Gruppentherapie: RIOT V - "Unleash The Fire"

27.10.2014 | 17:16

Die Gruppentherapie zum ersten RIOT-Album nach dem Tod von Mark Reale.

Nach dem tragischen Verlust eines Bandmitgliedes - und dann auch noch desjenigen, welches den Bandsound hauptsächlich geprägt hat - ist es für jede Band schwer, weiter zu machen. Doch "Unleash The Fire" ist bei vielen Fans des traditionellen Metals (u.a Rüdiger Stehle, zum Review) eingeschlagen wie eine Bombe und landet auch auf Platz zwei im Oktober-Soundcheck. Sind hier Gegenstimmen überhaupt noch erlaubt?

"Unleash The Fire" ist nicht irgendein RIOT-Album, sondern eine Ehrerbietung von Mike Flyntz und seinen Mitstreitern vor dem im letzten Jahr verstorbenen Bandgründer und Songwriter Mark Reale. Und genau unter dieser Prämisse wurde RIOT als RIOT V am Leben erhalten und ist textlich und musikalisch ein tiefer Knicks vor der Bandgeschichte. So lehnt sich 'Return Of The Outlaw' an einen der großen Klassiker der Truppe an, 'Metal Warrior' ist eine Laudatio an den vermissten Freund und Kollegen, das gefühlvolle 'Until We Meet Again' ein Tränentreiber, der tief unter die Haut geht. Musikalisch verbindet die Truppe amerikanischen und europäischen Heavy Metal mit einigen famosen Melodien, eingesungen von einem der kraftvollsten Heavy-Metal-Sänger unserer Zeit. Todd Michael Hall singt genau so gut, wie man es von ihm erwarten durfte und musste. Falls euch im weiteren Verlauf jemand etwas anderes erzählt, liegt das an falschen Ohren bei diesem Hörer. Dass es nicht zu mehr als acht Punkten reicht, liegt schlicht daran, dass nicht jeder Song so ein Volltreffer wie 'Take Me Back' ist. Nein, in der Mitte lodert das frisch entfachte Feuer nicht ganz so kraftvoll und warm wie zu Beginn und zum Ende der Scheibe, wo neben den genannten Höhepunkten vor allem 'Ride Hard Live Free', 'Immortal' und 'Fight Fight Fight' herausragen. "Unleash The Fire" ist die wohl würdigste und ehrlichste Fortführung, die RIOT ohne Mark Reale abliefern konnte. Davor ziehe ich voller Respekt meinen Hut.

Note: 8,0/10
[Peter Kubaschk]

Da die bisherigen 2000er Veröffentlichungen von RIOT an mir, warum auch immer, recht unbemerkt vorbeimarschiert sind, konnte ich im Vorfeld unvoreingenommen an die Platte herangehen. Dennoch ist mir von Beginn an klar, dass "Unleash The Fire" ein urtypisches RIOT-Album ist: Klassischer Traditionsstahl, der mir vor Nostalgie, Anmut und Leidenschaft die Tränchen in die Augen treibt, komprimiert auf ein musikalisch ungemein gelungenes Album, das sicherlich zu den Sternstunden der Pioniere zählt. Dabei hat die Platte eine tolle Langzeitwirkung, die erst nach drei, vier Durchgängen einsetzt, man danach anfängliche Glanzpunkte wie 'Ride Hard Live Free', 'Metal Warrior' oder auch 'Bring The Hammer Down' einfach nicht mehr aus dem Kopf bekommt. Dieses Werk fließt aus einem Guss, von der Ohrmuschel, über die Wirbelsäule bis zum metallischen Herzen, und setzt sich dort felsenfest. Dabei war, soweit mir bekannt, RIOT (mit oder ohne "V") selten abwechslungsreicher: Vom knackigen US-Power Metal, über mitreißende Rock-Hymnen bis hin zum klassischen Stahlgewitter decken die Jungs heuer ihr gesamtes Spektrum ab. Wer überdies weitere Anspieltipps sucht, wird definitiv bei 'Kill To Survive' und vor allem 'Fight Fight Fight' fündig, bei denen sich die Band gar selbst übertrifft. Wir halten also fest: "Unleash The Fire" macht sehr viel Freude, die Band hat den viel zu frühen Tod ihres ehemaligen Klampfenhäuptlings so gut es eben ging verdaut und blickt nun nach vorne. Wer weiß, was da noch auf uns zukommt.

