Election
- Regie:
- Johnnie To
- Jahr:
- 2005
- Genre:
- Action
- Land:
- Hongkong
- Originaltitel:
- Hak se wui
1 Review(s)
04.10.2007 | 12:33Ballade von der Jagd nach dem Drachenkopfzepter
Die Triade der Wo Shing, die älteste Triade in Hongkong, will ein neues Oberhaupt für den kriminellen Geheimbund wählen. Die Ältesten treffen sich, um den geeigneten Gangster zu bestimmen. Ihr Favorit ist Lok (Simon Yam), ein umsichtiger und weiser Vertreter seiner Zunft. Doch auch der psychopathische Big D (Tony Leung Kai Fa) meldet seine Ansprüche auf den Vorsitz an, ein Ziel, das er mit allen Mitteln verfolgt. So kommt es zu einem erbitterten Machtkampf zwischen den zwei Rivalen - ein Machtkampf, der gegen alle Sitten und Gebräuche der Triaden verstößt, da man normalerweise darauf bedacht ist, interne Streitigkeiten durch Verhandlungen zu lösen.
Filminfos
O-Titel: Hak se wui (HK 2005)
Dt. Vertrieb: e-m-s (5. Juli 2007)
FSK: ab 18
Länge: ca. 96 Min.
Regisseur: Johnnie To ("Fulltime Killer", "Running out of Time 1 & 2")
Drehbuch: Yau Nai Hoi, Yip Tin Shing
Musik: Lo Tayu
Darsteller: Simon Yam ("Tomb Raider: Cradle of Life", "Bullet in the Head", "Full Contact"), Tony Leung Ka Fai ("Dumplings", "Ashes of Time", "Der Liebhaber"), David Chiang ("Das Schwert des Gelben Tigers", "Just Heroes / Hard-Boiled 2") u. a.
Handlung
Die Triaden - eine mafiaähnliche Verbrecherorganisation - haben einen beträchtlichen Anteil an der Gesellschaft Hongkongs. Sie zählen etwa 300.000 Männer - Frauen sind nicht Mitglieder, arbeiten aber natürlich mit am Erfolg ihrer Männer. Triaden gibt es schon seit etwa 2000 Jahren, gegründet als Untergrundbewegung. Aber erst seit 200 Jahren bekommt der Anführer der Wo Shing, der ältesten Triade Hongkongs, als Zeichen seiner Würde das Drachenkopfzepter. Nur wer das Zepter besitzt, wird auch allgemein anerkannt.
Wie sich zeigt, ist die Erlangung des Zepters keineswegs selbstverständlich, wie Lin Huai Lok herausfinden muss. Er ist vom Ältestenrat der Triade, den "Onkeln", gewählt worden und siegt damit über Big D, einen draufgängerischen Neureichen, der nur mit Geld und Gewalt regiert. Lok hingegen hält die Tradition hoch, erweist Respekt und bekommt Loyalität. Sein großer Plan besteht darin, das gesamte Vergnügungsviertel der Millionenmetropole unter seine Kontrolle zu bringen - Wert ca. zehn Millionen Dollar im Monat!
Doch Big D, der sich auf seine Frau Lei und ihre Hausmacht stützt, will sich mit der Wahl Loks nicht abfinden. Durch Kidnapping und Folterung zweier Lok-Anhänger zwingt er den Verwalter des Zepters, Siu Shi, dessen Herausgabe zu verweigern. Schach!
Allerdings hat - o Wunder! - auch die Polizei der Stadt ein Wörtchen mitzureden. Der Kommissar lässt alle Bosse der Triaden, darunter Big D und Lok, in separaten Zellen festsetzen. Bei der Festnahmeaktion wird Siu Shi schwer verletzt und ist fortan unansprechbar. Allerdings hat er seinen Assistenten bereits zum Versteck des Zepters geschickt. Es wird nicht ganz klar, auf welche Weise (hier wurde der Film möglicherweise gekürzt), aber Leute von Lok bekommen das heraus, verfolgen den Assistenten und schnappen sich das Zepter - in letzter Sekunde, bevor die chinesische Festlandpolizei zuschlägt. Diese hat offenbar einen Tipp erhalten. Sogar der Kommissar hat einmal den Triaden angehört.
