DYMYTRY und Gäste - Prag

04.12.2023 | 12:11

24.11.2023, O2-Arena

Die große Show. Die ganz große Show!

Man kann alt werden wie 'ne Kuh und lernt immer noch dazu. DYMYTRY sagte mir nämlich überhaupt nichts, als die Anfrage von Mona von All Noir, einer Promo-Agentur, eintrudelt, ob nicht jemand kurzfristig zu selbiger Band fahren wolle. In die O2-Arena. Nach Prag. An dieser Stelle wurde ich hellhörig, denn die O2-Arena ist nicht gerade ein gemütlicher, kleiner Club. Eine Band, die ich nicht einmal kenne, macht die 12000er-Halle voll? (Nebenstehend ein Foto der vollen Halle - ihr wisst, was ich meine, denke ich). Na ja, wenn Mona und AFM-Records schon so nett fragen, muss man einfach zusagen, oder? Immerhin scheint man ja bei AFM Größeres mit den Jungs vorzuhaben, also fahren Katharina und ich kurzentschlossen nach Prag. 12:00 Uhr losfahren, nachdem wir beide von Arbeit und Schule zurück sind, auf der Fahrt eine ordentliche Pause zwischendurch, 18:00 Uhr eintreffen und dann rüber in die Halle. Klingt gut, nicht wahr?

Na ja, kommt natürlich anders, wir kommen nicht pünktlich los, aber ich habe ja etwas Toleranz eingebaut. Unterwegs hören wir erstmal intensiv DYMYTRY und machen uns mit der Band vertraut. Wer nicht so ignorant ist wie ich und sich auskennt, kann jetzt den nächsten Absatz überspringen, für alle anderen gibt es hier ein kleines Update:

Die Show heute feiert zwanzig Jahre DYMYTRY. Zwanzig Jahre, fünf Studioalben, mehr als Tausend Konzerte und ich kenne die überhaupt nicht? Die maskierten Hardrocker, die ihren Stil Psycore nennen, singen auf Tschechisch, deswegen sind sie in unseren Breiten nicht allzu bekannt. Letztes Jahr erschien ein erstes Album in englischer Sprache unter dem Titel "Revolt". Das Besondere ist, dass sie dabei einen anderen Sänger haben! Das kam daher, dass Sänger Protheus beruflich zu sehr eingebunden war und keine internationale Tournee absolvieren konnte. Nun möchte man international größer angreifen und lädt dazu ein paar deutsche Journalisten ein, um sich ein Bild von der Band zu machen.

Zurück zur Fahrt. Mittlerweile haben wir das aktuelle Album "Pharmageddon" gehört und stellen fest, das wir es mit einer versierten Band zu tun haben, die modernen Alternative Metal macht, machmal mit Core-Einflüssen, gelegentlich etwas heftiger, ab und zu mit einem Schuss AOR, aber immer mit starken Melodien, an die ich mich aber wegen der ungewohnten Sprache etwas gewöhnen muss. Sänger Protheus ist sehr variabel und ein echter Pluspunkt mit seiner rauen Stimme. Weiter geht es mit dem vorherigen Album "Revolter" auf Tschechisch, dann das Ganze nochmal auf Englisch. Erstaunlicherweise ist die Songreihenfolge unterschiedlich, was uns den direkten Vergleich erschwert. Das muss später folgen, jetzt lauschen wir uns durch die Originale. Zeit haben wir ja, denn noch vor der Grenze zu Tschechien gibt es einen Wintereinbruch. Na, das hat ja gerade noch gefehlt.

Da geht sie hin, unsere Pause. Danach kommt der erste Stau. Ich bin ein wenig genervt, aber es gibt nichts, was wir tun könnten, anders als auf dieser Autobahn kommt man nicht nach Prag und so schaffen wir eine handvoll Kilometer in einer halben Stunde und zwei weitere Staus später erreichen wir das Hotel, eine Stunde später als erhofft. Schnell einchecken und rüber in die Halle, wir wollen noch ein Interview mit Alen Ljubic machen. Das ist nämlich der Sänger für die internationalen Versionen, ein Mannheimer, was uns entgegen kommt, denn unser Tschechisch endet bei "nasdravi"... Als alter Lateiner sind meine Berührungen mit slawischen Sprachen quasi nicht existent.

Doch zuerst einmal müssen wir den Eingang finden. Dabei finden wir heraus, dass es in dem O2-Komplex zwei Hallen gibt und dass beide einen Eingang mit der Nummer 31 haben. Nachdem wir also versucht haben, eine Theaterproduktion zu crashen, umrunden wir die Halle beinahe einmal komplett und stellen fest, dass wir einfach einmal falsch herum gegangen sind. Hier ist der Presseempfang, wir bekommen Bändchen, die mit "Artist" beschriftet sind. Wow, das ist nett, damit können wir überall hin und die Show intensiv begutachten. Kurz darauf treffen wir Alen hinter der Bühne und machen ein Interview, davon werdet ihr später hier mehr lesen können.

