Inferno-Festival - Oslo

06.05.2004 | 06:49

07.04.2004, Rockefeller/ John Dee

Der Donnerstag beginnt mit dem flinken Umparken des Autos von der Bank weg in eine Seitenstraße direkt beim Rockefeller, danach geht's direkt in den Club. Dort übergeben wir das mächtige powermetal.de-Banner zum Aufhängen an gut sichtbarer Stelle. Jetzt kann es auch schon wieder ins RockIn gehen und zu den Jungs von SUSPERIA. Die stellen im RockIn ihr neues Video zu 'Chemistry' vor. Der Film entpuppt sich als Mischung aus weißem Hintergrund mit den Musikern und braun-gefärbter Familien-Streiterei - das im Wechsel verleiht dem sowieso guten Song noch ein Stück mehr Fahrt. Die Anwesenden klatschen höflich Beifall, schließlich wird das Bier auch vom neuen SUSPERIA-Label Tabu Records gestellt. Und hier sind sie auch schon, berühmte Persönlichkeiten der norwegischen Szene füllen den Club, etwa Gruttle von ENSLAVED. Das powermetal.de-Team muss trotzdem gehen: Die Einladung von MAYHEM-Kim klang schon gestern gut, außerdem hat der Typ von viel Alkohol geredet. Bei Laden-Preisen von gut 1,20 Euro für ein 0,33-Liter-Gesöff dänisches Tuborg (am billigsten...) klingt das verdammt verlockend.

Was im RockIn noch passiert?! Wiederum weiß es der Fotozwerg...

"RockIn des Nachmittags.

ENSLAVED unterzeichneten Vertrag bei TABU-Records - auf einer Torte (Let´s celebrate the real Black Metal!!!), die alle Anwesenden nach Signatur verspeisten-hui, war die diabetikerungeeignet!!!

(DGFz)

-Ende-"

Auch bei dem norwegischen Metal-Fan Kim geht es ab. Der Typ entpuppt sich als eine Art Alkohol-Junkie und überrascht mit einem Zehn-Liter-Kanister: "Sprit", wie er sagt... In dem Zeug sind nach seinen Angaben 96 Prozent, fünf Liter sind schon alle. Da Kim noch keine Blindenbinde trägt, wird das Gesöff tapfer mit Kaffee und Red Bull vermischt - die Wirkung ist ziemlich heftig. Vor lauter Freude verpassen deshalb alle zusammen die schwedischen Todes-Mörtler von MAZE OF TORMENT. Macht nichts, ein Fan sagt danach, dass er die Jungs auf Tape besser in Erinnerung hatte.
Und ROTTING CHRIST sind jetzt schließlich auch noch da. Die Griechen lassen Klassiker wie 'Non Serviam' oder 'King Of The Stellar War' ins norwegische Publikum krachen, die Nordländer nehmen die südlichen Black-Metal-Geschenke dankend und moshend entgegen. Blaues Licht hüllt Sänger Sakis ein, er bangt und kreischt sich die Seele aus dem Leib. Rechts über ihm hängt inzwischen das große Banner von powermetal.de und blickt wohlwollend nach unten. Für ROTTING CHRIST ist es der erste Auftritt in Norwegen seit 1996. Sakis nach dem Gig: "Es ist eine Ehre für uns, hier in der Hauptstadt des Black Metal zu spielen." Dann erzählt er was vom kommenden, noch unbetitelten Album der verrottenden Christen: Es soll "more aggressiv, more brutal and more Black Metal than ever" werden... Grund zum Hass hat Sakis jedenfalls genug, wohnt der arme Kerl in Athen doch nur 500 Meter entfernt von einer großen Olympia-Baustelle: "Ich mag zwar die Idee von den Spielen, aber kann wegen des Lärms einfach nicht schlafen." Da ist Norwegen mit seinen stillen und endlosen Weiten doch genau der richtige Urlaubsort...
Bei der ganzen Laberei fällt der Gig von DIMENSION F3H ins Wasser. Schade, die Ambient-Black-Metal-Band um LIMBONIC ARTs Morfeus wäre sicherlich cool gewesen. Ein Fan fasst zusammen: "Musik genial, allerdings der Gesang verursacht doch arge Zahnschmerzen!!" Naja, wahrscheinlich sind die Jungs dennoch interessanter als KHOLD und ihr Black Metal, der etwa so spannend klingt wie die letzte Wasserstandsmeldung in der Wüste Gobi. Zeit also für einen kleinen Rundgang in dem zweigeteilten Club. Vor die größere Bühne im Rockefeller passen mehr als 1000 Leute, die Treppe runter geht's in den kleinen John Dee: Dort finden etwa 300, mit Quetschen wohl so 400 Leute Platz - auf den beiden Bühnen spielen abwechselnd die Bands, so kann man jede Gruppe sehen. Für Kraftlose: Noch ein paar Stufen tiefer gehts in eine Art Chill-Out-Zone. Dort will aber eh niemand hin. Mehr Action verspricht da schon der Backstage-Raum mit seinen vielen Tischen und Bänken, dort pulsiert zum frühen Abend schon das Musiker-, VIP- und Presseleben - scheinbar hat mindestens ein Drittel der Besucher irgendeinen "Wichtig"-Pass ergattert. Die Stimmkulisse ist ein Durcheinander aus norwegisch und englisch, hier hört niemand die Darbietungen von KHOLD. Nochmal Glück gehabt! Die Jungs waren nämlich auch schon bei früheren Konzerten ein Graus?