~ 48 Stunden später ~
Der Hauptkommissar der Hongkonger Polizei stellt die "Onkels", die Ältesten der Triaden, vor die Wahl: Entweder sie bekommen Big D unter Kontrolle oder es wird zurückgeschlagen. Alles, was er will, ist nicht etwa die Zerschlagung der 50 Triaden in seiner Stadt, sondern Ruhe und Ordnung, und die erlangt er nur durch ein Gleichgewicht der Kräfte. Dieses aber hat Big D gekippt, als er Lok die Gefolgschaft verweigerte und drohte, eine eigene Triade zu gründen. Als Big D sich trotz der Vorhaltungen der "Onkels" weigert, klein beizugeben, erklärt der oberste Älteste ihm die Ächtung und den Krieg. So einfach ist das.
Lok hat über seinen Anwalt inzwischen weiterregiert. Dieser hat - wohl mit Hilfe anderer Triadenanführer - herausbekommen, wer das Zepter gerade wo in seiner Obhut hat. Wie gut, dass es Handys gibt. Alle "Brüder" auf den unteren Befehlsempfängerebenen haben eins und sind ständig erreichbar, wo es ein Netz gibt. Lok gibt über den Anwalt entsprechende Befehle aus. Aber auch Big D legt die Hände nicht in den Schoß und gibt über seinen eigenen Anwalt und seine Frau entsprechende Gegenbefehle. Ein Wettlauf um das Zepter beginnt.
Der Lieferwagen, dessen Fahrer das Zepter hütet, wird verfolgt und auf dem Festland gestoppt. Doch es gibt eine kleine Überraschung: Das Fahrerhäuschen ist leer! Der Fahrer hat Lunte gerochen und ist in ein nahes Feld getürmt. Eine wilde Suchaktion beginnt. Zunächst ist unklar, wem die Brüder folgen - ist es Lok oder Big D? Vielleicht wissen sie es selbst nicht. Eines ist aber gewiss: Der Weg des Zepters ist mit Leichen gepflastert …
Mein Eindruck
"Election" ist wie eine Symphonie aufgebaut. Diese fängt ganz langsam und harmlos an. Die Bilder sehen aus wie in einem Film aus der "Pate"-Reihe. Wieder einmal werden Triadenmitglieder verhaftet, wieder mal versucht Big D Stimmen zu kaufen. Es ist Alltag, aber man merkt, dass sich etwas Wichtiges anbahnt. Warum die Polizei immer wieder gegen die Triaden vorgeht, bleibt im Dunkeln, denn der Film blendet die politische Ebene völlig aus. Deren Vertreter ist allenfalls der Hauptkommissar, und dessen Standpunkt ist klar: Ruhe und Ordnung durch Gleichgewicht der Kräfte. Warum aber lässt er dann die Spitzen der Triaden hochgehen?
Denn dadurch wird lediglich der Kampf außerhalb der Gefängniszellen der Polizeistation verschärft. Die Onkels können nicht mehr korrigierend vermitteln. Der Kampf um den Besitz des Zepters mündet deshalb in eine blutige Straßenschlacht. Dennoch fällt kein einziger Schuss in diesem Film. Nirgends ist eine Feuerwaffe zu sehen. Man kämpft mit den Mitteln des ersten Jahrhunderts, als die Triadenbewegung entstand: Messer, Schwerter, Felsbrocken und Knüppel. Nur die Methoden der Kommunikation und Fortbewegung sind wesentlich verbessert. Der Film stellt so eine direkte Verbindung zur fernen Vergangenheit her.
Doch so weit ist diese Vergangenheit gar nicht entfernt. Als sich Lok und Big D einem Verbrüderungsritual unterziehen und parallel dazu andere Bürger sich in eine Triade aufnehmen lassen, werden uralte Rituale sinnlich erfahrbar. Der Ort ist wichtig: der Tempel Gao Xi des Kriegsgottes. Der mit Blut besiegelte Schwur von Treue und Gehorsam ist im Wesentlichen der gleiche wie vor 2000 Jahren, als fünf Shaolin-Mönche die erste Triade Hong Men gründeten und alle ihre Mitglieder zu Brüdern machten.
