Gruppentherapie: BRUCE DICKINSON - "The Mandrake Project"

26.03.2024 | 22:24

Der IRON MAIDEN-Sänger auf sensationellen Solopfaden, oder?

Wenn sich die Rock- und Metalwelt in den vergangenen Wochen über zwei Alben den Mund fusselig geredet hat, dann waren es "Invincible Shield" und eben "The Mandrake Project", das neue Soloalbum aus dem BRUCE DICKINSON-Haus. Auch hier lassen wir es uns nicht nehmen, neben der Hauptrezension Rüdigers auch eine ausführliche Gruppentherapie zu initiieren. Was sagt die POWERMETAL.de-Crew?



19 Jahre nach "Tyranny Of Souls" ist Bruce wieder solo am Start, verbunden mit einer Comic-Reihe, von ihm selbst kreiert, und einer Geschichte über Missbrauch der Obrigkeit und der Suche nach der eigenen Identität. Auf jeden Fall ist "The Mandrake Project" das facettenreichste Album, das er zusammen mit Roy Z. Ramirez als Songwriting-Partner eintütete, und zeigt, zu welchen Großtaten er noch immer auch außerhalb seiner Stammcombo fähig ist. Angefangen beim düsteren, mystischen 'Afterglow Of Ragnarok', über das – positiv zu verstehen – poppige 'Many Doors To Hell' bis zum sehr nachdenklichen, melancholischen Abschluss 'Sonata (Immortal Beloved)' ist das Album weniger eine Aneinanderreihung von Songs als mehr die Reise in eine andere, sehr geheimnisvolle Welt. 'Rain On The Graves' ist da wieder etwas härter, während sich die Abwechslung in 'Resurrection Man' die Krone aufsetzt. Ein solch facettenreicher Song, bei dem man nach dem fünften, sechsten Mal noch ungeahnte Besonderheiten vor den Latz geknallt bekommt. Auch die restlichen Songs, ob nun das ruhigere, aber nicht minder eindringliche 'Fingers In The Wounds' oder das aggressive, offensive 'Mistress Of Mercy', haben es in sich und sorgen für das drittbeste DICKINSON-Soloalbum nach "The Chemical Wedding" und "Accident Of Birth". Einzig beim Artwork sowie dem MAIDEN-Querverweis 'Eternity Has Failed' ist noch etwas Luft nach oben. Trotzdem ist "The Mandrake Project" die erwartete, sehr gute Scheibe, die stellenweise sogar beeindruckt und diesen ohnehin schon bärenstarken Monat veredelt.

Note: 8,5/10
[Marcel Rapp]

Das facettenreichste Album, das Bruce mit Roy Z. gemacht hat? Das könnte "The Mandrake Project" tatsächlich sein. Und, so viel vorweggenommen: Es ist ein starkes Album geworden! Die "modernen" Zwischentöne von "The Chemical Wedding" sind längst Geschichte, und natürlich ist auch "Tyranny Of Souls" eine Ewigkeit her. Ganz an die Klasse dieser beiden Alben kommt die siebte Soloscheibe von Bruce aus meiner Sicht nicht heran - ich sehe sie eher auf Augenhöhe mit "Accident Of Birth". Das ist natürlich trotzdem super und lässt die meisten traditionellen aktuellen Metal-Scheiben qualitativ hinter sich. Bruce singt hochklassig, und anders als bei manchen Jungfrauen-Scheiben der letzten Jahre sind ihm die Songs brutal auf den Leib geschrieben, seine Stimme wirkt nicht so gepresst wie etwa auf "The Final Frontier". Trotzdem wird diese Scheibe bei mir weniger Runden drehen als zum Beispiel "The Book Of Souls", denn die Anzahl an völlig überragenden Hymnen ist dafür etwas zu niedrig - es gibt hier nichts, was mit 'The Red And The Black' oder auch 'Hell On Earth' (von "Senjutsu") konkurrieren kann. "The Mandrake Project" ist ein starkes Album, so wie man es erwarten durfte von Bruce und Roy. Aber: Es ist tatsächlich nicht mehr geworden. Das ist aber auch in Ordnung.

