LORD, JON - Concerto (For Group And Orchestra) - 2012
Mehr über Lord, Jon
- Genre:
- Symphonic Rock / Progressive Rock
- ∅-Note:
- 10.00
- Label:
- earMUSIC (Edel)
- Release:
- 28.09.2012
- Moderato - Allegro
- Andante
- Vivace - Presto
Das Lebenswerk eines Jahrhundertkünstlers
Was für ein Vermächtnis! Nur knapp vor seinem Tod stellt einer der einflussreichsten Rockmusiker des 20. Jahrhunderts sein ultimatives Projekt zu Ende. Gute vierzig Jahre nach der Live-Aufführung seines "Concerto For Group And Orchestra" liegt endlich die Studiofassung vor, die es wirklich in sich hat. JON LORD hinterlässt der Nachwelt ein Opus, welches jetzt schon einen Platz in den Geschichtsbüchern der Musik hat.
Dieser wohltemperierte Cuvée aus E- und U-Musik hat seinen Ursprung im Jahr 1969 als DEEP PURPLE und das ROYAL PHILHARMONIC ORCHESTRA Lords Komposition zur Uraufführung brachten. Damals stieß das Unterfangen aber nicht überall auf Gegenliebe - ob man das mangelnde gegenseitige Interesse raushört, sei jedem selbst überlassen. Fakt ist: JON LORD konnte sein ganzes Leben über nicht mehr davon ablassen und hat das "Concerto" in verschiedenen Versionen zu Aufführungen und Tourneen gebracht. Doch der Geniestreich folgt unmittelbar vor seinem Tod. Viele Fans wissen, dass man es vor allem dem Dirigenten Paul Mann zu verdanken hat, dass Lord nie in seinem Bestreben nachgelassen hat, sein Opus weiter zu verbessern und letzten Endes die Studioaufnahme in Angriff zu nehmen, die wir hier hören dürfen. Ich möchte hier keineswegs musiktheoretische Ausführungen darbringen noch eine Geschichtsstunde abhalten. Wer sich für dieses Album interessiert, wird hier hoffentlich genug Anreiz zum Kauf finden und kann dann im ausgesprochen informativen Booklet einiges zu dem erfahren, was das "Concerto" ausmacht. Die Lektüre lohnt sich insbesondere für Hörer, die ansonsten mit Klassik eher wenig Berührung haben, ihre Scheuklappen aber gerne zur Seite legen und neue Einflüsse in das Hörverständnis zulassen wollen.
Ein paar grundlegende Gedanken zur Musik haben natürlich auch hier ihren Platz. Die drei Sätze, nämlich 'Moderato Allegro', 'Andante' und 'Vivace Presto' folgen einem Gedanken JON LORDs, der sich für mich so erschließt, dass verschiedene Begegnungen von Orchester und Band vorgestellt werden, die aber allesamt anders verlaufen und mit unterschiedlichen Ergebnisse enden. Im ersten Satz dominieren vor allem die klassischen Einflüsse, eine Hommage an die Lieblingskomponisten des Tastenmagiers. Zu nennen sind hier insbesondere Sibelius,Tchaikovsky und Holst. Die Tutti-Passagen dienen als Exposition der Themen, die sich - in abgewandelter Form - im Werk stets wiederfinden. Alsbald die Band einsetzt, findet man sich in der Durchführung des Themas wieder, die durch die Gitarrenarbeit von Solist Darin Vasilev und natürlich durch das opulente Orgelspiel von JON LORD besticht. Ebenfalls vom ersten Takt an ein wahrer Genuss: die Rhythmusfraktion in Form von PINK FLOYD-Bassist Guy Pratt und Drummer Brett Morgan, der schon mit vielen Größen der Rockmusik gearbeitet hat. Insgesamt ein wunderbares Stück Musik, welches durch die vielen Wechsel in Dynamik und Tempo lebt und die Charakteristiken der vertretenen Instrumente lautmalerisch zu einer einzigartigen Klangcollage zusammensetzt. Den Schlusshöhepunkt bildet ein fulminantes Duett von Orchester und LORDs Orgel, das die Dynamik der heimischen Stereoanlage vollkommen ausreizt und bei entsprechender Lautstärke die Wände wackeln lässt. Bravo!
