PROGPOWER EUROPE: Interview mit Rene Janssen

14.10.2006 | 20:41

Wir von POWERMETAL.de zählen zugegebenermaßen zu den Spätzündern, was das "Prog-Power-Virus" betrifft, denn erst im vergangenen Jahr begab sich eine Hand voll Schreiberlinge anlässlich der siebten Ausgabe des kleinen, aber feinen Festivals für Freunde progressiver Klänge in das beschauliche Örtchen Baarlo, unweit der deutsch-holländischen Grenze. Einmal dort gewesen, nimmt einen der Charme dieses äußerst familiären Events aber sofort für sich ein: Bands und Fans aus aller Herren Länder feiern ein fröhliches Fest, das inzwischen nicht nur für einige unserer Redakteure zur jährlichen Pflichtveranstaltung geworden sein dürfte.

Im Jahre acht der Zeitrechnung des ProgPower Europe erfreuten neben den Headlinern MERCENARY und RIVERSIDE sowie einigen kleineren, aber in gewissen Kreisen durchaus namhaften Acts wie EPHEL DUATH und DARK SUNS auch die "Geheimtipps" unser aller Ohren, denn Organisator Rene Janssen ist es ein echtes Anliegen, bislang unbekannten Künstlern eine Plattform zu bieten. Über die Hintergründe der Veranstaltung gab der sympathische Holländer am letzten Festival-Tag bereitwillig Auskunft.

Elke:
Kannst du uns zunächst bitte erzählen, wie alles vor acht Jahren begann?

Rene:
1999 gab es im Internet einige Diskussionen darüber, ein Festival für Progressive Metal zu organisieren, und zwei andere Leute und ich beschlossen schließlich, es zu versuchen. Im ersten Jahr wollten wir FATES WARNING als Headliner verpflichten und konnten damit das Interesse eines Hallenbetreibers und eines großen Sponsors wecken. Am Ende klappte es aber leider nicht mit FATES WARNING, und mit dem Besitzer der Halle hatten wir auch Probleme. Für mich stand danach fest, die Sache entweder aufzugeben oder künftig in einem kleineren Rahmen zu veranstalten, nämlich in dem Ort, wo ich lebe, hier in Baarlo. Im zweiten Jahr verloren wir viel Geld, aber von da an gelang es uns, ein Festival mit einer typischen Atmosphäre zu etablieren, das immer noch Wachstumspotential hat. Wir sind vielleicht nicht berühmt, aber jeder weiß, dass wir stets ein paar Bands verpflichten, von denen keiner zuvor jemals etwas gehört hat, und die meisten Leute sind hinterher sehr überrascht, wie gut diese Bands sind.

Elke:
Es gibt inzwischen auch ein ProgPower in den USA und in Großbritannien. Hängen die Festivals inhaltlich zusammen?

Rene:
Wir kennen uns untereinander und kommunizieren gelegentlich per E-Mail. Glen, der Typ in den Staaten, kontaktierte mich im Jahr 2000, weil er dort ebenfalls ein solches Festival aufziehen wollte. Ich mochte die Idee, eine europäische und eine amerikanische Version zu haben, und sie begannen entweder im selben Jahr oder ein Jahr später, ich bin mir da gerade nicht ganz sicher. Vor zwei Jahren bekamen wir eine E-Mail von Leuten, die ein ProgPower UK organisieren wollten. Glen und ich ließen uns ihr inhaltliches und finanzielles Konzept vorlegen und waren sehr beeindruckt, besonders von ihrem Budget, aber auch von den Bands, die sie buchen wollten. Wir gaben ihnen daher die Erlaubnis, unseren Namen zu verwenden, allerdings mit einem anderen Logo, so dass es immer noch ein eigenständiges Festival sein würde. Wir bekamen kürzlich E-Mails von Leuten aus Australien, die dort ebenfalls ein ProgPower veranstalten möchten. Aber es hängt sehr davon ab, wie sie das Ganze aufziehen werden. Wenn sie nur australische Bands buchen wollen, werden wir unser Einverständnis nicht erteilen, weil wir dann befürchten müssen, dass es nur eine einmalige Veranstaltungen sein wird. Aus diesem Grund haben wir auch schon Interessenten in Skandinavien einen Korb erteilt, weil wir auch hier befürchteten, dass das geplante Prog Power Scandinavia nur dieses eine Jahr stattfinden würde und dann nie wieder.

