Die Apokalyptischen Reiter (Listening Session) - Kottenhain (bei Weimar)

16.05.2006 | 11:27

06.05.2006, Gut Kottenhain

Und es gibt sie doch, die blühenden Landschaften, welche Alt-Kanzler Helmut Kohl den neuen Bundesländern versprochen hat! Zumindest im wortwörtlichen Sinne, wenn man an einem lauen Mai-Tag mit dem Bus durch die herrliche Natur Thüringens geschaukelt wird. DIE APOKALYPTISCHEN REITER laden zur Listening Session des am 25.08. erscheinenden neuen Albums "Riders On The Storm" und nutzen die Gelegenheit, den anwesenden Pressevertretern die schönen Seiten ihrer Heimat zu zeigen.

Aber natürlich sprechen wir hier nicht von solch einem spießigen Gefährt, mit dem Hausfrauen auf Kaffeefahrt gehen. "Freunde von uns haben diesen speziellen Bus ins Leben gerufen, den man mieten kann, um Parties darin zu feiern: Rauchen, trinken, Musik hören, tanzen, also alles, was man sonst nicht in einem Bus darf, ist hier erlaubt. In dem Bus haben wir auch das erste REITER-Video zu 'Eruption' gedreht", berichtet ein sichtlich gut gelaunter Fuchs.

Die Fahrt führt uns von Weimar aus quer durch das Thüringer Becken nach Kranichfeld. Reiseführer Fuchs erklärt im Anschluss: "Wir sind die meiste Zeit an der Ilm und ein Stück an der Saale entlanggefahren, den zwei größten Flüssen Thüringens. In Kranichfeld waren wir auf dem Oberschloss. Dazu gibt es eine lustige Geschichte: Das Schloss wurde 1180 das erste Mal erwähnt. 1520 haben sich die zwei Brüder, die das Schloss gemeinsam besessen haben, unheimlich gestritten. Ich weiß nicht, ob du es bemerkt hast, aber unter dem einen Sockel gibt es eine Figur, die ihren Arsch zeigt. Das war die Rache des einen Bruders an dem anderen, der irgendwann ausgezogen ist und sein eigenes Schloss gebaut hat, woraufhin der verbleibende Bruder die Figur in Richtung des neuen Schlosses hat anbauen lassen." Dem hat die Sonne wohl zu diesem Zeitpunkt nicht gerade aus dem Arsch geschienen... "Dann ging es weiter in Richtung Kottenhenhain, dem wahrscheinlich entlegendsten Ort in ganz Deutschland, wo wir uns jetzt befinden. Er ist erst seit 1997 wieder bewohnt. Mittlerweile haben sich hier 16 Leute niedergelassen, vorher gab es hier gar nichts. Es gibt auch erst seit zwei oder drei Jahren wieder Wasser und erst seit einem Jahr wieder Strom. Es ist also noch recht abenteuerlich hier, und wir wollten einerseits, dass ihr das genießen könnt. Andererseits war unser Plan, so weit wie möglich weg zu sein von der Zivilisation, damit ihr euch wirklich auf die Listening Session und die neue Platte konzentrieren könnt. Hier gibt es keine Möglichkeiten der Ablenkung. Außerdem kann man hier draußen laut sein, ohne dass es jemandem auf die Nerven geht. Das nächste Dorf ist zig Kilometer über Feldwege entfernt."

Das hat vor allem die holde Weiblichkeit zu spüren bekommen, deren gegen Ende der Fahrt über Stock und Stein gut gefüllte Blase (können uns ja schlecht an den nächsten Grashalm stellen wie die Herren der Schöpfung) auf eine harte Belastungsprobe gestellt wurde, bis sie endlich in den Tiefen des örtlichen Plumpsklos Erleichterung fand. Nach einem reichhaltigen Mahl tun wir Thüringens finest schließlich den Gefallen und schenken deren sechsten Studioalbum unsere volle Aufmerksamkeit:

1. Friede sei mit dir
Holla die Waldfee - was für ein Geballer! Das Wort "thrashig" findet im Laufe der nächsten knappen Stunde häufige Verwendung auf meinem Zettel. 'Friede sei mit dir' ist einerseits ein recht typischer REITER-Song mit Pest'schen Keyboardelementen und ruhigeren Gitarren-Breaks von Pitrone, demonstriert aber gleichzeitig, dass das Quintett wieder ordentlich an Tempo zugelegt hat. Gut so!

