VOLLE KRAFT VORAUS FESTIVAL 2019 - Neu-Ulm

13.09.2019 | 07:19

07.09.2019, Ratiopharm Arena

Zum dritten mal lud die bayrische Band EISBRECHER zum Festival in den äußersten Westen des Freistaats. Eine Reise zum rollenden "R", Plastiksounds und großen Melodien.

Erneut lädt EISBRECHER zur Rocksause in die Ratiopharm-Arena nach Neu-Ulm ein und hat sich ein beachtliches Aufgebot an Mitstreitern organisiert. Beachtlich nicht nur wegen der musikalischen Qualität und stilistischen Bandbreite, sondern auch, weil das "Volle Kraft Voraus"-Festival hauptsächlich auf einheimische Bands setzt. Das war im letzten Jahr bereits eine ziemlich beeindruckende Veranstaltung, weswegen Tommy Schmelz und ich uns auch in diesem Jahr wieder aufmachen, um uns die Party der Fürstenfeldbrucker und ihrer Gäste anzusehen.



Was zuerst auffällt, ist: schwarz. Man ist ja durch Metalkonzerte viel gewohnt, aber die Aussage "wir tragen Schwarz, bis jemand etwas Dunkleres erfindet" trifft nirgendwo so zu wie hier. Das ist wohl der kleinste, gemeinsame Nenner von Dark Rock, Gothic und NDH. Der zweite Eindruck ist: man steht an. Am EISBRECHER-Merchandise steht eine beachtliche Schlange und noch an einer anderen Stelle wird Crowdcontrol in Form von Abspannbändern und Barrieren benötigt. Ich schaue mal, was es da gibt. Aha, ein EISBRECHER-Flohmarkt, für den man sich anstellen muss, um reinzukommen. Das ist mir dann doch zuviel Brimborium, andererseits für die Fans sicher ein willkommenes Gimmick. Genau kann ich es nicht sagen, weil ich mir lieber erstmal eine Guthabenkarte besorge und probiere, ob das regionale Goldochsen-Bier noch gut ist. Ansonsten ist die Stimmung ausgelassen, Tommy und ich werden sogar mit Sitzplatzkarten ausgestattet, etwas, das ich als Fotograf nicht gewohnt bin, und die Stunde, die wir früher an der Halle waren, vergeht so schnell, dass ich kaum dazu komme, Fotografenkollegen angemessen zu begrüßen, bevor das Licht verlöscht und der dunkle Reigen beginnt.

 

Los geht es mit HELDMASCHINE. Dunkle Bühne, Masken, ein paar blaue LEDs, unter anderem an den Drumstickenden des Schlagzeugers. Das baut Spannung auf und dann geht es im angezogenen Tempo los. Sollte jemand bei dem Namen an NDH und eventuell RAMMSTEIN gedacht haben, liegt sie richtig. HELDMASCHINE ist ein Seitenprojekt der RAMMSTEIN-Coverband VÖLKERBALL, bei den Bands gibt es drei Überschneidungen bei den Musikern. Ursprünglich gegründet, um sich von der Coverband abzusetzen, gibt es mittlerweile vier Studioalben der Koblenzer, deren Liebe für das große Vorbild hörbar ist, aber von denen sie sich auch zunehmend absetzen, indem elektronische Elemente größeren Raum einnehmen. Ich muss zugeben, dass ich hierzu erst nach dem Festival ein wenig recherchieren musste, aber es besteht tatsächlich ein hörbarer Unterschied zwischen den aktuellen Werken RAMMSTEINs und HELDMASCHINEs. Wobei ich elektronische Elemente mag und eher zu den heute hier auftretenden Fünf tendiere. Durch die sehr kurze Spielzeit hat die Band kaum Zeit für irgendwelche Ausflüge, sondern konzentriert sich darauf, einen kurzen, aber kurzweiligen Gig zu spielen, aus dem für mich vor allem das witzige Lied "R" herausragt, bei dem die Jungs zeigen, dass sie sich selbst auch nicht zu ernst nehmen. Der Text ist absolut großartig und das Lied ein Ohrwurm. Obwohl ich die Band zuvor nicht kannte, ist der Auftritt wirklich zu kurz, ich hätte noch ein, zwei Lieder hören mögen.