Elke:
Der Name ProgPower steht also demzufolge für Qualität, weshalb ihr entsprechend strenge Maßstäbe anlegt?

Rene:
Ja, absolut. Dafür wurde das Festival bekannt, und so sollte es auch bleiben. Natürlich wäre es cool, irgendwann auch ein ProgPower in Australien, in Südamerika oder irgendwo in Asien zu haben. Wir werden sehen.

Elke:
Wie wählt ihr die Bands aus? Ihr interpretiert den Begriff "Prog" ja sehr großzügig.

Rene:
Oh ja, das stimmt! (lacht) Wir bekommen jedes Jahr über 200 Demos oder DVDs, von denen aber vielleicht nur fünf oder sechs unser Interesse wecken können. Wir forschen darüber hinaus selbst ständig nach vielversprechenden Bands, lesen viele Reviews oder fragen die Festival-Besucher bereits während der laufenden Veranstaltung, welche Bands sie im nächsten Jahr gerne sehen möchten. Daraus erstellen wir eine Liste und überprüfen dann, ob diese Bands genug Leute ziehen, ob sie gut genug sind oder überhaupt zu unserem Konzept passen. Aus dieser Mischung setzt sich dann schließlich das Billing zusammen.

Elke:
Wie sieht es bei den Bands dieser Ausgabe aus?

Rene:
ANOTHER MESSIAH haben wir aus den Demos herausgepickt, CHAOSWAVE und EPHEL DUATH nicht. SCAR SYMMETRY war ein Tipp von anderen Leuten. Auf TEXTURES sind wir durch eigene Recherchen gestoßen. MERCENARY kannten wir bereits, von SPHERE OF SOULS wussten wir, dass sie eine aufstrebende holländische Band sind, und als PANTOMMIND absagen mussten, haben wir uns eben für eine weitere einheimische Band entschieden, die den zweiten Tag eröffnen sollte. NOVA ART waren eine der Überraschungen, die uns ein Demo schickten, und wir fanden die Idee ziemlich cool, eine russische Band auf der Bühne zu haben. VOYAGER haben wir wieder selbst recherchiert. DARK SUNS waren ein Tipp von unseren Freunden in Leipzig, sowohl von den Mitgliedern von DISILLUSION als auch von Besuchern aus dieser Stadt, die jedes Jahr hier sind und uns nebenbei gesagt immer viele Ratschläge geben. COMMUNIC bekamen wir über Intromental, und über RIVERSIDE muss ich glaube ich nichts sagen. Sie waren die große Überraschung von vor zwei Jahren.

Elke:
Sie sandten euch so weit ich weiß damals eine CD und rutschten dadurch aufs Billing.

Rene:
Eigentlich erreichte uns ihre Promo-CD sehr spät, aber da eine Band absagte, konnten wir ihnen eine Chance geben. Sie waren damals noch völlig unbekannt und haben alle umgeblasen! Es war möglicherweise die größte Überraschung in all den Jahren.

Elke:
Also ist das Festival auch ein Sprungbrett für unbekannte Bands?

Rene:
Auf jeden Fall! Wir wollen auch gar nicht größer werden. Ich denke, unser Konzept ist perfekt, so wie es ist, und kommt bei allen gut an. Selbst wenn wir die nächsten fünfzig Jahre weitermachen, wird sich nichts daran ändern.

Elke:
Wie viele Leute sind mit der Organisation des Festivals beschäftigt?

Rene:
Zunächst einmal wir drei Veranstalter, und natürlich die Menschen des JC Sjiva, wo das Festival stattfindet und die die Freiwilligen für den Getränkestand und ähnliches stellen.

Elke:
Ich nehme an, ihr organisiert alles in eurer Freizeit - und vieles auf den letzten Drücker.

