Chris Cornell/Juliette And The Licks - New York

05.08.2007 | 13:13

01.08.2007, Beacon Theater

Ich bin seit einer guten Woche in New York, habe meinen Jetlag überwunden und langweile mich. Was läge für einen Musik-Fan also näher, als sich in das nahezu grenzenlose Konzertangebot im Big Apple zu stürzen? Meine Wahl fällt auf das Paket CHRIS CORNELL und JULIETTE AND THE LICKS, wobei ich vor allem die Band um Schauspielerin Juliette Lewis gerne in Augenschein nehmen möchte und den Solo-Auftritt des Ex-SOUNDGARDEN-Sängers eher billigend in Kauf nehme.

Anders als auf dem alten Kontinent finden die meisten Gigs hier offenbar in bestuhlten Hallen statt, in denen man eher Theateraufführungen, Musicals oder bestenfalls ein klassisches Konzert vermuten würde, welche hier aber sogar von SLAYER und MARILYN MANSON angesteuert werden. Auch das Beacon Theater ist eine solche Halle, eine recht plüschige noch dazu, die so gar nicht zum Rock-'n'-Roll-Spirit der heutigen Akteure passen will. Je nach Geldbeutel landet man entweder für 30 Dollar irgendwo ganz hinten oder für einen nicht zu geringen dreistelligen Betrag direkt vor der Bühne. Ich finde mich mit meinem 60-Dollar-Ticket in Reihe X wieder, und wer das Alphabet beherrscht, kann sich ungefähr vorstellen, wo das ist. Doch die Sicht ist gut, nur die große Distanz zur Bühne und die Tatsache, hier für die nächsten drei Stunden "festgekettet" zu sein, stört ein wenig. Normalerweise laufe ich nämlich zwischendurch ab und an zum Bierstand oder wechsele einfach die Position, um mal einen besseren Blick, mal einen besseren Sound genießen zu können - das ist hier natürlich unmöglich.

Der Vorteil dieser Theater-Hallen ist, dass es am Sound absolut nichts zu meckern gibt. Auch die Tatsache, dass in den USA schon überall Rauchverbot herrscht, nervt mich hier weniger als in einem unbestuhlten Club, wo mir zum (Import-)Bier in der einen schon die Fluppe in der anderen abgehen würde. Doch die Nachteile überwiegen eindeutig: Auch wenn sich später am Abend nahezu alle Gäste geschlossen von ihren Plätzen erheben, kann man - eingezwängt zwischen seinen Klappsitz und der Rückenlehne des Vordermanns - bestenfalls bedächtig mitwippen. Richtig abrocken oder gar vor lauter Begeisterung nach vorne in den (nicht vorhandenen) Pit stürmen ist nicht drin [Letzteres hättest du sonst natürlich definitiv gemacht ... - d. Red.], obwohl das gerade in der auf gefühlte fünfzehn Grad herunterklimatisierten Halle bitter nötig wäre. Ich frage mich insgeheim, wie das für die (Europa-erfahrenen) Musiker aussehen mag, wenn sie sich selbst da oben zum Affen machen und die Menge zu ihren Füßen ihrer Begeisterung nicht viel stärker Ausdruck verleihen kann als durch lautes Klatschen zwischen den Songs.

Zum Affen machen sich JULIETTE AND THE LICKS in der Tat! Die Namensgeberin sprintet fast auf die Sekunde pünktlich um 20.00 Uhr auf die Bühne und trägt - passend zum Cover des aktuellen Albums "Four On The Floor" - einen albernen Indianer-Kopfputz, der allerdings nicht davon ablenken kann, dass die drahtige Rockröhre süß und sexy, sanft und biestig, laue Brise und Wirbelwind zugleich ist. Heute ist der Abend der One-Man- bzw. One-Woman-Shows, auch wenn die Formation bereits seit vier Jahren zusammenspielt und Lewis zu keiner Sekunde den Star, der sie als Schauspielerin zweifellos ist, raushängen lässt. Ganz in Gegenteil lädt sie die leider noch nicht sehr zahlreich vertretenen Fans hinterher an den Merchandise-Stand ein "to give a few hugs and sign some CDs and T-Shirts". Trotzdem hat sie im Vergleich zu vielen ihrer Kolleginnen einen immensen Vorteil: Sie macht ordentlich Action! Ähnlich wie bei ihren meist leicht durchgedrehten Film-Charakteren ist ihr keine Verrenkung, kein Luftsprung, kein Auf-dem-Boden-Kauern oder Über-die-Bühne-Rennen zu peinlich. Ihre Extrovertiertheit zeigt sich auch in dem Bedürfnis nach Nähe, sei es zu ihren Mitmusikern, die sie überfallartig umgarnt, sei es zum Publikum, dem sie zum Ende des Konzerts hin auf die Pelle rückt. Und egal, was sie tut, sie wirkt dabei absolut liebenswert.

