ProgPower Europe 2006 - Baarlo (NL)

17.10.2006 | 00:32

29.09.2006, JC Sjiva

Sonntag, 01.10.2006

Was, schon der letzte Tag? Wir sind doch gerade erst angekommen ... mein Kopf erinnert mich allerdings daran, dass ich abends zuvor mit den Russen sowie diversen Deutschen und Polen bei einem gemütlichen Sit-In in unserem Elfbett-Zimmer ordentlich versackt bin. Während ich mir nach dem Frühstück noch ein Nickerchen gönne, absolviert NOVA ART-Sänger Andrew lustige Stimmübungen auf Russisch, und auch der Rest des Quintetts spielt sich ein wenig warm. Bereits bei dem vorabendlichen Whisky-Gelage wurde deutlich, dass die Jungs sich gut zu verkaufen wissen. Meine neugierige Fragen nach ihrer stilistischen Ausrichtung wurde mit einem vagen "Metal" abgespeist (was meine Neugierde aufgrund der Geheimniskrämerei nur noch steigerte), und der Sänger kritzelte zwar die ganze Zeit eifrig irgendwelche englischen Wortfetzen auf einen Zettel, ließ diesen aber wie ein ertapptes Schulkind sofort verschwinden, wenn ich einen Blick darauf zu werfen versuchte.
[Elke Huber]

War spät gestern. Sehr spät. Nachdem ich gegen fünf Uhr morgens ins Bett gefallen bin, fällt das Aufstehen nicht so wirklich leicht. Immerhin weiß ich jetzt, dass es sich mit Dänen, Engländern, Australiern, Schweden, Finnen, Deutschen und natürlich Holländern wunderbar feiern lässt - insbesondere dann, wenn genügend Bier da ist. Zum Glück fällt der Kater auch typisch holländisch, also putzig-klein aus. Puh.
[Rouven Dorn]

SPHERE OF SOULS
SPHERE OF SOULS, ein mir völlig unbeschriebenes Blatt, sollten den zweiten Tag des bislang großartigen Festivals einläuten. Und zumindest in einem sind wir uns alle einig, die Kugelseelen haben alle extrem edle Instrumente. Mich erinnert die Musik dieses niederländischen Fünfers ziemlich an progressiven US-Metal à la early FATES WARNING oder - wer kann sich noch erinnern? - DIVINE REGALE, vor allem wegen des Gesangs. Edle Referenzen also, auch wenn diese nicht ganz erreicht werden, denn manchmal finde ich das Songwriting etwas holprig und einfallslos, aber gewisse Momente lassen die Erwartung zu, dass diese Band bald noch viel besser werden könnte. Voll den Nerv des Rezensenten hat die tolle Coverversion von FATES WARNINGs 'One' (vom "Disconnected"-Album) getroffen. Toller Song, tolle Interpretation, danke, meine Kollegen können bezeugen, dass ich glücklich war.
[Thomas Becker]

NOVA ART
"Eigentlich wollte man ja eine bekannte Metal-Band engagieren, die dann aber leider keine Zeit hatte. Als die Veranstalter dann erfuhren, dass wir einen ihrer Songs covern, durften wir für sie einspringen." Die Rede ist von SYSTEM OF A DOWNs 'Toxicity', und auch wenn NOVA ART-Sänger Andrew ein "das war ein Witz" hinterherschiebt, verdeutlicht diese Ansage doch, dass es den Russen am nötigen Selbstbewusstsein nicht fehlt.

Der schmächtige und im Gespräch eher stille Fronter, der bei einer spanischen Modenschau wegen Unterschreitung des erforderlichen Body-Mass-Indexes vermutlich sofort wieder nach Hause geschickt würde, trägt seine üppige Lockenmähne inzwischen halb offen und geht auf der Bühne ab wie ein Zäpfchen. Seine Gesangsleistung spaltet die Redaktion allerdings in zwei Lager. Meiner Meinung nach hat er zwar keine ausgesprochen wohlklingende Stimme, vermag diese aber sehr effektvoll einzusetzen. Das Spektrum reicht dabei von dramatischem Flüstern, mysteriösen Spoken-Words-Passagen, wütendem Gebrülle und klaren Vocals. Und durch seine theatralische Bühnenperformance überspielt er lässig die eine oder andere Unsauberkeit: Wenn er nicht gerade wie ein Derwisch in die Luft springt, vollführt er irre blickend zuckende Armbewegungen. Zur nur von spacigen Keyboard-Klängen begleiteten Ballade 'Memories', bei der alle Musiker bis auf den Tastenmann von der Bühne verschwinden, haucht Andrew seinen Part zusammengekauert am Boden, was die zarte Melodie noch zerbrechlicher wirken lässt. In anderen Stücken wird aber auch mal nu-metallisch gerockt, was die Instrumente hergeben.

