X-Mass-Festival - Leipzig

15.12.2003 | 07:32

12.12.2003, Hellraiser

Henri: Immer diese Menschenmassen im Weihnachtsgeschäft... Kaum bewegen kann man sich da. War ja beim X-Mass im Hellraiser nicht anders: Sieben Bands und ein voller Club rocken von Beginn an los... Stephan, wer hat gleich zu Beginn gespielt?

Stephan: Kann ich mir gut vorstellen, dass da dein Erinnerungsvermögen alkoholbedingt ein wenig aussetzt. Die Amis von MISERY INDEX eröffnen in einem zu diesem frühen Zeitpunkt (18 Uhr) bereits recht gut gefüllten Hellraiser und bieten technischen, abwechslungsreichen und sehr druckvollen Death Metal. Die mit ehemaligen DYING FETUS-Mitgliedern besetzte Truppe darf eine knappe halbe Stunde ran und weiß durchaus zu überzeugen. Man kann schon einige positiven Publikumsresonanzen einheimsen und das auch völlig zu Recht. MISERY INDEX sind auf jeden Fall der perfekte Opener, damit die Anwesenden munter werden und schon ordentlich in Fahrt kommen können.
Danach gehts blackmetallisch weiter, ne?

Henri: Genau! GRAVEWORM sind dabei wie eine große Flugmaschine: Fünf Propeller und ein Schlagwerker im Hintergrund. Außer Drummer Martin versinken die Musiker in ihren Haaren, besonders Tastenfrau Sabine bangt so schnell im Kreis, dass sich ihr Kopf fast schon ablöst und die Träger ihres Tops ständig auf Halbmast hängen. Im Publikum herrscht ähnliche Begeisterung über die GRAVEWORM'sche Klangwelten wie auf der Bühne, schon deutlich mehr Leute als bei MISERY INDEX lassen ihrer Begeisterung freien (Mosh-)Lauf. Da freut sich auch Sänger Stefan, der zwar ein peinliches NUCLEAR BLAST-Hemd trägt, dafür aber zum Glück wunderbar bei Stimme ist. Der Sound ist für GRAVEWORM ebenfalls wie extra angefertigt, dunkel und ergreifend fliegen Tracks von 'Scourge Of Malice' oder 'Engraved In Black' in die Massen. Leider gibt es ein Problem: Die Magie währt nicht allzu lang. Schon nach einer halben Stunde heißt es "Tschüssie" - der Verheizungsgrad ist beim "X-Mass" auch in diesem Jahr immens hoch...

Stephan: Auf DEW-SCENTED hatte ich mich an diesem Abend am meisten gefreut, sollte doch die livehaftige Präsentation der neuen Songs vom grandiosen "Impact"-Album klare Priorität haben. Und was soll ich sagen: Es ist einfach nur geil! Was energiegeladene Thrash-Shows angeht, da macht DEW-SCENTED mittlerweile keiner mehr was vor. Schnörkellos geht man zur Sache und dabei gibt es ordentlich auf die Zwölf - also genau so, wie es ein soll. Die Smasher vom neuen Album wie 'Soul Poison', 'Cities Of The Dead' (bei dem der erste Moshpit des Abends initiiert wird), 'One By One' und natürlich 'Acts Of Rage' funktionieren live allesamt erstklassig und garantieren für einige Nackenschmerzen. Cool ist auch die Ansage von Schreihals Leffe Jensen, dass die Zuschauer sich in einem "freundlichen Moshpit" zusammenfinden sollen, da man ja nicht zu Gewalt aufrufen wolle. Dass es in besagtem Moshpit dann wenig freundlich zugeht, versteht sich eigentlich von selbst. Für mich sind DEW-SCENTED jedenfalls eines der heißesten Eisen aus Deutschland, die momentan die Bühnen unsicher machen.

Henri: Auf jeden Fall, obwohl die SLAYER-Anteile der Band ganz schön dominieren. Was ja auch cool ist, aber noch nicht automatisch zur totalen Eigenständigkeit führt. Aber egal, DEW-SCENTED knallen live in jedem Fall. Anders krass sind danach aber auch NILE, eben ein wenig ägyptischer...

Stephan: NILE haben sich ja inzwischen einen richtig guten Namen machen können, da man nicht nur textlich mit den ägyptologischen Themen ein etwas anderes Konzept verfolgt als die meisten Death-Metal-Kapellen, sondern vor allem, weil man für variablen und richtig starken Todesblei steht. Am heutigen Abend haben die Amis allerdings mit schlechtem Sound zu kämpfen, wodurch die teilweise relativ komplexen Songstrukturen nicht so richtig zum Tragen kommen. Trotz aller Enttäuschung darüber ist es aber dennoch ein aggressiver und technisch makelloser Auftritt, der immer noch viele andere Bands in den Schatten stellt. Denn Karl Sander's mächtige Vocals und die massiven Soundwände machen die Show allemal zu einem Erlebnis. Man kann NILE also dennoch eine reife Leistung bescheinigen, da sie sich trotzdem alle Mühe geben und das Beste aus der Situation machen. Allerdings kommt die durchweg sehr namhafte Konkurrenz am heutigen Abend beim Großteil des Publikums besser an, was bei den erwähnten Problemen ja irgendwo auch verständlich ist.

