Grave - Ludwigsburg

19.01.2005 | 03:15

16.01.2005, Rockfabrik

GRAVE - THIRD MOON - DISPARAGED - DEBAUCHERY - BITTERNESS
16. Januar 2005 - Ludwigsburg, Rockfabrik

Die Rockfabrik hat umgebaut, und wenn man seither nicht mehr dort war, dann können einem die Begebenheiten doch etwas seltsam vorkommen. So fuhr ich gut gelaunt nach Ludwigsburg um endlich mal GRAVE live erleben zu können. Wie ich da aber so auf den Parkplatz einbiege, denke ich zunächst, ich sei im falschen Film. Kein Langhaariger weit und breit, dafür alles voll mit hippen Hoppern, gegelten Haaren, Kappe-verkehrt-herum- und Baggypants-Trägern, gestylten Mädels und Eltern, die ihren Nachwuchs mit dem Auto von der Disco abholen. Nirgendwo ein Hinweis, wohin sich das langhaarige oder zumindest schwarz gekleidete Volk denn wenden soll. Als sich dann doch mal ein Metaller traut über den Parkplatz zu schlappen, verfolgt ihn der Rezensent durchs Parkhaus in die obere Etage zum gut versteckten Eingang des Clubs 2 der Rockfabrik. Wie wär's mit einem kleinen Hinweisschild? Ich wäre fast schon wieder heim gefahren. Egal, es ist ja noch mal gut gegangen. Vor dem kleinen Hintereingang bzw. "Obereingang" heißt es dann noch mal eine halbe Stunde warten, bis sich endlich die Tore öffnen. Der neu hergerichtete Club 2 sieht sehr nobel aus und ist eine echt schöne Location für kleine bis mittlere Underground-Gigs. Wenn die "große" RoFa inzwischen auch so nobel aussieht, muss ich ihr echt mal wieder einen Besuch abstatten. Der Club 2 ist relativ klein, aber sehr fein und an diesem Abend auch ziemlich gut gefüllt, nachdem ich nach den vorherigen Erlebnissen schon befürchtet hatte es wären keine Metaller anwesend. Aber nun genug der Vorrede, lasst uns zum wesentlichen kommen: Zur Musik.

Die schwedische Death Metal-Band GRAVE ist zu Recht eine Legende und es war an der Zeit, wieder mal eine richtig ausführliche Europatour zu machen. Dazu baten die mittlerweile in Stockholm residierenden Gotländer die Österreicher THIRD MOON und die Schweizer von DISPARAGED mit auf Tour. In Ludwigsburg gibt's zusätzlich Unterstützung von den beiden deutschen Bands DEBAUCHERY und BITTERNESS. Es ist also ein schön bunter Mix der Nationalitäten und der unterschiedlichen Stilrichtungen, der uns heute in der RoFa erwartet.


BITTERNESS

Den Anfang machen die Jungs von BITTERNESS aus Konstanz am Bodensee. Die Band spielt einen coolen, zumeist recht flotten Mix aus Death und Thrash Metal, wobei das Thrash-Element eindeutig dominiert. Nach anfänglicher Zurückhaltung lassen sich im Verlauf doch einige der Zuschauer vom Verkaufsstand vor die Bühne locken. Um die Mehrzahl der speziell wegen GRAVE angereisten Fans auf seine Seite zu ziehen, stimmt man auch ein sehr Death-Metal-lastiges Stück namens 'Chain Of Command' an. Insgesamt gefällt mir jedoch der für die Band typischere, thrashige Stil besser. Songs wie 'Marching Towards Infinity', das langsamere, mit einem cleanen Gitarrenintro versehene 'Eve Of Destruction' und 'Crimson Serenade' überzeugen absolut. Schade, dass der Zuspruch für die Opener bei den meisten Konzerten in unseren Gefilden nur sehr mäßig ist. Es ist manchmal schon traurig, dass sich bei richtig guten Gruppen bisweilen keiner näher als vier Meter an die Bühne traut. Die Band lässt sich dadurch aber keineswegs draus bringen und Sänger/Gitarrist Frank Urschler wird nicht müde, die mitgebrachten Releases anzupreisen, welche die Jungs nach dem Gig persönlich direkt vor der Herrentoilette zu Verkauf anbieten. Hoffentlich hatten nicht alle, die vorbeikamen nur "wichtigere" Geschäfte im Sinn, denn wie die dargebotenen Songs, die schwerpunktmäßig von der aktuellen EP "Marching Towards Infinity" und vom Vorgänger "Sweet Suicide Solutions" stammten unter Beweis stellen, hat es die Band durchaus verdient, ein wenig mehr Aufmerksamkeit zu bekommen. Jedenfalls beide Daumen hoch für diesen coolen Opener.


