MENTORS - Göppingen

31.12.2023 | 14:21

10.12.2023, Gaststätte Zille

Anachronismus, bedeckt von schwarzen Kapuzen.

Dieses Jahr passierten in meinem kleinen musikalischen Kosmos doch einige außergewöhnliche Dinge. So wurde beispielsweise vorgestern die völlig unvorhergesehene Katze, in Form einer Reunion nebst mittlerweile dazugehörigem ersten Exklusiv-Auftritt beim "Keep It True (Rising)"-Festival, der Filigran-Feinmetall-Recken CRIMSON GLORY aus dem Sack gelassen. Apropos "Sack": Mit jenem human-basischen Thema beschäftigten sich inhaltlich in der Hauptsache knapp zwei Wochen vorher die kapuzenbewehrten Rumpelwichte MENTORS bei ihrem einzigen und somit in Deutschland-exklusiven Auftritt in der Göppinger "Gaststätte Zille".

Für diese, mit reichlich historischem Schmuddelmief und einer im Geiste fingerdicken Patina aus wahren sowie vermutlich erdichteten Anekdoten behafteten, legendären Rumpelrock-Kapelle aus Seattle, stellt die Zille, bis auf die zu kleine Größe den idealen Auftrittsort dar: Es handelt sich um eine seit 1981 bestehende holzgetäfelte Kneipe, deren Herzstück selbstredend die Theke ist. Dort schenkt der Wirt Wolfgang seit jeher "Wein, Bier und Schnaps, erschwinglich" aus, so sein Leitspruch, während der Veranstalter "Karacho-Schorsch" seit einigen Jahren im Hinterzimmer, in das man in der Tat durch eine Thekenklappe einzeln nach Kartenabriss hinter der Theke durchgelassen wird, sofern man vorher eine der 60 stets detailverliebt selbstangefertigten Eintrittskarten ergattern konnte, mehr oder weniger die Crème de la Crème des rockmusikalischen Undergrounds jeglicher Couleur aufbietet. Um einige wenige zu nennen, rockten seit 2016 im Hinterzimmer der Zille neben vielen anderen NIGHT DEMON, DEAD LORD, SAVAGE MASTER, THE NEPTUNE POWER FEDERATION, KRYPTOS, IDLE HANDS, RIOT CITY, TANITH, SANHEDRIN, MEGA COLOSSUSS etcetera, etcetera, etcetera. Neben Retrorock- und NWOTHM- spielen auch viele Death Metal-, Black Metal- sowie Straßenrock-Bands in der Zille.

Der Abend mit den MENTORS ist seit Wochen ausverkauft, weshalb die Zille bereits eine Stunde vor dem Gig gut mit alten weißen Männern, jungen weißen Männern und jungen weißen Männern, die bereits alt aussehen (Stichwort …, "erschwinglich") gefüllt ist. Dazwischen hüpft auch schon begeistert ein MENTOR mit seiner schwarzen Kapuze herum, der enthusiastisch mit jedem das Bier anstößt und sein Handy beim Filmen und Fotografieren glühen lässt. Sogar einige Frauen sind anwesend, die entweder durch das vom Veranstalter ausgesprochene Gratis-Prosecco-Angebot gelockt werden konnten, oder aber nicht so recht wissen auf was sie sich da mit ihrer männlichen Begleitung einlassen.                                                                                           
Nun denn, als wir alle 60 zahlenden Gäste vor der ebenerdigen Bühnennische und daher vor den Instrumenten der MENTORS stehen, schweifen meine Gedanken in die Vergangenheit: Die Geschichte der MENTORS reicht bis ins Jahr 1977 zurück. Initialzündung zur Bandgründung war freilich die damalige Punk-Welle. Von Beginn nach ihrer Higschool-Zeit an setzten "Sickie Wifebeater", "Dr. Heathen Scum" und "El Duce" ("Der Ständer") auf Provokation bis zum Anschlag, wie bereits die Pseudonyme belegen. Sie trugen schwarze Henkersmasken und schrieben ausschließlich Texte, die mit ihren obszönen und sexuellen Inhalten vor allem in den prüden USA zarter besaiteten Personen die Schamesröte oder gar Ekel ins Gesicht trieben und nebenbei über die bis heute bestehenden musikalischen Unzulänglichkeiten hinwegblicken lassen sollten. Dennoch oder gerade deshalb konnte die Band ihren Tour-Radius entlang der Westküste der USA erweitern, erhielt 1982 einen Plattenvertrag bei Mystic Records, und landete schließlich sogar bei Death Records, das zu METAL BLADE gehörte. Den MENTORS wurde dann Mitte der Achtziger Jahre, wie vielen anderen Bands auch, promotionsmäßig enorm von Al und Tipper Gore, dem damaligen Vize-Präsidenten der USA und seiner Frau geholfen, die das Parents Music Resource Center, kurz PMRC ins Leben riefen, um elterliche Selbstkontrolle gegen gewalttätige und sexuelle Musik in den USA voranzutreiben. Aufgrund der damaligen Vorgänge erreichte vor allem der Song 'Golden Showers' einen enormen Bekanntheitsgrad.

