Unterwegs Nach Cold Mountain
- Regie:
- Anthony Minghella
- Jahr:
- 2003
- Genre:
- Drama
- Land:
- USA
- Originaltitel:
- Cold Mountain
1 Review(s)
16.07.2004 | 13:41Stille.
Kein einziger Laut ist zu hören, selbst der Wind scheint auf sein Gebrüll zu verzichten, um die drückende Lautlosigkeit nicht zu stören, welche wie eine Wand aus Nebel über dem Schlachtfeld hängt. Die Stimmung ist nervös, 'nichts los' ist schon fast schlimmer, als Kugeln, die einem nur so um die Ohren pfeifen. Die Männer, die sich im Schützengraben zusammenkauern, spielen Mundharmonika, zocken mit Karten um Lebensmittel oder schreiben Briefe. Als ein grollendes Donnern die Stille durchschlägt, macht sich bei vielen Panik breit, dann bricht das Inferno los. Die Erde tut sich auf und spuckt Feuer. Ganze Bodenplatten brechen los und machen Platz für eine Welle aus Feuer und Tod, die sich über die wartenden Soldaten wirft. Kaum eine Chance für die Männer, die entweder von der Welle zerrissen werden, oder unter Tonnen von mitgeschleudertem Dreck begraben werden. Die inzwischen heranstürmenden Truppen der Unionsarmee werden auch quasi erst per Zufall bemerkt, weil sie mitten in den selbst gesprengten Krater reinrennen, in dem sie von den Konföderierten bequem von oben herab abgeschlachtet werden. Der begonnene Sturmangriff verwandelt sich in ein Fiasko für beide Seiten. Der vorher staubtrockene Sand auf dem Feld verwandelt sich durch die Schlacht in blutgetränkten Matsch, in dem die Männer sich teilweise mit bloßen Händen gegenseitig umbringen, Artillerie aus nächster Nähe auf die Eingeschlossenen abgefeuert wird und in dem einige niedergetrampelt werden und im Morast ersticken.
"Unterwegs nach Cold Mountain" ist ein Antikriegsfilm. Mit unverhohlener Brutalität zeigt der Film von Regisseur Anthony Minghella die Schrecken des amerikanischen Bürgerkriegs (1861-1865), und dabei ist die eben beschriebene Szene nur eine von zweien, die an der Front spielen.
Inman hat die Schnauze voll. Mehr als die Hälfte der legendären "Cold Mountain Boys", alles Jungs aus seinem Heimatdorf, sind tot, er selber durch einen nächtlichen Guerilla-Angriff am Hals verwundet. Als seine daheim gebliebene Liebe Ada ihn verzweifelt nach Hause ruft, weil sie nichtmehr in der Lage ist, die eigene Farm nach dem Tod ihres Vater zu bewältigen, reisst er eines nachts aus dem Lazarett aus, um sich auf den Weg von Petersburg nach Cold Mountain zu machen. Eine Fußstrecke von mehr als 300 Meilen. Währenddessen muss sich Ada zuhause mit den Strapazen der Heimatfront rumschlagen. Als Bildungsbürgerin und Stadtkind hat sie keine Ahnung vom Dasein als Bäuerin. Die Nahrungsmittelknappheit, die durch den Krieg ausgelöst wurde, macht es ihr quasi unmöglich, sich selber zu versorgen. Zudem wird der Chef der örtlichen Heimatgarde immer zudringlicher, weil das Land, auf dem ihre Farm steht, ursprünglich seiner Familie gehörte.
Für Inman stellt seine Reise zurück zur geliebten Ada eine Reise durch die Seele seines zerrissenen Landes dar. Er wird mit unglaublicher Menschenverachtung konfrontiert, der angstgebeutelten Gruppe fliehender Sklaven und anderer Kriegsverweigerer und dem Elend der Zivilbevölkerung. Auf seiner Reise macht er die Bekanntschaft des lüsternen Predigers Veasey, der eine Schwarze schwängerte und daraufhin von seiner Gemeinde gelyncht werden sollte, des boshaften Juniors, der Kriegsflüchtlinge ködert und an die Miliz verrät, der verzweifelten Witwe Sara, die nur noch ein einziges Mal von einem Mann in den Arm genommen möchte um sich in den Schlaf zu weinen und der seltsamen Einsiedlerin Maddy, die ihm die Welt erklärt und ihn gesund pflegt.
Mittlerweile entwickelt sich die sogenannte "Heimatgarde" zu einer Ansammlung ruchloser Sadisten, die aus Spaß morden und ohne Skrupel ihre Macht über die Dorfbewohner ausnutzen. Dieses Gehabe bekommt einen Dämpfer, als Ada Verstärkung von der vielschrötigen Ruby bekommt, die ihr hilft, die Farm in Schuss zu halten. Als dann noch der Vater von Ruby auftaucht, eskaliert der Konflikt zwischen den willkürlichen Ordnungshütern und der aufmüpfigen Farmbesatzung um Ada.
