Pothead - Halle/Saale

10.12.2006 | 20:21

20.10.2006, Easy Schorre

Prinzipielles vorweg: Wer die Easy Schorre in Halle besucht, braucht wirklich triftige Gründe. Geldknappheit gehört nicht dazu. Einen Tag später in Karlsruhe sind die drei POTHEADs für knapp ein Drittel weniger Euronen zu bestaunen. Mmh. Wehe, ihr in Halle meckert noch mal über fehlende Hochkaräter. An der Band kann die recht große Spannweite des Eintritts wohl nicht liegen. Zugegeben, man erlebt hier eine phänomenale Band, aber gleich mal ein Zwanni für exactemente zwei Stunden. Die mit uns angereisten Fans kotzen gehörig ab. Ich auch. Wer wird denn, wenn er schon einmal hierher gefunden hat, dann wieder gehen. Tststs. Schwingt hier seit Beginn des Abends ein schlechter Beigeschmack mit, so verstärkt sich dieser Eindruck, als POTHEAD gegen 21.01 Uhr begonnen zu haben scheinen. Knurrig wird das klitzekleine private Kulturtöpfchen geschröpft und das Billett erworben.

Bei einem unserer zahlreichen Groupiebesuche erzählte uns Brad, der Gitarrist und Sänger, einmal, dass die Band eine Anfrage aus dem uns wohlbekannten Spreewald zu einem Gurkenfest erhalten habe. G-U-R-K-E-N-F-E-S-T? Yes. Und wie auf der immer liebevoll gepflegten Website des Dreiers zu entnehmen, haben sie's getan. Sie haben den Spreewald gerockt. Karpfen und Wels sprangen aus dem Schlamm an die Oberfläche, Berliner Touristen sabberten sich ob der Ruhestörung entsetzt die Meerrettichsauce aus dem Dürrhals, und Gurke und Kürbis krümmten sich diametral. Ich war nicht dabei. Dafür heute an der Saale.

Da Herr Voigtländer und ich ja dankenswerterweise einen auf wichtige Onlineschreiberlinge machen dürfen, werden wir von der anhaltinischen Securitate durchgefeudelt. [in Sachsen-Anhalt wird man "durchgefeudelt", weil man Onlineschreiberling ist? Sitten sind das ... - d. Red.] Traurig warten wir auf unsere drei Knirschlinge, die eben den Eintritt wegweinen. Aber genug davon. Kurze Beck's aus der Flasche und ... Wie viele? Ach, lassen wir das. Ich muss ja eh fahren. Es ist bekannt, dass man munkelt, die Schorre müsse Livegigs anwohnerbedingt leider immer gegen 23.00 Uhr abbrechen oder eben pünktlich beginnen lassen. So auch diesmal. Naja, der dritte Song läuft eben.

Was erwartet man von einem POTHEAD-Konzert? Wie auf jedweder Platte angesetzt, einfachste Schwerriffs mit Kultcharakter, des Sängers herrlich raues Organ, eingängige Ruhepausen - in musikalische Gelassenheit der Könner empfindsam und berauschend umgesetzt. Bescheidene Musikertypen ohne peinliche Rockerallüren. Erschreckende Unauffälligkeiten bei allen dreien. Wortlose Zwischensongpausen. Nein, eins, zwei, weiter geht's. Dazwischen ein schüchternes "Prost" oder "Danke". Das Bierle wird dem dunklen Zuschauerraum entgegengereckt. Hach, diese scheuen Rehe. Ich finde das faszinierend. Erwecken im Vergleich zu z. B. MANDO DIAO bühnlich (aber nur) den Eindruck, alles für das trendy Publikum zu geben, und hauen nach nicht mal einer Stunde ohne Zugabe wieder ab - hier greift wohl doch schon eine Art Vermarktungsstrategie. POTHEAD beweisen, dass es auch ohne Posing geht. Darüber kam ich noch nie hinweg, weil das so einzigartig ist. Die dürften doch nun schon fast Mitte vierzig sein. Gelassen wird die Musik intoniert, die von verblüffender Eingängigkeit lebt, ein-, zweimal sieht man Roadiehändchen sich zu den Bierchen auf den Verstärkerkästen vortasten. Man sieht es und weiß: Solange diese vier bis fünf Dinger zwischen den Songs nicht ausgeschlurpert sind, geht's hier weiter. Das Helferhändchen ploppt nach etwa einer Stunde neue Kurzhalsflaschen auf und fingert sie in Reichweite der beiden Klampfer. Kurz durchgeatmet und erfreut gelächelt. Wie die Onkels, die eigentlich schon lange gehen wollten, und der Herr Vater, der bringt dann doch noch zwei, drei neue Flaschen aus dem Kellerversteck. Apropos: Vergewisserung auch in den Blicken der umstehenden Weiblichkeit. Die älteren Herren da vorne wirken wohl durchaus attraktiv. Muss man zugeben. Nachdem Herr Voigtländer in anfänglichem Überschwang schon von weitem kreischt, dass das Sängerlein wie "Hööölgääää Schneidöööör" aussieht - härhärhär ... Wo ist Biertheke? - wird sein Strabismus mit strafendem Blick bedacht. Später in Nähe der technisch gut ausgelichteten Bühne zieht er diesen Hervorschwall aufbrausenden Vergleichswahns zurück und konzentriert sich auf die einzelnen musikalischen Akkordfolgen. Gar nich' Höölgää Schneidaaaa ...

