KISS - München

24.06.2023 | 22:39

17.06.2023, Königsplatz

Nummer 11 der letzten 50 Konzerte von KISS - diesmal etwas anders bebildert...

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Was soll man über ein Konzert von einer der berühmtesten und beliebtesten Rock-Bands aller Zeiten noch großartig schreiben? Noch dazu über eine Show-Produktion, die bereits zum dritten Mal über unsere Gefilde hereinbricht und sattsam bekannt ist?

Ich entschied mich in den letzten Tagen vor dem gestrigen KISS-Konzert auf dem Königsplatz in München schließlich dazu, die Tastatur ruhen zu lassen und einfach zu genießen. Ich genoss auch unglaublich, doch wie ihr bemerkt, kam die Tastatur nicht zu ihrer versprochenen Ruhe, und was dazu führte, werdet ihr nun erfahren:

Mann, ist das ein großartiger Tag für ein Open-Air-Konzert, Sonnenschein und Temperaturen wie aus dem Bilderbuch, Sommer in der Stadt eben! Als ich nach herrlichen Sesam-Miso-Ramen-Nudeln (…als Landei muss man die städtischen Gastronomie-Schmankerln nutzen, wenn man kann) und einer großen Tasse Kaffee mit Himbeer-Quarktasche - weil der Magen mitrockt - gegen 16:00 Uhr in Richtung Einlass bei den Propyläen marschiere, höre ich gerade noch, wie Paul Stanley sich von den VIP-Gästen verabschiedet, für die er Fragen beantwortet hatte, während sie dem Soundcheck von KISS beiwohnten.

Auf dem Vorfeld des Königsplatzes vor den Propyläen sammelt sich bereits das Publikum, und endlich erblicke ich das, was ich im Stadtbild in den letzten zweieinhalb Stunden etwas vermisst hatte: Die schrill angezogenen Konzert-Vagabunden, im Falle der heutigen Protagonisten "KISS-Army" genannt, früher hätte ich geschrieben "Konzert-Zigeuner", das schickt sich aber wohl nicht mehr, in Band-Merch gekleidet und natürlich vielfach im Make-up ihrer musikalischen Bühnenhelden geschminkt, angemalt, angeschmiert, übergossen, was und wie auch immer! Ein unübertrefflicher Augenschmaus, bei wirklich keiner anderen Band in diesem Ausmaß anzutreffen. Spätestens als mir ein ungefähr vier- bis sechsjähriger Mini-Peter Criss/Eric Singer in perfektem Make-up mit seinem Papa über den Weg läuft, ist klar: Dazu muss ich, trotz aller Schwüre meinem Laptop gegenüber, etwas machen! Und als mir und meinem Kumpel Alex dann noch das menschgewordene "Dressed To Kill"-Cover, leider ohne Ace Frehley-Lookalike, begegnet, habe ich die Erleuchtung: Es wird doch einen KISS-Livebericht von mir geben, aber dieses Mal zum größten Teil mit Fan-Bildern illustriert.

Gesagt, getan: Ab diesem Zeitpunkt ist auf dem Königsplatz niemand mehr mit angelegtem KISS-Make-up vor dem anwesenden Abgesandten von POWERMETAL.de sicher. Es wäre aber auch rückblickend zu schade gewesen, diese tollen, teils sogar kreativen Schminke-Meisterwerke nicht fotografisch zu dokumentieren. Und so stimmen alle (!) Angesprochenen einer Veröffentlichung zu, wenn es zu einem Artikel kommt, und manche lassen sich das Foto sogar gleich zuschicken. Alex ist Talent-Scout, Getränke- und Taschenhalter in Personalunion, und so knipse ich mich munter bis zum Beginn von AIRBOURNE durch die freundlichen, unglaublich gut gelaunten und warmherzigen Fanscharen, nicht ohne zwischendurch das leckere Münchner Bier zu genießen.

Der AIRBOURNE-Sound ist nur in der ersten Minute des Openers 'Ready To Rock' dünn und schraddelig, man kann dann förmlich hören, wie die Regler gezogen und Knöpfchen gedrückt werden, denn in Windeseile steht das Publikum in fettestem Rock'n'Roll Gitarren-Gebratze der Mannen aus Australien und erfreut sich riffig-AC/DC-esker Tollheiten wie 'Too Much, Too Young, Too Fast', 'Girls In Black', 'Breakin' Outta Hell' oder 'Runnin' Wild'.