Die Ansagen klingen zwar ein wenig einstudiert und konstruiert, verstärken aber trotzdem den professionellen Gesamteindruck, weil der Fronter gar nicht erst in die Verlegenheit kommt, sich halbherzig in der für ihn nicht ganz so geläufigen englischen Sprache etwas zurechtzustammeln. Und was tut eine Band, um ein Publikum zum Mitmachen zu animieren, das mit ihren Songs nicht vertraut ist? Sie bringt den Anwesenden auf die Schnelle den Refrain von 'Freedom Of A Closed Space' bei, lässt die linke Hallenhälfte den ersten Teil singen und die rechte den zweiten ... das kommt sehr gut an, und im Laufe der Show werden die vorderen Reihen immer dichter und der Applaus immer lauter. Dass NOVA ART noch eine sehr junge Band mit entsprechend wenig eigenem Material sind, zeigt sich lediglich dadurch, dass das Set keine richtige Zugabe mehr hergibt und daher der dritte Song 'Searching For The Light' nochmals als solche herhalten muss. Ansonsten aber ein sehr abwechslungsreicher Auftritt!
[Elke Huber]

VOYAGER
Hihi, wie geil! Ich kann mich noch dunkel erinnern, die Aussies mal auf meine Habenwill-CD-Liste gesetzt zu haben, dennoch kannte ich bis zu ihrem Auftritt noch keinen einzigen Ton. Und während sich der Rest der POWERMETAL.de-Schreiberlinge angewidert nach draußen verzieht, tanze und lache ich mich zusammen mit einem finnischen Besucher fast in Extase. Geht auch gar nicht anders, denn YOAGER zelebrieren hier Spielfreude pur. Nur die Musik will zunächst gar nicht so recht zum ProgPower passen, denn der hochmelodische, oftmals ziemlich vor Pathos triefende Melodic Power Metal klingt anfangs so gar nicht proggig. Dennoch finde ich, dass der Fünfer gut hierher passt: Ein bisschen erinnern die härteren Teile der Songs an Power-Proggies wie ARCHETYPE oder PROTOTYPE, dazu noch ein guter Schuss Folk-Melodien, wie sie auch FALCONER oder WUTHERING HEIGHTS nicht schöner hinbekommen. Dazu gesellt sich - wie sollte es anders sein - perfektes musikalisches Können, welches mal unauffällig (Drumming, Rhythmusarbeit) oder auch mal augenscheinlich (Soloarbeit an den Klampfen) dargeboten wird. Neoklassik trifft auf Folk, Power Metal auf 80er-Melodien, die derart kitschig sind, dass ich sie für meinen Teil schon wieder absolut klasse finde. Insbesondere die Tatsache, dass sich das Quintett (das im Übrigen nicht wirklich australisch ist: lediglich Keyboarder und Sänger Daniel kommt aus Perth, Bassistin Melissa ist wie Klampfer und Background-Grunzer Mark aus Italien, Drummer Mark ist Holländer und die erst 21-jährige Saitenhexerin Simone aus Schottland) nicht die Bohne selbst ernst nimmt, macht den Gig angenehm locker und lustig. Ganz nebenbei huldigen VOYAGER in einem herrlich witzigen Medley ihren Einflüssen und Vorbildern, neben JAMES BROWN und SURVIVOR werden unter anderem MANOWAR, die SPACE COWBOYS, RAGE AGAINST THE MACHINE und NIRVANA zitiert. Feine musikalische Zeitreise.
Nach dem Gig gehen mir die Captain-Future-trifft-auf-Knight-Rider-Keyboardmelodien sowie die ohrenschmeichelnden Refrains stundenlang nicht mehr aus dem Kopf, und ich bin froh, endlich eine Truppe gefunden zu haben, die mich die immer belangloser werdenden FALCONER komplett vergessen lässt. Denn das hier, meine Herren, bietet doch so viel mehr. Unbedingt anchecken!
[Rouven Dorn]

DARK SUNS
Leipziger Bands und ihre fehlenden Bassisten sind ein Kapitel für sich. Während die einen notgedrungen als Trio auf die Bühne gehen und den Bass von Tonband einspielen, wärmen die anderen einfach den Kontakt zu mittlerweile Ex-PAIN OF SALVATION Bassist Kristoffer Gildenlöw auf, der zufällig in Holland lebt und mit dessen ehemaliger Formation man bereits zusammen touren durfte. Das Material hat er sich im Fernstudium selbst draufgeschafft, vor dem Gig wurde nur schnell dreißig Minuten gejammt, und trotzdem stellt der Schwede mit dem schicken sechsseitigen Fretless-Bass Ex-DARK SUNS-Tieftöner Christoph Bormann beihnahe in den Schatten - Hut ab! Da der Blondschopf auch optisch sehr gut zu der fast durchgehend hellhaarigen Stammbesetzung passt, spricht das doch ganz klar für eine feste Mitgliedschaft!