Musikalisch gesehen sind JULIETTE AND THE LICKS vielleicht nicht sonderlich innovativ - sie machen Gute-Laune-Rotzrock mit nur wenigen leisen Momenten. Passend dazu klingt die Stimme der Frontdame nach Reibeisen und durchzechten Nächten, aber jederzeit voll und ausdrucksstark. Doch vor allem ihre Ausstrahlung macht sie zu etwas Besonderem. Es wird zu keiner Sekunde langweilig, der Akteurin zuzuschauen, und so ertönt nur 30 Minuten später nach einer coolen Percussion-Einlage viel zu früh ihr letzter, fast klagender Ton.

Exakt weitere 30 (Pausen-)Minuten später (inklusive Juliette-Lewis-am-Merchandising-Stand-Kucken) haben sich auch die leeren Plätze um mich herum ordentlich gefüllt. Hier unterscheiden sich die amerikanischen Fans, wie's aussieht, nicht von den deutschen, wo die Support-Acts ebenfalls häufig vor halbleeren Reihen spielen. CHRIS CORNELL scheint in den USA mordsmäßig angesagt zu sein, allein in New York gibt er zwei so gut wie ausverkaufte Konzerte. Kaum betritt der schlaksige Kerl nur mit einer Akustik-Klampfe bewaffnet die Bühne, erhebt sich das Publikum wie eine Eins und begleitet daraufhin jeden Song schon nach den ersten zwei Takten mit zustimmendem Gejohle und begeistertem Applaus.

Doch im Vergleich zur quirligen Juliette kann der Gute nur verlieren. Wie schon eingangs erwähnt, bin ich kein Fan von ihm, und ich wurde vorab auch ausdrücklich gewarnt, dass Cornell nicht unbedingt der Entertainer vor dem Herrn ist. Nun, er ist immerhin besser, als ich befürchtet hatte. Die rockigen Songs knallen ordentlich, die Akustik-Balladen, von denen es später noch zwei weitere gibt, wirken authentisch. Sympathiepunkte sammelt er außerdem, als er nach einem kurzen (völlig überflüssigen) Schlagzeugsolo mit einem kleinen Mädchen auf dem Arm wieder zurückkommt ("we have a new kid on the block"), das mit seinen riesigen Ohrenschützern gar nicht recht weiß, wie ihm geschieht, aber dann den Rest des Songs auf der Bühne bleiben darf.

Doch zwischendurch gibt es leider auch diese auf Radio-Airplay schielenden Midtempo-Rocker, die ich ziemlich belanglos finde, die aber vermutlich gerade für seinen großen Erfolg in den USA verantwortlich sind. Rings um mich herum wird fleißig mitgesungen, mitgewippt und mitgeklatscht. Ja, die Stimmung ist den Umständen entsprechend gut, also liegt's wohl an mir, dass ich nach einer Stunde auf die Uhr schiele - wie war das noch mal mit den angeblich so kurzen Spielzeiten hier? Satte 90 Minuten stehen Cornell und Band auf der Bühne, vielleicht auch noch ein wenig länger. Ich riskiere es nämlich irgendwann, mir den Ärger meiner Sitznachbarn einzuhandeln und mich an ihnen vorbei in Richtung Ausgang zu quetschen. Trete hinaus in die warme Sommernacht, ziehe meine Jacke aus und denke mir einmal mehr, dass ich hier in einem ganz schön merkwürdigen Land gelandet bin. An vieles werde ich mich sicher noch gewöhnen (müssen). Aber glaubt mir: Spaß machen solche Sitz-Konzerte nicht unbedingt.

Redakteur:
Elke Huber

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