Gruppentherapie: PRONG - "State Of Emergency"

27.10.2023 | 12:55

So klingt die ehemalige "Zukunft des Metal" heute.

"PRONG in Bestform" (zu Tobias' Review von "State Of Emergency"), im aktuellen Soundcheck (zum Soundcheck 10/2023) ein runder Platz acht, dazu ein Interview mit Tommy Victor, brauchen wir dann noch eine Gruppenverarztung? Klaro, schließlich war PRONG ja mal die "Zukunft des Metal". Meint "back to the roots" hier also "Zurück in die Zukunft"? Und dürfte man dann auch RUSH covern?

Die US-amerikanische Alternative-Wundertüte ist wieder am Start. Lange hat es gedauert, doch PRONG meldet sich wütender und aggressiver denn je zurück. Richtig, seit dem 2017er "Zero Days"-Hammer sind stolze sechs Jahre ins Land gezogen, was Tommy und Co nicht daran gehindert hat, die Augen ob der aktuellen Ausnahmesituationen zu verschließen. Und so haut "State Of Emergency" einen Brecher nach dem nächsten raus, hat allerdings erneut so viel Groove und Lässigkeit im Repertoire, dass sich all die Wut, der Ärger und das Gift, das die neue PRONG-Platte zwischen den Zeilen verspritzt, sehr geschmackvoll dosieren lässt.

Ob nun der 'The Descent'-Opener, 'Breaking Point' oder 'Light Turns Black' sowie auch das abschließende RUSH-Cover zum Besten gehören, was PRONG je fabriziert hat, sollte jeder Fan der New Yorker für sich selbst entscheiden. Fest steht allerdings, dass "State Of Emergency" aus einem Guss und äußerst homogen klingend den Finger in die berühmte Wunde legt, offenkundig die sozialen Medien kritisch hinterfragt und sich aus allem musikalischen (Alternative-, Industrial-, Nu- und Groove-)Allerlei ein nackenbrechendes und unvorhergesehenes PRONG-Album entwickelt hat.

Note: 8,0/10
[Marcel Rapp]

Was gut gemeint war, wird irgendwann zur Last. Es ist überliefert, dass Kirk Hammett von METALLICA PRONG einmal als "die Zukunft des Metal" bezeichnete. Das ist zwar schon ein paar Jahrzehnte her. Aber es zeigt ganz gut, welchen Stellenwert die Band einst hatte, auch wenn sie nie den Erfolg hatte, den man dahinter vermuten würde. Was man aber festhalten kann: Zukunft ist PRONG mit "State Of Emergency" nicht mehr. Eher der Versuch, eine Brücke in die 90er zu sein. Musikalisch ist das eher altbackener US-Metal mit Hardcore-Elementen. Dafür sind die besungenen Themen natürlich zeitgemäßer.

Die Aussage von Marcel, dass man hier ein "unvorhersehbares" Album bekommt, kann ich angesichts der vielen Traditionsbezüge nicht teilen. Aber ich teile seine Unentschlossenheit, eine klare Empfehlung auszusprechen: Wer PRONG mag, muss sich fragen, ob die angerührte Fertigsuppentüte genug Aufregendes enthält, um für einen Mittagssnack zu reichen. Aber eigentlich wissen wir ja ohnehin, dass sich die volle Faszination der Band erst auf der Bühne entfaltet. Und da verschwimmen die Unterschiede zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sowieso. Spätestens nach dem dritten Bier.

Note: 7,5/10
[Julian Rohrer]

Eigentlich wollte ich meinen Beitrag erst morgen schreiben, wurde jedoch von meinen Vorrednern derart getriggert, dass ich Julian und Marcel sofort "verarzten" muss. "Zero Days" war natürlich nicht schlecht, Chef, den Hammer hast du aber in den letzten Tagen gehört, wie du selbst in anderen Worten schreibst: "State Of Emergency" knarzt und drückt mit einer Härte und Wucht, die ich nach so langer Zeit und nach den damaligen Soundentwicklungen nicht bei PRONG auf dem Zettel hatte, die von einem Songwriter wie Tommy Victor nach allen gesellschaftlichen Entwicklungen in den letzten Jahren aber freilich zu erwarten waren. Geradezu abgrundtief grantig SLAYERnd eröffnet 'The Descent' das Album. Zu aller aufgeboten Gitarrenpower punktet der Titeltrack 'State Of Emergency' gegen Ende zudem noch mit verschlepptem Tempo, eine recht neckische Idee! Im anschließenden 'Breaking Point' lässt der Mastermind von PRONG die Sechssaitige wiehern, wie schon lange nicht mehr; es nervt fast ein wenig, zeugt aber von den "Back To The Roots" - Vibes im neuen Material. Tommy shoutet und singt mit einer Power und inbrünstigen Wut in der Stimme, wie sie auf dem eher eingängigen und melodiebetonten Vorgänger-Album einfach nicht zu vernehmen war. Gerade deshalb erreicht "State auf Emergency" in meinen Ohren auch nicht den Ideen- und Melodienreichtum meines Lieblingsalbums der PRONG-Neuzeit, "Ruining Lives". Aktuell wurden einfach andere Akzente gesetzt.

