AMORPHIS: Tanzen ist wieder cool!

29.09.2025 | 20:58

Die finnische Band AMORPHIS hat sich zu einem Pfeiler nordischen Metals entwickelt und kann mit dem aktuellen "Borderland", dem fünfzehnten Langdreher in der Diskographie, wieder einmal ein starkes Album vorlegen.

Im Rahmen der Listening Session im Juni konnten wir, das sind Katharina und ich, Keyboarder Santeri Kallio und Gitarrist Esa Holopainen zu einem Gespräch treffen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich das Album erst einmal hören können, aber über die frischen Eindrücke ließ sich vortrefflich plauschen.

Wir sitzen im Obergeschoss des "Grünen Baums", dem Gasthof in Hamberg, wo Reigning Phoenix Music residiert. Das moderne Gebäude ist für die Zwecke von RPM perfekt, und so finden die Interviews in mehreren separaten Räumen statt.

Noch immer unter dem ersten Eindruck der gerade erst beendeten Listening Session lasse ich meinen spontanen Eindrücken freien Lauf und frage die beiden zuerst, ob sie mir zustimmen würden, dass das neue Album sehr voll, ja massiv klingt.

Esa denkt kurz nach und stimmt mir dann zu: "Ja, ich denke, das stimmt, aber es ist auch reduzierter als die letzten Alben, auf denen wir viel mit Orchester gearbeitet haben. Hier kann man alle Details hören, ich glaube aber, man muss es etwa zehnmal hören, bevor es beginnt, sich zu öffnen."

Auch Santeri schlägt in die gleiche Kerbe und bestätigt Esas Einordnung: "Es ist so massiv, wie wir es machen konnten, ohne gesondertes Orchester und weitere Elemente wie auf "Halo" und "Queen Of Time". Die Melodien sind noch stärker als auf den Alben zuvor, das ist ein bisschen überwältigend, treibend, sehr melodisch und kompakt. Es ist einfach voll mit den Dingen, die wir lieben. Wir haben in der "Skyforger"-Zeit schon mal versucht, so ein Album zu schaffen, aber damals hatten wir weder die Ressourcen noch die Zeit und produzierten auch selbst."

Das ist ein großer Unterschied, in der Tat. Die Band arbeitete erstmals mit einem neuen Produzenten, Jacob Hansen, zusammen. Der Däne ist mir natürlich durch seine Produktionen von VOLBEAT, EVERGREY, aber auch ARCH ENEMY bekannt. Er war zuvor aber auch als Musiker unter anderem bei BEYOND TWILIGHT und ANUBIS GATE aktiv. Diese progressive Seite scheint meiner Ansicht nach gelegentlich durch, aber das kann auch sein, weil ich diese Information vorher schon hatte. Hätte ich das auch gesagt, ohne von Hansens Beteiligung zu wissen? Das ist wiederum ein Beweis dafür, dass "Borderland" eben typisch AMORPHIS ist und nicht AMORPHIS und Hansen.

Santeri ist der gleichen Meinung: "Ja, das ist ein großer Unterschied. Während [der Produzent der vorherigen drei Alben] Jens Bogren immer die Kontrolle übernahm, tat Jacob das nicht. Ich erinnere mich, mit Jens war es so, dass er mehrfach meine Keyboards entfernte – ich glaube, unter anderem bei 'The Wolf'. Live spiele ich es dann immer noch so, wie wir es komponiert haben. Ich muss ja live auch etwas tun, und das war meine Idee bei dem Stück. Jens übernahm und schuf immer das Album so, wie er es hören wollte. Deswegen waren wir sehr überrascht, als wir Jacob trafen und er sagte, er wäre der Produzent, nicht die Band. Er würde die Musik nicht schaffen, das müsst ihr schon selbst tun. Aber ich glaube, wir brauchen diese Hilfe auch nicht mehr, wir machen das schon eine Weile."

Es fällt mir schwer, an den Alben vorher etwas Negatives zu finden, weil ich alle drei toll finde, und sage das auch, woraufhin Esa lacht und meint, das fänden alle – bis auf Santeri. Klar, wenn der Produzent dich aus dem fertigen Song entfernt oder zumindest reduziert, wäre wohl kein Musiker glücklich.