Im zweiten Satz 'Andante' geht es naturgemäß etwas gemächlicher zu. In düsteren Klanglandschaften finden sich hier vor allem Einflüsse der osteuropäischen Vertreter wieder: Dvořák und Shostakovich grüßen fleißig wie das Murmeltier. Was zu einem Choral aus Holzbläsern und Streichern wird, wandelt sich zu einem klassisch inspirierten Gospel-Stück im 5/8-Takt mit mehrstimmigem Gesang und Flötenbegleitung. Es wird deutlich: hier werden die verschiedensten Einflüsse miteinander verschmolzen, wie man es auf dem Papier niemals tun würde. Wir hören die ganz eigene "Neue Welt" in der Interpretation von JON LORD. Auch im zweiten Teil des 'Andante' geschieht einiges, sobald die Band im tutti einsetzt. Man hört die bluesige Gitarre von Joe Bonamassa aufheulen, die genauso wie der gefühlvolle Gesang von MAIDEN-Fronter Bruce Dickinson eine tolle Note beitragen. Die gelegentlichen Gefühlsausbrüche werden wunderbar inszeniert und vom Orchester teils begleitet, dann wieder übernommen. Ein Wechselbad der Höreindrücke ist dieser zweite Satz, bei dem sich viele Ereignisse erst nach mehrmaligem Hören erschließen lassen. Und immer, immer wieder besäuseln Orgeltöne das Ohr und bezirzen den Kopf, so dass nichts anderes übrig bleibt als sich vor diesem JON LORD zu verbeugen.
Dritter und letzter Satz 'Vivace - Presto'. Der Anfang eine Ehrbekundung gegenüber dem Komponisten Gustav Holst, das was sich daraus entwickelt, ist die geniale Klangeruption eines Finale, das seinen Titel wirklich verdient hat. Die Komposition von Lord treibt alle Musiker zur Höchstform. Wie auch schon im letzten Satz gibt es einen Besetzungswechsel und endlich gibt es ein kleines Stückchen DEEP PURPLE. Steve Morse ist genau der richtige Mann für den finalen Donnerschlag und er darf sich ebenso austoben wie Drummer Brett Morgan, der seine eigene Interpretation eines Schlagzeugsolos eingetrommelt hat. Was danach folgt lässt sich nur schwer in Worte fassen, so hingerissen bin ich von der Musik. Da wo Orchester und Band sich vorher begegneten, treten sie nun in einen famosen Dialog und treiben die Dramaturgie des "Concerto" wirbelwindartig in die Höhe. Mein Adrenalinspiegel ist jedes mal am Anschlag, wenn man denkt, die letzten Töne von Orgel und Gitarre können nicht mehr übertroffen werden bis die tiefen Blechbläser diese Annahme zu Nichte machen und die letzten Staubkörner von den Membranen pusten. Und am Ende bin ich genau so erschöpft, wie es die Musiker nach der Aufnahme gewesen sein müssen. Ein wahrhaft intensive Hörerlebnis!
Am Besten atme ich ein paar Mal tief ein und aus, um mich jetzt der Zusammenfassung zu widmen. Die Leistung der Musik des "Concerto" liegt folglich nicht darin, ein hochrangiges Werk zeitgenössischer E-Musik komponiert zu haben, was von anderen Rezensenten gerne (absichtlich) missverstanden wird. Nein, die große Stärke des "Concerto" liegt im Wandel des erst Nebeneinander, dann Mit- und Gegeneinander von Band und Orchester als archetypische Protagonisten sonst diametral ausgeprägten künstlerischen Ausdrucks. Warum also die Zitate aus dem ersten Satz als Schwäche auslegen? Ich finde an dieser Stunde Musik so viel überwältigend Gutes, dass mir aufgesetztes Kritisieren sehr fern liegt. Es hat selten ein Album gegeben, dass meine Affinität sowohl für klassische als auch für Rock-Musik so wunderbar vereint und in Folge dessen mein Kiefer sich vorerst nur unter Anwendung von Gewalt wieder hochklappen lässt. Auch wenn ich dadurch einen etwas spezielleren Zugang zum "Concerto" haben sollte - es wird in meiner Best-Of-2012-Liste sehr weit oben auftauchen. Eine deutlichere Kaufempfehlung kann ich an dieser Stelle nicht ausprechen!
- Note:
- 10.00
- Redakteur:
- Nils Macher