Dann aber geht es los. Zuerst darf die Band CERNA ran, die vor einem schwarzen Vorhang auftritt, der einen Teil der Bühne und die Kulisse verhängt. Ich muss nicht extra erwähnen, dass ich diese tschechischen Buben natürlich auch nicht kenne, oder? Die junge Band spielt einen gemäßigten Melo-Core mit ein paar Ausbrüchen, aber auch Experimenten und Samples. Das macht durchaus Spaß, die Band ist auch mitreißend und scheint trotz der riesigen Kulisse überhaupt nicht nervös zu sein. Die Melodien gehen gut ins Ohr, wenn man nicht Tschechisch singen würde, könnte man damit auch außerhalb der Heimat Erfolge haben. Alen sagte zuvor, dass die Bands befreundet seien und CERNA deswegen dabei seien. Aber musikalisch kann CERNA auch völlig überzeugen, das ist eine gute Wahl, auch wenn es nur für eine halbe Stunde reicht, denn um 20:15 Uhr soll die Hauptband bereits loslegen. Das ist in einer Viertelstunde!

Die Bühne, auf der eben noch CERNA gespielt hat, ist weiterhin verhangen, es tut sich nichts. Dann wird ein älterer Mann im Trainingsanzug in einem Fußballstadion gezeigt, der eine Rede hält. Irgendwas zum FC DYMYTRY, dessen fiktiver Trainer er ist. Natürlich alles auf Tschechisch, ich verstehe nicht viel. Klar ist, was die Idee dahinter ist, klar ist auch etwas anderes: Es ist viel zu lang. Der Typ erzählt wirklich minutenlang und im Publikum macht sich ein wenig Ungeduld breit, manche Pfiffe sind zu hören. Ja, das ist sicher witzig, aber jetzt muss erstmal Musik folgen! Endlich... kommt ein Intro. Moment mal, das ist doch Ennio Morricone? Na ja, METALLICA hat ja auch keine Exklusivrechte daran.

Endlich kommt die Band heraus und läuft auf den Stegen nach vorne, denn die Bühne hat noch ein großes "U" als Laufstege, wie man auf dem nebenstehenden Foto sehen kann, und die ersten Songs werden tatsächlich ganz vorne gespielt, ja, da steht sogar ein Schlagzeug! Doch der Weg dahin, bevor überhaupt erst einnmal Musik erklingt, ist quasi eine Ehrenrunde und wird auch so zelebriert. Hier sind sie Stars, tatsächlich. Dann aber geht es los und die Maskierten stellen sich ganz in den Dienst der alten Fans, denn mit 'Jsem nadšenej' geht es zurück ins Jahr 2012 und mit 'D.O.S.T.' sogar zum Debütalbum, bevor man in die neuere Zeit schwenkt. Musikalisch zeigen schon die frühen Stücke, dass die nachvollziehbare Melodie ein fester Bestandteil der Musik von DYMYTRY ist und die vielstimmigen Chöre im Rund beweisen, dass die Band den richtigen Riecher hatte, als sie sich diese riesige Halle für die Jubiläumsshow ausgesucht hat. Die Fans sind bereit für eine echte Metal-Party!

Nach drei Stücken wird das Geschehen auf die Hauptbühne verlagert, wo mittlerweile alles von CERNA abgebaut wurde. Jetzt kommt auch die Hallenhöhe zum Tragen, denn der Bühnenhintergrund ist riesig und feiert das zwanzigjährige Bestehen der Band in Riesenlettern. Davor feuern die Burschen einen Song nach dem anderen ab, wobei "feuern" ernst gemeint ist, denn von nun an wird es immer wieder ziemlich heiß, da man nicht mit Pyros spart. Da ich nicht weiß, worum es in den Liedern geht, kann ich nicht sagen, was Protheus in seinen Ansagen von sich gibt.