[Frank Jaeger]

 

Ja, auch ich hätte gerne ein bisschen mehr von HELDMASCHINE gesehen und gehört. Aber so ist es halt bei Festivals, was die Spielzeit angeht. Die Koblenzer haben ihre dreißig Minuten definitiv bestens genutzt. Die Umbaupause zum nächsten Act nutze ich zum Austreten und dem Besorgen von Getränkenachschub. Pünktlich zum Intro, das den Showbeginn von A LIFE DIVIDED ankündigt, habe ich meinen Sitzplatz auf der Tribüne wieder eingenommen. Begrüßt wird die Band, die mit 'The Lost' in ihren Set einsteigt, von ihren Fans mit weißen Herzchenluftballons, ich finde das eine sehr schöne Aktion. Immerhin stammt das letzte Album aus dem Jahr 2015 und auch live war in letzter Zeit nicht so viel los. Für 2020 ist aber bereits mit "Echoes" eine neue Scheibe mit dazugehöriger Tour angekündigt. Was mir auffällt ist die ziemlich aufgeräumte Bühne. In der Mitte steht das Schlagzeug auf einem Drumriser, vorne ein Mikroständer und im Hintergrund prangt ein großes Backdrop mit Bandlogo, das war alles. Hier steht eindeutig die Musik im Vordergrund. Persönlich finde ich es allerdings ein bisschen schade, dass in der Arena gefühlt ein bisschen weniger los ist als bei den anderen Bands, an der Mucke dürfte dies keinesfalls liegen. Der schnörkellose Düsterrock, wie ihn die Bayern um den charismatischen Frontmann Jürgen Plangger präsentieren, überzeugt auch live auf ganzer Linie. Und dies tun sie nicht nur mit eigenen Hits wie dem unwiderstehlichen 'The Last Dance', sondern auch mit einer coolen Version des ALPHAVILLE-Hits 'Sounds Like A Melody'. Klasse Auftritt!

[Tommy Schmelz]

 

Die dunkle Szene betreffend bin ich ganz sicher kein Experte und obwohl ich den Namen DIARY OF DREAMS bereits gehört habe, kann ich sie musikalisch nicht einordnen. Natürlich sehe ich die umfangreiche Diskographie und höre auch mal in ein paar Videos rein und stelle fest, dass die Burschen einen Dark Wave mit elektronischer Schlagseite machen. Oh, nett, mal sehen, wie düster und tanzbar das Ganze wird! Zuerst bin ich überrascht, dass DIARY OF DREAMS nur aus drei Musikern besteht. Aha, Synthesizer und Samples vom Band, alles klar. Das finde ich allgemein immer ein bisschen blöd, aber gut, das gehört zur elektronischen Musik dazu. Das bedeutet aber auch, dass hier nichts spontan geschehen kann, sondern alles eben wie komponiert, so gespielt ablaufen wird. Das macht mir nichts, das hier ist Wave, nicht Punk. Die ruhigen, gemächlicheren Stücke werden durch Sänger Adrian Hates' Stimme schön veredelt, das Publikum wiegt im Takt. Auf der Bühne passiert nicht viel, aber was visuell nicht beeindruckend ist, wird um mich herum häufig auch mit geschlossenen Augen genossen. Ja, das ist schön, aber nach ein paar Liedern finde ich es dann doch etwas gleichförmig. Erst mit dem vierten Lied wird es etwas mitreißender, aber ich glaube, um DIARY OF DREAMS genießen zu können, muss ich mich mit dem Katalog der Band auseinander setzen. So gehe ich kurz vor Schluss nochmal raus, Luft schnappen, und überlasse die Träumer im Publikum den Sounds der Drei auf der Bühne.

