THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA: Track-by-Track des neuen Albums "Give Us The Moon"

12.01.2025 | 21:36

Nicht nur für mich ist THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA in den letzten Jahren oftmals die Band der Stunde gewesen. Zeit- und vor allem grenzenloser Rock, irgendwo im Kosmos von wohligen AOR-, leichten Disco-, starken Proto- und stets lebendigen Warmherzmomenten, bei dem jedes einzelne Mosaiksteinchen zum großen Gesamtbild passte. Fast dreieinhalb Jahre nach dem zweiten "Aeromantics"-Abenteuer melden sich Strid, D'Angelo, Forslund und Co. zurück und greifen erneut zu den Sternen. "Give Us The Moon" ist ein durch und durch besonderes Album. Warum? Das versuchen wir in diesem Track-by-Track-Artikel zu ergründen. 

Im Jahr 2018 ging ich beruflich durch eine sehr schwierige Phase. Und inmitten jener, als ich wieder mit Bauchschmerzen zur Arbeit fuhr, ploppte die Nachricht auf, "Amber Galactic" sei für 'n Fünfer zu ergattern. Ich schlug zu, hatte ich das Album doch als gutes in Erinnerung. Doch die Wirkung, die das dritte THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA-Album innerhatte, war immens: Weggeblasen waren alle Sorgen, vorbei die schlaflosen, von Ängsten geplagten Nächte, denn die Songs dieses so wunderbaren Albums waren wie kleine Power-Riegel, Muntermacher, winzige Lebenselixiere, die ich so dringend nötig hatte. Dass ich voller Vorfreude auf den "Sometimes The World Ain't Enough"-Nachschlag hinfieberte, versteht sich von selbst. Eine neue, musikalische Welt öffnete sich mir und THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA sollte zu einer der für mich wichtigsten Bands werden. Diese Magie ist bis heute geblieben und ihr könnt euch vorstellen, mit welcher Vorfreude ich auf "Give Us The Moon" blicke, nicht wahr?

Zugegeben, für mich fängt das kolossale Schaffen der Supergroup um Björn erst mit besagtem 2017er Gassenhauer an und vor allem die beiden "Aeromantics"-Teile haben mir so unheimlich viel Freude gemacht. Große, voluminöse Songs, dazu Auftritte, die mir die Freudentränen in die Augen trieben, Ohrwürmer noch und nöcher und und und. Tragisch war der Verlust von David Andersson und so hatte ich nicht nur schlimmste Befürchtungen rund um SOILWORK, sondern auch um THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA. Doch der Flughafen ist weiter in Betrieb, so wie es wohl auch David gewollt hätte, und wir haben für euch die ersten Testflüge des siebten Streichs genauer unter die Lupe genommen. Check-in in 3…2…1…

Final Call (Intro)/Stratus
Die letzte Durchsage für den Eskapismus in die Melodien- und Nostalgie-Stratosphäre ertönt und automatisch stellt sich ein wohliger Schauer ein, weiß man doch, dass man ob des kommenden Trips voller Freude sein kann. Endlich den Alltag hinter sich lassen, all die Sorgen und Ängste zumindest für eine kurze Dauer von Bord werfen – herrlich. Und gleich 'Stratus' beginnt mit einem tollen Synthie-Einsatz, einem packenden Rhythmus und einer reichhaltigen Palette buntester Farben, die uns straight zurück in die 70er Jahre katapultieren. Richtig, das Album scheint noch mehr in die Proto-Rock-Richtung zu schielen als die "Aeromantics"-Teile.

Shooting Velvet
Weiter geht es mit einer astreinen Dancefloor-Nummer, die vor allem durch Björns markanten, mitreißenden Gesang getragen wird. Auch hier drückt er sich mit herrlichen Keyboards die Klinke in die Hand, das Forslundsche Gitarrensolo ist eine Wucht, die charmanten Chöre sorgen für den Rest und der erste bombensichere Ohrwurm der neuen Scheibe auf dem Weg zum Mond ist sicher.

Like The Beating Of A Heart
Zugegeben, dieser Song braucht Zeit, um zu wirken, lässt unser Herz auf dem Flug noch höherschlagen. Der unterschwellige Swing, der Titel und der abermalige Fokus auf den Keyboardsound lassen uns spätestens nach dem dritten Durchgang nicht mehr in Ruhe, denn vor allem der verträumte Teil im letzten Drittel ist einfach schön. Schon früh werden also Flugroute und Wohlfühlmomente des Nachtexpresses deutlich – so habe ich es mir auch gewünscht.

Melbourne, May I?
Es wird etwas rockiger, etwas klassischer für THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA, denn nun spielt sich die Gitarre rhythmisch in den Vordergrund, ohne dem Rest auch nur ansatzweise das Tanzpotential zu stibitzen, im Gegenteil: Synthie, Gitarre und Björns Gesang halten sich perfekt in der Waage, sorgen für einen so famosen Ausgleich und für einen inneren Sonnenschein, wenn man zeitgleich die klirrend kalte Realität betrachtet.

Miraculous
Nach dem Tanzbein aus Down Under wird es nicht minder wunderbar: Ein geschmeidiger Groove, eine relaxte Stimmung, ein mit sich und der Welt komplett im Reinen befindlicher Teint – 'Miraculous' macht seinem Namen alle Ehre und der mehrstimmige Refrain lädt zum Mitsingen ein. Gemeinsam mit dem Vorgänger hätte der Track auch auf "Amber Galactic" eine fabelhafte Rolle gespielt, eine für Live-Auftritte prädestinierte Nummer mit wahnsinnig gutem, weil immens gefühlvollem Keyboard- und Gitarrensolo, eine weitere Gänsehaut bahnt sich an.