Nach etwa zehn oder zwölf Liedern beschließen wir, den Vorteil unserer Bändchen schamlos auszunutzen und begeben uns auf Rundgang durch die O2-Arena, denn Katharina möchte auch Fotos von der gesamten Bühne schießen, was hier unmöglich ist (das Ergebnis seht ihr oben bereits, das Foto stammt aus einem späteren Teil des Konzertes). Auf dem Weg möchte ich gerne etwas zu Essen erstehen, denn wir hatten ja keine Pause unterwegs. Offensichtlich waren die Fans heute auch hungrig, denn viele Stände haben nur noch Getränke, Speisen sind ausverkauft! Okay, ein gutes, tschechisches Bier und weiter geht es. Wir finden auch später noch eine Kleinigkeit zu essen und ein Blick auf meinen Bauch beweist, es wäre gar nicht so schlecht, mal eine Mahlzeit auszulassen, also entern wir wieder die Arena, aber auf der gegenüberliegenden Seite der Bühne. Die Ordnerin, die uns aufhalten möchte, schaut auf unsere Bändchen und lässt uns dann doch ohne Umstände rein. Tolle Bändchen, so etwas hätte ich auch gerne. Wir bleiben an der Seite stehen und knipsen, doch nach wenigen Fotos sehen wir plötzlich Gäste auf der Bühne. Hey, den kenne ich doch, dass ist Thorsten, der Sänger von HÄMATOM!

Alen hatte zuvor erzählt, dass man mit HÄMATOM gut bekannt und auch bereits zusammen getourt sei, aber das ist ja doch mal eine schöne Überraschung! Gäste zum Feste, und tatsächlich sollten es nicht die letzten sein. Protheus und Thorsten treffen vorne am Rundlauf zusammen, singen gemeinsam und man bezeugt sich gegenseitig des Respekts. Mittlerweile sind wir übrigens bereits bei deutlich über einer Stunde Spielzeit, voll mit Feuer und Riesenanimationen, einer äußerst agilen Band, die immer wieder Publikumskontakt sucht, und einem feierwütigen Publikum, das den Eindruck macht, als könnte es noch eine Weile Party machen. Ist ja auch erst halb zehn durch. Da geht noch etwas! Apropos gehen, das tun wir jetzt auch, nämlich zurück hinter die Bühne. Dabei kommen wir noch an einem Merchandise-Stand vorbei, der aussieht, als wären die biblischen Plagen über ihn hergefallen! Die Auslagen sind leer bis auf vielleicht noch zwanzig T-Shirts! Hier gibt es ein ganz besonderes Jubiläums-Shirt und ich habe Glück, dass noch genau eines in meiner Größe da ist! Für umgerechnet 18 Euro sehr erschwinglich, das Ding nehme ich mit.

Zurück neben der Bühne sehen wir, wie Protheus dem neuen, internationalen Sänger Alen die Bühne überlässt, denn heute kommen auch die tschechischen Fans in den Genuss, den Vokalisten, der üblicherweise nur außerhalb der Bandheimat auftritt, zu erleben. Alen selbst sagt, dass er natürlich bei den Die-hard-Fans nicht unumstritten ist, da ihnen natürlich Protheus ans Herz gewachsen ist, aber eben auch viele der Band internationalen Erfolg wünschen. Mein Eindruck ist, dass Alen sehr herzlich aufgenommen wird und der Applaus nach dem großartigen 'Enemy List' steht dem für andere, vorherige Lieder nicht nach. Natürlich ist es ein schlauer Schachzug, ebenfalls eine Coverversion, nämlich 'Somebody's Watching Me' von ROCKWELL zu spielen, das sorgt für komplettes Mitsingen im Saal.

Tatsächlich war das das Ende - vom Anfang! Im Set folgen auch Star-Einlagen wie ein langes Schlagzeugsolo mit Musikunterlegung vom Band, das durchaus unterhaltsam ist, etwas später ein Basssolo, die Gitarristen dürfen ja eh immer mal wieder ein bisschen angeben. Dazwischen tschechische Ansagen, die manchmal relativ lang sind, die Band scheint auch etwas zu sagen zu haben, auch wenn ich nichts verstehe und nur den Gesten nach versuchen kann, herauszufinden, worum es geht. Allerdings ist da mein erster Eindruck wohl falsch, denn das Thema "Erektionsstörungen" dürfte eher nicht auf der Liste stehen. Ein paar Lieder später ist dann allerdings Schluss, es kommt wieder der vermeintliche FC DYMYTRY-Trainer. Wieder zu lang, aber das gibt den Musikern eine Pause, die sie sich redlich verdient haben, dennoch folgen nach ein paar Minuten erneut vereinzelte Pfiffe.