Bereits bei meinem letzten DARK SUNS-Konzert 2005 in Berlin zeichnete sich ab, dass die Leipziger live sehr schnell ziemlich stark geworden sind, aber erfreulicherweise ist immer noch eine Steigerung möglich. Diese beinhaltet auch die optischen Umsetzung: Als Backdrop gibt es ein wunderschönes riesiges Gemälde, designt von einer befreundeten Kunststudentin, das den Blick automatisch in den hinteren Bühnenbereich lenkt und somit weg von dem berühmten "Loch in der Mitte" auf den trommelnden Sänger. Dessen englische Ansagen mit breitestem sächsischen Akzent wirken ein bisschen holprig, aber das ist auch der einzige Schönheitsfehler dieser einstündigen Reise durch die atmosphärischen Klänge von "Esistence".

Bei einem Prog-Publikum ist es natürlich kein Problem, mit dem eher melancholischen 'You, A Phantom Still' einzusteigen, gerockt wird in der Mitte des Auftritts zu 'The Euphoric Sense', und mit 'Patters Of Oblivion' - dem angeblichen Lieblingssong der Band - gibt's zum Abschluss noch mal ein leckeres Gourmet-Häppchen. Keyboarder Bärtel und Gitarrist Thorsten zocken in der rechten Bühnenhälfte gut gelaunt ihre Parts, während Gitarrist und Background-Sänger Maik zur Linken ausgiebigst mit einem Effektgerät experimentiert. Dazu die wie immer live leicht abgewandelten Gesangslinien (natürlich in Form von Growls) von Niko hier und da, und die nicht mehr so ganz taufrischen Songs des Zweitlings klingen immer noch spannend. Jetzt bitte ein genauso starkes drittes Album mit Kristoffer am Bass, und dann sehen wir die DARK SUNS vielleicht auf einer der kommenden ProgPower-Editionen als Headliner - mit RIVERSIDE können sie es nämlich fast schon aufnehmen.
[Elke Huber]

Setlist:
Intro
You, A Phantom Still
Her And The Element
Daydream
Anemone
The Euphoric Sense
Abiding Space
Patterns Of Oblivion

COMMUNIC
Nachdem sich COMMUNIC beim Bang Your Head schon sehr über meine norwegische Flagge gefreut hatten, habe ich das Ding auch dieses Mal wieder mit im Gepäck und platziere mich damit in der ersten Reihe, um die Norweger gebührend zu abzufeiern. Und das haben sie sich auch redlich verdient, denn COMMUNIC wachsen bei jedem Gig immer mehr aus sich raus, haben Spaß auf der Bühne, wirken nicht mehr schüchtern oder zurückhaltend und fabrizieren zu dritt einen Sound, den manche Bands auch zu fünft nicht so hinkriegen ... Respekt! Und da jetzt auch die Songs vom neuen Meisterwerk "Waves Of Visual Decay" etwas besser sitzen, wirkt der Gig noch homogener und beeindruckender. Immerhin sind die neuen Stücke keine leicht verdauliche Kost und brauchen erstmal ein paar Hördurchgänge, um endgültig zu zünden - aber dann richtig!

Und so sorgen COMMUNIC gleich mit dem neuen Song 'Frozen Asleep In The Park' für Furore und lassen die ersten Matten fliegen. Dass die Band auch abseits der Bühne professionell agiert, zeigt sich vor allem bei Sänger und Gitarrengenie Oddleif, der am Vortag bis zur Aftershowparty jeglichen Alkohol verweigert um seine Stimme zu schonen. Und als er dann mit einem holländischen Minibier (die 0,25-Dinger) in der Hand da sitzt und mit schuldiger Miene meint "jetzt verstoße ich gegen meine Prinzipien", dann versteht man wirklich, wie sehr der Mann seine Musik liebt und alles geben will, um seinen Fans die bestmögliche Show zu bieten. Und das gelingt ihm und seinen zwei Mitstreitern heute bestens: Im Gegensatz zur Show beim Bang Your Head, wo man einige Patzer vernehmen konnte, ist heute kaum ein Fehler rauszuhören, die Band spielt tight und Oddleif lässt sich mehr als sonst auf das Publikum ein, startet lustige "Hey hey"-Mitsing-Spielchen und bringt nach jedem Song eine herzliche Ansage. Selbst meine norwegische Flagge wird erwähnt und von Bassist Erik mitten im Set noch mal hochgehalten. Nett!