Paloma
Wer hier auf eine lässige Abgehnummer spekuliert, muss weiterschauen. Zwar ist 'Paloma' im Gegensatz zu den vorangegangenen Stücken etwas ruhiger, aber in Sachen Emotionalität nicht minder gewaltig. Es brodelt mächtig unter der Nostalgie-Oberfläche, denn mit leichter Sehnsucht, einer herrlichen Leichtfüßigkeit und einer tragenden Keyboardmelodie entwickelt sich der Track zur astreinen Synthie-Pop-Nummer, der zwar ein wenig die Härte, dafür aber kein Deut an Melodie fehlt

Cosmic Tide
Und hier ist die lässige Abgehnummer: Ein wenig Swing, eine zunächst schwer zu durchschauende Rhythmik, aber ein so starker 80er Vibe tragen uns weiter in kosmische Sphären, in deren Refrain wir uns einmal mehr pudelwohl fühlen.

Give Us The Moon
Im Normalfall ist der Titeltrack das Aushängeschild eines Albums, gehört mitunter auch zu den stärksten Songs. Im Falle von 'Give Us The Moon' stimmt das vollkommen, schwebt uns auf Wolken doch eine so sehnsüchtige und nostalgische, rhythmische Nummer mit abermals tollem Synthie-Einsatz entgegen, die den Glamour und Glitzer der 1970er Jahre ins Hier und Jetzt transferiert. Ein wenig Härte hätte aber hier sicherlich auch nicht geschadet.

A Paris Point Of View
Wir blicken in die französische Hauptstadt, die Metropole der Liebe, und bewegen unser Tanzbein zu einer astreinen Disco-Nummer. Dezente Rock-Vibes, eine intensive Rhythmik, kleine ABBA-Tendenzen und ein sehr verspieltes Keyboard nehmen auch hier das Heft in die Hand und man darf gespannt sein, für wie viel Bewegung der Track vor allem live sorgen wird.

Runaways
Ein bisschen TOTO, ein wenig JOURNEY und nimmt man dazu noch FOREIGNER und SURVIVOR dürfte klar sein, in welche Richtung sich 'Runaways' entwickelt. Dank leicht cineastischem Moment, viel Sehnsucht im Mittelteil und dem Zusammenspiel der einzelnen Nachtflug-Protagonisten funktioniert der Track tadellos.

Way To Spend The Night
Trotzdem wird man das Gefühl nicht los, dass THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA hier doch deutlich poppiger als zuvor zu Werke geht. Das ist definitiv nicht schlimm und lässt viel Sommer-Sonnen-Flair in den ach so kalten, tristen Januar. Und so springt auch der vorletzte "Give Us The Moon"-Track auf den tanzbaren, hochmelodischen Ohrwurm-Refrain-Zug auf. Eine schöne, fluffige, luftig-lockere Nummer, die sämtliche Sorgen im Keim erstickt.

Stewardess, Empress, Hot Mess (And The Captain Of Pain)
Wir sind leider am Ende angekommen und das hat mit einer knapp achtminütigen Nummer noch einmal die volle Breitseite zu bieten. Das Keyboard ertönt und gleich schon setzt eine süßliche Melancholie ein. Dann bricht der Track jedoch aus – ein Hauch von Funk, eine so penetrante Rhythmik, ein toller AOR-Flair und eine beinahe schon kindliche Heiterkeit gipfeln in einem freudentränenreichen Höhepunkt. Nach rund viereinhalb Minuten setzt das Album dann final zur Landung an, legt sich jedoch noch einmal ins Zeug, um den Passagieren eine butterweiche Landung zu ermöglichen. Am Ende öffnen wir die Augen und sind von all den neu gewonnenen Eindrücken förmlich platt. Und trotzdem könnten wir uns gleich wieder ins Flugzeug setzen.

Fazit
Ja, die richtigen Rausschmeißer sind erst nach dem dritten, vierten Durchgang zu hören. Und wie schon angedeutet, waren die beiden "Aeromantics"-Teile bisweilen sogar rockiger. Doch mit welcher Strahlkraft und Ausstrahlung, mit wie viel Wärme und Herzensgüte, mit welch Lockerheit und Sentimentalität uns der siebte Nachtflug entgegenkommt, ist schon eine Wucht. Nein, hier werden nicht in erster Linie die beinharten Rocker, sondern ihre Herzen angesprochen. Deutlich vom Disco-Sound der 1970er und Synthie-Klang der 1980er Jahre inspiriert, lässt "Give Us The Moon" oftmals deutliche Vergleiche zu "Amber Galactic" und vor allem "Sometimes The World Ain't Enough" zu. Die Liebe steckt zudem im Detail, weshalb es auch nicht verwundert, dass selbst nach mehrmaligem Durchgang noch immer vollkommen unentdeckte Passagen begeistern, zum Tanzen und Träumen einladen und dieses neue THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA-Album zu einem wahren Hörgenuss – nicht primär für Rocker, sondern für jedermann – entwickeln. Toll, wie es Musik doch immer wieder schafft, die Menschen zusammenzubringen.

Fotocredit: Linda Florin

Redakteur:
Marcel Rapp

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