Völlig wahnwitzige Stunts wie das ungesicherte Emporklettern am Bühnengerüst nebst einarmigen Klimmzügen an der Dachkante gehören wohl inzwischen alleine wegen versicherungsrechtlicher Bedenken und Verboten der Vergangenheit an, auch das etwas arg proletenhafte Aufschlagen von Bierdosen an allen möglichen Körperteilen führt der Sänger und Gitarrist Joel mittlerweile nicht mehr vor, auch wenn er zahlreiche gefüllte Bierbecher in die ersten Publikumsreihen wirft. Die Brüder Joel und Ryan O'Keeffe (Schlagzeug), die früher im Hinblick auf musikalische Differenzen befragt zu Protokoll gaben, dass sie sich dann halt im Studio "auf die Fresse hauen" und somit alles klären, treiben sich und ihre zwei Mitstreiter Justin Street am Bass und Jarrad Morrice an der Rhythmusgitarre (Letzterer ist erst seit letztem Jahr dabei) auch ohne gefährliche Sperenzchen zu körperlichen Höchstleistungen an: Auf der Bühne ist ständig Bewegung zu sehen, sei es bangender oder rennender Weise. Das überträgt sich natürlich auf das Publikum, das gut mitgeht. AIRBOURNE kommt in München super an, für mein Gefühl wesentlich besser als letztes Jahr bei IRON MAIDEN in Stuttgart. Ich finde sogar, dass die Australier auch musikalisch besser zu KISS passen, in deren Songs wesentlich plakativer klassischer Rock'n'Roll zu hören ist und Pate stand. Nachdem sich der ehemalige Bauarbeiter Joel sehr ausführlich bei allen hart arbeitenden Menschen im Hintergrund der Tour, vor allem den Bühnenbauern und LKW-Fahrern, für ihre Leistungen bedankt hat, werden die letzten Songs ins Publikum gerockt und dann ist der erste tolle Gig des Abends nach 45 Minuten um 20:00 Uhr auch schon wieder vorbei.

Setliste AIRBOURNE: Ready To Rock; Too Much, Too Young, Too Fast; Girls In Black; Burnout The Nitro; Back In The Game; Breakin’ Outta Hell; Live it Up; Runnin’ Wild

In meiner neu entdeckten Aufgabe als rasender Fotoreporter, erspähe ich im zweiten vorderen Publikumsbereich, für den Alex und ich vor AIRBOURNE Bändchen ergattern konnten, noch einige geschminkte Fans und gehe dann und wann meiner selbstauferlegten Arbeit nach, bis dann um 20:40 Uhr das Publikum zu 'Rock And Roll' von LED ZEPPELIN amtlich in Wallung gerät. Im Anschluss erklingt endlich das ikonische Intro "You wanted the best…", der Vorhang mit dem Logo wird abgesprengt und Tommy Thayer, Paul Stanley und Gene Simmons schweben diesmal auf den vorderen drei sechseckigen Licht- und Screen-Plattformen, 'Detroit Rock City' spielend auf die Bühne, begleitet von viel obligatorischem Geballer und Geleuchte. Viel macht eben viel her, bei KISS schon immer und ewig! Die zwei 73 und 71 Jahre alten Urgesteine Gene und Paul, den Eindruck gewinne ich sofort, haben heute trotz aller undurchdringlich fassadenhaften und professionellen Routine Bock! Und das ist geil, das merkt man richtig, nicht zuletzt am Grinsen und Schmunzeln der mittlerweile etwas runzliger unter dem fingerdicken Make-up dreinblickenden Gesichter der Rock-Superstars bereits während der ersten Lieder wie 'Shout It Out Loud', 'Deuce' und 'War Machine'. Paul macht hochmotiviert Publikumsspielchen, weil: Das Publikum ist hochmotiviert und geht gleich in der ersten halben Stunde regelrecht steil um dann das Level durchgängig zu halten. Während seiner Ansagen kokettiert Herr Stanley natürlich, wie auch Gene Simmons, spitzbübisch mit deutschen Phrasen, Marke: "Kann ich bitte einen Kugelschreiber haben?".

Gene rollt währenddessen dazu die Augen, macht seine eigentümlichen Kopfbewegungen, schluckt und sabbert das Mikro voll und zeigt ständig schlabbernd seine Zunge, dass alle Fanherzen übergehen! Paul tanzt tuntig wie eh und je, nur irgendwie sogar fast besser, sportlicher und toller, als beim letzten Mal! Der Vergleich mit altem Wein, der immer besser wird, kommt einem ein weiteres Mal in den Sinn. Oh Gott, sind die wieder gut heute! Eric Singer gibt am Schlagzeug alles und Tommy Thayer ist eine solide Bank mit seiner Gitarenarbeit: Musikalisch ist alles im dunkelgrünen Bereich bei KISS. Kein Scherz, Pauls und Genes Gesang betreffend habe ich das Gefühl, sie eigentlich noch nie seit der Reunion-Tour 1996 so gut gehört zu haben. Auch wenn es ein Cliché bei Musikern vor dem Ruhestand ist, aber ich frage mich tatsächlich ab und an zwischen dem Abrocken zu den zeitlosen Klassikern wie 'Heavens On Fire', 'Cold Gin', bei dem Thommy anschließend wieder mit der Gitarre Untertassen jagt, und dem knackigen 'Lick It Up', warum da ausgerechnet jetzt Schluss sein muss!?! Klar, die Körper der beiden Über-Siebzigjährigen werden nicht jünger, alles logisch! Aber man muss der Band attestieren, dass sie auch auf der Zielgeraden während der letzten 50 Gigs in allen Belangen, das heißt Performance, Gesang, musikalisches Können und Kommunikation mit dem Publikum betreffend, "voll im Saft steht", wie man so schön sagt! Aber es gibt eben auch die Weisheit, dass man aufhören soll, wenn es am schönsten ist.