(Henri Kramer)

Dass sich der Herr Kramer da mal nicht verschätzt! Wenigstens in ihrer Heimatstadt kommen KHOLD mit ihrer Live-Show an. Diesmal haben sie auch ein wenig mehr zu bieten als gähnendlangweiliges Gitarrengeschrammel und Schlagzeuggelärme als ewige Vorband für SATYRICON. Frontmann Gard hat sich extra schwarz-weiß maskiert wie auf dem "Phantom"-Cover und sieht riesig aus in dem zotteligen Gehrock aus Strickwolldecken. Konsequent spielen sie Songs von den beiden vergangenen Alben und zudem fünf neue vom kurz vor dem Festival erschienen "Morke Gravers Kammer", alle auf Norwegisch, sehr rau und ursprünglich. Irgendwie kriegen KHOLD damit die Kurve zwischen Old School Black Metal und dem aktuellen Trend in Richtung groovy, welcher gerade die norwegische Szene durchwandert. Denn vor allem die neuen Stücke sind richtig heavy und wühlen ganz ungeniert im steinigen Rock'n'Roll-Dreck. Ansonsten scheinen KHOLD aber kein Bedürfnis nach Abwechslung zu haben. Dagegen ist diese Band immun. Die Leute im Rockefeller scheinen damit einverstanden zu sein und applaudieren. Da weiß der Fan, was er hat.

(Wiebke Rost)

Wegen allgemeiner Nahrungsaufnahme müssen die norwegischen Thrasher MANIFEST leider ohne powermetal.de-Kunden auskommen. Ärgerlich, denn danach folgt eine Enttäuschung: KONKHRA waren ja einmal ganz cool. In den mittleren 90ern machte die Band ähnlich wie PUNGENT STENCH mit kompromisslosem Death Metal und noch kompromissloseren Brutalo-Videos auf sich aufmerksam, prägte die Death-Metal-Szene mit Alben wie "Spit Or Swallow". Und heute? Nichts mehr mit Rebellion. Brav angepasst sehen die Dänen aus wie MACHINE HEAD und spielen breaklastigen Death Metal, der so nichtssagend wirkt wie ein einzelner Pflasterstein in Oslo. Da hilft auch das alte Stück 'Warzone' nichts mehr - KONKHRA sind inzwischen leider eine Band, die eigentlich niemand mehr braucht. Wer sie wirklich vermissen würde, hebe bitte die Hand. Niemand?! War klar...