Henri: Let's Rock and Die! Wenn die gewaltigsten Wikinger dieses Planeten zum Tanz bitten, dann haut's dir immer den Kopf weg... So auch diesmal. AMON AMARTH fackeln nicht lange und verbreiten von Beginn an Koller-Atmosphäre. Die Band gewinnt zudem den inoffiziellen Wettbewerb "oberkörperfreieste Band des Abends", Sänger, Schlagzeuger und ein Gitarrist sorgen für den Titel. Besonders Grunzer Johan Hegg ist wieder der Sympathiebolzen unter den Frontmännern, schmettert gleich zu Beginn ein "Proooost Leipzig" ins Mikro und geht danach ab wie ein Berserker. Bei Songs wie 'Masters Of War' oder dem grandiosen Finale 'Victourious March' schwingen mehrere Reihen im Publikum ihre "Banging Heads". Merke: AMON AMARTH spielen zwar dauernd und immer und überall, wechseln kaum ihre Setlist und sind auch sonst wenig überraschend, dennoch eine der genialsten Live-Bands dieses Planeten, einen unsagbaren Druck erzeugend, wie ein gewaltiger Sturm, der durch dürres Gras fegt... Geil!

Stephan: Auch von DESTRUCTION kann man mit einiger Berechtigung behaupten, dass sie live wenig überraschend sind und eigentlich immer mit der selben Songauswahl ihre Thrash-Attack auf die bangenden Köpfe der Zuhörer herniedergehen lassen. Demzufolge ist aber auch genauso wenig überraschend, dass Schmier & Co. mal wieder eine energiegeladene und unerbittliche Liveshow abliefern, wie sie aggressiver kaum sein könnte. Als besonders gewaltiges Pfund erweisen sich heute die Songs vom neuen Album "Metal Discharge", die richtig reinknallen. Aber auch bei den alten Klassikern ist der Teufel los, fast scheint es so, als können DESTRUCTION einfach partout nichts falsch machen.

Henri: Für Verblüffung sorgt dagegen der neue Look von DESTRUCTION's Schmier. Passend zur kalten Jahreszeit sind die blonden Haare entfärbt, nun schüttelt der Frontmann braune Locken. Außerdem scheint Schmier abgespeckt zu haben?! Aber egal, Hauptsache es rockt, bei Songs wie 'The Butcher Strikes Back' streikt im Publikum niemand und alle trashen mit. Amtlich...

Stephan: Eigentlich ist es verwunderlich, dass nach dem Vernichtungsfeldzug von DESTRUCTION überhaupt noch jemand die Kraft hat bei DEICIDE's Show ordentlich abzugehen, aber der sehr aufgeräumt wirkende Glen Benton und seine Crew verstehen es vortrefflich noch das Letzte aus den Leuten herauszukitzeln.

Henri: Jaja, das tun sie. Gerade deswegen steht der Gig unter dem Motto: "Wenn Legenden sterben..." Bei DEICIDE gibt es die Legende des Glen Benton, des bösen Fürsten der Hölle, der mit seiner Musik und seinem Image die Christen ein für allemal kalt machen möchte. Legende Zwei: Glen Benton mag seine Fans nicht... 1999 sah ich ihn, wie er eine etwas verwirrte Diverin ohne Vorwarnung von der Bühne kloppte und die arme Frau dabei ziemlich böse fiel... Doch was ist das? Glen Benton kommt ohne Rüstung, dafür in schmucker schwarzer Lederweste auf die Bühne. Der Bart ist fast weg, dort wo sonst die Zähne gefletscht sind, prangt jetzt ein Lächeln. Sehr entspannt knallen DEICIDE ihre Setlist herunter; Songs wie 'Children Of The Underworld' klingen brutal und blasphemisch, sind aber gleichzeitig absolute Nackenbrecher. Und Meister Benton grinst, gibt nach einem furiosen Gig seinen Fans sogar noch die Hand. Entsetzen macht sich breit: Wird hier auch noch der letzte bösartige Metal-Maniac zum einfühlsamen Softie? Die Musik spricht dagegen, die eine Stunde DEICIDE ist amerikanische Death-Metal-Raserei auf höchstem Niveau. Punkt!

Stephan: Somit kann man eigentlich nur festhalten, dass das erstklassige Billing absolut das gehalten hat, was man sich davon versprechen konnte. Ein wütendes und aggressives Gemetzel, zu dem alle Bands ihren Beitrag leisten und nach dem nur noch Schutt und Asche übrig bleibt.

Henri: Am Ende hat der Alkohol trotzdem gewonnen, die letzten Wahrnehmungen im Hellraiser: GRAVEWORM spielen Fussball mit Flaschen, der Boden ist vermüllt, der Nacken tut weh, der Sound war durchgängig gut, das Bier mit zwei Euro recht billig, dafür der Eintritt mit dreißig Euro sehr hoch, zumal viele Zuspätkommer noch den vollen Preis zahlen müssen. Dennoch: Eine geilere Mosh-Weihnachtsfeier mit solch schlagkräftigen Bands, nein, die gibt's wirklich nicht so oft...

Redakteur:
Henri Kramer

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