Ja, Rebellion, Unangepasstheit gegenüber gesellschaftlichen Schranken, Selbstverwirklichung bis an die Grenzen des guten Geschmacks, das waren und sind wohl die Grundprinzipien der MENTORS. Seit den geschilderten Zeiten sind unglaubliche Mengen Wasser die uringetränkten Flüsse des Erdballs hinuntergeschwappt, El Duce, der bekannteste MENTOR, bürgerlich Eldon Hoke, wurde mittlerweile in der Realität von einem Zug überfahren und die MENTORS sind in echt alte, weiße Männer, die aber noch ihre Band haben und sie ganz legitim nutzen, um im hinteren Drittel ihres Lebens noch etwas Geld zu verdienen. Dabei sollte Fans, neugierigen Konzertbesuchern und Bandlisten-abhakenden Konzertvagabunden klar sein, dass die MENTORS, das darf und muss man an dieser Stelle einfach so sagen, Fossile, ja lebende Anachronismen sind, bei denen man froh sein darf, wenn sie als Band noch veranstaltet werden (können). Zudem gab ein mir bekannter Rabe zu Protokoll, dass die MENTORS schlichtweg in Rockkreisen eine mittlerweile einzigartige Institution sind, womit er sicherlich Recht hat.

Inhaltlich, dazu mit der Betonung ihrer Heterosexualität im Mittelpunkt ihres "Porn-Rocks", wie der Stil manchmal auch genannt wird, findet die Band zwar nach wie vor ihr Nischenpublikum, oder vielmehr eines, dass die Musiker versteht und nicht allzu ernst nimmt. Auf breiter Fläche muss man den MENTORS derzeit, jedoch oder leider, je nachdem wie man dazu steht, heutzutage inhaltliche Irrelevanz bescheinigen, so seltsam sich das jetzt auch lesen mag.                                                                                                                                                   
Gegen 20:30 Uhr geht es also schließlich mit 'Sandwich Of Love' los, und mit dem Mitgröl-Chorus haben die vier Kapuzen-Kerle das Hinterzimmer gleich im Griff, "am Sack" sozusagen. Die als musikalisch legendär schlecht geltenden MENTORS enttäuschen auch mit den nachfolgenden Songs auf ganzer Ebene, da sie rhythmisch druckvoll, mit ordentlichem Sound und mit, man glaubt es schier nicht, so etwas wie spürbarer Spielfreude präsentiert werden! Jetzt ernsthaft: Die Jungs bringen den Anwesenden gleich während der ersten Viertelstunde mächtig Spaß. Dieser breitet sich aufgrund der Enge und des Altersdurchschnitts im Publikum nicht unbedingt actionmäßig aus, man ist jedoch durchgängig bei der Sache. Und so amüsieren wir uns göttlich über die in mittlerweile alkoholischer Angeschickertheit unter den schwarzen Kapuzen zumeist eher unverständlich dahergebrabbelten Ansagen zu weniger musikalischen, als vielmehr textlichen Kleinoden wie 'Donkey Dick', 'Grab Her By The Pussy' (auch die ca. 5 anwesenden Frauen grölen mit, ich hab’s gesehen!), 'Peepin Tom' und 'Get Up And Die'.

'Golden Showers' bekommt dann wieder eine etwas längere Ansage, vor allem "Dr. Heathen Scum" muss außerdem auch ab und an mal an seiner "Goiß" nippen. Tja, und weiter geht's unter anderem mit tiefschürfenden Lebensweisheiten wie 'When You're Horny, You're Horny', 'My Bitch Is A Junkie' oder dem unvermeidlichen und viel Freude im Publikum auslösenden 'Heterosexuals Have The Right To Rock'. Zwischendurch darf dann auch mal der eine oder andere Fan singen. Einer kann sich sogar sein Lied aussuchen, natürlich nicht ohne dass die MENTORS seine Auswahl vorher süffisant mit ihm diskutieren. Ab der Hälfte des Gigs bemerkt man dann als aufmerksamer Konzertgast qualitativ einen gewissen Abfall: Einige Soli flirren ins Nirvana, die Tightness des Schlagwerkers ist mitnichten noch tight, und insgesamt scheint die in die Jahre gekommene Band immer größeren Gefallen am Drumherum ihres einzigen Deutschland-Gigs zu finden, was stets in den immer länger werdenden spaßigen Diskussions- und Trinkpausen gipfelt. Neben den bereits genannten Hits werden dann zwischendurch noch 'Free Fix', 'Chicks With Dicks' und 'Operation Alcohol' zum Besten gegeben, letzteres mit der Entstehungsgeschichte des Textes als Ansage, bevor nach etwas über einer Stunde der Song 'Four F Club' die heutige Live-Sitzung desselben beendet.

Alles in allem hatten alle anwesenden eine Menge Spaß mit den gut gelaunten und trotz schwarzer Kapuzen, sich, das Leben und ihre Europa-Tournee feiernden MENTORS! Man darf und kann hoffen, dass die Herren sich wieder einmal in Göppingen an derselben Stelle blicken lassen.

Setliste: Sandwich Of Love; Donkey Dick; Grab Her By The Pussy; Peepin' Tom; Get Up And Die; Golden Showers; When You're Horny, You're Horny; Free Fix; My Bitch Is A Junkie; Chicks With Dicks; Operation Alcohol; Heterosexuals Have The Right To Rock, Four F Club


Fotos:

Michael Fohmann (Konzert); Sina Baur (Sekt-Etikett), Karacho Schorsch (Fensterfoto & Plakate)

Redakteur:
Timo Reiser

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