Obwohl dieser Film als Drama gehandelt wird, ist er doch in seinen Grundzügen einer der krassesten Antikriegsfilme, die ich je zu sehen bekam. Dieser Film steht völlig abseits der früheren Bürgerkriegsfilme, verzichtet auf die Glorifizierung des Krieges wie in "Ghettysburg", der Dramatiesierung des Heldentodes in "Glory" oder auf die krasse Hervorhebung der Liebe in "Vom Winde Verweht".
"Unterwegs nach Cold Mountain" ist ein sehr nüchtern ausgefallenes und mit seinem Realismus sehr schockierend ausfallendes Dokument über die Zustände in der Zivilbevölkerung zur Zeit des Sezessionskrieges in Amerika. Nahrungsmittelknappheit, Männermangel, Krankheit und die Verrohung der Ordnungsgewalt machten besonders der Stadtbevölkerung das Leben zur Hölle.
Mit diesem Film legt Minghella den Amerikanern die eigene Geschichte dar und zeigt, als Liebesgeschichte verpackt, dass an dem Krieg nichts Glorreiches war und nur die Hoffnung die Menschen am Leben hielt. Mit einer erstklassigen Zusammenstellung an Haupt- (Nicole Kidman und Jude Law) und Nebendarstellern (u.a. Renée Zellweger, Brendan Gleeson, Kathy Baker und THE WHITE STRIPES Sänger Jack White) bringt der Film die Einzelschicksale der Menschen, wie sie Inman begegnen, in einer Eindringlichkeit näher, die einem des öfteren flau im Magen werden lässt, wenn man sieht, wie das Elend des Krieges niemanden verschont.
Die allesamt sehr souverän agierenden Schauspieler bringen den Stoff so echt rüber, dass die Geschichte sich schon mehr als selbst miterlebt darstellt, als eine erzählte Story. Die Ungewissheit über das Ende und die hin- und hergerissenen Höhepunkte des Films verleihem dem Ganzen eine ungeahnte Spannung, die jeden Italo-Western in den Schatten stellt. Besonders Jude Law, dem seine Darstellung des wortkargen Inman beinahe den Oskar einbrachte (die anderen fünf Oskars wurden durch die Gnadenoskars an den dritten "Der Herr Der Ringe"-Teil vereitelt, nur Zellweger bekam den Oskar für die beste Nebenrolle), brilliert als Mensch, auf den die ganzen verstörenden Eindrücke einprasseln, und er dem oft genug nicht gewachsen scheint.
Unverständlich aber vorhersehbar war die Aufregung der Mainstream-Medien über die Natürlichkeit des Films. Das einzige MakeUp das verwendet wurde, war Kunstblut und aufklebbare Wunden, ansonsten verließ man sich völlig auf die Darstellungskraft des Schauspielerkaders. Zu Recht stellte dieser Film einen der cineastischen Höhepunkte des Jahres 2003 dar. Nicole Kidman agiert zwar sicher, aber nicht unbedingt herausragend als verhätscheltes Stadtkind, das sich mit dem Landleben abplagen darf (vor allem weil sie von Madame Zellweger mit einem Handstreich an die Wand gespielt wird) und sieht ohne MakeUp um Längen besser aus als ihr getuntes Pendant auf dem roten Teppich. Renée Zellweger sieht wie immer ein wenig verknautscht aus und Jude Law dürfte als dreckiger Flüchtling wohl noch effektiver Frauenherzen zum Schmelzen bringen. Trotzdem wird die schauspielerische Darstellungskraft der Charaktere vor allem durch die Story in den Schatten gestellt: mit jedem Erlebnis, ob jetzt auf der Flucht von Inman oder zuhause auf der Farm von Ada Monroe, verfestigt sich der Eisklumpen in der Bauchgegend und lässt mit fassungslos geöffneten Augen mitverfolgen, wie sich die Menschen damals gegenseitig an die Gurgel gingen.
Mit diesem bildgewaltig dargestellten Menschenelend fragt man sich am Ende wirklich, ob das unhappy End selbst in diesem Drama nicht ein wenig zu viel des Guten war.
Ein unglaublich authentisches Kriegsdrama, in dem die Liebe zwischen Inman und Ada Monroe als Strohhalm dient, an dem man sich klammert, um nicht in der depressiven und selbstzerstörerischen Grundstimmung des Filmes unterzugehen.
Anthony Minghella selber ist sich der Macht seines Filmes, aber auch dem Hintergrund bewusst: "Egal wo und wann mein Film gezeigt wird, es wird immer zu einer Zeit des Krieges auf der Erde sein."
- Redakteur:
- Michael Kulueke