Note: 9,0/10
[Marcel Rapp]

Als im Vorfeld der Veröffentlichung von "Unleash The Fire" einige erste Songs durch das Netz gingen, wurde mancherorts geunkt, dass es wohl im Gegensatz zum Vorgänger "Immortal Soul" keine Dampframme, sondern ein stilistisch in Hard Rock und US Metal zweigeteiltes Album werden würde. So ist es dann auch gekommen und auch wenn RIOT in jeder Stilphase hochklassiges Material boten, kann man diesen Einwand noch ansatzweise nachvollziehen. Abstrus wurde es allerdings, als prognostiziert wurde, dass RIOT V sich dann ja kaum noch von HAMMERFALL unterscheiden würde. Zum einen muss man schon lange in der Geschichte von HAMMERFALL zurückgehen, um ein Album zu finden, das ähnlich vor Kreativität, Energie und Spielwitz sprüht wie "Unleash The Fire". Zum anderen sind gerade die Klassiker "Thundersteel" und "The Privilege Of Power" weitaus näher am europäischen als am US-Stahl, was die Angst vor HAMMERFALL dann hinfällig macht. Sei es wie es sei, "Unleash The Fire" ist ein, für die Länge von zwölf Songs, sehr kurzweiliges Album, das weiten Teilen der Konkurrenz dies- und jenseits des Atlantiks lässig die lange Nase zeigt. Schließlich haben die wenigsten einen Wundersänger wie Todd Michael Hall in ihren Reihen und das Talent für spitzenmäßige Ohrwürmer wie 'Metal Warrior' oder 'Take Me Back', die einen nach dem Hören durch den restlichen Tag begleiten, ist auch eine höchst seltene Gabe. Wenn in 'Return Of The Outlaw' mit Liebe zum Detail auf die eigenen Klassiker verwiesen wird oder in 'Land Of The Rising Sun' man die besonders begeisterungsfähigen japanischen Fans würdigt, stellt sich unweigerlich direkt ein freudiges Lächeln beim Hörer ein. Sobald im letzten Drittel des Albums mit 'Immortal' und 'Until We Meet Again' Mark Reale die letzte Ehre erwiesen wird, erwischt einen dann auch spätestens die wohlige Gänsehaut, sodass man nur zu dem Schluss kommen kann, dass die Band mit "Unleash The Fire" alle Kritiker, die RIOT V das Recht absprachen ohne Mark weiterzumachen, Lügen straft und eindrucksvoll ein neues Kapitel ihrer Karriere aufgeschlagen hat. Es wird spannend sein in Zukunft zu beobachten, ob man das musikalische Erbe von Mark Reale mit so viel Klasse weiterführen kann wie auf "Unleash The Fire".

Note: 9,5/10

[Arne Boewig]

"Unleash The Fire" ist also für RIOT bzw. RIOT V das, was "Handful Of Rain" für SAVATAGE war. Wo die einen ein Album mit bluesigen Untertönen ablieferten, machen die anderen unbeirrt weiter, wie unser Hauptrezensent ausführlich dargelegt hat. Als durch späte Geburt und anderen musikerschließenden Werdegang nun erstmals mit der Band befasster Hörer hätte ich die tragische Vorgeschichte von RIOT V anhand des vorliegenden Albums daher auch nicht heraushören können. Auf "Unleash The Fire" wird, wie der Titel und wie auch das Artwork schon verheißt, von Anfang an pathetisch und kraftvoll gerockt. Das Album klingt wie direkt aus den Achtzigern vom Himmel gefallen - Kopfstimme, Stampfer-Rhythmen, Powerchords und Stadionrock-Melodien inklusive. Melodic Metal wie aus der ersten großen kommerziellen Blütezeit des Genres, als in den unangefochten die westliche Populärkultur prägenden Vereinigten Staaten noch Rock, Hard Rock und Heavy Metal die Charts dominierten. 'Fight Fight Fight' ist eine Metalhymne, die gut in meine frühjugendliche Playlist zwischen RUNNING WILDs 'Riding The Storm', MANOWARs 'Carry On', JUDAS PRIESTs 'Exciter' und GAMMA RAYs 'Brothers' gepasst hätte. Und bei 'Until We Meet Again' wird es dann doch noch melancholisch, oder genauer gesagt elegisch und feierlich. Denn auch hier schwingt wieder Kraft mit, und der Optimismus scheint den Bandmitgliedern ohnehin einfach in die Wiege gelegt zu sein. Die Highlights von "Unleash The Fire" wären damit schon fast alle genannt, und nicht umsonst hat man sie ans Ende des Albums gestellt, damit sie einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Für Fans der Band könnte die Live-Version von 'Thundersteel' zum endgültigen Abschied noch ein besonderes Schmankerl sein. Ansonsten gibt es vorher mit 'Fall From The Sky' Kraftmetall, das diesen Namen verdient hat, einen Ohrflutscher namens 'Metal Warrior', schwirrende Killerinsekten-Schwärme in 'Bring The Hammer Down' & 'Unleash The Fire', äußerst harten Stadionrock mit 'Land Of The Rising Sun', die großgestige und für mich das dritte Glanzlicht des Albums setzende Hymne 'Immortal' sowie klassischen heavy stuff bei den Songs 'Return Of The Outlaw' & 'Take Me Back' zu hören, die - durchaus albumtypisch - zwar metallische Härte aufweisen, dabei aber dennoch erkennbar der guten alten Hard-Rock-Tradition huldigen. HAMMERFALL höre ich allenfalls bei 'Kill To Survive' heraus. Insofern: alles im Lack. Insgesamt ist mir das Album auf die volle Stunde bemessen jedoch etwas zu lang geraten, was aber neben dem übergeradlinigen Hoppelgaloppel-Drumming wohl auch daran liegt, dass dieser fast schon klirrend helle Sound, wie ihn hierzulande zunächst die SCORPIONS und später etwas härter dann HELLOWEEN berühmt gemacht haben, meinen Ohrgaumen generell meist nicht an den richtigen Stellen kitzelt. Will sagen: Höchst solide gemacht, aber in meinem Fall leider Perlen vor die Säue geworfen. Klirrklang-Gourmets dürfen zwei Punkte draufschlagen. Ich aber gebe stählerne sechseinhalb.

