Farflung/White Hills - Berlin

11.05.2009 | 19:02

30.04.2009, Red Rooster

Was für ein befriedigender Abend - und er ging so schleppend los! Aber was der Psychohaufen da ablieferte, entschädigte sogar für die erlebte Obstweinorgie.

Wat 'ne Odyssee, hier endlich vor verschlossener Türe zu stehen. "Die Bands haben getrödelt, deshalb geht's erst in 'ner halben Stunde los. Dann machen wir auf!" Yeah. Yeah, wie herrlich sich das anhört, wenn der Gute wüsste, was wir bis hierher hinter uns haben. Aufgescheucht direkt den Job verlassen, Eigenkind und Fremdkind des Mitfahrers küssen und herzen gehen, dann auf die volle Autobahn gen Potsdam, wo die Schlafstelle unserer harrt. Die Zeit läuft. Dort angekommen, müssen wir für das hippieske Volksfest im Hinterhof des Mietshauses auch noch Mitgift abdrücken. Ein Kasten Pils und eine Honigmelone werden uns aufgetragen, die Kassentante im Netto kann sich ein Grinsen nicht verbergen. Der Gastgeber teilt uns reuig mit, dass unser bequemes Fahrzeug samt Fahrer gerade weggefallen ist. Die Zeit läuft, ich will nun endlcih selbst Pils trinken. So also in die Öffentlichen nach Berlin. Obstwiesenfest in Werder! Ach du meine Nase! Unsere Erwartungen werden erfüllt: Irgendein Neunzig-Kilo-"ÄÄÄrrriiiiik!" fabuliert  volltrunken über hungernde Kinder in Afrika, plebejische Schmerbäuche mit Riesenpupillen finden das lustig, und der ganze Regio stinkt nach Fruchtpisse. Was man nicht alles für sein Hobby so an Ästhetik wegdrückt. In Berlin angekommen laufen wir die volle Warschauer herunter, Unmengen rolliger Berliner Maijugendlicher überholen und drängeln, wir werden von Jugendlichen mit Migrationshintergrund als Scheiß-Touristen bezeichnet, da wir fast den Ausstieg verquatschen. Dann endlich stehen wir vor der geschlossenen Tür. Yeah. Yeah. Der Asia-Shop gegenüber spuckt noch drei Pilse aus, und die Polizeipräsenz nimmt ebenso behände zu wie endlich meine Laune.

FARFLUNG drängen sich auf der kleinen gemütlichen Bühne. Ab Sekunde eins ist Bewegung im Pulk davor, ein herrlich spukender Spacenebel wird vom nächsten galaktischen Riff abgelöst, es gibt kein Halten mehr. Die Ausgewählten drehen durch, nach längeren Jamsessions folgen sauber durchgeschraubte Breitwände, die von den beiden, äh, drei Gitarren perfekt aufgefädelt werden. Das ist ja mal ein Einstieg. Da springt mir eine bekannte sächsische Bartagame auf den Tanzfuss! "Hey, Hey, welch ein Wiedersehenslärm – so weit von der Heimat, duuuu?" Wir freuen uns wie zwei Pillen.

Wunderschön dieses gallische Clübchen mit den entspannten Biergeberinnen, hier und da ein Lächeln und Nicken zwischen den Besuchern, so soll es sein. Kaum zu glauben, dass das nun so nicht mehr stattfinden wird. Denn knapp eine Woche nach dem Gig flattert der emsigen Crew ein Behördengeschreib ins Haus, das jegliche Konzerttätigkeit ab sofort verbietet. Nie wieder solch ein knackiger, dicker Sound, man mag es nicht glauben. Wer hier helfen will, einen der besten Auftrittsorte dieser Art wiederzuerfinden, der möge sich schnellstens im Red Rooster melden.

Wir sind inzwischen Luft schnäppern, draußen ist die Hölle ausgebrochen. Ein Sixpack jagt das nächste, so langsam fährt sich die Sache hier auch draußen hoch. Eine Tussi mit Pippi an der Leine reckt aufgeregt den Finger in Richtung Black-Bullen, und unseren Biereinkauf am Zeitungskiosk gegenüber begleitet ein greller Hubschrauberspot. Und wir so weit weg der Heimat! Wohin wird mein einziger Anruf gehen?

WHITE HILLS sind meine Entdeckung des letzten Halbjahres: ein New Yorker Dreier, der so unauffällig kauzig dahergetrabt kommt wie zumindest vier Fünftel des hier versammelten Publikums. Vor mir tanzt ein Typ mit einer Stabtaschenlampe zur Überbrückungsmusik, er lacht selig, als wir ihm zuwinken. Dann kommt diese wunderhübsche Basserin auf die Bühne, in einem seltsam rot gescheckten Kurzhosenanzug ist sie mit eingehauchten Psychflüstereien eindeutig Anglotzpol des Abends. Der wirklich kleine Gesangsspatz hält eine übergroße Gitarre fest, ist ein Mann und das Energiebündel eins. Energiebündel zwei ist der Dritte und Schlagzeuger. Welch ein Timing bei diesem scheinbar so improvisierten Hochklasselärm! Alles passt, alles rollt genau im richtigen Moment so auf die flippende Karamba vor der Bühne zu und durch sie hindurch, als ist genau das das Normalste von der ganzen Welt. Das rummst und rummst und rummst.

Zwischendurch in diesem Monstermeisterset werden zwei Steigerungen durchgezogen, die so mitreißend selten gehört werden. Erlebt werden. "Boaaaahh, wat 'n Fettteil!", raunzt mir die Leipziger Bartagame schwitzend zu, während wir hier alle in einer einem Gockel ähnelnden Weise herumzucken. Besser kann er es gar nicht raunzen, es ist in Zukunft dringend nach Besuchen dieser Band zu forschen.

Redakteur:
Mathias Freiesleben

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