ATARI TEENAGE RIOT - Atari Teenage Riot (1992 -2000)
Mehr über Atari Teenage Riot
- Genre:
- Industrial-Techno-Metal-Punk
- Label:
- Digital Hardcore Recordings
- Release:
- 30.06.2006
- Speed
- Destroy 2000 Years Of Culture
- Revolution Action
- Deutschland Has Got To Die
- Rage
- Into The Death
- Riot 1995
- Midijunkies
- Start The Riot
- Too Dead For Me
- Atari Teenage Riot
- Get Up While You Can
- You Can't Hold US Back
- Delete Yourself
- Sick To Death
- Western Decay
- Kids Are United
- Hetzjagd auf Nazis
Musik für Straßenkämpfe. Für das Pumpen von Adrenalin zwischen den Schläfen. Für unkontrolliertes Getanze. Für hemmungslose Toberei. Und für höhere Ziele als die pure Musik. Politik in hyperaggressiver Notenform: ATARI TEENAGE RIOT. Von 1992 bis 2001 eine der provokantesten, innovativsten und umstrittensten Bands aus Deutschland. Nun veröffentlichen sie ihr erstes Best-Of-Album "Atari Teenage Riot (1992 - 2000)". Über diese Skandal- und Erfolgszeit des Berliner Quartetts schrieb die angesehene Wochenzeitung "Die Zeit": "Jugendliche lieben sie für ihre Provokationen und Geschmacklosigkeiten, weil selbst die tolerantesten Eltern für sie kein Verständnis haben. ATARI TEENAGE RIOT leisten pubertäre Identitätsstiftung in Zeiten, da Rockmusik die Erwachsenen schon lange nicht mehr schreckt - sie sind das letzte Mittel, Erziehungsberechtigte in die Flucht zu schlagen." Ein sehr wahres Zitat. Doch warum sollte sich heute noch jemand dafür interessieren?
Dafür gibt es viele laute Gründe. ATARI TEENAGE RIOT nahmen schon mit ihrem Entstehen ein paar der wichtigsten Sounds der 90er Jahre vorweg und schufen eine bis heute nahezu unkopierte Mischung aus Techno und Industrial, die sie mit Metal-, Punk- und HipHop-Einlagen verquirlten. Das Ergebnis klingt auf der jetzigen Best-Of-Scheibe weder angestaubt noch antiquiert, sondern immer noch unheimlich energetisch, taufrisch und überadrenalisiert; jeder der 18 Tracks ist ein direkter Treffer ins Magen-, Bein- und Kopfzentrum. Kein Entkommen, 73 Minuten lang. Die Antreiberin bei Tracks wie 'Get Up While You Can' ist Sängerin Hanin Elias, die schrill und doch gerade so noch nachvollziehbar schreit. Als Gegenpole wirken nicht minder dynamische Sprecheinlagen von ATARI-Mastermind Alec Empire oder dem Rapper Carl Crack - alles elektronisch verzerrt, fies, bösartig, aggressiv. Dazu treiben dynamische Tanz-Rhytmen solche Tracks wie "Destroy 2000 Years Of Culture" an. Hier will aber niemand eine friedliche Disko. Hier geht es um Kriegstänze und fette Pogo-Pits, folgerichtig wurden solche Perlen damals unter anderem auf der von der Band mitorganisierten "Fuckparade" gespielt, dem Gegenstück zur Berliner "Loveparade".
...und dann sind da eben die Texte. "The time is right to fight" schreit Hanin Elias zu Beginn von 'Deutschland Has Got To Die'. Und beschreibt damit den Hass auf die Symbole und das System ihrer Heimat als eines der zentralen Lebensgefühle der Berliner. Eine Auffassung, die sich quer durch die Arbeit der Band zieht. "Wir sind Anarchisten, wir lehnen einen Nationalstaat ab", sagte Alec Empire früher in Interviews. In Liedern wie 'Hetzjagd auf Nazis' haben sie zudem die Vision, wie Antifaschisten als vogelfrei erklärte Nazis durch die Straßen jagen und zusammenschlagen. Harter Tobak, denn Selbstjustiz wird hier zum alleinigen Mittel im Umgang mit Rechtsradikalen erhoben. Verständlich werden solche Texte nur aus dem historischen Zusammenhang. 'Hetzjagd auf Nazis' entstand 1992, kurz nach dem ausländerfeindlichen Pogrom in Rostock-Lichtenhagen, bei dem selbst die Anwohner den Tätern applaudierten. Und die Polizei nicht eingriff. Und die Politik beschwichtigte. Schon vorher waren viele solcher Übergriffe passiert, alle mit ähnlichem Strickmuster. 'Hetzjagd auf Nazis' also eine Ohnmachtsreaktion auf eine gegenüber den Rechtsextremen versagende Zivilgesellschaft und die nicht minder lethargische Politik sowie die staatliche Justiz? So lässt es sich interpretieren - aber eben auch als überzogener Aufruf zu noch mehr Gewalt, der wiederum zu noch mehr Gegengewalt führt.
Doch jenseits dieser durchaus diskussionswürdigen Texte: ATARI TEENAGE RIOT zeigen auf diesem Best-Of-Album, wie wichtig und innovativ die Band vor gut zehn Jahren noch für die Musikszene gewesen ist. Denn grundlos wird sie zum Beispiel Trent Reznor von den NINE INCH NAILS damals nicht mit auf seine Tour genommen haben. Und ebenso dürfte ihre Zusammenarbeit mit SLAYER für den Song 'No Remorse' vom "Spawn"-Filmsountrack nicht nur über gute Kontakte vermittelt worden sein - sondern auch durch ihr Talent für das Erkennen von Strukturen, die sich zielsicher von Mittelohr ins Zwischenhirn bohren und von dort Angriffsbefehle an alle wichtigen Extremitäten geben: Egal ob zu Sex, zum Dauerlauf oder zur nächsten Schlägerei, ATARI TEENAGE RIOT sind überall dort gut, wo es heiß und lang hergeht. Ausfälle gibt es hier keine, nicht bei der totgeilen SHAM 69-Coverversion von 'Kids Are United' und auch nicht bei dem rotzcoolen Stampfer 'Delete Yourself'. Mit dieser Zusammenstellung alter Größe zeigen ATARI TEENAGE RIOT schlicht eindrucksvoll, welch kreativer Kopf der deutschen Extrem-Musikszene zur Zeit fehlt. Und nähren die Hoffnung, dass sich die Band nach dem Tod von Carl Crack doch noch einmal zu neuen Sternstunden ihres bitterbös-industrialisierten Polit-Metzel-Sounds hinreißen lässt.
Anspieltipps: ...alles, schlicht überwältigend und schweinegeil...
- Redakteur:
- Henri Kramer