Gruppentherapie: WYTCH HAZEL - "V: Lamentations"
05.08.2025 | 10:16Wikinger im Schlafanzug oder Sonnenaufgang in Tönen?
Zehn, zehn, zehn, zehn. Viermal zehn und einmal 9,5, das sind die Noten, die die bisherigen WYTCH HAZEL-Alben hier abgeräumt haben. Vor allem für unseren Jhonny scheint WYTCH HAZEL neben IRON MAIDEN die Band zu sein, gibt er doch nach einer enttäuschten 9,5 für den Vorgänger "IV: Sacrament" wieder die volle Punkzahl für "V: Lamentations". Und auch der Boss scheint großer Anhänger der Band zu sein und führte gar ein Interview mit Frontmann Colin.
Doch was sagen die Soundchecker? Nun, so die ganz große Euphorie spricht jetzt nicht aus dem Notenspiegel; Platz sechs am Ende klingt zwar gut, mehr als die Häfte ist hier aber unter der Acht, manchen fehlt es an Lametta, wie es scheint. Nun, die Therapeuten beleuchten die Lage.
Kann mir mal jemand erklären, warum ich Depp diese Band bislang immer ignoriert habe? Ich meine, es ist ja nicht so, dass sie hier keine Erwähnung gefunden hätte, sie war in diversen "Perlen"-Artikeln und Jhonny und Raphael verteilen seit geraumer Zeit Höchstnoten.
Manchmal muss man mich wohl zu meinem Glück zwingen. "Lamentations" klingt cool retro und ist fast durchgehend auf sehr hohem Niveau komponiert, auch wenn ich nicht jedes Lied und jede Wendung darin begeistert mitgehe, ich beispielsweise 'The Citadel' etwas schwächer finde und sich manche Twin-Leads zu sehr nach Hommage anhören. Außerdem war es möglicherweise nicht albumdienlich, die beiden fetzigsten Stücke an den Anfang zu stellen, auch wenn natürlich ein nach JETHRO TULL klingender Volltreffer wie 'Racing Forwards' an jeder Stelle des Album begeistert.
Ja, ich glaube, mir fehlt ein zweites Lied wie 'Run The Race' zwischen 'Woven' und 'Heavy Load', um meine Note noch höher zu schrauben. Trotzdem, ich muss jetzt mal nach fünf Alben Ausschau halten, ich habe da eine nicht zu verzeihende Lücke unter "W" im Regal.
Note: 8,5/10
[Frank Jaeger]
Weil es einige Diskussionen in unserer Redaktion zu geben scheint, die von Bedauern WYTCH HAZEL bisher nicht im Regal zu haben bis zu einem entsetzten "Waaas, die kennst Du noch nicht?" aus dem Lager unserer Fanboys reichen, bin ich spontan zur Beschau hinzugetreten. Es wird von einer Melodienfabrik geredet, entspanntem Retro-Sound auf einem handwerklich soliden Niveau, von einer Stimmung, die fast umschmeichelnd wirkt, höre man diesen Genremix.
Das lockt mich aus dem Stuhl, und schon sehe ich mich einem Quartett in weißem Wikingerschlafanzug-Stil gegenüber, das auf der Klippe den Sonnenuntergang abwartet, um stoisch dem Sonnenaufgang entgegenzuklampfen.
Die Instrumentierung gefällt mir: Akustikgitarren durchtanzen den von einem zurückgezogenen Drumsound geführten Abendhimmel, die Spitzen der Soli schönen und barmen. Und auch der Anspruch, harmonische Gesangslinien in diese Segelei dem Horizont entgegen beizugeben, gelingt wirklich gut.
Und gleichzeitig ist das die Schwäche des Gesamtkonstrukts. Unter dem Tisch barfuß mitwippend und ganz gespannt, dass noch etwas passiert - so kann das Album locker durchgelauscht werden. Aber hängen bleibt nur das Gefühl, eine Idee konsequent durchgespielt zu haben und keine tieferen Eindrücke zu hinterlassen, die ich morgen oder überübermorgen mit in den Sonnenaufgang nehmen werde.