Note: 8,5/10
[Jonathan Walzer]



Ich bin ehrlich, meine erste Reaktion zu "The Mandrake Project" war der von Jonathan nicht so unähnlich. Irgendwie hatte ich mir etwas mehr vom Stoff erhofft, den uns "The Chemical Wedding" oder "Accident Of Birth" geliefert haben, doch auch mit einem Nachfolger im Geiste von "Tyranny Of Souls" wäre ich sehr glücklich gewesen. Doch was Roy Z und Bruce dieses Mal zusammen gekocht haben, ist deutlich vielseitiger, teilweise opernhafter und auch düsterer als die letzten Solowerke des MAIDEN-Fronters. Hat man sich aber erst einmal von der eigenen Erwartungshaltung befreit, dann kann man in diesem vielschichtigen Album wunderbar abtauchen. 'Finger In The Wounds' etwa ist eine herrlich epische Nummer, die Bruce als tollen Texter präsentiert, der dazu hier deutlich mehr Luft für seine Vocals bekommt als zuletzt bei den Eisernen Jungfrauen. Das sorgt dafür, dass Mr. Dickinson anno 2024 kaum Alterserscheinungen erahnen lässt und einfach grandios klingt. Nicht weniger überzeugend sind 'Mistress Of Mercy', 'Face In The Mirror', 'Many Doors To Hell' und 'Afterglow Of Ragnarok', auf deren Umsetzung bei den anstehenden Shows ich mich schon sehr freue, bieten sie doch alle absolut großartige Hooklines, die einem nicht mehr aus dem Ohr gehen wollen. Einziger Kritikpunkt bleibt somit das Fehlen dieser absolut großartigen Gitarrenleads, die Kollege Adrian Smith, der dieses Mal nicht mit von der Partie ist, auf den Soloalben der späten Neunziger beisteuerte. Bei keinem anderen Songs wird das wohl so deutlich wie bei 'Eternity Has Failed', der in der Solo-Version der MAIDEN-Variante namens 'If Eternity Should Fail' gerade wegen der fehlenden Leads das Wasser einfach nicht reichen kann. Trotzdem, "The Mandrake Project" ist ein tolles Album, das die Diskografie Dickinsons stark erweitert, auch nach zig Durchläufen noch Spaß macht und definitiv in meinen Top 20 des Jahres auftauchen wird.

Note: 9,0/10
[Tobias Dahs]

Mit der ersten Single 'Afterglow Of Ragnarok' aus seinem nach nicht nur einer gefühlten Ewigkeit endlich erschienenem Soloalbum "The Mandrake Project" hatte BRUCE DICKINSON es geschafft: Ich war enttäuscht. Und das von einem Song des Helden meiner Kindheit, Jugend und Erwachsenenlebens. Zu modern, irgendwie zu gewollt hart wirkte das Stück, das den ersten Vorgeschmack auf das von mir wohl am meisten erwartete Album 2024 darstellt.
'Rain On The Graves' hingegen hat mich in Verzückung versetzt. Was für ein Song! Klingt null nach MAIDEN, aber 100% nach BRUCE. Ein Hauch SABBATH? Gerne! Sollte das Album doch meine unglaublich hohen Erwartungen erfüllen? Kurz und knapp: JA. Was nach dem Opener – besagtem 'Afterglow Of Ragnarok' – folgt, ist ein stimmiger, perfekter Ritt durch Sounds und Stimmungen, durch Songs, wo in jedem einzelnen mehr passiert als auf Alben anderer Bands in 50 Minuten. Jeder Song ist anders, und doch passen sie zusammen wie ein 10.000-Teile-Puzzle. Egal, welche unerwarteten Stilblüten in den Songs auftauchen, es wirkt nie aufgesetzt oder um des Effekts willen eingebaut, ich sag nur 'Resurrection Men'!
Man merkt dem Werk die lange Entstehungszeit an, die Akribie, mit der Bruce und sein kongenialer Partner in Crime Roy Z an den Songs gefeilt haben und doch klingt das alles unglaublich lebendig, die Euphorie, die BRUCE DICKINSON in den Interviews über sein Werk versprüht, quillt aus jeder Note. Hier ist nichts gewollt, aber alles gekonnt. Die Überarbeitung von 'If Eternity Has Failed', das ja von Steve Harris für das vorletzte MAIDEN-Werk ausgeliehen wurde (dort unter dem ursprünglichen Namen 'If Eternity Should Fail'), überrascht mit ungewohnten Facetten gegenüber der bekannten Version, ohne den Song komplett umzukrempeln; trotzdem klingt er hier 100%ig nach BRUCE DICKINSON.
Den Vogel - nein, keinen Albatros – schießt der quirlige Sänger mit dem letzten Song ab: 'Sonata (Immortal Beloved)' zeigt, wie man einen fast zehn Minuten langen Song über die Spielzeit spannend gestalten kann und toppt damit - und das tut mir körperlich weh, es zu schreiben – so manches Harris-Epos auf den letzten Scheiben der eisernen Jungfrauen. Und um den Bogen zum Anfang zu schlagen: Mit dem Opener bin ich mittlerweile warm geworden, im Albumkontext ergibt dieser absolut Sinn!

