Pagan Fest 2008 - München

26.04.2008 | 14:18

19.04.2008, Backstage Werk

Los geht es in dem Moment, als ich die heimischen Gefilde verlasse, in die S-Bahn einsteige und den ersten Langhaarigen sehe. Okay, so ungewöhnlich ist das nicht. Eigentlich. Aber München hat es irgendwie an sich, all die schwarzen Menschen zu verstecken, so dass man in der Stadt so gut wie keine Gleichgesinnten sieht. Heute an dem Tag des längst ausverkauften "Pagan Fest" sollte das zur Abwechslung einmal grundverschieden sein. In einer stetig steigenden Kurve nimmt so die Anzahl der Leute mit Metalshirts zu, bis sich noch ein gutes Stück vor der Location, dem "Backstage Werk", schlussendlich so etwas wie Festival-Atmosphäre einstellt. Einmalig und spannend. So viele Metalheads habe ich in München schon lange nicht mehr auf einem Haufen gesehen. Also fix in die Prozession eingereiht und mitgelaufen. Mit offenen Ohren und dem richtigen Maß an Aufmerksamkeit wird mir so langsam klar, was für eine Zugkraft das "Pagan Fest" hat; immerhin sind neben vielen deutschen Dialekten auch Franzosen, Engländer und andere auszumachen. Die Überraschung, die sich mit dem Verlassen des heimischen Bahnsteigs eingestellt hat, setzt sich bis zum nächtlichen Wiederbetreten desselbigen fort.

Vor Ort fällt zuerst die schier unglaubliche Schlange am Eingang auf, dann die unzähligen Armen, die noch keine Karte haben und von Hundeblick bis wüsten Drohungen alles einsetzen, um doch noch an eines dieser goldenen Tickets zum Eintritt in Charlies Schokoladenfabrik zu kommen. Abgefahren. Wir haben es da schon wesentlich einfacher und kommen über eine kleine Schlange am Seiteneingang rein. So muss es sein. Das "Backstage Werk" ist in seiner Form durchaus ungewöhnlich, besteht es im Wesentlichen aus einem "Bassin" in der Mitte und Rängen an der Seite. Um viertel vor sechs ist das Bassin in der Mitte zu zwei Dritteln gefüllt und macht schon zu dieser recht frühen Uhrzeit klar, was da noch folgen soll.

Nicht viel später entern fünf rot-golden bemalte Nasen namens KROMLEK die Bühne. Ich habe die Jungs noch nie live gesehen und bin erst mal ein wenig schockiert ob deren Schmuck und Auftreten. Aber gut, jedem das Seine, oder? Verschiedene Dinge werden aber allemal schnell klar: Das mittlerweile zu einem Viertel gefüllte Werk feiert wohl gerade alles ab, was ein Instrument halten kann, der Sänger sollte mit seinen zurückgegelten Haaren tunlichst nicht bangen (tut er trotzdem), das Schlagzeug lädt allenfalls zum Gähnen ein, und ich besorge mir lieber ein Bier, in Anbetracht der Länge des Abends und der grandiosen Langeweile, die die Jungs von KROMLEK zumindest bei mir und meinen Begleitern verbreiten. "Der Nächste bitte!"

Mein Wunsch wird schon um viertel nach sieben mit den Einheimischen von EQUILIBRIUM erhört. Wer EQUILIBRIUM nicht kennt, hat die letzten Jahre wohl kein Festival besucht respektive um die Mittagszeit jeweils noch geschlafen. Für so einen Abend mögen sie mit ihrem unkomplizierten und sympathischen Pagan/Black Metal passen, ich will dennoch mal wieder was Neues hören und bin gespannt, wie viele Songs sie von ihrem neuen und schon seit Jahren angekündigten Album "Sagas" spielen werden. Die Antwort ist, so wie ich das sehe: einen. 'Blut im Auge' wird in klassischer EQUI-Manier vorgetragen und zeigt schnell, dass man wahrscheinlich nicht allzu viel Neues vom kommenden Album erwarten darf. Aber gut, das Bassin in der Mitte ist mittlerweile gut gefüllt und wogt in ekstatischer Fanerfüllung hin und her.

Ein Blick in die Runde zeigt, dass das Backstage mittlerweile voll ist; im weiteren Verlauf des Abends bekomme ich in der Hinsicht Gewissheit: Das "Backstage Werk" ist mit über 1500 Leuten ausverkauft und randvoll bis überfüllt. Der Wahnsinn: Schon bei den Vorbands ist die Stimmung am Überkochen und überträgt sich zu hundert Prozent auf die Künstler auf der Bühne. Und so bedanken sich die Jungs und das Mädel von EQUI schön artig, finden das Ganze "scheißegeil" und trollen sich eine Dreiviertelstunde nach Beginn des Auftritts von der Bühne, nicht ohne noch eine Zugabe draufzulegen. So, wie die dort abgefeiert werden, muss das Gefühl auf den schwarzdunklen Brettern wohl der absolute Hammer sein.

