menschen dort waren. Das kann man sich nicht vorstellen, das bleibt natürlich hängen.
Und mit diesen schönen Erinnerungen seid ihr nun auch entlassen. Jungs, es war mir eine Freude, vielen Dank!
Micha: Gerne doch, uns hat es Spaß gemacht. Wir sehen uns dann auf Burg Satzvey!
Basti: Bleibt alle gesund und optimistisch!
- Redakteur:
- Marcel Rapp