Rene:
Ja, aber das liegt an mir. Ich organisiere am liebsten alles in der letzten Woche. Jedes Jahr nehme ich mir vor, beim nächsten Mal ein paar Wochen früher damit anzufangen, aber ich bin mir sicher, nächstes Jahr wird es wieder genauso laufen. (lacht)

Elke:
Wie sieht die finanzielle Seite des Festivals aus?

Rene:
Die vorletzten beiden Editions haben die Ausgaben hereingeholt, aber die letzte hat mich persönlich leider sehr viel Geld gekostet. Es ist ein Hobby und eine große Leidenschaft von mir. Das Problem ist, dass man nur sehr schwer einen Sponsor findet, besonders für diese Art von Musik. Man zieht ja kein riesiges Publikum damit an, daher gibt es nicht viele Firmen oder Labels, die in das Festival investieren wollen. Im ersten Jahr hatten wir einen große holländischen Mailorder als Sponsor, aber sie verloren viel Geld, weil der Hallenbetreiber wortbrüchig wurde, worauf sie sich aus der Veranstaltung zurückzogen.

Elke:
Habt ihr jemals daran gedacht, einen zugkräftigeren Headliner zu buchen, um dadurch die Besucherzahlen zu erhöhen?

Rene:
Schon, aber viele Bands sind momentan einfach zu teuer. Ich bin überrascht, dass sie es überhaupt wagen, so viel Geld zu verlangen. Ein solcher Headliner allein würde mein Budget sprengen, und dann müsste ich immer noch beide Tage ein volles Haus haben, nur um das Geld für die Headliner wieder reinzuholen.

Elke:
Wie viele Besucher habt ihr jedes Jahr so im Schnitt?

Rene:
Dieses Jahr sind es nicht so viele wie sonst. Letztes Jahr waren es 350 am Samstag und 450 am Sonntag. Dieses Jahr dürften es vielleicht 100 weniger sein. Das liegt am Line-up, das dieses Jahr sehr speziell ist. Besonders gestern. Wir wissen, dass wir gute Bands buchen. Wenn man eine Band wie DREAM THEATER engagiert, hat man vielleicht 5000 Gäste. Wir haben sechs Bands jeden Tag, die einzeln betrachtet vielleicht qualitativ nicht ganz an DREAM THEATER heranreichen, aber als Ganzes gesehen doch genauso hochwertig sind, und es kommen nicht mal 400 bis 500 Leute.

Das Problem ist außerdem, dass in der holländischen Progressive-Szene ein zu großes Angebot besteht, genau wie in Deutschland. In Großbritannien oder den USA gibt es nur die ProgPower-Festivals. In Deutschland oder Holland kannst du aber fast jeden Tag auf ein Progressive-Metal-Konzert gehen. Daher ist es auch so schwer für uns, den Laden vollzubekommen, denn die Leute sind übersättigt.

Elke:
Es spielen stets auch einige Bands von deinem eigenen Label, DVS-Records. Wann hast du damit angefangen?

Rene:
Ich habe im Jahr 2000 damit begonnen, also ein Jahr nach dem ersten ProgPower-Festival. Wir bekamen damals einige Demos, die mir sehr gefielen, und ich dachte mir, warum nicht einige davon veröffentlichen? Die ersten waren SONIG DEBRIS aus Norwegen. Eine der besten Scheiben, die ich je herausgebracht habe, aber die Band existiert leider nicht mehr.

Rouven:
Auch INTO ETERNITY haben hier angefangen. Sie könnten möglicherweise bald ziemlich groß rauskommen.

Rene:
Das stimmt, die ersten beiden CDs sind bei uns erschienen. Sie sind jetzt bei Century Media. Ich habe allerdings meine Zweifel bezüglich ihrer Erfolgsaussichten, obwohl ich es ihnen gönnen würde. Das Problem sind die Besetzungswechsel, es sind einfach zu viele.

Elke:
Wie viele Bands sind im Moment bei DVS, und verschwinden sie alle nach einer Weile zu den größeren Labels?