(Henri Kramer)

Einer Erlösung gleicht danach doch die nächste Band: HELHEIM sind Kult! Brechend voll ist daher auch das John Dee; auf der Bühne stehen fünf norwegische Helden samt HELHEIM-Fahne am Tastenungetüm von Keyboarder Lindheim. Dieser grimmige Schelm sorgt für die gnadenlos gute Verunstaltung der ohnehin schon höchst innovativ ausgetüftelten Black-Metal-Rasereien, die da hießen:

Setlist: HELHEIM

Yersinia Pestis
Sinners Wake
Jormundgard
Intro
Yernskogen
Nattraven
Stones To The Burden
Warlord

(Wiebke Rost)

Als alter HELHEIM-Fan ist das Konzert der Norweger eine Offenbarung. Denn trotz gewisser Stiländerungen sind HELHEIM immer noch die selbe geile Band, die schon in zarten Black-Metal-Jugendjahren für dämonische Spermaspuren in noch unbefleckten Schlüpfern gesorgt hat. Die Jungs haben sich fürs Inferno mit Kettenhemden "bewaffnet", der Sänger sieht mit seinen langen blonden Haaren aus wie ein der nordischen Sagenwelt entsprungener Wikinger. Songs wie 'Warlord' sind absolute Nackenbrecher, der Kopf schwingt willig mit - ja, so stellt sich der kleine Mann ein richtig großes Black-Metal-Konzert vor. Die Tatsache, dass die Jungs sich privat als eher zurückhaltende, durchaus nicht abstinente und freundliche Zeitgenossen offenbaren, macht die gesamte Band gleich noch sympathischer. Zeit zur näheren Konversation bleibt aber vorerst kaum. Denn jetzt folgt ein neues Kapitel der Serie: "Der Teufel hat den Gaahl gemacht, um uns zu verderben..."

(Henri Kramer)

GORGOROTH werden immer mächtiger! Zwar ist der Auftritt hier beim Inferno showtechnisch bescheiden gegen die skandalöse Bühnendeko in Polen, dafür steht hier ausnahmsweise mal das Wirken der Musiker im Vordergrund. Das wird nicht zuletzt durch einen sehr guten Sound, wie man ihn bei GORGOROTH vielleicht noch nie gehört hat, unterstützt. Plötzlich sind Melodien zu entdecken in der satanischen Rauschkulisse, die sonst die simple Grundlage für Gaahls Gekeife bildet. Lead-Parts erheben sich über den schwarzen Einheitsbrei, der Bass ist auf einmal als individuelles Instrument zu vernehmen. Von der Empore betrachtet sehen GORGOROTH aus wie eine richtige Rock-Band. Es entsteht fast der Eindruck, sie hätten sich extra schick gemacht für ihr Heimspiel in Oslo. Schließlich können GORGOROTH nach MY DYING BRIDE das größte Publikum für heute verbuchen. Treu wie Schäfchen lauschen die Norweger dem letzten verbliebenen ernsthaften Black-Metal-Act ihres Landes. Eine feierliche Atmosphäre erfüllt das Rockefeller. In der ersten Reihe quält sich ein Mosh-Pulk bei Klassikern wie 'Possessed By Satan' oder 'Procreating Satan'. Gaahl ist fit, durch ihn spricht der Leibhaftige aus der Tiefe. Zwischen dem ganzen Höllenlärm erhebt er priesterhaft seine Stimme und steigert sie bis zum Choral. Ode an Satan? So voluminös habe ich Gaahls Gesang noch nie erlebt. Wie paralysiert steht er starr am Bühnenrand und blickt wie gewohnt mit weit aufgerissenen Augen ins Leere, den Arm nach vorn gestreckt. Was auch immer er sucht, hier findet er zumindest Applaus und Begeisterung für seine Kunst. Als sein Auftritt vorbei ist, stürzt er unruhig durch die Inferno-Hallen, spricht mit vielen Fans und Musikern und guckt sich interessiert die anderen Bands an. Da kann einem nichts ahnenden Zuschauer bei SADUS schon mal ein kalter Schauer über den Rücken laufen, wenn plötzlich der Gaahl nach ihm schaut...