[Frank Jaeger]

 

DIARY OF DREAMS ist definitiv eine Band, mit der ich mich in Zukunft näher beschäftigen muss. Der atmosphärische Sound des Trios, da muss ich Frank recht geben, entfaltet seine Wirkung ganz besonders bei geschlossenen Augen, irgendwelche Action auf der Bühne wäre hier komplett fehl am Platze. Der cool gestaltete Mikroständer und das dank Ventilatoren wehende Haar von Sänger Adrian Hate sind hier Show genug, die ich in vollen Zügen bis zum Schluss genieße.

Nach der Anzahl an MONO INC. Shirts scheinen sich nicht gerade wenige auf den folgenden Auftritt der Hamburger zu freuen. 'Welcome To Hell' ist dann auch gleich ein Einstieg nach Maß. Sänger Martin Engler gibt von Beginn an den Zeremonienmeister, der das Publikum dirigiert. Die folgende Stunde ist ein musikalisches Gothic-Rock Feuerwerk par excellance, wobei es besonders die zweite Hälfte der Show in sich hat. Diese wird eingeleitet durch ein geiles Schlagzeugsolo von Katha Mia untermalt von der Titelmelodie von 'Das Boot'. Und auch mit ihren Backingvocals kann Katha Mia Akzente setzen. Das Finale wird eingeläutet durch die Hymne 'Voices Of Doom', bei der die gesamte Arena einen großen Chor gibt und für Gänsehautfeeling sorgt, bevor dann mit 'Children Of The Dark' der krönende Schlusspunkt folgt. Diese erstmalige livehaftige Begegnung mit MONO INC. wird definitiv nicht meine letzte gewesen sein.

[Tommy Schmelz]

 

Na ja, ein bisschen arg dick hat MONO INC. schon aufgetragen. Und war der Gesang der Schlagwerkerin wirklich live? Egal, jetzt folgt etwas ganz anderes. Ich muss das nicht beschreiben, ich lasse mal Steve Naghavi von AND ONE selbst zu Wort kommen: "Wir sind Plastik". AND ONE ist Synthie Pop, keine Gitarre am Start, und auch wenn Steve sagt "wir denken uns die Gitarren", nein, das tun wir nicht. Wo Synthies draufstehen, will ich auch Synthies hören. Und natürlich Uptempo! Die Unmetallischen kokettieren ein wenig damit, auf einem Neue Deutsche Härte-Festival zu sein, wobei das "Volle Kraft Voraus" diesen engen Rahmen schon vor geraumer Zeit vehement gesprengt hat und nun zwischen NDH, Gothic, Wave und Metal ein ziemlich ungewöhnliches Programm präsentiert. Jedenfalls wird jetzt getanzt und Frontmann Naghavi heizt der scheuklappenfreien Meute mit dem Opener 'Shouts Of Joy', der problemlos auch von der Kultband der Szene, DEPECHE MODE, stammen könnte, direkt ein. Da sich die Musiker bis auf den Genannten hinter ihren Instrumenten verschanzen müssen, bleibt es an dem Anzugträger, für Aktion auf der Bühne zu sorgen, was ihm aber problemlos gelingt. Ein echter Showman, der sich souverän zwischen Deutsch und Englisch wechselnd durch einen mitreißenden Set tanzt, der eine echte Hitparade der mittlerweile zwölf Alben der Berliner darzustellen scheint, angefangen beim ersten Hit der Band 'Metalhammer', der schon früh gespielt wird. Hier wird mitgesungen und eine Band gefeiert, die sich als erste heute Abend auch deutlich politisch positioniert und bei der Ansage zu dem Lied 'Steine sind Steine' kräftig gegen die AfD austeilt und dem Lied, dessen Text wegen der Textzeile "Deutscher sei stolz" durchaus auch kontrovers aufgenommen worden ist, jeglichen Interpretationsspielraum nimmt. Aber in der heutigen Zeit geht der iranisch-stämmige Naghavi kein Risiko ein und lässt sich nicht ungewollt vereinnahmen. Ja, heute muss auch Kunst vorsichtig sein, um nicht missbraucht zu werden. Doch ansonsten wird getanzt und gesungen und Kracher wie 'Second Voice' und 'Get You Closer' bestätigen EISBRECHER in der Wahl, die "Plastikpopper" zum Co-Headliner gemacht zu haben. Coole Sache!