DEBAUCHERY

Obwohl die Truppe aus dem Raum Stuttgart mit ihrem Death Metal mit Gore- und Splatter-Image eigentlich stilistisch nicht 100% meine Baustelle ist, beweisen die Herrschaften, dass es sich bei DEBAUCHERY um eine erstklassige Liveband handelt. Die von oben bis unten mit Kunstblut eingesauten Kameraden haben jede Menge Energie und eine dezent manische Ausstrahlung. Dazu in Gestalt von Basser Chris ein schwergewichtiges und glatzköpfiges Unterhaltungstalent, das mit seinem Bühnenoutfit aussieht wie der Mad Butcher von gleichnamiger DESTRUCTION-EP. Er tobt wie ein Wahnsinniger über die Bühne und schneidet Grimassen, dass es eine wahre Freude ist. So stell ich mir gutes, engagiertes Stageacting vor. Dieses enorme Showtalent haben seine Bandkollegen zwar nicht, aber auch von denen lässt keiner was anbrennen. Knüppelharte, schnelle aber dennoch eingängige Splatterhymnen wie 'Blood For The Bloodgod', 'Chainsaw Masturbation' (über guten Geschmack bei der Wahl der Songtitel lässt sich streiten), das vom neuen Album stammende 'Rise Of The Bloodbeast' und 'Devourer Of Worlds', bei dem Trommler Daniel beinahe das Schlagzeug zerlegt, reißen das Publikum richtig mit und sorgen dafür, dass die Meute schon relativ früh im Billing ordentlich mitgeht. Dazu gibt's noch einen "Prügelsong" namens 'I Will Rape & Murder' (noch so ein kaputter Songtitel), das sehr gut gelungene SIX FEET UNDER-Cover 'War Is Coming', das leicht rock'n'rollige 'Wargrinder' und als Rausschmeißer die Grindcore-lastige Hymne 'Kill Maim Burn'.

Wer Anstoß an einigen der oben erwähnten Songtitel oder am blutigen Outfit der Band nehmen sollte, möge bitte davon absehen, uns Protestmails zu schreiben. Ich kann mit Splatter-Horror auch rein gar nichts anfangen, aber die Jungs sind offensichtlich Fans von derlei Filmen und liefern eben eine musikalische Variante davon ab. Deshalb müssen sie noch lange keine gewaltverherrlichenden Psychopathen sein. Im Gegenteil: Die Kameraden wirken trotz alledem recht sympathisch und locker. Wie auch immer, DEBAUCHERY verlassen das Schlachtfeld jedenfalls hoch erhobenen Hauptes, und so kontrovers ihre Showelemente auch sein mögen, musikalisch ist die Gruppe hervorragend.


DISPARAGED

Nach der hochenergetischen und gut abgefeierten Show von DEBAUCHERY ist es für die Schweizer von DISPARAGED mit ihrem sehr technischen und vertrackten Death Metal natürlich sehr schwer das Stimmungslevel zu halten, was zu Beginn auch nicht ganz gelingen mag. Zwar überzeugen die Musiker mit technischem Können, sorgen damit aber mehr für stille Bewunderung als für einen Moshpit. Besonders Schlagzeuger Heinz zieht die Blicke mit seinem eigenwilligen und komplexen Spiel auf sich. Den Gesang teilen sich Gitarrist Tom und Basser Adrian. Während Tom - wie auch Ralph, sein Partner an der Gitarre - eher introvertiert wirkt, beherrscht Adrian auch das Handwerk der Bühnenperformance sehr gut und erinnert im Posing ein wenig an einen gewissen Herrn Araya. Stimmlich ist er dementsprechend auch für den kontrollierteren, aggressiven Gesang zuständig, während Tom eher die extremen Growls übernimmt. Beim vierten Stück übernimmt Adrian dann auch mal die Position des Frontmannes in der Mitte der Bühne und DISPARAGED hauen ein sehr gutes Cover von SLAYERs 'Hell Awaits' raus, das endlich das Eis zwischen Publikum und Band bricht und für den ersten ordentlichen Moshpit sorgt. Danach werden auch die oft von kurzen Filmsamples eingeleiteten eigenen Stücke der Band etwas euphorischer aufgenommen. Lieder wie 'Bored Beyond Belief', 'Conqueror Of The Apocalypse' und der Titeltrack des aktuellen Albums "Overlust" leben vom abwechselnden Gesang, dem bereits erwähnten überragenden Schlagzeugspiel und einigen wirklich genialen Lead-Passagen. Insgesamt bleibt also festzuhalten, dass DISPARAGED live wohl in erster Linie dann für richtige Euphorie sorgen können, wenn man mit dem anspruchsvollen Songmaterial bereits vertraut ist. Aber auch als Neueinsteiger muss man der Band definitiv attestieren, dass sie in technischer Hinsicht das Highlight des Abends sind.