Wie ihm ergeht es den meisten dem Bühnenparkett zugewandten Anwesenden. Irgendwann nickt und wallt ein jeder unweigerlich im Takt der POTHEAD-Songs mit. Das Plätzchen hier ist nicht ganz gefüllt (Gründe habe ich ja schon oben vermutet), aber die Band scheint überall in Deutschland eine feste Fangemeinde zu haben, die auch mal einen großen Club zum Bersten bringt. Die Schar hier an der Saale ist auserlesen und kennt meist jeden angespielten Song. Das neue Material ergänzt die überwiegend älteren "Hits" recht gut. Sie bleiben ihrem Stil weiterhin treu. Als die beiden Frontmänner irgendwann zwei Mundharmonikas umgehalst haben und gemeinsam einen Refrain intonieren, kann ich mir ein Lächeln nicht verkneifen. Wie zwei Eisverkäufer, die in heißen Strandsand geraten sind und sich unter Hinzunahme von Watschelbewegungen zurückziehen. Aber die lachen drüber. Die lachen drüber, wenn sie sich verspielen oder einen Ton tiefer anruppen. Die lachen, wenn sie zwischen den Songs rülpsen müssen - ganz leise versteht sich, Gentlemen. Die lachen sich gegenseitig an, die lachen das Publikum an. Das ist selten geworden im Rock. Es scheint, dass da noch richtige Freundschaft im Spiel ist. Nach all den Jahren. Schön.

Anfang der Neunziger kam, ich glaube, ein kanadisches Quintett über den Atlantik, um Europa mit seiner Musik zu beschallen. Irgendwann dann die erste Platte, zwei bleiben auf dem alten Kontinent übrig. Im Zweijahresabstand werden weitere Alben - alle hochklassig - herausgebracht. Alles in Eigenregie auf dem eigenen Label Janitor. Inzwischen wohnt man auf dem Land, die beiden Kanadier und der Schlagzeuger Sebastian Meyer, irgendwann hinzugestoßen und der Deutsche in dem Trio. 'Dedicated Soup', 'Grassroots' oder 'Learn To Hypnotize' sind Lieblingsalben eines jeden POTHEAD-Kenners. Und glücklicherweise wird hier viel von denen gespielt. Wenn sie dabei melancholisch von den 'Rockies Of Canada' trauern, so merkt man schon, dass sie Kanadier geblieben sein müssen. Man spürt, wie Gedanken der beiden auf der Bühne gen Heimat schweben. Bilder kommen zurück, und der Song passt in Stimmung und Mischung genau zu dieser Traurigkeit. Auch 'Sinner Too' ist ein Meisterstück der Musik, ich denke, eines für die Ewigkeit und das beste von POTHEAD überhaupt. Wenn die das spielen, wie eigentlich auf jedem ihrer Konzerte, dann zehre ich davon mindestens immer zwei Wochen.

Als ich so vor mich hin lächelnd diese Band genieße, da bemerke ich gar nicht das eigentliche Ende des Gigs. Aber keine Angst. Sage und höre vier Zugaben werden der nicht weichenden Festmenge vor der Bühne geboten. Irgendwann glaubt man, die hören gar nicht mehr auf. Nur die Anwohner stören das vollendete Glück eines Siebeneinhalbstunden-Gigs.

Das Faszinosum POTHEAD hat wieder voll gegriffen.

[Mathias Harz]

Redakteur:
Stephan Voigtländer

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