Note: 6,5/10
[Eike Schmitz]

Ich lese hier überall was von "knackig", "kraftvoll" und "energetisch" und dann kommt mir Mucke mit solch schwachbrüstigem Gitarrensound daher. Und dazu ein Sänger, der in den hohen Lagen doch ein wenig dünn (produziert?) erscheint. Ein bisschen entsprechen klarer Jodelgesang und der von Eike beschriebene Klirrklang sicher aber auch dem allgemein anerkannten Schönheitsideal des US Metals und werden als kraftvoll empfunden. Tja, Peter hat ja schon angekündigt, dass hier noch einer mit anderen, komischen Ohren zum Stift greifen wird. Well, here I am.
Dabei gefällt mir die Musik ja. Ich mag solche netten happy Metal-Melodien und meine Assoziation beim Hören von "Unleash The Fire" ist immer wieder STRATOVARIUS. Vor allem in der Melodieführung. Manchmal sogar "RHAPSODY in einfach". Und da kommen wir zu meinem Problem mit der Scheibe. Das Songwriting schreit an manchen Stellen nach dem Einsatz von kompositorischem Festigungsmaterial wie zum Beispiel Chören oder einer punktuell und gezielt eingesetzten Orchestrierung. Diese spielt sich beim Hören von "Unleash The Fire" immer wieder in meinem Kopf ab und kling geil. Doch wenn ich sie ausschalte, entsteht an vielen Stellen ein wenig Leere. Ja, auch im Gegensatz zum Vorgänger "Immortal Soul" klingt diese CD sehr nackt. Und was tut man dagegen? Man reimt beim Titelsong "fire" auf "desire"! Und begeht weitere echtmetallische Peinlichkeiten. Auf diese Art und Weise gesungen muss ich bei bei einer Textzeile wie "shine on Metal Warrior" tatsächlich immer wieder schmunzeln. So etwas kann einfach nur ein Eric Adams oder Fabio Lione auf eine Weise rüberbringen, dass ich tatsächlich mein Plastikschwert rausziehe. Tja, und am Ende muss ich dann auch mal eine Sache ansprechen, die aufgrund der Bandhistorie anscheinend unaussprechbar zu sein scheint: Mark Reale fehlt eben doch. Ich zieh mir grad das fantastische Werk "Inishmore" rein, das um so vieles verspielter, versierter (bitte vergleicht mal die Qualität der Gitarrensoli!) und durchkomponierter ist als alles auf "Unleash The Fire". Und danach höre ich 'Fight Fight Fight'. Oje. Da hat RIOT V aber Schwein gehabt, dass ich "Inishmore" nicht schon vor der Soundcheck-Notenabgabe  gehört habe. Wie viel ein einzelner genialer Musiker doch ausmachen kann...

Note: 6,5/10
[Thomas Becker]

Ach Leute, ich hatte mich schon im Vorfeld darauf gefreut, dass hier über "fire - desire"-Reime gelästert werden würde. Das habe ich beim Hören als putzig abgehakt, aber schon Sekunden nach besagter Stelle begeistert der Titelsong durch ein einfaches, aber exzellent gespieltes Arrangement und das Bedienen der üblichen Notwendigkeiten in diesem Genre. Was nun plötzlich schlecht an fröhlichen Melodien sein soll, kann ich beim besten Willen nicht nachvollziehen. Verliert die Band jetzt ihre Authentizität, nur weil hier und da die Spielfreude das in Leder und Stahl gefasste Klischee schlägt? Der entscheidende Punkt ist doch, dass eine Band ein für sie zu diesem Zeitpunkt "echtes" Werk aufnimmt. Die 80er sind vorbei, so gerne wir alle das manchmal verdrängen. Und der Unterschied zum zitierten "Inishmore" ist nicht ansatzweise so groß, wie hier gerade behauptet wird. Ich kann jedenfalls mit der locker-flockigen Art sehr gut leben, und zwar so sehr, dass ich am Erscheinungstag direkt den Händler meines Vertrauens mit dem Kauf von "Unleash The Fire" belästigt habe und die Scheibe seitdem im Auto den Player nicht mehr verlassen hat.

Note: 8,0/10
[Nils Macher]


Mehr zu diesem Album

Soundcheck 10/2014
Review von Rüdiger Stehle

Redakteur:
Thomas Becker

Login

Neu registrieren