THIRDMOON

THIRDMOON aus dem oberösterreichischen Linz, die auch den französisch-baskischen Gitarristen Matias Larrede in ihren Reihen haben sind im Anschluss die mit großem Abstand melodischste Band des Abends. Mit drei Gitarristen spielt man eine richtig geniale Mischung aus Black Metal und melodischem Death Metal, der auch gelegentlich mit iberischen Folkmelodien glänzt. Die seit 1994 aktive Truppe hat sich über die Jahre augenscheinlich bereits eine ganze Menge Fans erspielt und ist somit in der glücklichen Lage bereits eine stattliche Anzahl von Leuten in der RoFa vorzufinden, die nicht zuletzt wegen THIRDMOON angereist sind. So geht das Publikum auch von Anfang an sehr ordentlich mit, was Frontmann Wolfgang Rothbauer jedoch nicht davon abhält, den Fans mit den Worten "kimmt's a weng fira" noch mehr Engagement abzuverlangen. Allgemein merkt man der Band an, dass sie inzwischen sehr routiniert ist. Die Instrumente der beiden hauptamtlichen Gitarristen sind ein zusätzlicher Blickfang. Matias' Gitarre ziert die Flagge des Baskenlandes, während die Klampfe von Dominik Hindinger eine besonders bizarre Form hat. Wichtiger als das Design der Instrumente ist aber, dass Songs wie 'Blood For Blood', 'Unleash The Soul' und 'Suicide Spawn' vom aktuellen Album oder 'Catharsis in Azure' einfach mit schönen Melodien und Gitarrenharmonien versehen sind, ohne dabei an Aggressivität und Durchschlagskraft einzubüßen. Die Rhythmusgruppe hält das ausufernde Gitarrenspiel hervorragend zusammen und Basser Simon erweist sich auch als Aktivposten auf der Bühne. Wirklich schade, dass die Band wegen Labelproblemen so lange auf die Veröffentlichung ihrer vierten Scheibe warten musste, denn wie mir dieser Gig bewiesen hat, gehört die franko-österreichische Freundschaft zu den derzeit überzeugendsten Bands im Bereich Melodic Death Metal, die noch dazu eigenständig genug klingt, um sich nicht hinter den Genregrößen verstecken zu müssen. Hoffentlich trägt diese Tour ihren Teil dazu bei, THIRDMOON etwas mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen.