Pünktlich zum Beginn des Abend-Haupt-Films machen sich ELUVEITIE, die sympathischen Schweizer und Vorreiter der "New Wave Of Folk Metal" auf, dem sowieso schon wahnsinnig heißen Backstage noch ein Stück mehr einzuheizen. Und für all die Zweifler: Das schaffen sie – mit Bravour. Ich zähle acht Leute auf der Bühne, die sich buchstäblich den Hintern aufreißen und für mich das erklärte Highlight des Abends darstellen. Und wie es scheint, nicht nur für mich, denn mit den ersten Tönen der Modern-Folk-Kings ist im Werk die Hölle los. Was mich mehr als positiv überrascht, ist, wie tight ELUVEITIE live sind - und dabei keinen Augenblick Stehgeiger, sondern permanent unterwegs. Und so ist mindestens so viel Spaß vor wie auf der Bühne zu finden. Auch ich kann mich nicht mehr zurückhalten und stürze mich in die Wogen der ersten Reihen.

Was ein Auftritt, an Genialität kaum zu überbieten. Wenn ich gerade mal nicht von der einen Seite des Raums vor der Bühne auf die andere geschleudert werde, verraten mir meine gehetzten Blicke seitwärts, was ich schon den ganzen Abend mehr oder weniger vermutet habe: Das Durchschnittsalter ist (zumindest im Bassin) doch relativ gering. Vielleicht ist an der Theorie, dass der Kommerz-Metalcore durch Pagan-Humppa-Metal als Jugendsünde Nummer eins abgelöst wird, doch was dran. Nun, wie auch immer. Ich will meinen Spaß, für alles andere bin ich an der Uni. Und so wende ich meinen Blick wieder auf die Bühne und werde vom ELUVEITIE-Shuttle nach "Slania" abgeholt und mitgenommen.

Erwähnenswert sind an dieser Stelle die Synchron-Rotor-Banging-Übungen der beiden weiblichen ELUVEITIE-Mitglieder, die Brüder mit der gleichen wirren Haarpracht, die sich nur zeitweise durch geflochtene Zöpfe unterscheiden, und Chrigel, der super-sympathische Sänger der Formation, der nicht nur Charmebolzen, sondern auch perfekter Frontmann ist. Und so wird der Massenauflauf auf der Bühne mit Recht abgefeiert, als gäbe es kein Morgen mehr. Dennoch ist nach nur knapp 45 Minuten schon wieder Schluss, und die unglaublichen Neutralen müssen ohne Zugabe von der Bühne runter. Hm, hallo? Ohne Zugabe? Die Vorbands dürfen, ein Haupt-Act nicht? Aber es soll noch konfuser werden und deshalb: weiter im Text.

Kurz nach neun entern drei halbnackte Jungs die Bretter des nordischen Todes, und aus den Boxen schallt progressiver Folk Metal. Na, Preisfrage, wer wird das wohl sein? Natürlich: TYR. Nachdem ich Heri von TYR im März bei der Listening-Session zum neuen Album persönlich kennenlernen durfte und mich von seinen menschlichen Qualitäten überzeugt habe, war ich durchaus auf den Auftritt der Färinger gespannt. Das letzte Mal habe ich die Hobby-Wikinger nämlich im "Metropolis" in München gesehen, als sie nach BLACK MESSIAH, ODROERIR und MENHIR gespielt haben. Zu diesem Zeitpunkt fand ich den Sound zu sperrig, langweilig und vor allem im Vergleich zu ODROERIR und MENHIR viel zu unspektakulär. Meine zweite Preisfrage ist somit: Würden sie mich heute überzeugen können? Die Antwort ist genauso schnell gefunden wie der Met-Stand auf dem "Pagan Fest": jein. Denn irgendwie ist der progressive Sound, der aus dem Clash von Metal und Färöer-Folk entsteht, live einfach ein wenig zu sperrig, zu monumental, aber auch zu fantastisch. Und so haben die Jungs ein paar Songs, die live zünden (das viel zitierte 'Hail To The Hammer'), aber auch genug, das mehr zum Zugucken und Wundern als zum Abgehen einlädt. So ist es nicht verwunderlich, dass viele Besucher den Auftritt als Einladung zum Runterkommen und Auf-die-Bühne-Starren nutzen. Das wirklich Abgefahrene ist allerdings, dass die Jungs nach nicht mal dreißig Minuten die Bühne verlassen und keine Anstalten machen, wiederzukommen. Ich meine, die Vorbands haben jeweils länger gespielt als TYR. Da ist irgendetwas ganz schön schiefgelaufen in der Organisation. Auf jeden Fall bekommen sie ihren Applaus, "Zugabe!"-Rufe werden nicht erhört, und alle sind auf MOONSORROW gespannt.