Die Symphonie der Gewalt geht in den letzten Akt. Der Triumph Loks ist vollständig. Er hat mit Big Ds Hilfe das begehrte Vergnügungsviertel übernommen, nun fließen Millionen in seine Kassen. Doch irgendwie setzt der Erfolg Big D Flausen in den Kopf, dass er nämlich, wie in anderen Triaden üblich, gleichberechtigt neben Lok regieren könne. Diese verwegene Idee treibt ihm Lok buchstäblich aus dem Schädel …
Man sieht das schockierte Entsetzen ins Gesicht von Loks etwa neunjährigem Sohn geschrieben. Der Mord an Big D, der in der Idylle eines Stausees beim Angeln erfolgt, ist Erinnerung daran, dass unter der ruhigen Oberfläche der Beherrschtheit stets die pure Gewalt lauert. Diese Gewalt schert sich nicht um Tradition und Treueschwüre. Während Big D sie anfangs offen an den Tag legte, so tut dies Lok in einem stillen Winkel des Landes. Aber im Grunde besteht kein Unterschied zwischen Lok und seinem Rivalen.
Laut seinen Statements im Making-of wollte Johnnie To demonstrieren, dass die heutigen Triaden alle Ideale ihrer ursprünglich demokratischen Bewegung mit Füßen treten. Nur noch Gewalt und Geld seien die tonangebenden Prinzipien. Das mag schon stimmen, wenn man sich das Verhalten Loks und Big Ds anschaut. Aber was hat er denn von einem Gegenstück des "Paten" erwartet - die Eröffnung von Kindergärten?
Die Triaden verlassen sich nur auf sich selbst, sie bilden eine Gesellschaft innerhalb der Gesellschaft, und wo es ums Geld geht, hört bekanntlich die Freundschaft auf. Nur um diese Binsenweisheit unter Beweis zu stellen, hätte To nicht diesen Film drehen müssen. Die einzige Berechtigung für den Streifen ist der außergewöhnliche Stil der Inszenierung. Es gibt keine einzige der berühmt-berüchtigten Ballerorgien, vielmehr bestimmen die Gesetze der Vergangenheit die Auseinandersetzungen. Es geht immer Mann gegen Mann.
Über allem liegt eine ruhige Musik, die oft von Saiteninstrumenten und - in spannenden Momenten - von einer tiefen Trommel dominiert wird. Mehrmals wird allerdings ein romantisches Liebeslied angestimmt, indem es um die Versorgung eines Triadenangehörigen durch seine Geliebte geht. Diese Fürsorglichkeit als Ideal steht zwar in den "Statuten" der Triaden, aber im krassen Gegensatz zur gängigen Praxis. Wenn das Lied für das Bewusstsein, das Über-Ich, steht, dann steht der Kampf für das Sein, für das Ich und das Es der Mitglieder.
Der Film entlarvt - genau wie ein Mafiafilm -, wie sich die Triadenmitglieder ständig selbst etwas vormachen. Andererseits: Für ein Kind aus der unterdrückten, rechtlosen Schicht gibt es keinen anderen Weg, um nach oben zu gelangen, als den der Gewalt und den der Triaden. Auch dies verschweigt der Streifen. Wenn To wirklich, wie er behauptet, dokumentarisch über die Geschichte der Triaden Hongkongs berichten wollte, so hat er jedenfalls nur eine Facette erfasst. Aber mehr Statements kann ein Spielfilm, der unterhalten soll, vielleicht nicht machen.
Die DVD
Technische Infos
Bildformate: 2,35:1 (anamorph)
Tonformate: DTS (deutsch), Dolby Digital 5.1 (deutsch, kantonesisch)
Sprachen: D, Kantonesisch
Untertitel: D
Extras:
- Making of
- Originaltrailer
- deutscher Trailer
- TV-Spots
- Trailershow: Silmido; Running out of time 2; Lady Vengeance; Fulltime Kiler; The Remaker; Bubba Hotep; New Police Story; Running Scared.