2. Riders On The Storm
Ein Schelm wer dabei an HAMMERFALL denkt. Aber halt, hat das Gitarren-Intro nicht eine leichte True-Metal-Schlagseite? Doch keine Sorge, auch der hymnische Refrain (eine der wenigen englischsprachigen Passagen des Albums) und der Mitschunkelpart gegen Ende tragen immer noch den Stempel der APOKALYPTISCHEN REITER. Trotzdem, so ganz abwegig ist der Gedanke an HAMMERFALL wohl doch nicht.

3. Seemann
Der finnischste REITER-Song bisher! Erinnert an Combos der Marke TURISAS und KORPIKLAANI. Vielleicht liegt's an den wunderschönen Geigenklängen? Neben einem englischen gibt's auch einen französischen Refrain, und überhaupt ist 'Seemann' eines der überraschendsten Stücke des Albums.

4. Der Adler
Spannend, was Pitrone sich für fette Riffs aus dem Handgelenk schüttelt! Trotzdem ist das partytaugliche 'Der Adler' nach der ersten Hörprobe ein eher klassisches Werk der Thüringer. Nicht schlecht, aber auch nicht gerade hervorstechend.

5. Revolution
Thrash meets Akustik-Klampfe meets Dramatik. Die Thrash-Elemente gibt's in den Strophen, die Akustik-Gitarre im Refrain (was dem Werk wieder einen leichten Folk-Touch verleiht), die Dramatik folgt im von Keyboard-Klängen unterlegten letzten Drittel, das ein wenig an 'Erhelle meine Seele' erinnert, und mit dem thrashigen Finale schließt sich der Kreis. Vor allem der Titel dürfte live gerne mitgegrölt werden.

6. Wenn ich träume
Auf den ersten Blick wieder ein sehr typischer REITER-Track, aber der Teufel steckt hier im Detail. Beim Refrain muss ich etwas an 'Unsterblich' von SUBWAY TO SALLY denken, die akustische Gitarre kommt ebenso wie die Streicher wieder zum Einsatz, ein Tempowechsel jagt den nächsten. Dieser Traum braucht sicher eine Weile, bis man ihn gedeutet hat, aber beschert kein böses Erwachen.

7. Soldaten dieser Erde
Eine potentielle Hymne! Obwohl es auch dieses Lied in sich hat. Der Refrain erinnert an einen Seemannschor, zwischendrin wird es überraschend frickelig, aber insgesamt marschieren die 'Soldaten dieser Erde' sehr forsch voran.

8. In The Land Of The White Horses
Ein sehr ruhiges Instrumental mit Streichern und Klavier, dass gut zur dramatischen Schlussszene eines Films passen würde. Wunderschön zum Träumen!

9. Liebe
Das Stück beginnt mit einer Akustik-Gitarre im Singer-/Songwriter-Stil, entwickelt dann eine gewisse Dramatik und endet (auch vom Gesang her) ziemlich hart, ohne dabei seine eher getragene Note zu verlieren. Eine pathetische Ballade, passend zum Text.

10. Schenk mir heut nacht
Sind das echte Bläser? Zumindest klingt es so. Neben der leichten Jazz-Note hat dieses sehr temporeiche Werk später noch einen dezenten Stoner-Rock-Einschlag. Die REITER sind eben immer für Überraschungen gut!

11. Das Himmelskind
Zum aggressiven Gesang von Fuchs gesellt sich eine Kinderstimme, die vermutlich das Himmelskind darstellen soll. Dazu kommen gewohnt hymnischere Elemente, ein ruhiger Zwischenteil mit einem gelungenen Gitarrensolo und ein interessantes zweigeteiltes Ende.

12. Das Feuer
Im Refrain gibt es eine herrlich cheesige Keyboard-Melodie, die man mit 'End Of The Line' von PAIN vergleichen könnte. Ansonsten wieder ziemlich thrashig.

13. Mmmmmmmm
Ein guter Rausschmeißer! Relaxte Bongobeats und sphärische Keyboards werden durch den "Mmmmmmm"-Refrain noch verstärkt. Gegen Ende wird's zwar nochmals heftiger, aber das Didgeridoo gibt dem Geballer wieder eine ganz eigene Note.

Die "deutsche Antwort auf SYSTEM OF A DOWN" legt mit "Riders On The Storm" einerseits wieder an Tempo zu, was für die Live-Tauglichkeit der Stücke spricht. Aber mal ehrlich: Gerade beim ersten Durchlauf achtet man am ehesten auf die experimentelle Seite der APOKALYPTISCHEN REITER, und die kommt erfreulicherweise häufig zu Tage. Wobei Fuchs sich mit dem Wort "experimentell" etwas schwer zu tun scheint: "Viele andere behaupten von sich auch, dass sie experimentell seien, deswegen mag ich das Wort nicht. Das Leben schreibt die Lieder, und wenn man zum Beispiel das Thema 'Seemann' hat, gehören da eben Akustik-Gitarren und eine Geige dazu und nicht ein Blastbeat."

