LORD VIGO - Walk The Shadows
Mehr über Lord Vigo
- Genre:
- Rock/New Wave/80s-Synthie
- ∅-Note:
- 9.00
- Label:
- High Roller Records
- Release:
- 30.05.2025
- A Morbid Realm
- Walk The Shadows
- Through A Glass Darkly
- We Shall Not
- Killing Hearts And Endless Nights
- Servant Of The Dark
- The Triumph Of The Killing Heart
- El Hakim
"Resteverwertung" in allerhöchster Vollendung.
Der musikalische Zeitgeist der 80er Jahre scheint wohl derzeit wieder ein wenig Hochkonjunktur zu haben. Nachdem sich bereits MESSA auf ihrem neuen Opus "Spin" an jener Dekade musikalisch erfolgreich abgearbeitet hat, schicken sich nun die künstlerischen Freigeister von LORD VIGO an, dieser Phase ebenfalls die verdiente Ehre zu erweisen. Allerdings mit einem kleinen, aber feinen Unterschied, denn bei den Songs des neuen Albums "Walk The Shadows" handelt es sich allesamt um ältere Rohfassungen und Fragmente aus der Zeit vor den ersten Veröffentlichungen der Band. Die aktuelle und völlig konzeptfreie Platte ist somit eher als "LORD VIGO-Prequel" zu verstehen und ist daher natürlich nicht die auf drei Alben angelegte Fortsetzung der beiden Konzept-Werke "Danse De Noir" und "We Shall Overcome", auf die sich die treue Fanschar nun noch ein wenig länger gedulden muss. So viel vorweg.
Mitnichten handelt es sich bei der vorliegenden Veröffentlichung allerdings um sprödes Füllmaterial aus verstaubten Schubladen, welches man zur Überbrückung mal schnell dazwischenschieben kann. Denn dafür ist zum einen der generelle Anspruch der Band zu hoch, und zum anderen die Qualität der hier vorliegenden Stücke gleichfalls einfach viel zu stark.
LORD VIGO ist seit ihrer nun zehn Jahre andauernden Karriere eine Band gewesen, die sich nur ungern auf einen Stil oder ein Genre hat festlegen lassen. Auch auf den fünf vorangegangen Alben hat die Band uns immer wieder mit kleinen und großen (musikalischen) Überraschungen in Entzückung und Erstaunen versetzt. Ich sehe hier ein wenig Parallelen zu BLOOD INCANTATION, die sich vermutlich genau so ungern als reine Death Metal-Kombo verorten lassen möchte, wie das deutsche Trio im Epic Doom Metal-Kosmos, in welchem zumindest ich die Band ohnehin noch nie vorrangig gesehen habe.
Dass auf "Walk The Shadows" erneut der (Zeit)Geist der 80er Jahre regiert, ist indes kein großer Zufall, da die Band auch in der Vergangenheit schon die eine oder andere entsprechende Referenz platziert hat. Seien es die Tony Martin-Anleihen auf "Danse De Noir", die ein wenig an Blade Runner angelehnte SciFi-Ästhetik auf "We Shall Overcome" oder die Interpretation des Horror-Klassikers "The Fog" auf "Six Must Die". Patrick Fuchs und die beiden Palm-Brüder Christian und Patrick, aka Vinz Clortho, Volguus Zildrohar und Tony Scoleri, beziehen ihre Einflüsse eben nicht nur aus der Musik, sondern auch aus Film und Literatur, und das bleibt hoffentlich auch in Zukunft der Fall.
Bereits nach dem als Intro fungierenden und epischen 'A Morbid Realm' versetzen uns die Männer in das Jahrzehnt Generation Golf. Im darauffolgenden schmissigen Titeltrack braucht es dann nur die ersten drei oder vier Töne auf der Gitarre, um hier eindeutig das Dreier-Kollektiv aus Landstuhl zu identifizieren. Das melodische Leitmotiv des Songs schmiegt sich bereits nach kurzer Zeit wie ein warmer Schal um den Hals und möchte von hier auch nicht mehr weichen. Angenehm gothrockig ist der Beginn von 'Through A Glass Darkly', die Einflüsse der SISTERS OF MERCY und anderer Referenz-Bands wie THE FIELDS OF NEPHILIM sind hier nur schwer zu leugnen. Richtig "hitverdächtig" wird es dann allerdings bei 'We Shall Not', denn der Chorus brennt sich, wie es sich für einen guten 80er Jahre-Refrain eben gehört, sofort und dauerhaft im Tongedächtnis ein und macht die Nummer für mich nicht nur deswegen zum persönlichen Lieblings-Track des Albums.
