Election 2
- Regie:
- Johnny To
- Jahr:
- 2006
- Genre:
- Thriller
- Land:
- Hongkong (China)
- Originaltitel:
- Hak se wui yi wo wai kwai
1 Review(s)
20.12.2007 | 11:05Gangsterdrama: Harmonie als Teufelspakt
Die Mitglieder der Wong-Sing-Triade haben sich über die letzten zwei Jahre fett gefressen. Ihre Brieftaschen sind so dick wie schon lange nicht mehr. Das haben sie vor allem ihrem Boss, Lok, zu verdanken.
Nun stehen wieder Wahlen an. Kandidaten für den Posten gibt es wenige, und nur Jimmy, der über die letzten Jahre mit Raubkopien eine Menge Geld erwirtschaften konnte, scheint der richtige Mann für das Amt zu sein. Doch der ist nicht interessiert. Ihm geht es ums Geschäft, und in die Angelegenheiten der Triaden möchte er sich nicht einmischen.
So beginnt Lok sich in den Gedanken, für weitere zwei Jahre dieses Amt auszufüllen, zu verlieben und entscheidet sich, entgegen der Tradition, erneut zu kandidieren. Hongkongs Polizei, die in Jimmy einen geringeren Gefahrenherd als in Lok sieht, verspricht ihm, für den Fall, dass er der neue Anführer Hongkongs Unterwelt werden sollte, seinen Handelsgeschäften nicht in die Quere zu kommen und diese sogar zu unterstützen. Der erste Schritt zu einem erbitterten "Wahlkampf", den der Verlierer mit dem Leben bezahlt.
Filminfos
O-Titel: Hak se wui yi wo wai kwai (HK 2006)
Dt. Vertrieb: e-m-s (6. Dezember 2007)
FSK: ab 18
Länge: ca. 90 Minuten
Regisseur: Johnny To
Drehbuch: Yau Nai Hoi, Yip Tin Shing
Musik: Lo Tayu u.a.
Darsteller: Louis Koo (Election, Zu Warriors ), Simon Yam (Tomb Raider - Die Wiege des Lebens, Wake of Death ), Nick Cheung (Exiled, Election, Breaking News) u. a.
Vorgeschichte
Die Triaden - eine mafiaähnliche Verbrecherorganisation - haben einen beträchtlichen Anteil an der Gesellschaft Hongkongs. Sie zählen etwa 300.000 Männer - Frauen sind nicht Mitglieder, arbeiten aber natürlich mit am Erfolg ihrer Männer. Triaden gibt es schon seit etwa 2000 Jahren, gegründet als Untergrundbewegung. Aber erst seit 200 Jahren bekommt der Anführer der Wo Shing, der ältesten Triade Hongkongs, als Zeichen seiner Würde das Drachenkopfzepter. Nur wer das Zepter besitzt, wird auch allgemein anerkannt.
Wie sich zeigt, ist die Erlangung des Zepters keineswegs selbstverständlich, wie Lin Huai Lok herausfinden muss. Er ist vom Ältestenrat der Triade, den "Onkeln", gewählt worden, und siegt damit über Big D, einen draufgängerischen Neureichen, der nur mit Geld und Gewalt regiert. Lok hingegen hält die Tradition hoch, erweist Respekt und bekommt Loyalität. Und das Geld strömt nur so.
Handlung
Li Jiuyan, den alle Jimmy nennen, will sich nach Jahren des Reichwerden durch Raubkopieren von Pornos zur Ruhe setzen und eine Familie gründen. Er hat vor, sich auf dem Festland an einem Logistikzentrum zu beteiligen. Dass dorthin, wo jetzt noch Reisfelder liegen, drei Autobahnen führen sollen, ist ein für seinen Investor Mr. Guo lukrativer Nebenaspekt. Die geschmierten Behörden haben nichts dagegen einzuwenden, wenn Jimmy endlich legale Geschäfte machen will. An dieser Sache ließen sich locker 100 Millionen verdienen. Und auf dem Berg, der dies alles überblickt, plant Jimmy ein Häusle für sich und seine Frau.