Note: 9,5/10
[Maik Englich]



Lieber Tobias, da hast du dir deine Ohren im königlichen letzten Winter aber ziemlich abgefroren oder zumindest tüchtig verkühlt! Wer braucht denn, zugegebenermaßen geniales, smith'sches Gitarrengewichse, wenn er einen so großartig atmosphärisch erhabene Macht ausstrahlenden, etwas anders interpretierten Song wie 'Eternity Has Failed' dargeboten bekommt!?! Das schleppendere Tempo als noch bei der Originalversion, die im typischen MAIDEN-Galopp daherkam, gepaart mit der viel düstereren, fast verstörenden Grundstimmung, machen dieses eigentlich schon bekannte Stück völlig unerwartet zu einem der Highlights auf einem an solchen überbordenden Album. Seltsamerweise hat noch keiner meiner Vorredner 'Shadow Of The Gods' erwähnt. Ihr wollt Drama, ihr wollt Power, ihr wollt große "Metal-Oper"? Dann lässt euch dieser Geniestreich begeistert auf eure Anlage sabbern! Insgesamt betrachtet singt der wohl bekannteste Tausendsassa der internationalen Metalszene auf "The Mandrake Projekt" wie der sprichwörtliche junge Gott. Was mich neben den ganzen bereits mannigfach von meinen Kollegen genannten musikalischen Großtaten auf diesem Werk am nachhaltigsten begeistert, ist der schillernde Abwechslungsreichtum: Da klingt jedes Stück anders und es gibt, wie Bruce bereits in Vorab-Interviews stolz erklärte, sehr vieles zu entdecken: beispielsweise Western-Music-Anleihen im Gitarrensound von 'Resurrection Men' oder orientalische Keyboard-Einsprengsel im gleich nachfolgenden 'Fingers In The Wounds'. Zu meinen Lieblingsstücken auf dem Album zählen ebenfalls das beinahe relaxt tönende, fluffig dezent vor sich hinpurpelnde 'Many Doors To Hell', das mich sofort mit dem schrägen Ton im Anfangsriff bei den Gonaden hatte, sowie das zauberhafte, ruhige, eimal entspanntere Facetten in Mr. Dickinsons Schaffen aufzeigende 'Face In The Mirror'. Lediglich dem von vielen gelobten 'Sonata (Immortal Beloved)' fehlt meinem Gehör nach das gewisse Etwas, der Song klingt für mich noch nicht völlig ausgereift, geriet eventuell auch etwas zu lang. Daher zücke ich für das vortreffliche neue Album von Mr. Airraid-Siren, wie Maik "nur"...

Note: 9,5/10
[Timo Reiser]

Wer meine Texte über die Jahre verfolgt hat, wird wissen, dass ich kein besonders großer Fan der letzten Scheiben von IRON MAIDEN bin. Ändert aber weder etwas an meiner grundsätzlichen Wertschätzung für das Gesamtwerk der Band, noch an meiner Begeisterung beim Anhören der Air Raid. Diese hat sich nun, 19 Jahre nach "Tyranny Of Souls", daran gemacht, den lange überfälligen Nachfolger aufzunehmen. Mit an Bord sind viele alte Wegbegleiter, sodass ich ziemlich freudig "The Mandrake Project" entgegengeblickt habe. Klar, mit Roy Z., der neben vielen Saiteninstrumenten auch wieder mit den Soundknöpfchen gespielt hat, ist der Qualitätsgarant für erdigen Klang und fantastische Kompositionen beinahe ein alleiniger Kaufgrund, das Album ungehört in die Sammlung zu annektieren. Jüngere Semester kenne Roy Ramirez vielleicht nur von seiner Arbeit mit Bruce Dickinson. Ihnen sei dringend das Anhören von TRIBE OF GYPSIES an beide Ohren gelegt, denn abwechslungsreicheren Hard Rock wird man so schnell nicht finden. Aber das nur als Tipp am Rande. Hier geht es um "The Mandrake Project". Was soll ich groß schreiben, was meine Kollegen noch nicht geschrieben haben?
Vielleicht, dass mir an keiner Stelle irgendwelche Gitarrensoli fehlen? Oder, dass ich froh bin, auf diesem Album trotz einiger Longtracks nirgends unendlich scheinende Wiederholungsschleifen mit Fussball-Chor-Charakter zu finden? Muss ich alles nicht schreiben, oder? Vielleicht möchte ich dem wahrscheinlich eher kleinen Teil unserer Leserschaft, die die aktuellen Scheiben des Arbeitgebers unseres Protagonisten ähnlich skeptisch anhört wie ich, einfach nur Mut zusprechen, dieses Album trotzdem anzutesten, denn ihr bekommt hier wirklich bockstarken Heavy Metal geboten, der musikalisch relativ weit entfernt von längst gestreiften Jungfrauen agiert. Die Songs hier sind allesamt eher schwer, leben von tollen, fetten Riffs und man kann endlich dem noch immer tollen Gesang von Bruce frönen. Eigentlich zeigt er hier seinen langjährigen Kollegen, wie man abwechslungsreich und zuweilen sogar etwas progressiv musizieren kann, ohne dabei den Faden zu verlieren. Da hat er im Häkelkurs für verschachtelte Notenpatchworks offenbar besser aufgepasst als sein Sitznachbar, der Steve. Vielleicht machen sie demnächst mal gemeinsam Hausaufgaben, dann klappt das auch mit der anderen Band wieder besser. Solange genieße ich akustisch-melodische Überflieger und Knaller wie 'Face In The Mirror', mystische Entenpeller wie 'Rain On The Graves', episch-harte Nackenbrecher wie 'Shadow Of The Gods' oder den umwerfenden Abschluss-Longtrack 'Sonata (Immortal Beloved)', der allein schon den Kauf dieses Albums rechtfertigt.