Mein Eindruck: die DVD
Die Bildqualität ist weitgehend einwandfrei und entspricht dem modernen Standard (außer HD natürlich). Auf Amazon steht ein Bericht, der über vereinzelte Fehler informiert. Diese fielen mir jedoch nicht auf.
Der Sound ist ganz besonders im DTS-Standard hervorragend. In diesem Standard ist der Bass dominierend, und wer die Stabilität seiner Hauswände testen möchte, sollte die Lautstärke voll aufdrehen. Wenn dann die Basstrommel dröhnt, könnte es spannend werden … Der DD-5.1-Standard ist klanglich ebenso gut, aber die Bässe sind zurückgenommen und das Klangbild ausgewogener. Deshalb ist DD 5.1 wesentlich verbreiteter als DTS.
~ Das Bonusmaterial ~
Die Trailer haben wie stets den Werbecharakter eines Appetitanregers, die TV-Spots umso mehr. In der Trailershow ist ein weiterer Film von To zu besichtigen, namlich "Running out of Time 2". Neben den Bio- und Filmografie von Simon Yam (Lok), Tony Leung Ka Fai (Big D) und Johnnie To ist vor allem das Making-of wohl noch am ehesten als Bonusmaterial zu bezeichnen.
Die Hauptdarsteller sekundieren ihrem Regisseur mit ihren Statements über Inhalt und Aussage des Films. Ob sich Johnnie To mit den Triaden durch das Drehen des Films anlegte, ist nicht zu erfahren, nur zu vermuten. (Irgendwo muss er ja seine Genehmigung für das Filmen einer Aufnahmeprüfung herbekommen haben.) Szenen vom Dreh wechseln sich übergangslos mit Filmszenen ab, was wenig mit kritischem Hintergrundmaterial zu tun hat.
Wenn es sich bei "Election" um eine "Major Production" handeln sollte, so ist das Bonusmaterial eher enttäuschend zu nennen. Und dass Tarantino dies den "besten Film des Jahres" nannte, ist einfach lächerlich.
Unterm Strich
Ich musste den Film zweimal ansehen, um die Fülle des Personals mit den fremdländischen Namen (hier sind Untertitel sehr nützlich) zu überblicken, es einzusortieren und die Zusammenhänge zu begreifen. Selbst jetzt noch sind einige Übergänge unklar, wie ich in der Inhaltsangabe angedeutet habe. Der Film vermittelt das Gefühl, schlauer zu sein als der Zuschauer, und erzeugt das falsche Gefühl, ein Erster-Klasse-Film zu sein, dessen Handlung über den Horizont des Betrachters geht. Dabei ist alles im Grunde ganz einfach.
Da der gewählte neue Bandenanführer ohne das Zeichen seiner Würde nichts gilt, hebt eine banale (aber wie stets schön fotografierte) Jagd nach diesem Objekt der Begierde (eine Art McGuffin) an, die in eine Schlacht mündet. Danach vertragen sich alle wieder und machen die Konkurrenz nieder. Bis zum nächsten Verrat. Ende der Geschichte. Fazit: eine Menge Leichen und jede Menge zertrampelter Ideale (was man ironisch auffassen kann oder nicht).
Was ich mitnehme, ist ein erhellender Einblick in das Innenleben der Hongkonger Triaden. Aber wenn man schon ein paar Fernostthriller von Lustbader oder Marc Olden gelesen hat, das ist das auch nichts Neues mehr. Einen Actionthriller wollte To aber keineswegs machen, sondern eine dokumentarische Darstellung der heutigen Triaden, eine langsame Ballade über einen umstrittenen Machtwechsel.
Die Unterhaltung hält sich hinsichtlich der Gewalt zurück - keine Ballerorgien -, aber die Spannung kommt dennoch nicht zu kurz, allerdings nur streckenweise. Es ist, als schaue man einen "Paten"-Film (am besten Teil 2), in dem alle chinesisch reden und denken, aber im Grunde nichts anderes tun als alle Mafiosi auf der Welt.
Der qualitative Eindruck von der in einen Blechschuber gesteckten DVD ist ausgezeichnet, aber das Bonusmaterial hätte üppiger und gehaltvoller ausfallen können. Vielleicht müssen wir dafür auf die Sammlerausgabe warten.
- Redakteur:
- Michael Matzer