GRAVE

Obwohl im Vorprogramm einige sehr gute Bands spielten, sind die Schweden von GRAVE natürlich der unangefochtene Headliner des Billings. Dennoch wirken die Herrschaften, allen voran Fronter Ola Lindgren, im Vorfeld des Gigs ein wenig nervös. Man lässt sich recht lange Zeit für den Soundcheck, Ola raucht noch kurz eine Zigarette... Hat man sich die zahlreichen kritischen Äußerungen nach der letzten Tour zu Herzen genommen? Da ich GRAVE niemals zuvor live gesehen habe, weiß ich nicht, ob die Kritik nach den Festival-Gigs zu "Back From The Dead" berechtigt war oder nicht, aber sollte dies der Fall sein, ist es nur zu verständlich, dass der eiserne Wille sich zu rehabilitieren die Band ein wenig nervös macht. Das Intro beginnt, die Musiker drehen dem Publikum den Rücken zu und warten auf das Einsetzen der ersten Takte des von SLAYER inspirierten Auftakts von 'Last Journey', um dann mit brachialer Gewalt, aber sehr klarem und differenziertem Sound loszulegen. Das Stück ist eine thrashige Abrissbirne erster Klasse und beweist, dass GRAVE nicht nur historische Relevanz haben, sondern auch mit ihren aktuellen Alben im Death Metal ganz oben mitmischen können. Dass vom Line-up der Klassiker nur noch der lange, dünne Blonde übriggeblieben ist, stört dabei überhaupt nicht. Ola growlt neue wie alte Hits keinen Deut schwächer als seinerzeit Jörgen Sandström, und auch der schwer tätowierte Drummer Pelle braucht sich nicht hinter dem mittlerweile nicht mehr professionell musizierenden Jensa Paulsson zu verstecken. Jonas, der Rückkehrer aus der Urphase der Band spielt mittlerweile Gitarre statt Bass, beherrscht aber auch dies hervorragend und wirkt sowohl während des Gigs als auch davor und danach am lockersten. Man hat fast den Eindruck, als stecke er im Laufe des Konzerts die anderen Bandmitglieder mit seiner positiven Energie an. Auch Basser Freddan hat sich zum Aktivposten der Band entwickelt und animiert das Publikum zum Mitgehen.

Als nächstes folgt ein kleiner Trip durch die Geschichtsbücher, bzw. durch die ersten drei Alben der Band. Jedes davon wird mit einem Stück bedacht, und nach 'Deformed', 'You'll Never See' und 'Turning Black' ist das Eis vollends gebrochen. Das Publikum rastet zwar nicht völlig aus - der Schwabe ist allgemein ein eher reservierter Mensch - geht jedoch sehr gut mit, und man merkt den Leuten sehr wohl an, dass sie richtig Spaß an der Band haben. Das überträgt sich dann auch auf die Musiker und die anfängliche Nervosität ist endgültig verflogen. Als dann auch noch der zweite neue Track 'Out Of The Light' sehr positiv aufgenommen wird, merkt man auch Ola an, dass er erleichtert ist. Er bedankt sich und freut sich erkennbar, dass auch das neue Material gut ankommt. Die Setlist ist aber auch vom Feinsten. Die besten Stücke vom neuen Album werden immer geschickt zwischen die alten Klassiker eingestreut, so dass ein schön durchmischtes Set entsteht, mit dem alle Fans der Schweden glücklich sein können. Bereits nach 50 Minuten jedoch kündigt Ola 'And Here I Die' als letzten Song an. Danach bleibt die Band jedoch gleich auf der Bühne und zollt den stürmischen Zugabe-Rufen mit 'Soulless' Tribut um danach zu erfragen, was das Publikum denn noch hören wolle. Die zahlreichen Zurufe quittiert Ola mit der Bemerkung, dass man so viel dann doch nicht mehr spielen könne. Zum Abschluss gibt es aber immerhin noch das wuchtige 'Rise' vom Comeback-Album "Back From The Grave" sowie die unsterbliche Hymne 'Into The Grave'.

Die Band wird mit Applaus verabschiedet und hat sich meiner Meinung nach für jede potentielle Schwäche der Vergangenheit perfekt rehabilitiert. Nach dem Gig standen die Musiker den Fans auch noch eine Weile zur Verfügung und wirkten locker und zufrieden, und das mit Recht. Sicher könnte man nun trefflich darüber streiten, ob eine Spielzeit von 65 Minuten nicht zu kurz ist, aber erstens fiel mir niemand auf, der sich beschwert hätte, zweitens ist eine solche Spielzeit im Death Metal-Bereich nicht unüblich und drittens kann man sich bei einem viereinhalbstündigen Billing mit fünf Bands zum Preis von 12 Euro (VVK) wirklich nicht beschweren. Ich war jedenfalls rundum zufrieden, und würde mir GRAVE in dieser Form auch gerne noch ein paar Mal anschauen.

Setlist GRAVE:

01. Last Journey
02. Deformed
03. You'll Never See
04. Turning Black
05. Out Of The Light
06. Christ Insanity
07. Morbid Way To Die
08. Breeder
09. Extremely Rotten Flesh
10. And Here I Die
11. Soulless
12. Rise
13. Into The Grave

Hier gibt's die zugehörige Bildergalerie:
http://www.powermetal.de/fotos/fotos-651.html

Redakteur:
Rüdiger Stehle

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