Zuerst werde ich durch ein Blitzen auf der Bühne abgelenkt, welches sich als Lichtreflexion auf der blitzeblank geputzten Glatze des MOONSORROW-Tourgitarristen herausstellt. Aber im Ernst: Auch MOONSORROW waren mir vor dem Auftritt live noch nicht bekannt, und so bin ich gespannt, was da auf mich zukommt. Zuallererst wird ganz schön gegroovt, dann jedoch fällt das schrecklich schrille Keyboard auf, welches sich bis zum Ende des Auftritts der Mondsüchtigen nicht verändert und zu dem einen oder anderen Verziehen des Gesichts führt. Für die Meute in der Halle ist das allerdings überhaupt kein Problem, und sie feiern ihre Heroen ab, als stünde in wenigen Stunden die Apokalypse und keine erholsame Dusche auf dem Plan.

Ich kann mit MOONSORROW und deren relativ modern gespielten alten Pagan-Sound mit Heavy-Einflüssen nicht genug anfangen, um wirklich voll aufzugehen in den Hymnen um Natur, Mond und Sonstiges, was einen Postpubertären-Halbzeit-Wikinger noch so beschäftigt, und versteige mich daher aufs Beobachten und Gucken. Ein persönliches Highlight für die Band ist sicherlich der 1500-köpfige Geburtstags-Chor, der ein fröhliches und überhaupt nicht paganes "Happy Birthday" zu Ehren des just dreißig Jahre alt gewordenen Keyboarders anstimmt. Na dann, Prost.

Nach dem Ehrenlied liegt irgendwie etwas Feierliches in der Luft, das mich bei den restlichen Songs von MOONSORROW durchaus mitreißen kann. Und so gefallen mir die Jungs immer besser, bis ich mit dem letzten Song echt hin und weg bin. Auch wenn Laufen vielleicht nicht die beste Disziplin der Band ist, so posen sie, was das Zeug hält, und setzen damit einen weiteren optischen Glanzpunkt des Abends. Im letzten Lied der Mondjünger lässt sich sogar KORPIKLAANI-Sänger Jonne Järvelä auf der Bühne blicken und unterstreicht, dass man sich auf der Pagan-Fest-Tour außerordentlich gut versteht. Freut mich. Pünktlich um halb elf verlassen MOONSORROW und damit die letzte Band des Abends, die mir richtig gut gefällt, die Bühne und starten in den wohlverdienten Feierabend.

Keine zehn Minuten später torkeln, okay, laufen die Waldschrate von KORPIKLAANI auf die Bühne. Mein Gott, was ich über die Jungs schon alles gehört habe: von "beste Liveband" über "genialstes Konzert in meinem Leben". Wie die Finnen doch zurzeit hochgelobt werden - und wie kalt mich das alles an diesem Abend lässt. Vielleicht bin ich nach den vergangenen Stunden zu ausgelaugt, vielleicht ist das Material aber auch völlig uninteressant, ich weiß es nicht. Mich reißt der Auftritt überhaupt nicht mit, mehr noch, ich finde ihn lahm, lahm, lahm.

Auf dem Weg zum Merchandise-Stand wird mir klar, warum ich mit KORPIKLAANI nichts anfangen kann. Die Musik hat für mich keine Message. Es werden lediglich schöne, tanzbare Melodien aneinandergereiht. Und zwar seelenlos. Und genau diese Seelenlosigkeit ist mein Problem. Für mich muss Musik Seele haben. Seelen- bzw. gottlos sind allerdings ebenfalls die Preise am Merch-Stand: zwanzig Euro für T-Shirts, fünfundzwanzig für Longsleeves, etc. Ganz schön saftig. Da hatte wohl jemand die großen Euro-Zeichen in den Augen, als klar wurde, dass das Backstage ausverkauft ist. Und so ziehe ich ohne überteuerte Trophäe ab. Allerdings fällt auf, dass doch erstaunlich viele überhaupt keine Berührungsängste bei der Geldübergabe haben und wohl grob geschätzt jeder Zweite mit so einem Tourshirt rumläuft. Aber gut, wer hat, der hat. Durch diesen Ausflug geht der Auftritt von KORPIKLAANI wohltuend schnell vorbei, der Off-Beat-Gute-Laune-Reggae-Metal hat ausgespielt, und wir machen uns für die letzte Runde im Werk bereit.

