GREEN LUNG und SPELL - Hannover

11.05.2024 | 11:55

02.04.2024, Musikzentrum

Jede Stadt sollte eine grüne Lunge haben.

So langsam klärt der Verstand wieder auf und ich bin endlich bereit meine Impressionen zum Konzert von GREEN LUNG niederzuschreiben. Dieser Abend wird eine gewichtige Rolle in meinen Jahrescharts der stärksten Konzerte spielen – so viel kann ich schonmal spoilern. Apropos Jahrescharts. Das "This Heathen Land" "nur" auf Platz 42 des Jahres 2023 gelandet ist, kann in der Nachbetrachtung als Fehleinschätzung ad acta gelegt werden. Das Teil gehört locker in die Top 30 und läuft nicht nur in Vorbereitung für diesen Abend im April 2024 noch regelmäßig bei mir. Dass die Engländer ursprünglich durch SPIRIT ADRIFT begleiten werden sollten, schürt das Thema Vorfreude nochmal deutlich. Auch Bandleader Nate Garrett hat mit "Ghost At The Gallows" ein saustarkes Album in der Hinterhand. Diese Vorfreude bekam allerdings Anfang des Jahres einen leichten Dämpfer als SPIRIT ADRIFT aus familiären Gründen nicht mehr an der Tour teilnehmen kann. Als Ersatz konnte kurzfristig SPELL aus Kanada organisiert werden, jedoch dürften viele Besucher ihre Kaufentscheidung aufgrund des ursprünglichen Packages getroffen haben, wahrscheinlich auch in Hannover. Ein weiterer Stimmungsdrücker ist mit Sicherheit die Tatsache, dass zum Zeitpunkt des Konzertes die Zukunft des Musikzentrum Hannover, kurz MUZE, noch vollkommen unklar ist. Aufgrund der Mietvertragskündigung der Örtlichkeiten zum 31.12.2024, ist die Aussicht der vielen Beschäftigten nicht gerade rosig und auch bei einem Großteil des Publikums, welche ebenso wie ich mit dieser Location sozialisiert worden sind, schwebt eine gewisse Wehmut mit.

(Anmerkung: Mittlerweile scheint eine Lösung in Sicht zu sein, welche den Verbleib am bisherigen Standort gewährleisten könnte – unabhängig davon kann jeder sich noch mit #muzemussbleiben solidarisieren und/oder dem Veranstaltungsort finanziell mit dem Erwerb von Supporter-Shirts unterstützen. Folgt dem Musikzentrum Hannover einfach auf den sozialen Kanälen).

Diese Wehmut und leicht melancholische Atmosphäre werden durch einen leicht süßlichen Duft, der mich beim Betreten der Halle erwartet noch verstärkt. Zumindest in Hannover wird das neue Cannabisgesetz direkt umgesetzt und an allen Ecken wird sich auf die psychedelische Komponente des Abends stilecht vorbereitet. Ich bleibe bei meiner Cola Zero und merke im Laufe des Konzerts auch einen leichten Passivrauch-Rausch. Vielleicht nur Einbildung, aber es passt halt auch perfekt zu den heutigen zwei Bands. Irgendwelche grüne Lunge-Jokes verkneife ich mir trotzdem.

Den Beginn macht, wie gesagt, SPELL. Und dieser mir unbekannte Zauberspruch kann tatsächlich einnehmend wirken. Diese Mischung aus Dark Rock, Proto-Metal und 1980er Synthies ist vor allem live noch deutlich stärker als auf Platte. So ein Knaller wie 'Cruel Optimism' weckt nicht umsonst starke Stranger Things-Vibes. Das ist melodisch schon bockstark und kaschiert mit einer unfassbaren Leichtigkeit Schwächen im Gesang (etwas "dünne" Stimme) und die teilweise noch etwas rumpeligen (mancher würde sagen authentischen) Instrumentalparts. Insbesondere die Songs vom letzten, aktuellen Album "Tragic Magic" sind echte Crowdpleaser und bilden somit auch den Schwerpunkt der Setliste. Da ich vorher keine Berührungspunkte mit den Jungs hatte, bin ich mehr als positiv überrascht und könnte mir vorstellen, dass mir mit SPELL tatsächlich sogar die bessere Vorgruppe untergekommen ist. Besonders Keyboarder und Gitarrist Gabriel ist durch sein Auftreten und seine Attitüde eine sehr spannende Persönlichkeit, die der ganzen Show nochmal eine weitere entrückte Perspektive ermöglicht. Gerne wieder.