Doch Ungemach dräut in Form der Triaden. Sie haben bisher Jimmy protegiert und nun, da die nächste Wahl des Anführers der He Lian Sheng/Wo Shing/Hong Men (mir ist unklar, wie sie letzten Endes heißt) ansteht, soll, so "Onkel" Deng, Jimmy auch mal was für die Triade tun. Jimmy müsste allerdings gegen Lok (Simon Yam) antreten und das Drachenkopfzepter, das Zeichen der Amtswürde, für sich gewinnen. Wer weiß, wo Lok es versteckt hat.
Als Jimmy in eine kleine Razzia der Polizei gerät, wird ihm klar, dass es noch einen weiteren Mitspieler gibt: die Polizei. Herr Shi, der Chef der Inneren Sicherheit in der Provinz Guangdong (= Kanton), macht ihm durch die Blume deutlich, dass diese Festnahme nur ein Warnschuss war. Wenn Jimmy brav ist, wird es keine weiteren Razzien mehr geben. Und er soll gegen Lok antreten. Wenn er nicht spurt, wird er keine Geschäfte in Guangdong mehr machen, und das Logistikzentrum kann er sich sonstwohin stecken.
Nachdem der Triadenrat festgestellt hat, dass es einen Polizeispitzel unter ihren Mitgliedern geben muss - eine normale Sache, findet Onkel Deng -, erklärt sich Jimmy bereit, denjenigen ausfindig zu machen. Es ist sein neuer Rekrut aus dem Boxklub. Er fährt den Kiffer hinaus auf einen See, wo ihn andere "Brüder" in Empfang nehmen und diskret unter Wasser entsorgen. Von nun an geht es mit Jimmys moralischen Prinzipien steil bergab. Aber wie soll er an Lok herankommen? Der Mann scheint unangreifbar zu sein. Er besorgt sich einen fähigen Killer.
Aber auch Lok hat vorgesorgt. Er gedenkt, noch eine Weile Anführer der Triade zu bleiben. Auch er hat seinen privaten Killer: Jet (den wir schon in einer der ersten Szenen des ersten Teils beim Porzellanfuttern sahen). Und da sich Lok mit seinem Konkurrenten Dong Wanzi geeinigt hat, stehen sich nun Lok und Jimmy direkt gegenüber. Lok lässt Herrn Guo, Jimmys Hauptinvestor, entführen, dann setzt er Jet auf Jimmys Frau an. So beginnt der Krieg ...
Mein Eindruck
Der anfangs noch relativ unabhängige Jimmy kann am Ende zwar Loks Imperium übernehmen und wie gewünscht seine Familie gründen, aber um den Preis der völligen Preisgabe seiner moralischen Prinzipien, seiner Unschuld und seiner rechtlichen wie wirtschaftlichen Unabhängigkeit. Er mag zwar die Triaden anführen - zumindest für zwei Jahre "Regierungszeit" - doch er wird selbst ebenfalls regiert: von Herrn Shi und dessen politischen Vorgesetzten.
~ Triaden als Marionetten ~
Auf diese Weise regiert der chinesische Staat direkt in das Verbrechen in Hongkong hinein. Herr Shi & Co. verdienen wahrscheinlich ein hübsches Sümmchen mit, aber wichtiger noch ist ihnen die Ruhe und Beständigkeit einer permanenten Anführerschaft durch Jimmy, den sie unter Kontrolle haben. Für Jimmy ist fortan alles hohl. Das neue Leben, das seine Frau bereits in sich trägt, ist bereits mit dem Leben zahlreicher Männer auf den Straßen Hongkongs erkauft worden.