Kein anderer Frontman flirtet so charmant mit dem Publikum wie Paul Stanley, keiner nutzt die Möglichkeiten der Screen-Technik so effektiv um auch den letzten angeschwipsten Beinahe-Fan am hintersten Bierstand zum Mitklatschen zu bewegen. Auch Gene, dessen Make-up bei seinem Bass-Solo und dem anschließenden 'God Of Thunder' in der unteren Gesichtshälfte bereits fast vollständig verschwunden ist, scheint alles zu geben und zieht die Massen mit diesem unsterblichen Klassiker und der dazugehörigen ikonischen, Jahrzehnte-alten Blutsabber- und Flugnummer in seinen Bann. Alex sieht das Spektakel heute zum ersten (und leider wahrscheinlich letzten) Mal und hat begeisterte, leuchtende Äuglein. Ja, KISS hat sich die Magie trotz einiger Irrungen und Wirrungen in manchem Jahrzehnt des Bestehens bis zuletzt erhalten können.

Die Setlist weist nur kleinste Änderungen in der Reihenfolge auf, und gegenüber letztem Sommer wurde 'Tears Are Falling' durch 'Makin Love' ersetzt und 'Do You Love Me' fiel leider raus. Nach Genes Paradenummer darf Paul dann wie gehabt Seilbahn fahren. Wir stehen fast darunter und haben die kleine B-Bühne direkt vor der Nase! Fabelhaft! 'Love Gun' und 'Black Diamond' können mich wie immer begeistern, leider ist danach das reguläre Set zum letzten Mal beendet. Ob Eric Singer wirklich 'Beth' singen sollte, wird wahrscheinlich noch in 20 Jahren von Fans diskutiert werden, dennoch macht er in der ersten Zugabe seine Sache schnulzig, kitschig und rundum gut. Danach ist Super-Duper-Ultra-Ohrwurm-Blut aus dem Gehörkanal-Hitalarm angesagt: 'I Was Made For Lovin You' lässt den Königsplatz discomäßig abhotten, ob man jetzt mitmachen will oder nicht. Man hat quasi keine andere Chance, die Stimmung ist einfach über alles erhaben großartig!

Direkt im Anschluss kommt die nächste und leider letzte Nummer, mit deren Weglassen KISS Riots auslösen könnte: 'Rock And Roll All Nite'. Ganz am Ende beweisen die vier Recken, begleitet von Gummi-Ballons, Konfetti-Bomben, viel Feuer mit Gerummse und grandioser Pyrotechnik, wer den längsten, besten, tollsten und hollywoodfilmreifsten Rock'n'Roll-Schlussakkord aller Zeiten draufhat: KISS - the hottest band in the world - Forever!

Setliste KISS: Detroit Rock City; Shout It Out Loud; Deuce; War Machine; Heaven’s On Fire; I Love It Loud; Say Yeah; Cold Gin; Guitar Solo (Tommy Thayer); Lick It Up; Makin’ Love; Calling Dr. Love; Psycho Circus; Drum Solo;100,000 Years; Bass Solo; God Of Tunder; Love Gun; Black Diamond; Beth; I Was Made For Lovin’ You; Rock And Roll All Night

Ja, was soll ich sagen? Ich bin froh, dass es durch Fügung einiger Umstände letztendlich doch noch für mich geklappt hat, dieses letzte für mich erreichbare Konzert von KISS in Deutschland zu sehen. Es war wie immer etwas ganz Besonderes, Einzigartiges. Ich glaube nicht, dass man gar nichts mehr von den Herren hören wird, sie haben ja während Corona schon mit exorbitanten Streaming-Gebühren für Konzerte in luxuriösen Locations experimentiert. Apropos Gebühren… aber Diskussionen über die T-Shirt-Preise von 50€ würden mir jetzt die noch vorhandene Hochstimmung runterziehen. Daher darf sich jeder, der möchte, selbst im stillen Kämmerlein darüber aufregen.

 

Vielen herzlichen Dank fürs Lesen und vor allem viel Spaß mit den abgebildeten Fans!

 

 

 

 

 

Redakteur:
Timo Reiser

Login

Neu registrieren