Setliste: Fatal Breath; Ultraviolet; Opulent Decay; Hades Embrace; Fever Dream; Psychic Death; Dawn Wanderer; Madame Psychosis; Cruel Optimism; Watcher Of The Seas

Auch wenn SPELL sich durchaus gute Publikumsresonanzen erkämpft hat, merkt man bereits beim psychedelischen Intro, wer heute Chef im Ring ist. GREEN LUNG atmet kurz mal ein und zieht das ganze Publikum in ihre, leicht verkauzte, Parallelwelt. Heute ist das Musikzentrum 'The Forest Church' und diese Messe hat es in sich. Die Riffs sind in jeder Faser mit Moos durchzogen und sowas von tasty, dass mir selbst die heftigsten Doom-Phasen runtergehen wie Öl. Von den großartigen Hooks und Refrains brauchen wir gar nicht zu reden. Ein Song wie 'Maxine' ist auf Platte und auch Live einfach einer der fiesesten Ohrwürmer des letzten Jahres. Und so herrlich tanzbar. Der Dirigent des Abends ist selbstverständlich Sänger Tom Templar, welcher auch merklich Bock auf eine intensive Rock-Show hat und gesanglich alles aus dem kleinen Körper rausholt. Ich selbst merke schon beim gigantischen Chorus von 'Mountain Throne', dass dieser Abend positiv anstrengend wird. Und dabei sprechen wir noch beileibe nicht von den Highlights der Show. Ich kann jeden nur empfehlen, sich wenigstens einmal eine Live-Version von 'One For Sorrow' zu geben. Holy Shit – was für ein Monstrum! Besser konnte die Band das von ihr selbst gewählte Thema nicht erfüllen. Horrorfilm-Soundtrack, Classic-Rock und Doom aus dem Lehrbuch und das alles in unter sieben Minuten. Eigentlich müsste dieser Song zweimal hintereinander laufen, so dass ich die einzelnen Teile entsprechend wertschätzen kann. Ein anderes Beispiel ist 'Song Of The Stones', welcher wunderschön durch die immergrüne Landschaft tänzelt. So geschmackvoll ist auf diesem Terrain eigentlich nur noch HEXVESSEL unterwegs. Trotz Schwerpunkt auf "This Heathen Lands" gibt es auch noch ältere Kracher zu hören. Hier empfiehlt sich aus der zweiten Reihe besonders 'Reaper's Scythe', welche auch heute fast schon thrashig klingt und reihenweise Köpfe abschraubt. Fettes Teil und wunderbar in der Setliste platziert. Der finale Akt des regulären Sets gehört dann 'Oceans Of Time' wo Gitarrist Scott Black nochmal richtig feine Momente setzen kann und sich zusammen mit Keyboarder John Wright so richtig hemmungslos in die Schwerelosigkeit spielt. Mega meine Freunde. Wo auch immer das von euch beschriebene, heidnische Land auch liegt, ich kauf mir heute Abend noch ein Cottage dort.    

Hatte ich bis jetzt eigentlich schon was zur Rhythmus-Abteilung gesagt? Nein? Das liegt daran, dass ich selten eine so selbstverständlich im Hintergrund agierende Truppe gesehen habe, die aber auf dem gleichen Niveau wie der Rest der Band agiert. Also auch Chapeau an Matt Wisemann und Joseph Ghast. Da auch die Bühnendeko den gewünchten spirituellen Folk-Horroraspekt sehr schön widerspiegelt, ohne albern zu wirken und der Lichtmann wirklich alle Grüntöne des Pantonefächers auf die Bretter bringt, bin ich wirklich schon vor den obligatorischen Zugaben vom Glück geküsst. Aber natürlich darf der Signature-Song 'Let The Devil In' nicht fehlen. Fast 3,5 Millionen Abrufe bei Spotify sind halt einfach in diesem Genre eine Hausnummer. Wenn die Band ihre Seele für diesen Stoner Rock-Klassiker verkauft hat, dann kann man nur gratulieren. So geht ein Deal mit dem Teufel. Der letzte Song ist dann die Halbballade 'Graveyard Sun' vom "Black Harvest"-Album, welcher die letzte Stunde nochmal kongenial zusammenfasst. Morbide Schönheit zum Dahinschmelzen.

Ja, ich durfte schon viele richtig gute Konzerte erleben, aber was GREEN LUNG hier abgeliefert hat, gehört mit zu den besten Clubkonzerten, die ich in der letzten Zeit erleben durfte. Wir sehen uns wieder. Vielleicht dann auch ein Privatkonzert in meinem neuen Cottage.

Setliste: The Forest Church; Maxine (Witch Queen); Woodland Rites; Mountain Throne; Leaders Of The Blind; Song Of  The Stones; Hunters In The Sky; One For Sorrow; The Ritual Tree; Reaper's Scythe; Old Gods; Oceans Of Time; Zugaben: Let The Devil In; Graveyard Sun

Redakteur:
Stefan Rosenthal

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