~ Semi-Doku ~
Wieder zeigt Johnnie To mit einem semidokumentarischen, ruhig und realistisch gehaltenen Stil, wie die Mechanismen der Macht in der Unterwelt funktionieren. Ich möchte hier nicht meine Ausführungen zu "Election 1" wiederholen, die Tos Film mit den "Pate"-Filmen Coppolas vergleichen. Die Parallelen sind offensichtlich, die Unterschiede weniger. Dieser Film beispielsweise ist mit einer ziemlich traurigen Musik versehen worden, so als ob wir einer Tragödie zusähen statt einem Drama. Nur in wenigen Actionszenen tritt an die Stelle der Violinen eine rhythmisch drängende Trommel. Für einen Gangsterfilm ist das ziemlich ungewöhnlich.
~ Gewalt: viel davon (SPOILER!) ~
Auch die Ballerorgien des typischen HK-Kinos gehören hier der Vergangenheit an. Kein einziger Schuss wird abgefeuert, obwohl ständig mit Ballermännern herumgefutchtelt wird. Stattdessen kommen machetenartige Schwerter zum Einsatz. Und ein riesiger Hammer für Bauarbeiter. Die Rede ist von den blutigsten Szenen des ganzen Films.
Jimmy muss es gelingen, ein paar von Loks Männern "umzudrehen", damit er sie als Verräter einsetzen kann. Er hat ungefähr sechs bis acht einfangen und in ein Tierheim verfrachten lassen, um sie dort in Zwinger zu sperren. In diese Zwinger sperrt er auch angekettete Schäferhunde, die ziemlich hungrig aussehen. Doch die Angst, gefressen zu werden, reicht nicht, um Loks harte Jungs weichzukochen. Ein zerschlagene Hand? Pippifax. Eine paar gebrochene Rippen? Tausendmal gesehen, Mann. Unmengen von Geld? Lieber sterben. Doch dann tut Jimmy etwas, das selbst seinen Adjutanten zum Kotzen bringt: Er zerstückelt einen der Gefangenen, dreht die Fleischstücke durch den Fleischwolf und gibt den Schäferhunden ein verdientes Fresschen. Da werden die hartgesottenen Verbrecher endlich weich.
~ SPOILER ENDE ~
Wie man sieht, hat Jimmy nicht nur seine moralischen Prinzipien (falls er welche hatte) aufgegeben, sondern auch jede Selbstachtung und sogar einen Teil seiner Menschlichkeit. Er ist fast ganz unten angekommen, aber es geht noch tiefer runter. Falls er denkt, er habe sich mit Loks Eliminierung gegenüber der Polizei freigekauft, so hat er sich geschnitten. Denn diese verrät ihn nun - und dankt ihm für seine Kooperation.
~ Harmonie ~
Harmonie ist doch was Schönes. Harmonie ist dasjenige Ideal, das im Vorspann/Prolog von einem idealistisch gesinnten Triadenbruder von Seinesgleichen gefordert wird. Vor diesem engagierten Appell zeigt der Film Bilder von Prüfungen, die während eines Aufnahmerituals absolviert werden müssen. Außerdem werden historische Schwarzweißfotos gezeigt, auf denen chinesische Sklaven (oder sehr junge Verbrecher) zu sehen sind sowie eine Menschenmenge. Momentaufnahmen aus der Geschichte der Kronkolonie Hongkong, aber von der weniger rühmlichen Seite, die nicht in den Geschichtsbüchern auftaucht, die die Sieger schreiben. Harmonie? Hat es nie gegeben, und wird es auch nie gegeben, höchstens als Marionettentheater - siehe oben.
Die DVD
Technische Infos
Bildformate: 2,35:1 (anamorph)
Tonformate: D in DTS und DD 5.1, Kantonesisch in DD 5.1
Sprachen: D, Kantonesisch
Untertitel: D
Extras:
- Originaltrailer
- deutscher Trailer
- Interview mit Simon Yam & Johnnie To (10:36 Min., deutsch untertitelt)
- Making-of (deutsch untertitelt)
- Darstellerprofile
Mein Eindruck: die DVD
Die Qualität von Bild und Ton ist wie schon im ersten Teil vom Feinsten. Mit DTS-Sound erhält man zwar stärkere Bässe, doch nützt einem dies wenig, denn die Szenen mit Trommel-Musik sind sehr spärlich gesät. Häufig ist jedoch das melancholische Motiv eines Streicherquartetts zu hören, das richtig deprimierend klingt.