[Frank Jaeger]

 

Den Ausführungen von Frank zu AND ONE ist Nichts hinzuzufügen. Auch ich zeige mich schwer beeindruckt von dieser Darbietung und wie sich die Arena in eine riesige Tanzfläche verwandelt, ist ein wahnsinnig geiler Anblick von unserem Tribünenplatz. Nachdem alle Bands bis daher stark abgeliefert haben, ist es an den Gastgebern EISBRECHER, für das Sahnehäubchen auf einer gelungenen Veranstaltung zu sorgen. Gegenüber dem letzten Jahr wurde die Setliste für die Festivalsaison 2019 leicht umgestellt. So fällt der Vorhang zu den ersten Klängen von 'Verrückt'. Ansonsten gibt es wiederum eine gelungene Mischung aus alten und neuen Hits aus dem inzwischen umfangreichen Repertoire. Sound, Licht und Bühnendesign sind wie gewohnt von Feinsten. Bei EISBRECHER weiß der Fan zuverlässig, was ihn erwartet. Zu 'Eiszeit' schneit es auf der Bühne und bei 'Amok' wird auf Blechtonnen getrommelt. Extra viel Jubel und Zustimmung gibt es bei 'This Is Deutsch' und der eindeutigen Positionierung gegen Rechts. Im Laufe des Sets stellt Alexx auch einen Aushilfsschlagzeuger vor, da Stammdrummer Achim Färber wohl verhindert ist. Es ist beeindruckend zu sehen, dass das Publikum trotz eines langen Festivaltages keinerlei Ermüdungserscheinungen zeigt und bis zur letzten Sekunde voll dabei ist. So wird auch dieser Auftritt von EISBRECHER wieder ein kompletter Triumphzug. Das schafft nicht jede Band, den Stimmungslevel über die komplette Auftrittszeit jederzeit am oberen Limit zu halten. Zum finalen und unvermeidlichen Dauerbrenner 'Miststück' werden nochmals die letzten Reserven mobilisiert, bevor dann nach zwei schweißtreibenden Stunden Schluss ist. Die Band genießt den verdienten tosenden Schlussapplaus zu den Klängen von Freddy Quinns 'Junge komm bald wieder' und bedankt sich mit Plüscheisbären, die in die Menge geworfen werden.

Auch die dritte Auflage des "Volle Kraft Voraus"-Festivals konnte sowohl von der Bandauswahl als auch vom Ambiente und der Atmosphäre auf ganzer Linie überzeugen. Es ist für mich schwer einzuschätzen, wie viele Leute dieses Jahr jetzt tatsächlich da waren. Es waren eindeutig viele und laut Alexx mehr als letztes Jahr. Und auch wenn es nicht für das im Vorjahr beim Interview mit uns erhoffte "Ausverkauft" gereicht hat, kann ich vor dem Checker und seiner Mannschaft nur den Hut ziehen, was sie da aus dem Boden gestampft haben. Dann machen wir halt nächstes Jahr den Laden voll, oder? Das bisherige Line-Up für die vierte Auflage am 12. September 2020 kann sich mit LORD OF THE LOST, MAERZFELD, NULL POSITIV und den Gastgebern EISBRECHER auf jeden Fall schon mal wieder sehen lassen.

[Tommy Schmelz]

Redakteur:
Frank Jaeger

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