Santeri fügt hinzu: "Ich war manchmal mit im Mix, manchmal nicht. Das neue Album erinnert mich mehr an die Zeit, als wir die Alben selbst produziert haben – so von "Eclipse" bis "Skyforger". Da gab es niemanden, keine Anleitung. Dann hatten wir einen Produzenten, und heute sind wir wieder an dem Punkt, an dem wir es selbst machen müssen, aber mit etwas Hilfe. Es ist also eine Mischung aus Band und Produzent. Ich finde, es klingt organischer, nichts ist unverrückbar an seinem Platz, alles fließt mehr als bei den eher mathematisch arrangierten Alben zuvor. Wir nahmen auch nicht allzu viele Takes auf, betrachteten nicht jede Aufnahme mit dem Mikroskop. Wenn es sich gut anfühlte, nahmen wir es. Jacobs Sound ist so massiv, aber es ist tatsächlich nicht überproduziert, sondern sehr ursprünglich – das, was wir auch gespielt haben. Ich freue mich darauf, die Lieder live zu spielen. Ich denke, es wird viel einfacher sein, denn Jacob hat nicht viel verändert."

Nun ja, das wird sowieso nicht leicht werden, eine Setliste zusammenzustellen, wenn man bedenkt, dass die Band mittlerweile einen großen Fundus an Stücken hat, die sich alle eignen. Apropos auswählen – ich frage die beiden: Wie habt ihr eigentlich die Lieder ausgesucht für das Album, gemeinsam als Band?

Santeri verneint: "Nein, das können wir nicht. Wir Sechs sind zwar dreißig Jahre zusammen, aber wir haben immer sechs verschiedene Meinungen. Wir können uns auf nichts einigen. Wir hören unterschiedliche Musik, unterschiedliche Genres. Das ist der Grund, warum wir nach "The Beginning Of Times" mit externen Produzenten gearbeitet haben. Es war so schwierig, aus unseren fünfundzwanzig bis dreißig Liedern auszuwählen."

Esa schaut nachdenklich und bestätigt, dass die Band immer sehr viele Lieder zur Verfügung hat. Ich frage mich natürlich unwillkürlich, wie viele Kleinode die Band noch in den Schubladen schlummern hat.

Santeri fügt hinzu: "Bei "The Beginning Of Times" konnten wir uns wirklich auf nichts einigen. Soweit ich mich erinnere, versuchten wir, alle Lieder auf das Album zu bekommen. Wir konnten nicht einmal gemeinsam die Bonustracks aussuchen. Als wir Peter Tägtgren bei "The Circle" engagierten, stellte er die Trackliste zusammen und bestimmte die Bonustracks – und so machte es auch Jens. Das sagten wir dann auch Jacob, als er uns die Trackliste bestimmen lassen wollte. Ich sagte ihm: Es ist mir egal, wie du produzierst, aber du musst die Lieder für das Album aussuchen. Dadurch ist es schlussendlich kein Kompromiss-Album, sondern das Ergebnis seiner Vision des Albums. Wir können uns nicht einmal einigen, welches Lied eine Single sein soll!"

Esa bestätigt: "Es war Jacob – nein, warte, ich glaube, es war unsere Plattenfirma, die bestimmt hat, welche Lieder die Singles werden sollten. Das war gut. Wir waren außen vor und besprachen uns, und dann waren wir tatsächlich einig, dass wir der Wahl für die erste Single alle zustimmten."

Das ist natürlich eine willkommene Überleitung, denn auch wenn ich "Borderland" als bandtypisch betrachte, gibt es eine Entwicklung, die bemerkenswert ist – nämlich die beiden tanzbaren Stücke, darunter eben auch die erste Single 'Light And Shadow'. Ein perfektes Lied für die Rockclubs der Welt, oder?

Santeri lacht: "Vor fünfzehn Jahren hätte man noch gesagt: Oh nein, du kannst doch keinen Disco-Song machen! Aber heute ist Tanzen wieder cool!"