Als um fünf nach Mitternacht die Lichter ausgehen, um gleich wieder blau aufzuleuchten, haben etliche Besucher schon die Halle verlassen. Das bedeutet aber lediglich, dass das Werk nur noch "gut gefüllt" ist. Und das bedeutet wiederum keinesfalls einen Abbruch der Stimmung. Im Gegenteil: Die kocht noch genauso wie zu Beginn des Konzertes, und die Fans sind heißhungrig auf den musikalischen Zapfenstreich. ENSIFERUM heißt die Band in dieser Funktion und ist damit der Headliner des heutigen Abends. Lange Haare, Rock, geschminkt – klingt irgendwie nach einer Transen-Show auf St. Pauli. Doch weit gefehlt. Es sind vielmehr Finnen auf dem Kriegspfad. Und diese Finnen sind derart wütend, dass sie sich zum Teil ganz schöne Böcke leisten. Da wird untight gespielt, hier wird total schief gesungen - wohl das Kriegsbeil mit dem linken Arm ausgegraben, oder was? Das scheint aber nur die wenigsten zu stören, weshalb ENSIFERUM ebenso wie alle anderen Bands des Abends abgefeiert werden. Aber warum eigentlich? Ich meine, abseits der technischen Fehler wird dort lediglich Power Metal mit extremeren Vocals und ein bisschen Humppa/Folk dargeboten. Völlig unspektakulär.

Das Einzige, was wirklich im Ansatz auf der positiven Seite zu verzeichnen ist, ist, dass ENSIFERUM nah an der Autobahn gebaut und somit schön schnell unterwegs sind. Aber das soll doch nicht alles gewesen sein, oder? Nun, anscheinend schon. Deshalb bleibt mir festzuhalten, dass der Gitarrist linksdrehend und der Bassist rechtsdrehend ist, sie ein Medley inklusive 'Fear Of The Dark' spielen, der beste Song der Jungs 'Battle Song' heißt, es sogar ein paar Crowdsurfer gibt und zuletzt: dass die letzte Band des Abends definitiv nicht die beste ist. Und so schließt sich um zwanzig nach eins der (nicht nur sprichwörtliche) Vorhang zum letzten Mal für diesen Abend und entlässt uns in die kühle Münchner Nacht, natürlich nicht, ohne Chrigel von ELUVEITIE ganz kurz persönlich gehuldigt zu haben [verdammt netter Vorhang! - d. Red.].

Der Heimweg lässt den Raum für ein paar Schlussbetrachtungen: Zum einen war das ein beachtlicher Menschenauflauf. Gerade für München, wo immer wieder die Diskussion geführt wird, warum nur jeweils eine Hand voll Leute auf die einschlägigen Konzerte geht. 1500 Menschen, das ist schon der Wahnsinn. Und genauso ist die Atmosphäre über das gesamte "Pagan Fest" hinweg gewesen: unglaublich intensiv, jede Band wurde abgefeiert bis aufs Blut, die Energie, die an diesem Abend freigesetzt wurde, war unheimlich. Das hat man auch den Bands auf der Bühne angemerkt. Das Schöne ist, dass auch die lokalen Bands KROMLEK und EQUILIBRIUM davon profitiert haben. Auf der anderen Seite stehen allerdings die Preise beim Merch: viel zu unverschämt. Auch die Spielzeiten der Bands waren zum Teil unverschämt. TYR haben nicht mal eine halbe Stunde gespielt. Da muss die Frage erlaubt sein, ob so ein großes Package an einem "normalen" Abend überhaupt sinnvoll ist. Mir persönlich wurde es mit der Zeit einfach zu viel. Selbst wenn ich mehr Nerv für ENSIFERUM gehabt hätte, so war ein Abfeiern der Band zu diesem Zeitpunkt des Abends mit der Vorgeschichte einfach nicht mehr möglich.

Weiterhin muss ich feststellen, dass Humppa-Metal nichts ist, das ich ohne Verunreinigungen abhaben kann. Zu lahm, die Intention zu sehr auf Feiern abzielend. Deshalb bleibe ich lieber bei meinen MITHOTYN, wenn ich was in dieser Richtung brauche. Die schaffen es nämlich auch, Humppa mit Seele und einem kräftigen Schuss Bösartigkeit zu spielen. Allerdings ist das wie immer reine Geschmackssache und soll keinen Allgemeinplatz darstellen.

Der Schnitt für diesen Abend war zufriedenstellend: zwei geniale Bands (ELUVEITIE und MOONSORROW mit Startschwierigkeiten), zwei gute Bands (TYR und die unvermeidlichen EQUILIBIRUM) und drei Bands, ohne die der Abend noch besser gewesen wäre (KROMLEK, KORPIKLAANI und ENSIFERUM). Zufrieden und zerschlagen machen wir uns auf nach Hause, welch ein Glück, keine Trolle auf dem Nachhauseweg.

Redakteur:
Julian Rohrer

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