'Killing Hearts And Endless Nights' versprüht dann nur zu Anfang des Stückes ein wenig 90er-Euro-Dance-Vibes. Lasst euch dadurch aber nicht verschrecken, denn auch dieser Song entwickelt schon recht schnell ein sehr angenehmes Eigenleben, inklusive traumhafter Melodylines und fabelhafter Gitarren-Leads. 'Servant Of The Dark' ist wieder so ein Song, der mich von der Stimmung her erinnerungstechnisch ohne Umschweife in meine Kindheit der 80er Jahre entführt, als die Welt wohl noch halbwegs in Ordnung zu sein schien. Als ich mich nach der Schule zum Nachmittags-Bolzen mit den Nachbarsjungs einfand, um in der elterlichen Küche dann bei Radiomusik von ALPHAVILLE, ULTRAVOX, ORCHESTRAL MANOEUVRES IN THE DARK, SIMPLE MINDS und anderer akustischer Perlen, die das hiesige Radio seinerzeit im Gegensatz zu heute aufzubieten hatte, meine Schürfwunden von mütterlicher Seite behandeln zu lassen. Schön war die Zeit. Es ist nicht so, dass Keys und Synth zuvor nicht auch schon in jedem Song eine sehr tragende und individuelle Rolle gespielt hätten, im New Wave-artigen 'The Triumph Of The Killing Heart' dominieren sie im Zusammenspiel mit herrlich plastischen 80er-Percussion und Vinz Clorthos auf der ganzen Platte außergewöhnlich variablem Gesang allerdings eindeutig das Geschehen. Der Refrain wieder einmal: Zuckerguss mit Himbeere. Und zum krönenden Abschluss bietet uns das Trio dann mit dem über zwölfminütigen und erhabenen 'El Hakim' ein letztes Mal ganz großes Ohrenkino. Mysteriöses, asiatisch beeinflusstes Glockenspiel, Pizzicato-hafte Keys, chorale Synths, erneut wunderbare Gitarrenläufe und endgeile Breaks and Wendungen ergeben hier eine musikalisch fulminante Schluss-Achterbahnfahrt, in der die Band nochmals alle Register ihres außergewöhnlichen songwriterischen Könnens zieht.
"Walk The Shadows" ist unterm Strich Überraschung, Wundertüte, große Kunst, aber am Ende des Tages eben auch ein lupenreines LORD VIGO-Werk. Im Presstext ist von einer "ziemlich eklektischen Mischung aus Epic Metal, Gothic Rock und Post-Punk" die Rede. Manchmal kann man jenen PR-Einstufungen einfach mal blind vertrauen. Wer den musikalischen Weg der Band bisher vorbehaltlos mitgegangen ist, wird den Pfad auch mit dieser brillanten "Resteverwertung" definitiv nicht verlassen. Es ist mehr als zu begrüßen, dass originäre Bands wie LORD VIGO künstlerische Risiken jeglicher Art noch immer nicht scheuen und auch wider den vorherrschenden Zeitgeist und Erwartungen potenzieller Stammfans und Käufer gnadenlos ihr eigenes Ding durchziehen. Ohne Rücksicht auf möglicherweise auch finanzielle Einbußen, aber darum ging es den Schöpfern von außergewöhnlicher Kunst ohnehin noch nie. Und das ist auch gut so!
Das düstere Cover-Artwork wurde im Übrigen von Künstler Markus Vesper konzipiert, der ja, Kenner wissen es natürlich, bereits fantastische Arbeiten auch für Bands wie MANILLA ROAD, ATTIC, A TORTURED SOUL und SHADOWBANE abgeliefert hat.
- Note:
- 9.00
- Redakteur:
- Stephan Lenze