EUROPE - Stuttgart

07.11.2015 | 16:21

30.10.1970, LKA Longhorn

Melodien für die ganze Familie!

Es ist schon erstaunlich, wie stark EUROPE nach der Wiedervereinigung im Jahr 2004 agieren. Fünf großartige Scheiben, von denen drei beliebige locker genug Material für eine abendfüllende Show der Extraklasse geben würden, stellen sogar die Phase des großen kommerziellen Erfolgs in den Achtzigern in de Schatten. Das ist eine Gelegenheit, die beim Schopfe zu packen ist, und so werde ich mir die Schweden mal live ansehen.

Das LKA Longhorn in Stuttgart ist eine recht große Location, wobei ich allerdings schon fast erwartete, EUROPE in einer noch größeren Halle spielen zu sehen. Allerdings liegt da offensichtlich ein Fehler in der Wahrnehmung auf meiner Seite vor, denn die 1500 Personen fassende Halle ist tatsächlich nicht ausverkauft, es hätten sogar noch einige Besucher Platz gefunden. Zuerst darf THE VINTAGE CARAVAN ran und eröffnet mit ihrem Retro-Rock den Abend. Die drei Isländer haben in diesem Jahr ihr drittes Album veröffentlicht, das aber von den meisten als ihr Debüt angesehen wird, weil die ersten beiden Veröffentlichungen doch eher untergegangen sind, da sie in Eigenregie und auf einem Mini-Label erschienen sind. Dagegen konnte die Band für "Arrival", das auch seitens des Titel den Eindruck erweckt, ein Erstling zu sein, einen Deal beim Riesen Nuclear Blast ergattern. Und NB machen keine halben Sachen und schickte die Jungs eben als Vorprogramm EUROPEs auf die Straße.

Gute Idee, der Altersschnitt ist deutlich gehoben, da ein bisschen in die musikalische Mottenkiste zu greifen, kann durchaus einen Boost für THE VINTAGE CARAVAN geben. Es gibt daher auch wie erwartet Applaus für die Drei, allerdings bin ich insgesamt nicht überzeugt. Die Lieder sind teilweise sehr gleichförmig und Sänger und Gitarrist Óskar Logi Ágústsson kann an den Saiten mehr überzeugen als am Mikrophon. Zudem hätte ich erwartet, dass die Isländer ihr neues Album gehörig bewerben würden, aber ich kenne kaum eines der Lieder. Der Opener des aktuellen Longplayers kommt erst spät, und was sonst gespielt wird, kommt mir nicht bekannt vor. So beibt die energiegeladene Vorstellung von Basser Alexander Örn Númason, der wie ein langhaariger Wackeldackel über die Bühne pest, das Eindrucksvollste des Auftritts, der zwar gut, aber nicht berauschend ist.

Nach einem Ausflug zum Merchandise-Stand, bei dem sich der Verkäufer für die hohen Preise entschuldigt, also ich für meine Tochter ein Girlie erwerbe, das mit 30 Euro auch wirklich nicht gerade ein Schnäppchen ist, geht es los und die Schweden entern die Bühne. Gleich mit zwei Songs vom neuen Album eröffnen sie das Set. Überhaupt, man scheint sehr überzeugt zu sein von "War Of Kings", denn gleich sieben der neunzehn Lieder des heutigen Abends stammen von diesem Album. Tatsächlich ziehen sich die neuen Songs wie ein roter Faden durch den gesamten Auftritt und machen zu jeder Zeit eine gute Figur. Diese Salami-Taktik lässt immer genug Zeit für ein paar Klassiker, so folgt gleich an dritter Position 'Superstitious' und als Nummer sechs 'Carrie'. Die Stimmung ist dementsprechend sofort ausgelassen. Später werden auch die Hits 'Sign Of TheTimes', 'Rock The Night ' und 'Girl Von Lebanon' genauso strategisch platziert. Wir haben es hier mit echten Profis zu tun, die genau wissen, wie sie ihre Setliste aufbauen müssen.

Aber die alten Schinken, darunter übrigens auch ein richtig altes Lied in Form von 'Wasted Time' vom "Wings Of Tomorrow"-Album, sind nicht, warum ich hier bin. Klar, ich bin auch Fan seit der Letzten Runterzählung, aber ich bin ein noch größerer Freund der neuen Phase der Band. Und da fordern die sieben Stücke von "War Of Kings" einen hohen Tribut. Von den ersten beiden Alben der neuen Phase, "Start From The Dark" und "Secret Society" schafft es kein Song mehr in die Setlist, und selbst vom vorletzten "Bag Of Bones" erklingt heute Abend nur 'Firebox'. Wow, es ist wirklich erstaunlich, wieviele große Lieder EUROPE zur Auswahl hat, zumal ich von den Songs des aktuellen Albums auch nur das Instrumental 'Vasachstan' und eventuell 'Praise You' ausgetauscht hätte. Ansonsten gibt es an der Setliste wirklich nichts zu meckern.

Auf der Bühne ist Joey Tempest der Mittelpunkt der Band. Naturgemäß bleiben Schlagzeuger und Keyboarder im Hintergrund, bis auf ein nicht zu langes und erstaunlicherweise auch nicht zu langweiliges Drumsolo, aber auch der Rest der Band überlässt das Showfeld Tempest und der Lightshow. Letztere ist nicht opulent, aber effektiv, auch da weiß die Band offensichtlich ganz genau, wie man den größten Eindruck mit wenig Aufwand erzielt. Joey ist aber auch gut bei Stimme, auch wenn bei einigen der Klassiker die langen Töne abgekürzt werden müssen, aber die Live-Situation und sicher auch ein wenig die drei Jahrzehnte, die dazwischen liegen, dürfen sich ein bisschen bemerkbar machen. Es ist dennoch ganz erstaunlich, wie gut er singt. Im Hard Rock Zirkus gibt es kaum einen besseren Sänger.

John Norum an der Gitarre, der ja das zweite Aushängeschild der Band darstellt, begnügt sich weitgehend damit, ins Publikum zu lächeln und gelegentlich mit Tempest zu posen, wenn der Sänger auf seinen Wegen über die Bühne bei ihm stehenbliebt. Mehr Show braucht das Publikum auch nicht, denn Gruppen lauthals singender Mitfünfziger, ein hoher Anteil weiblicher Fans und einige Kinder stellen ein Publikum, das ein Augenmerk auf musikalische Qualität legt und nicht so sehr auf Showelemente. Als EUROPE den Abend dann nach über 100 Minuten mit dem unvermeidlichen 'The Final Countdown' beendet, gibt es anhaltenden Applaus und glückliche Gesichter. EUROPE live ist ein Garant für Qualität, und da die Band mittlerweile die Setlist geschickt variiert, sind die Konzerte auf jeder Tour einen Besuch wert. Es gibt souverän vorgetragenen Qualitäts-Hard Rock, ohne Schnörkel, ohne verklärende Showelemente, von einer eingespielten Band, die augenscheinlich noch immer Spaß an ihrer Musik hat. Das ist eigentlich alles, was ein Konzert bieten muss, und so gesehen ist EUROPE ein perfekter Abend gelungen.

Setliste: War of Kings, Hole in My Pocket, Superstitious, Wasted Time, Last Look at Eden, Carrie, The Second Day, Firebox, Sign of the Times, Praise You, The Beast, Vasachstan, Girl From Lebanon, Ready or Not, Nothin' to Ya, Drum Solo, Let the Good Times Rock, Rock the Night, Days of Rock 'n' Roll; Encore: The Final Countdown

Redakteur:
Frank Jaeger

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