Dann aber geht es weiter, das war nämlich nicht die Ansage zu den Zugaben, das war die Halbzeitpause! Tatsächlich geht jetzt auch die Gästeparade weiter. Der "Trainer" hatte zumindest eine der Bands bereits angesagt, aber zuerst kommen Musiker, die ich nicht erkenne. Später wird mir Alen verraten, dass es sich um ARAKAIN handelte, bei der Jirí Urban, Vater von DYMYTRYs Jirí Urban Jr., die Gitarre bedient. Diese bereits vor über vierzig Jahren und deutlich vor dem Fall des Eisernen Vorhangs gegründete Metalband ist thrashiger unterwegs, der Kontrast ist deutlich hörbar. Das ist erfrischend und stilistisch eine Abwechslung, die an strategisch günstiger Stelle eingeschoben wird. Ich glaube, ich bekomme heute viele Hausaufgaben auf, denn ARAKAIN muss ich mir unbedingt auch merken und antesten, das klingt echt super!

Nach zwei Liedern und einem wieder mit einer tollen Melodie bestückten eigenen Song, ich meine, es wäre 'Chernobyl', aber nagelt mich nicht darauf fest, folgen die nächsten Gäste: TRAKTOR. 'Monster Meeting' heißt der Song (zu dem es übrigens auch ein offizielles Video gibt), der heftig gefeiert wird. TRAKTOR ist wohl auch ziemlich bekannt hier und die Kombination bedeutet wohl, dass hier Eins plus Eins mehr als Zwei ergibt. Es gibt noch einen zweiten Song, aber dann auf dem Höhepunkt der Stimmung geht Protheus wieder nach vorne auf den Catwalk und hält eine lange Ansprache, die durchaus Reaktionen des Publikums hervorruft. Aber Alen hat uns zuvor bereits gebrieft, sodass wir wissen, was er gerade mitteilt: Nach zwanzig Jahren wird Protheus die Band DYMYTRY verlassen und eine Solokarriere beginnen. Das ist natürlich eine echte Bombe und der Frontmann wird entsprechend verabschiedet, während Viele im Publikum zwischen Unglaube und Entsetzen schwanken. Aber Protheus' Rede mündet natürlich wieder in Musik und kurz darauf endet der reguläre Gig. Und womit? Klar, mit dem Trainer!

Witzig sind die Reaktionen aus dem Publikum, die diese Einspieler mittlerweile mit Humor nehmen, überall sieht man entweder genervt-amüsierte Gesichter oder Menschen, die ihn nachäffen und offensichtlich auf Tschechisch ein paar Zoten reißen. Schade, dass ich das nicht verstehe, aber hier scheinen ein paar echte Komiker-Talente zu schlummern, den Grimassen und dem allgemeinen Lachen nach zu urteilen. Es gibt noch zwei Lieder, die die Halle komplett zum Tanzen und Singen animieren und danach ist endgültig Schluss. Doch bevor DYMYTRY nach fast drei Stunden Show mit Verbeugungen und Winken zum tosenden Applaus der Arena von der Bühne gehen kann, kommt nochmal HÄMATOM zurück und überbringt eine Geburtstagstorte. 12000 Kehlen schmettern 'Happy Birthday To You' für eine Band, die in Zukunft auch den Schritt aus der zu klein gewordenen Heimat wagen will und von der ich behaupte, dass wir bald deutlich mehr von ihr hören werden!

Anschließend gibt es noch eine kleine After-Show-Party, zu der wir auch eingeladen sind. Ein paar Bekannte sieht man natürlich, Kristian "Kohle" Kohlmannslener ist da, der DYMYTRY mit dem neuen Fronter Alen zusammengebracht hat und der auch bei den internationalen Veröffentlichungen mithilft, natürlich die HÄMATOM-Jungs, aber wir sind ob der Sprachbarriere natürlich ziemliche Außenseiter und verlassen nach einer Weile die Location. Sollen Band und Familien, Freunde und Weggefährten die zwanzig Jahre feiern, wir fühlen uns da fehl am Platze und sind, nach Arbeit, langer Fahrt und mehreren Stunden Stehen, doch etwas groggy.

Mit neuen Eindrücken und der Gewissheit, dass AFM und DYMYTRY nächstes Jahr versuchen werden, durchzustarten, kehren wir nach Deutschland zurück. In den nächsten Wochen und Monaten wird uns Alen auf dem Laufenden halten, was die Pläne der Band angeht, ihr werdet also in Kürze hier noch mehr lesen, denn 2024 werde die Jungs auch bei uns unterwegs sein. Ich bin neugierig, wie sie ihre Riesenshow in kleinen Clubs darbieten werden. Das wird ganz sicher eine Herausforderung und vor allem: Sicher ohne Pyros. Back to the roots für die Metalstars Tschechiens. Das ist mutig, das wird spannend und ist es ganz sicher wert, es zu erleben.

Anmerkung: Aus Transparenzgründen möchte ich erwähnen, dass wir auf Einladung von AFM Records und DYMYTRY in Prag waren, man hat neben den Tickets auch die Übernachtungskosten für uns übernommen.

Redakteur:
Frank Jaeger
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