Am Ende haben COMMUNIC mit ihrem ersten großen Hit 'Conspiracy In Mind' noch mal alle Fans auf ihrer Seite und die gut gefüllte Halle ist am Toben, Mitsingen und Spaß haben. So soll das sein! Die drei Norweger zeigen sich übrigens das ganze Wochenende lang fannah, unkompliziert und musikinteressiert, und man sieht sie bei fast jeder Band im Publikum und oft auch mit Fans und Freunden feiern.
[Caroline Traitler]

Setlist:
Frozen Asleep In The Park
Communication Sublime
Under A Luminous Sky
Waves Of Visual Decay
Silence Surrounds
Conspiracy In Mind

RIVERSIDE
Was soll ich hier noch groß schreiben? Zwei Tage feinster Musik liegen hinter uns, zwölf Bands, die auf technisch höchstem Niveau ihre Kompositionen zelebrierten, für jeden Geschmack fand sich hier etwas. Und jetzt der große Abschluss - im Gegensatz zum Vorjahr aber glücklicherweise ohne ewige Wartezeit aufgrund von technischen Problemen. Und so begebe ich mich, magisch angezogen von PINK FLOYD-Klängen, gerade rechtzeitig wieder in die Halle, um zu sehen, wie RIVERSIDE mit 'Shine On You Crazy Diamond' ihr Set beginnen - Maulsperre gleich zu Beginn, wunderbar.

Die bleibt auch den ganzen Gig über zumindest geistig bestehen, und etwas anderes habe ich bei zwei Stunden RIVERSIDE pur auch gar nicht erwartet. Meine persönliche Live-Premiere der Jungs aus Polen beginnt aber dennoch staunend: Nur vier Leute? Und wieso in aller Welt sehen alle bis auf Sänger/Basser Mariusz aus, als würden sie nebenher in einer beliebigen Metalcore-Truppe spielen? Wie schafft es Mister Duda (der im Übrigen optisch an eine perfekte Mischung aus Steven Wilson und Mikael Åkerfeldt erinnert), neben diesem famosen Bassspiel auch noch diese unglaublich tollen Gesangslinien zu zaubern? Fragen über Fragen, auf die ich während des Gigs keine Antworten finde. Ist ja auch egal - denn die vier Polen sind einfach gut. Verdammt gut, und besser als das. Herrlich, wie die ganzen unterschiedlichen Stimmungen der Songs auch livehaftig fabriziert werden, wie Mariusz leidet, anklagt, verdammt und hofft. Traumhaft, wie RIVERSIDE es schaffen, auch ellenlange Songs nie langweilig werden zu lassen, wie sie mit Dynamik spielen, wie sie Spannungsbögen aufbauen, abebben lassen und den Zuschauer dabei stets in ihrem Bann halten. Unweit von meinem Platz aus steht Arjen Lucassen, der natürlich auch in diesem Jahr wieder mit von der Partie ist, und lauscht mit leicht verträumtem Blick den Klängen aus dem Osten, den Kompositionen der Band, die es spielerisch versteht, fast vier Jahrzehnte Musikgeschichte perfekt miteinander zu verknüpfen. Bekannte Gesichter laufen vorbei, die ich - gefangen in der Welt von RIVERSIDE - nur halb wahrnehme. Ich glaube, so sehr in der Musik drin habe ich mich bei noch keiner anderen Band fühlen können. Ganz großes Ohrenkino

Und so vergeht die Zeit wie im Fluge, zwei Stunden sind viel zu schnell rum - insbesondere, da das Ende des RIVERSIDE-Gigs auch das Ende des ProgPower-Festivals bedeutet. Zumindest fast, denn vor der Halle wird im Anschluss noch ein bisschen gefeiert und gealbert, bevor wir uns ein letztes Mal zurück zu unserer Unterkunft begeben. Der zurückhaltende Ausklang mit von RIVERSIDE gereichten holländischen Spezialitäten und vorsichtig dosierter Bierzufuhr erweist sich dabei als fast genauso traumhaft-schön wie der Auftritt selbst. Hach ...
[Rouven Dorn]

Redakteur:
Rouven Dorn

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