SACRED REICH, DEW-SCENTED und VLADIMIR HARKONNEN - Hamburg

11.06.2014 | 12:39

05.06.2014, Markthalle

Thrash-Abend für Gourmets!

Konzerte unter der Woche sind in Hamburg meist leider meist spärlich besucht. Wenn erschwerend auch noch METALLICA und SLAYER am Tag zuvor zum Tanz aufgespielt haben, parallel die schlurfigen Kollegen von CROWBAR ihre Hüften schwingen und das Rock-Hard-Festival seine Pforten öffnet, haben es Bands nicht leicht, eine große Markthalle zu füllen. Selbst dann nicht, wenn man SACRED REICH heißt und bekanntlich amtlich Arsch treten kann. Da mich die anderen Veranstaltungen wenig bis gar nicht interessieren und ich mir obendrein sowohl DEW-SCENTED wie auch VLADIMIR HARKONNEN, die beide das Vorprogramm bestreiten, ansehen möchte, stehe ich pünktlich zur Kaffee-und-Kuchenzeit in der altehrwürdigen Halle am Hamburger Hauptbahnhof.

Wie erwartet, ist die Zahl der Besucher an zehn Händen abzuzählen. Ein Umstand, der das Kieler Wüsten-Quartett VLADIMIR HARKONNEN allerdings nicht stört. Wie von einer Tarantel gebissen gehen die Herrschaften auf der Bühne ab als wäre die Hütte bis zur Decke voll. Allen voran natürlich Frontmann Phillipp Wolter, dem man seine jahrzehntelange Bühnenerfahrung mit Bands wie BONEHOUSE oder WALLCRAWLER ansieht. Als hätte er zehn Kannen Kaffee intus liefert Mister Wolter eine sportliche Leistung ab, die niemanden kalt lässt. Das ist energische Euphorie, die ansteckt. Immer wieder kommt er runter und brüllt mit den Fans vor der Bühne. Dass die musikalische Darbietung ebenfalls extrem kurzweilig ausfällt, muss ich dabei kaum erwähnen. Man sieht den dauergrinsenden Musikern einfach den Spaß an, den sie beim Spielen haben und die originelle Mischung aus fröhlichen Mitsing-Chören und aggressivem Hardcore-Gebolze macht einfach Laune. Wobei die Texte der Truppe alles andere als fröhlich sind. Allein der Gesichtsausdruck von Philipp beim wütenden, den Stinkefinger zeigenden Bratcore-Kracher 'Frontex Fuckers', in der es um die Abschiebe-Politik geht, zeigt, wie ernst es den Herren ist. Das macht die ganze Angelegenheit nur noch sympathischer. Als Philipp den letzten Song ankündigt sind alle traurig, dass es schon vorbei sein soll, denn die Zeit vergeht bei so einem Auftritt wie im Flug. Wer eine derartig grandiose Livepräsenz hat, muss schnell als fester Support ins Vorprogramm einer größeren Band. ANNIHILATOR wäre optimal. Alle Daumen hoch!

Etwas voller ist die Halle dann schon bei DEW-SCENTED, aber gut gefüllt sieht anders aus. Da können einem die Musiker beinahe etwas leid tun, denn es liegt weder an ihrem Auftreten, noch an der Klasse des Songmaterials, dass hier heute so wenig los ist. Das sympathische Quintett macht aber das Beste aus der Situation und pfeffert eine Riffsalve nach der anderen ins Publikum. Mein Problem mit der Musik von DEW SCENTED ist aber, dass es mir ein bisschen an Abwechslung mangelt. Jeder einzelne Titel allein macht einen Riesenspaß, aber ab und an hätte ich alte Weichbirne gern mal eine minimale Temporeduzierung. Trotzdem zücke ich unwillkürlich die gute alte Luftgitarre und werde vom animalischen Getackere der beiden Klampfenschwinger mitgerissen. Urgestein Leffe Jensen brüllt sich orgastisch durch die Hassbatzen und versucht immer wieder, so etwas wie Stimmung aufkommen zu lassen. Ein schweres Unterfangen, wenn maximal 100 Hände zum Anfeuern vor der Bühne stehen. Ich denke, unter besseren äußeren Umständen wäre die Markthalle gut gefüllt gewesen und bei dieser bockstarken Performance auch mächtig abgegangen. Es hat nicht sollen sein.

Zum krönenden Abschluss kommen die alten Recken von SACRED REICH mit ihrem Surfboard-Thrash auf die Bühne. Eine Band, die live immer begeistern kann. Kein Wunder, wenn man solche Granaten wie 'Crimes Against Humanity', 'Independent' oder eben 'Surf Nicaragua' im Gepäck hat. Noch weniger verwunderlich, wenn man einen Entertainer wie Bassisten Phil Rind als Frontmann in seinen Reihen hat. Der gute Mann hat alle meine Sympathien, wenn er über altersbedingte Probleme beim Headbangen ohne Matte philosophiert.  Der ewig gut gelaunte Wonneproppen zockt dazu mit ansteckender Gelassenheit voluminöse Tieftöne aus seinem Instrument und singt mit gestikulierender Mimik seine meist wohl durchdachten Texte. Dabei wird er in den meisten Fällen von beinahe alle Anwesenden unterstützt. Ich spüre dies beim Versuch, am nächsten Morgen eine Kaffee zu bestellen und lediglich ein "…affe…" heraus bekomme. Aber zurück zum eigentlichen Thema. Die Band spielt eine ausgewogene Mischung ihrer Alben, wobei naturgemäß die Nummern des Meilensteines "The American Way" die besten Reaktionen erhalten. Allerdings geht das Publikum auch bei vermeintlichen Songs aus der zweiten Reihe gut mit. So bin ich relativ überrascht, wie euphorisch 'Free' abgefeiert wird (ist ja auch eine total grandiose Nummer - PK). Ohne Frage heißen die Highlights des Sets aber 'Who's To Blame', welches gekonnt in der Mitte des Gigs platziert wird und welches von jedem Anwesenden lauthals mitgesungen wird, 'Surf Nicaragua' (Zugabe) und das grandiose Cover 'War Pigs', welches von 'Sweet Leaf' eingeleitet wird.

Nach diesen drei tollen Bands gehe ich glücklich und zufrieden nach Hause, mit der Gewissheit, hier seit langer Zeit mal wieder ein Konzert erlebt zu haben, welches das alte Glücksgefühl eines Konzertabends bei mir auslösen konnte. Hier waren drei Bands am Start, die trotz des quantitativ geringen Publikumszuspruches alles gegeben haben. Vielen Dank dafür.

Redakteur:
Holger Andrae

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