Gruppentherapie ENSLAVED-"Riitiir"
02.10.2012 | 12:00
Warum stehen unter diesem Genörgel jetzt trotzdem sieben Punkte? Hm, erstens gibt es diverse Momente und Passagen auf dem Album, bei denen ich recht angetan aufhorche, zweitens ist das handwerklich und klanglich erste Sahne und schlussendlich hege ich die Vermutung, dass mir das Album im Winter deutlich besser gefallen könnte. Eine schlappe Begründung? Vielleicht. Eine bessere habe ich aber nicht. Subjektivität ist halt etwas Feines.
Note: 7,0/10
[Holger Andrae]

Note: 7,5/10
[Martin van der Laan]
Note: 8,0/10
[Peter Kubaschk]

Peter bringt sehr gut auf den Punkt, was es mit "Riitir" auf sich hat. Die ersten Gehversuche mit der Scheibe waren schon sehr tough, obwohl mir so ein Sound im Prinzip sehr gut liegt. Vom Anspruch geht "Riitiir" in etwa in Richtung der IHSAHN-Werke, also eigenständiger, harter, moderner und komplexer Prog Metal mit Black-Metal-Einschlag. Und dennoch muss zumindest ich deutlich mehr kämpfen, graben und wühlen, um mich diesmal im ENSLAVED'schen Soundsammelsurium zurecht zu finden. Erstaunlich und auch lobenswert, dass ENSLAVED nach "Axioma Ethica Odini", das ganz sicher viel einfacher für das breitere Metal-Publikum zu fassen war, nicht auf Nummer sicher gehen und dem Hörer ein paar knackige Hausaufgaben aufgeben. Das lockt natürlich wiederrum die hirnknoten-verrückte Prog-Professorenschaft an und die gewinnt nach einigen Spins - gerne auch unterm Köpfhörer, mit Single-Malt Whiskey und Salt&Vinegar Chips in den Händen (um mal schön alle Klischees zu bedienen) - mehr und mehr Zugang zu "Riitiir". Dies führt alsbald zum Frohlocken, denn auch auf "Riitiir" verstecken sich wieder Melodien zum Niederknien, jedoch fröhlich eingebettet in teilweise sehr harsche und komplexe Black-Metal-Parts, entrückt art- und postrockige Sequenzen, futuristische Synthieteppiche und - ganz nebenbei - sogar ganz hip retro anmutende Mellotron-Sounds. Dazwischen grantelt Grutle so gut wie er es eigentlich schon immer tat. Strange und toll!
Note: 9,0/10
[Thomas Becker]
Lustigerweise finde ich mich in nahezu allen Einschätzungen und Urteilen meiner Kollegen wieder - genau genommen steht jeder Beitrag stellvertretend für meine Meinung zu einem bestimmten Zeitpunkt der Auseinandersetzung mit "Riitiir". Nach den ersten Durchläufen war ich irgendwo bei Holger: "Riitiir" ist eine gute, phasenweise sehr gute Platte, die aber Längen hat, die nicht wegzudiskutieren sind. 'Roots Of The Mountain' ist dabei der Höhepunkt der Reise! Wenig später ging es mir dann wie Martin: Die Platte ist spannend, allerdings auch genauso anstrengend. Auf dem Vorgänger haben ENSLAVED irgendwie kompakter und packender komponiert. Ein paar weitere Umdrehungen später fand ich mich dann bei Peter wieder: Die Norweger haben hier etwas Tolles geschaffen, was jedoch ziemlich sperrig ist und mit "Axioma Ethica Odini" im Unterbewusstsein fast schon verkopft wirkt. Und nun, wieder ein paar Durchgänge später, bin ich letzten Endes bei Thomas angekommen: Wenn man sich die Zeit zur bewussten Auseinandersetzung nimmt und "Riitiir" wachsen lässt, dann entsteht etwas wirklich Wundervolles. Die Melodien und der Gesang sind entrückter, verträumter als zuletzt ('Thoughts Like Hammers'), das schwarz angehauchte Geholze ist nicht mehr so richtiges Headbanger-Material ('Materal') und die post-rockigen Flächen ('Roots Of The Mountain') sowie die 70er-Ausflüge ('Forsaken') gänzlich neues Terrain - dennoch ergibt sich in allen Nummern ein stimmiges Gesamtbild. Die Musik ist weniger bissig als zuletzt, dafür aber schlichtweg "schöner". Zwar muss auch ich gestehen, dass mir der Vorgänger noch einen Tacken besser gefallen hat, aber das ändert nichts daran, dass ENSLAVED hier ein wunderbares Album abgeliefert haben. Der Weg ins Herz geht aber dieses Mal mal nicht über die Faust, sondern über den Kopf - und damit sollte nun jeder wissen, ob "Riitiir" für ihn in diesem und vielen weiteren Wintern von Bedeutung ist.
Note: 8,5/10

ENSLAVED nötigen mir eigentlich mit jedem neuen Release viel Respekt ab. Kaum eine andere Band vermag es, sich so konsequent weiter zu entwickeln, einen eigenen Sound zu behalten und die Wurzeln nicht gänzlich aus den Augen zu verlieren. Dazu kommt die Gabe, vertracktes Songmaterial darzubieten ohne die Heavyness zu verlieren. Man höre einfach mal 'Veilburner'. Der Song ist sowieso ein Paradebeispiel für das gesamte Album, denn nirgends finden sich Extreme-Metal-Elemente schlüssiger mit Post-Elementen kombiniert. Alleine die beiden Versionen der Vocals markieren einen deutlichen Abstand zur Konkurrenz, die gerne so gut klingen würde wie ENSLAVED. Auf keinen Fall unerwähnt dürfen die Melodien und Harmonieführungen bleiben, wie man sie z.B. bei 'Storm Of Memories' findet. Obwohl diese Nummer noch am ehesten an die Black-Metal-Wurzeln erinnert, tragen elegische Momente die Musik der Norweger und lassen sie eigenständig, einzigartig klingen. Das waren jetzt lediglich zwei Songs eines Albums, das in der Qualität nicht nach unten von diesen tollen Beispielen abweicht. "Rittiir" schafft den Spagat zwischen Hörspaß und Tiefe, und genau da trennt sich die Spreu vom Weizen. Wo bei anderen Bands die genannten Einsprengsel aus anderen Genres nervtötend sind oder für Leere im Soundkostüm sorgen, machen ENSLAVED dies alles zu IHREM Sound. Und der ist auch 2012 wieder ein Paradebeispiel für progressive Musik, die sich nicht davor scheut, den ein oder anderen Scheuklappen-Fan zu vergraulen. ENSLAVED sind authentisch, bedienen ihre eigene Nische und werden sich das auch in Zukunft ganz bestimmt nicht so leicht streitig machen lassen. Für viele Fans verständlicherweise ein Kandidat für das Album des Jahres!
Note: 8,5/10
[Nils Macher]
- Redakteur:
- Thomas Becker