Recht hat er. Und gerade die im Wechsel mit ihrer elektrischen Verwandten eingesetzte Akustik-Gitarre ist mir einige Male aufgefallen. Darf man hoffen, dass Fuchs auch live wieder häufiger zur Klampfe greifen wird? "Ja, ich werde live sicher wieder mehr Gitarre spielen. Ich hatte ja lange Zeit eine Sehnenscheidenentzündung, weil ich es irgendwann mal übertrieben hatte." Die scheint glücklicherweise abgeklungen zu sein, wie der Sänger freudig mit dem Handgelenk wackelnd demonstriert.

Was außerdem ins Auge sticht, ist die überwiegende Verwendung der deutschen Sprache in den Texten. Wie kam's? "Das hat sich einfach so ergeben. Auch live haben wir nur wenig englischsprachige Stücke im Programm, weil wir bei den deutschen Texten den Eindruck haben, dass die Leute mehr mit dem Herzen dabei sind und jedes Wort mitsingen können."

Worin bestehen sonst noch die Unterschiede zum Vorgänger? "Ich war vor "Samurai" viel auf Reisen, habe die Iberische Halbinsel umrundet, und das merkt man der Platte auch an. Das neue Album hat mehr Bodenhaftung. Musikalisch sind die experimentelleren [aha! also doch! - die Verfasserin] Sachen besser verarbeitet, alles fließt ineinander, und die einzelnen Songs sind nicht so herausgerissen. Und es ist ein sehr ernstes Album. Wobei, unsere Alben sind eigentlich immer ernst, und ich rege mich stets ein wenig auf, wenn die REITER in die J.B.O.-Ecke geschoben werden, weil das totaler Quatsch ist. Wer das sagt, hat unsere Texte nicht gelesen. Wir haben nur einen wirklich lustigen Song geschrieben, und das ist 'Die Sonne scheint', und selbst der ist nicht platt, sondern hat auch eine gewisse Tiefe im Hintergrund."

Wo nimmt man denn ein solch ernstes Werk auf? "Das Album wurde in den Principal Studios bei Münster aufgenommen. Übrigens eine auch sehr abgelegen Studioanlage auf einem Gehöft, mit fünf oder sechs Studios. Es war eine sehr schöne und angenehme Zeit. Man hat dort unglaubliche Möglichkeiten, sich zu entfalten, denn solche abgelegenen Studios bieten für uns die beste Arbeitsweise. Wenn man mitten in der Stadt aufnimmt, ist die Gefahr groß, dass man abends noch in die Kneipe geht oder zu viel feiert - wir haben ja auch eine gewisse Feier-Mentalität. An solchen einsamen Orten liegt der Fokus einfach auf dem Album. Wenn man vor die Tür geht und es ist schön, fühlt man sich einfach wohl."

Das klingt danach, als hättet ihr gar nicht mehr von dort weg fahren wollen. Wie lange durftet ihr die Einsamkeit denn genießen? "Wir haben bereits in Weimar eine umfangreiche Vorproduktion gemacht, so dass die eigentlichen Aufnahmen innerhalb von zwei Wochen erledigt waren plus weitere zwei Wochen für den Mix. Produziert haben wir das Album zusammen mit Vincent Sorg, der auch der Produzent von IN EXTREMO ist."

Jetzt fehlt eigentlich nur noch, dass die Mittelalter-Rocker zum nächsten Album ein paar Dudelsack-Klänge beisteuern, damit das einzigartige Crossover der APOKALYPTISCHEN REITER noch bunter wird.

Dieser wonnige Mai-Tag auf dem entlegendsten Gehöft in ganz Deutschland klingt sehr relaxt am Lagerfeuer zu den Tönen einer Blues-Band aus, die in der ausgebauten Scheune vor sich hin jammt. Am Schlagzeug sitzt übrigens ein gewisser SirG, und Gitarre und Gesang übernimmt dessen Vater, Michael Lehnhardt, der als eine der Blues-Größen von Weimar gilt und auch ein berühmter Maler ist. Nach einer ausgelassenen Rückfahrt im Partybus, in dem vor allem die ortsansässigen Gäste eine erstaunliche Geschicklichkeit darin zeigen, beim Tanzen während der Fahrt nicht umzufallen, stürzen sich einige unentwegte noch ins Weimarer Nachtleben. Mir persönlich reicht's, und ich sage danke, liebe REITER, für diesen schönen Tag!

Redakteur:
Elke Huber

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