TRANS-SIBERIAN ORCHESTRA: 25 Jahre "The Christmas Attic"

06.11.2023 | 21:36

Wenn die Discounter dieser Republik im August schon mit Lebkuchen um sich werfen, dann dürfen wir Anfang November auch schon an Weihachten denken, oder? So gehört es seit Jahren zu meiner Tradition, die vorliegende sowie die anderen Scheiben der TRANS-SIBERIAN ORCHESTRA-Weihnachtstrilogie, während des Geschenkeeinpackens am Vormittag des Heiligabends rauf- und runterzuhören. Ein bisschen Musicalbombast und Rockoper-Atmosphäre ist in diesen Tagen ohnehin nicht verkehrt. Zum Jubiläum der "The Christmas Attic"-Platte schauen wir auch aus einem anderen, wiederveröffentlichungsbedingten Grund auf meine erste und liebste Berührung mit dem TRANS-SIBERIAN ORCHESTRA.

Was haben TWISTED SISTER, JUDAS PRIEST-Ikone Rob Halford, unsere opernhafte TARJA, ONKEL TOM ANGELRIPPER, die Punk-Götter von BAD RELIGION oder AYREON miteinander gemein? Richtig, alle Künstler widmeten sich zumindest mit einem Album der fröhlichen, besinnlichen Weihnachtszeit – jeweils auf ihre ganz spezielle Art und Weise, zugegeben. Doch die Mutter der Kombination aus dem Fest der Liebe und Rock bzw. Metal hört nach wie vor auf den Namen TRANS-SIBERIAN ORCHESTRA. Hervorgegangen aus SAVATAGE, war bei den Herren Oliva, O'Neill und Kinkel der Wunsch nach einer etwas festlicheren Thematik so groß, und dies nicht mehr auf einzelne Songs auf "Dead Winter Dead" zu reduzieren, dass sich TSO zumindest zu Beginn voll und ganz im weihnachtlichen Milieu ausleben konnte. Dabei spielen vor allem die Jahre 1996 bis 2004 eine entscheidende Rolle, entstammen aus diesen Jahren doch die Alben "Christmas Eve And Other Stories", "The Christmas Attic" und "The Lost Christmas Eve". Ihr merkt schon an den Titeln, wohin der Weihnachtshase hoppelt. Da das Herzstück dieser Trilogie – "The Christmas Attic" – in diesem Jahr stolze 25 Jahre auf dem Weihnachtsmannbuckel hat und im schmucken Vinyl-Format wiederveröffentlicht wird, schauen wir uns das 1998er Album im Re-Release einmal genauer an.

Einst produziert von Paul O'Neill in Co-Produktion mit Robert Kinkel, erzählt dieses mit Doppel-Platin ausgezeichnete Album die wirklich wunderschöne Geschichte eines jungen Mädchens, das an der Existenz des Weihnachtsmannes zweifelt und beschließt, der Sache auf den Grund zu gehen. Mit einer Kerze auf dem Dachboden angekommen, findet es eine Truhe, die mit Spielzeug und Briefen verschiedener Menschen gefüllt ist. Und "The Christmas Attic" stellt einige der Geschichten dieser Menschen dar und wie Weihnachten ihr Leben beeinflusste. Das Mädchen durchlebt eine magische, weihnachtliche Reise voller Erinnerungen – entsprechend dem stimmungsvollen Artwork, das als 2-LP-Set auf schwarzem Vinyl natürlich um einiges detailverliebter daherkommt. Doch auch das illustrierte Innenleben, inklusive spielender Kitten, erweckt das Konzept dieses Albums zum Leben. Das hübsche Booklet mit weiteren Zeichnungen und entsprechender Erzählung verleiht dem optischen Anreiz das gewisse Extra.

Da dieses Schmuckstück auch in seiner ursprünglichen Version noch keine Rezension bekam, widmen wir uns auch einmal der vom Chorgesang und besinnlichem Bombast geführten Musik. Aber entgegen des ersten "Christmas Eve And Other Stories"-Streich, oder generellen SAVATAGE-Werken, besticht "The Christmas Attic" in erster Linie durch eine sehr friedvolle und ruhige Atmosphäre. Piano und ruhiger Gesang beherrschen die ersten Songs, in denen der Hörer eher bedacht in die eigentliche Story geleitet wird – da passt auch die verschiedene 'The World That She Sees'/'The World That He Sees'-Sichtweise gut zum Einklang. 'The March Of The Kings/Hark The Herald Angels Sing' und etwas später 'The Three Kings And I (What Really Happened)' bringen dann aber Schwung in das weihnachtliche Hörspiel, in dem spannende, orchestrale und bombastische Momente mit wieder in sich gekehrten Melodien im Wechselspiel erfolgen.

Die stimmgewaltige Sängerschaft sorgt mal präsenter, mal introvertierter für den richtigen Festtagstouch, der Kinderchor für genau die richtige Dosis an Kitsch und wenig später 'The Music Box' ob der minimalistisch-akustischen Herangehensweise für Herzenswärme. Dass auch "Dead Winter Dead"-Anhänger an "The Christmas Attic" hängenbleiben, beeinflussen vor allem 'Find Our Way Home' sowie 'An Angel's Share', während selbst der Bonus-Live-Track vom 'Christmas Jam' sehr nett anzuhören ist. Auch die leichten Einflüsse von Soul und Jazz geben "The Christmas Attic" noch mehr Seele und runden das zweite TSO-Album sehr geschmackvoll und mit dem nötigen Fingerspitzengefühl kunstvoll ab. Der Hang zur klassischen Weihnachtsmusik war bei TSO noch nie so deutlich, ohne dass jedoch die Idee der Rock-Oper komplett in den Hintergrund gerät und selbst der SAVATAGE-Einfluss ein ums andere Mal mit dramatischen Powerchords und Melodien durchscheint.

Ihr seht, dass dieses Album selbst viele Jahre nach dem erstmaligen Hören den Zauber nicht verloren hat und mich damals wie heute in den Bann zieht – vor allem, wenn die Geschenke für meine Liebsten am 24. Dezember eingepackt werden wollen. Mit Glühwein – Prost! – und einem mit Keksen vollgestopften Bauch wächst die Vorfreude ob der kommenden Tage in die Höhe und "The Christmas Attic" – eine wunderbare Verbindung zwischen traditionellem Weihnachtsgut und modernem, atmosphärischem Rock-Bombast – bietet hierfür nun auch im 2-LP-Format den passenden Soundtrack.

Eine nette Anekdote möchte ich euch abschließend noch mit auf den Weg geben: Es müsste vor rund zehn Jahren gewesen sein, als meine Großeltern im Elektronikhaus ihres Vertrauens auf der Suche nach schöner, aber moderner Weihnachtsmusik waren. Und ein freundlicher und beratungswilliger Mitarbeiter drückte ihnen letztendlich drei CDs in die Hand: Eine davon war ausgerechnet "The Christmas Attic", die sie auch mit nach Hause nahmen, aber aufgrund des leicht rockigen Charakters dann schnell wieder umtauschten. Als ich die Geschichte hörte, lachte ich. Heute erinnere ich mich gerne an das doch verdutzte Gesicht meiner inzwischen verstorbenen, mir sehr fehlenden Großmutter. Ich verbinde dieses Album mit ihr und so wird auf ewig das zweite TRANS-SIBERIAN ORCHESTRA-Album einen besonderen Platz in meinem Herzen und am Morgen des Heiligen Abends haben.

Redakteur:
Marcel Rapp

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