(Wiebke Rost)

Nach dem Geschrammel von GORGOROTH sind eigentlich die dänischen MERCENARY mit ihrer Power-Death-Metal-Mischung dran. Doch jetzt muss sich die Bericht-Crew erst einmal stählen.
Taschentücher eingepackt und auf zu: MY DYING BRIDE!!! AAAAAAAAAHHHH! NEIN!!! Die dem Sterben verfallende Braut darf wirklich niemals krepieren - was wäre dies für ein Verlust! MY DYING BRIDE machen eindrucksvoll deutlich, warum dieser Name seit Jahren für Depression auf höchstem Niveau steht. Songs wie 'Like Gods Of The Sun' oder der Klassiker 'The Cry Of Mankind' sind einzigartig und vom ersten Takt an sofort als MY DYING BRIDE pur zu erkennen. Wie viele Bands gibt es, die so etwas schaffen? Nicht viele. Fast möchte man bei diesem Gig ein paar andere Gruppen schlicht auflösen, wer braucht neben einer Band wie MY DYING BRIDE all die anderen Düsterkapellen - Namen für Bittgesuche um sofortige Auflösung bitte schicken an: henri.kramer@powermetal.de.
Wie Sänger Aaron auf der Bühne steht, verzweifelt sein Mikro umklammernd, sich windet und wimmert, seine Stimme kommt tief und doch zerbrechlich aus seiner Seele, fast scheint er zu weinen, seine Fingerknochen treten hervor, so fest schließt er seine Hand um das Mikro; ein Häufchen Elend steht dort vorn, ein Mann, der nur unter dem Jubel der Menge kurz aufzublühen scheint um im nächsten Song wieder zu leiden. Optisches Fazit: Eigentlich hätte auch Aaron den Jesus in Mel Gibson's "Passion Of The Christ" spielen können. Doch mit ihm als religiös verpeiltem Schauspieler könnten MY DYING BRIDE wohl kaum jetzt solche wunderschönen neuen Stücke wie 'The Prize Of Beauty' spielen. Die Welt versinkt speziell in der ersten Hälfte dieses Gigs, denn hier setzen die Briten vor allem auf ruhigere Stücke. Neben mir weint ein Norweger stille Tränen, um im zweiten Teil wie wild zu moshen. Denn jetzt kommen die härteren Songs der Bräute, 'She Is The Dark' und 'The Dreadful Hours' sind intensiv-melancholische Nackenputzer. Die Stimmung im Saal ist fantastisch, jubelnde Menschen an allen Stellen - und das bei so trauriger Musik... Würdiger kann ein Headliner kaum spielen.

Setlist: MY DYING BRIDE

The Wreckage Of My Flesh
The Raven And The Rose
Like Gods Of The Sun
The Prize Of Beauty
The Cry Of Mankind
Catherine Blake
She Is The Dark
Under Wings
The Dreadful Hours
The Fever Sea

Ok, die Taschentücher sind trotzdem kaum benutzt. Völlig unverheult geht's in den Backstage-Bereich. Dort verteilt SABBAT-Sänger Martin Walkyier coole Anstecker mit dem Logo seiner neuen Band. In der Mitte des Raums halten GORGOROTH-Gaahl und CADAVER-Apollyon "Kriegsrat" mit den restlichen Musikern aus Norwegen, dabei stehen sie um einen runden Tisch herum. Da sind sie noch öfters an diesem Wochenende zu sehen. Und wir? Bei uns kommt die mitgebrachten Weinflasche zum Einsatz: Wir betrinken uns jetzt nämlich, weil der "Sprit" von Kim schon lange nicht mehr wirkt. Denn das Bier kann man selbst im Backstage-Lager kaum bezahlen: 49 Kronen gleichen mehr als 6 Euro. Die Preise im Black-Metal-Olymp sind sowieso ein mittelschwerer Thorshammer. Schon die drei Tage Inferno kosten den gemeinen Fan 800 Kronen, also rund 100 Euro. Zum Glück verdienen die Norweger aber auch durchschnittlich doppelt bis dreimal soviel Geld wie ihre deutschen Kollegen. Ups, Unsere Weinflasche ist inzwischen alle... Dann gute Nacht!

(Henri Kramer)

Redakteur:
Henri Kramer

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