Note: 7,0/10
[Mathias Freiesleben]
Wie habe ich beim Vorgänger meine kleine Kritik abgeschlossen? ""The Future Is Gold" – für WYTCH HAZEL ganz bestimmt." Nun steht Album Nummer fünf in den Startlöchern und es gibt wieder nichts zu lamentieren. Ganz im Gegenteil. Ich habe tatsächlich das Gefühl, dass die Band aktuell auf immer mehr offene Ohren stößt und immer mehr Menschen von ihrer Interpretation eines fluffig-folkigen Retro-Rock-Sounds überzeugt. Zwischen den Polen ASHBURY ("Endless Skies") und URIAH HEEP ("Demons & Wizards") und mit einer Prise von JETHRO TULL gewürzt, emanzipieren sich die Jungs um Goldkehlchen Colin Hendra auf ihrer musikalischen Reise immer weiter von den genannten Einflussquellen.
Mittlerweile hört man direkt schon um welche Band es sich handelt. Dabei ist der Sound 2025 wieder stärker als auf "IV: Sacrament", welches aber aktuell aufgrund von zwei bis drei Übertracks noch leicht die Nase vorne hat. In der Breite ist aber auch dieses Album der Knaller, nur so eine Hit-Single wie 'Strong Heart', welche auch ohne Albumkontext und innerhalb von Playlisten funktioniert, habe ich noch nicht erschlossen. Dafür ist spätestens mit 'The Citadel' wieder alles beim Alten und das Album klingt erneut herrlich frisch und unverbraucht.
Hier greifen alle Zahnräder (Klang, Musik, Lyrics) perfekt ineinander und schicken einen direkt ins Abenteuerland. Eindeutige Albumempfehlung für jede Art von Natureskapismus: Vom Waldspaziergang bis Shinrin Yoku, das Album ist ein Jahreshighlight mit Ansage. Nein Mattes, diese Musik sollst du auch gar nicht mit in den Sonnenaufgang nehmen – WYTCH HAZEL ist selbst der Sonnenaufgang.
Note: 9,5/10
[Stefan Rosenthal]
Hach, schöne Worte wählt unser Stefan hier für diese wundervolle Musik. Was ich komisch finde ist, dass noch niemand hier ein bestimmtes anderes tolles Album dieses Jahres als Vergleich herangezogen hat. Denn mich erinnert es vom Feeling her sehr an das traumhaft einschmeichelnde neue PAGAN ALTAR-Album. Obwohl sie sich im direkten Vergleich natürlich ganz klar unterscheiden, sind für mich beide Bands aus einem ähnlichen Holz geschnitzt, es ist dieses Flair, dieser Klang der metallischen Anfangstage, was bei mir allein schon eine wohlig-melancholische Stimmung hervorruft.
Garniert mit ein wenig Folkigem und dezent Epischem liegt die Stärke von WYTCH HAZEL bei Songs, die irgendwie ganz ohne Effekte, Klangeskapaden, krumme Takte und allerlei Drama auskommen, die einfach nur schön sind, denen man entspannt zuhören und wegträumen kann. Ja, ASHBURY, URIAH HEEP, JETHRO TULL und von mir aus noch WISHBONE ASH sind ansprechende Vergleiche, aber WYTCH HAZEL ist viel mehr auf den Punkt, eine Kompaktierung der Stärken all dieser Bands. Ich kann gut verstehen, warum ein paar Kollegen hier regelmäßig den Zehner ziehen.
Ich bin dazu allerdings noch nicht bereit. Mir ging die PAGAN ALTAR im Vergleich aufgrund des intensiveren Gesangs noch einen Tick mehr unter die Haut und selbst die hat keine Zehn bekommen. Vielleicht fehlen dazu einfach nur ein paar weitere Durchläufe, vielleicht ein Liveerlebnis, vielleicht ja aber auch doch eine kleine Spur der Dinge, deren Fehlen ich zuerst als positiv hervorgehoben habe. Da könnte Frank durchaus recht haben: Gegen Ende wird es einen kleinen Tick zu entspannt. Recht hat er aber auch damit, dass die Lücke beim "W" demnächst mal geschlossen werden sollte.
Note: 8,5/10
[Thomas Becker]
Fotocredits: Elly Lucas
- Redakteur:
- Thomas Becker