Die zwei Trailer sind ziemlich identisch und sogar gleich lang.
- Darstellerprofile
Hierbei handelt es sich um die Bio- und Filmografien von Regisseur Johnnie To und der Darsteller Simon Yam (Lok), Louis Koo und Nick Cheung.
- Making-of (7:05 Minuten, deutsch untertitelt)
Dies ist kein "Werkstattbericht" im üblichen Sinne, sondern quasi eine Meditation darüber, wie sich der Filminhalt zur gewandelten Realität verhält. Diese Realität besteht in neun Jahren chinesischer Herrschaft über Hongkong, das vom Festland abhängig geworden ist. Damit muss sich die Mafia (= Triade) arrangieren. Stellvertretend für dieses Thema wird der Weg Jimmys dargestellt. Das war's auch schon.
- Interview Simon Yam & Johnnie To (10:36 Minuten, deutsch untertitelt)
Yam sagt, dass beim Dreh von "Election 1" so viel Material übrig blieb, dass man einiges von "Election 2" damit bestreiten konnte. Johnnie To meint, ob es einen 3. Teil gibt, hänge von der Mafia (= Triade) selbst ab. Eventuell also in acht bis zehn Jahren. "Election 2" sei ebenso authentisch und gut recherchiert wie Election 1. Im Großen und Ganzen entsprächen sie der Realität.
Zu den Gewaltszenen meint er nur, dass sie natürlich die Zuschauer schockieren sollen. In der Szene mit dem Zerhacken (eines gefangenen Lok-Untertanen) wird deutlich, dass Jimmy auch das letzte Stück "Rückgrat", also moralische Standhaftigkeit und Selbstachtung, verloren hat. Dann sagt To etwas Rätselhaftes: Er wollte in dieser Szene Ehrfurcht erzeugen. Das kann ich nicht nachvollziehen. Er selbst hatte Zweifel, ob er diese Szene zeigen soll, und deshalb habe er nur 30 Prozent des gedrehten Materials für die Endfassung verwendet.
Unterm Strich
Hat Lok in "Election" seine Macht gewonnen, so verliert er sie nun wieder. An Jimmy, der sich auf einen Teufelspakt mit den Sicherheitsbehörden einlassen muss, will er weiterhin Geschäfte in China machen. Und so wie er die Macht gewinnt, wird sie ihm auch wieder genommen, denn schließlich hat er sich verkauft - und wird betrogen. So ist das nun mal mit Teufelspakten. Nur dass diesmal eine Regierung dahintersteckt. Harmonie gibt es also durchaus, aber es ist die "Harmonie" von Abhängigkeit und Kontrolle. Das war Jimmys Selbsttäuschung.
Der zweite Teil des "Election"-Zyklus (es gibt noch keinen 3. Teil) ist sehr viel übersichtlicher und einfacher, aber deshalb nicht weniger schlagkräftig als der erste. Die blutigen Gewaltszenen dürften jedem Zuschauer im Gedächtnis bleiben. Dabei sind die Szenen des Zerhackens nur angedeutet. Ob der Regisseur hier wirklich Ehrfurcht (engl. "awe") erzeugen wollte? Vielleicht liegt es an der Übersetzung, und er wollte etwas anderes auslösen. Zumindest eine Wirkung erreicht er voll und ganz: schockiertes Entsetzen. Da freut sich die Splatter-Fraktion.
Es gilt also das Motto: Ansehen, schockiert werden, vergessen.
- Redakteur:
- Michael Matzer