"State Of Emergency" ist ein Album, das die treuen Anhänger von PRONG sicherlich begeistern wird. Es spiegelt die Essenz und den Charakter der Band in all ihren Facetten wider.

Na, Herr Rohrer? Kommen Ihnen die beiden letzten Sätze bekannt vor? Die habe ich aus Ihrem Beitrag in der CIRITH UNGOL-Gruppentherapie zitiert, da ich finde, dass sie hier genauso passen. Ich war einfach so frei und habe jeweils Albumtitel und Bandnamen ausgetauscht. Jetzt muss ich beim Schreiben nicht so viel nachdenken und habe mehr Zeit um meine reichhaltige Tütensuppe namens "State Of Emergency" gründlich umzurühren. Die macht mich nach einem Mittagessen auch abends noch einmal satt. Morgen habe ich sogar noch einmal Lust auf dieselbe Geschmacksrichtung. Da steckt so viel drin, dass ich das wohl übermorgen auch noch lecker finde!

Beim derzeitig angesagten Retro-Trend, der mittlerweile die 90er deutlich den 80er Jahren vorzieht, kann PRONG mit dem aktuellen Album im Übrigen durchaus eine "Brücke in die 1990er" und somit auch die von "Captain Kirk" Hammett orakelte "Zukunft des Metal" sein. Tommy und seine Mitstreiter verbinden sowieso bereits die Vergangenheit der Rockmusik mit deren Gegenwart, indem sie ihr neues Album mit einer großartigen Cover-Version des 'Working Man' von RUSH beenden. Von wegen "altbacken". Tsss.

Note: 8,5/10
[Timo Reiser]

Liebe Kollegen, ihr habt ja alle Recht. Jeder für sich. Wie gerne würde ich in Timos Lobeshymne einstimmen, bin ich doch ein großer PRONG-Verehrer der ersten Stunde, der sowohl das brachiale "Force Fed"-Debüt (1988) als auch die Industrial Rock-inspirierte "Cleansing"-Platte (1994) aus tiefstem Herzen verehrt. Auch in der Folgezeit konnte Tommy Victor mich immer wieder packen und mitreißen mit den unverkennbaren Trademarks des PRONG-Sounds, ganz besonders auf "Ruining Lives" (2014). Und ich möchte noch mal betonen, dass wir hier über eine Band disputieren, die man aus tausenden sofort heraushört, also eines der wenigen und wichtigen Originale, die etwas Eigenständiges und deshalb Wertvolles geschaffen haben.

Ja, "State Of Emergency" hat ordentlich Dampf auffem Kessel, und ja, die Platte ist 100% PRONG, und ja, Produktion und Mixing sind glänzend gelungen, sodass alle Instrumente sehr gut zur Geltung kommen. Auf der handwerklichen Seite könnte es also kaum besser aussehen. Aber leider ist das lediglich das Fundament für ein wirklich tolles Album. Ich tue mich schwer, es zu schreiben, aber im Gegensatz zu einigen Kollegen hier finde ich das Songwriting auf "State Of Emergency" schlicht und ergreifend langweilig und vorhersehbar. Egal, wo ich mich in die Platte reinzappe, irgendwie klingt alles gleich. Mir fehlen schlicht und ergreifend die unwiderstehlichen Hits und pfiffigen Überraschungen. Auch nach vielen Durchläufen bleibt bei mir kaum etwas hängen. Erst ab 'Disconnected' (Titel Nummer 8!) kommt die Band ein bisschen aus der 1990er-Groove-Metal-Endlosschleife heraus und präsentiert noch ein, zwei, drei leckere knusprig-frische Songs.

Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass RUSH für mich in die Kategorie "Uncoverable Bands" fällt, was durch 'Working Man' von PRONG noch einmal eindrucksvoll bewiesen wird. Summa summarum bedeutet das also, dass alle PRONG-Fans, denen perfektes Handwerk und der typische PRONG-Klang reichen, offenbar perfekt bedient werden. Wer Esprit und sprudelnde Kreativität sucht, greift besser noch mal ins CD-Regal und holt "Prove You Wrong" oder "Cleansing" raus.

Note: 7,0/10
[Martin van der Laan]


Redakteur:
Thomas Becker

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