Note: 8,5/10
[Holger Andrae]



Wie ihr an meiner Note erkennen könnt, bin ich deutlich kritischer unterwegs als meine Kollegen, obwohl ich nahezu alle Argumente so unterschreiben würde. "The Mandrake Project" macht fast alles richtig und präsentiert diese Form der Musik so abwechslungsreich, dass es eine wahre Freude ist. Ich meine, es gibt sogar Growls und Flöten – was will ich mehr? Tja, genau diese Abwechslung ist eine große Crux der Platte und verhindert einen gewissen Flow, den ich von einem solchen Album erwarte. Dabei möchte ich gar nicht so weit gehen, dass die diversen Einsprengsel aus Perspektive der Geschichte keinen Sinn machen, sondern ich verstehe sie nicht bzw. kann sie nicht nachvollziehen. So sehr ich Bruce' Plädoyer für physikalische Tonträger schätze, so sehr leidet sein neustes Werk unter dieser Modekrankheit, dass man jedes Produkt so sehr mit einer entsprechenden Mythologie aufblähen muss. Dieses bricht aktuell auch dem MCU das Genick. Ich möchte zum Genuss eines Konzeptalbums (auch wenn das Konzept hier eh nur sehr vage formuliert wird) nicht noch diverse Comics und Begleittexte lesen müssen, um der Story zu folgen oder die jeweiligen Ansätze verstehen zu können. In den Zeiten von Streaming ein schwieriges Terrain. Noch ärgerlicher wird es allerdings, wenn man sich diese Mühe macht, um zumindest einen groben Einblick zu bekommen und erfährt dann, dass einzelne Songs auch gar keinen Bezug haben zum restlichen Konzept. Bitte was? Somit bin ich, trotz der musikalisch unbestreitbaren Klasse diverser Nummern, eigentlich nur frustriert beim Hören von "The Mandrake Project".

Note: 7,5/10
[Stefan Rosenthal]

Wie bitte? Kollege Stefan ist frustriert beim Hören von "The Mandrake Project"? Wenn ich nur diese Aussage lesen würde, würde ich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, denn auf dieser Platte gibt es musikalisch gesehen absolut gar nichts, was frustrieren dürfte. Die Songs sind angefangen beim formidablen 'Afterglow Of Ragnarok' über 'Rain On The Graves', welchen ich das erste Mal lustigerweise im Auto gehört habe, als ich auf dem Weg zum Friedhof war und es draußen regnete, dann das sensationelle 'Eternity Has Failed' bis hin zu 'Sonata (Immortal Beloved)' besser als alles, was Dickinson mit den Eisernen Jungfrauen seit "Brave New World" veröffentlicht hat. Ich habe Bruce schon lange nicht mehr so gut singen gehört, wie auf "The Mandrake Project". Dass ich für diese Scheibe nicht die volle Punktzahl gebe, liegt an meiner "Vorsicht", angesichts der überraschend starken Vorstellung auf dieser Scheibe zu sehr in Euphorie verfallen zu sein und die Langzeitwirkung der Songs eventuell zu überschätzen. Aber aktuell kann ich nur sagen, dass Bruce seine Kollegen von JUDAS PRIEST sogar in die Tasche steckt. Um nochmal auf Stefans Frustration zurückzukommen, unter den von ihm genannten Gesichtspunkten kann ich eine gewisse Frustration vielleicht nachvollziehen; da mich die ihn frustrierenden Aspekte jedoch nicht stören, gibt es nichts, was mir den Genuss von "The Mandrake Project" madig machen könnte.

Note: 9,5/10
[Mario Dahl]

 

Redakteur:
Marcel Rapp

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