Dieser eher leichtfüßige Ansatz steht nach meinem Eindruck in einem Gegensatz zu den Liedtexten, die noch etwas düsterer geworden sind.

Santeri berichtet: "Die Texte werden weiterhin von Pekka Kainulainen geschrieben, wie schon auf den vorherigen Alben. Möglicherweise ist er etwas philosophischer geworden. Ich meine, er hat mit Tomi [Joutsen] vorher über die Weltlage gesprochen und hatte einen Zen-artigen Ansatz. Die Texte waren übrigens fertig, bevor wir die Musik hatten."

Da wir bei der Listening Session auch die Texte mitlesen konnten, frage ich die beiden danach, denn ich hatte den Eindruck, dass diesmal ungewöhnlich viele Tiere darin vorkommen.

Esa lacht: "Ich musste einige davon erst googeln." Santeri fügt grinsend hinzu: "Ich dachte zuerst: Was ist denn 'trout'? Warum die Forelle, warum kein Lachs? Den gibt es in den Seen – und eine etwas anders aussehende Art im Meer."

Natürlich möchte ich gerne noch wissen, was als Nächstes für die Band ansteht. Ich bin tatsächlich sehr gespannt, wie die neuen Lieder auf der Bühne wirken werden – vor allem nach Santeris Aussage, dass sie die Stücke in einer relativ rauen, beinahe schon Live-Atmosphäre eingespielt haben.

Santeri erwidert: "Zuerst werden wir als Support für ARCH ENEMY auf die "European Blood Dynasty"-Tour gehen. Das wird einfach für uns, denn es wird nur eine kürzere Setliste geben. Aber wir arbeiten an einer Headliner-Tour."

Esa bestätigt: "Es wird eine Tour im Herbst 2026 geben. Wir müssen ein bisschen Zeit lassen zwischen der Tour mit ARCH ENEMY und unserer nächsten – und etwas Vorlauf für den Ticketverkauf. Inzwischen werden wir möglicherweise auf einigen der größeren Festivals spielen. Das ist gerade in der Planung."

Da drängt sich natürlich eine Frage auf, die ich den beiden Finnen auch stelle: Denn wenn man sich innerhalb der Band auf nichts einigen kann, wie kriegen sie dann eigentlich eine Setliste für die Tour zusammen?

Santeri antwortet: "Da gibt es immer Unstimmigkeiten, aber wir touren alle zwei, drei Jahre. Mit etwas Geduld werden die Favoriten aller irgendwann gespielt – bei 200 Shows in diesen zwei oder drei Jahren. Jetzt haben wir mehrere starke Singles, am Ende werden es wohl vier Stück sein. Vielleicht können wir uns dadurch einigen und das Ganze einfach genießen. Ich denke, wir werden fünfzig Minuten Zeit haben. Das bedeutet, wir können neun Stücke spielen – einige Singles und ein paar Oldies, Goldies."

Ich muss grinsen. Ja, also ein halbes Dutzend Lieder von nicht weniger als vierzehn Alben. Und von "Tales From The Thousand Lakes" muss ja wohl auch immer etwas kommen, oder?

Santeri lächelt: "Ja, die Fans fragen immer, warum wir manche Lieder nicht spielen. Ich war ja auch selbst ein Fan, als das Album veröffentlicht wurde. Aber wir haben alle Songs irgendwann gespielt. Es ist kompliziert mit so vielen Alben, wenn nicht gerade ein besonderes Jubiläum ansteht. Zum dreißigjährigen Bestehen haben wir tatsächlich drei Setlisten zusammengestellt – über die erste, zweite und dritte Dekade –, bei der jeder ganz demokratisch jeweils fünfzehn Songs aufgelistet hat, und Tomi hat das Ganze dann mit Excel ausgewertet. Da war jeder glücklich."

 

Fotos: Interviewbilder Katharina Jäger, Bandfotos Frank Jäger, Live-Fotos Barbara Soparth (Konzert am 27.10.2023 in Köln)

Redakteur:
Frank Jaeger

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