Rene:
Im Moment sind es um die zehn. Natürlich wandern sie irgendwann ab, denn die Angebote der größeren Labels sind viel besser als die von uns. Aber wir wissen, dass wir ein Label sind, das jungen Bands dabei hilft, ihre ersten Schritte im Musikgeschäft zu machen. Doch es heutzutage sehr schwer, ein Label voranzubringen, denn die CD-Verkaufszahlen gingen in den letzten Jahren nach unten. Auch die Bands wissen das, so dass es für uns wieder schwieriger ist, neue Bands zu signen, weil wir nicht sagen können, wie viele CDs wir verkaufen werden. Das Label kostet mich also im Moment ein wenig Geld. Mal sehen, wie lange wir damit weitermachen können.

Rouven:
Das diesjährige Line-Up enthält viele sehr harte Bands, die Growls und klaren Gesang verwenden und sehr progressive, technische Musik spielen. Vor allem am Samstag gab es viele davon, und ich denke, dass hier die neue Generation der Prog-Szene ihren Platz einnimmt.

Rene:
Wir als Veranstalter mögen solche Musik. Wir haben diese DREAM THEATER-Klone ziemlich über. Unser persönlicher Geschmack hat sich etwas geändert, und vielleicht sieht man das am Line-Up. Bereits letztes Jahr war das Billing etwas härter als in den Jahren zuvor. Wir wissen allerdings noch nicht so genau, ob das Publikum unseren Geschmackswandel mitträgt.

Rouven:
Wenn man die Reaktionen bei EPHEL DUATH gestern als Referenz nimmt schon - sie waren die einzige Band, die eine Zugabe spielen durfte.

Elke:
Wie reagieren die Einwohner von Baarlo auf das Festival?

Rene:
Sie lieben es! Im ersten Jahr waren die Leute etwas skeptisch, aber wir bekamen nur positives Feedback. Leute mit langen schwarzen Haaren und Tattoos tragen alten Damen die Taschen oder helfen ihnen über die Straße - für die Menschen hier ist es so etwas wie Karneval. Aber sie mögen es, denn es passiert nichts Schlimmes. Alle sind freundlich, und jeder stellt sich im Restaurant oder im Supermarkt brav in einer Reihe an.

Elke:
Seit wann bietet ihr die Übernachtung im Kasteel de Berckt an?

Rene:
Seit letztem Jahr. Vorher mussten die Leute sich ihre Schlafgelegenheit selbst organisieren, von daher ist das ein echter Fortschritt. Es gibt hier noch einen Campingplatz namens De Berckt und ein Hotel beim China-Restaurant, in dem viele Bands übernachten, und noch ein richtig teures Hotel, dass sich Freaks wie wir, die auf ein Metal-Festival gehen, aber nicht leisten können. Die meisten wollen einfach nur einen Platz zum Schlafen. Im Kasteel de Berckt steigen Bands, Fans und auch ein paar Pressevertreter ab, was auch gut ist für die Bands. Sie können Werbung für sich machen oder Kontakte mit anderen Musikern knüpfen. Und es ist ein wunderschönes Areal. Die Angestellten dort sind außerdem sehr hilfsbereit. Es lief bisher sehr gut, und wir werden die Zusammenarbeit im nächsten Jahr fortsetzen.

Elke:
Ihr seid mit der Planung des Line-ups immer recht früh dran, aber dieses Jahr gebt ihr sogar schon während des Festivals ein paar Bands für das kommende Jahr bekannt.

Rene:
Das ist auch das erste Mal, dass wir das tun. Die Headliner muss man heutzutage schon sehr frühzeitig buchen. Wir haben bereits letztes Jahr mit JON OLIVA'S PAIN gesprochen und wollten sie eigentlich da schon engagieren. Irgendwas lief schief, sie standen beim falschen Booker unter Vertrag, und vor ein paar Wochen schrieb mir der Drummer eine E-Mail, dass sie den Vertrag mit dieser Booking-Agentur beendet hätten und dass sie nächstes Jahr gerne spielen würden. Die Details waren innerhalb von zwei Stunden geklärt. Außerdem haben wir bereits HEAVEN'S CRY verpflichtet, die bereits vor zwei Jahren hier gespielt haben und eine der besten Bands waren, die hier jemals aufgetreten sind. CIRCUS MAXIMUS wurde von vielen Seiten gewünscht, und DREAMSCAPE, die dieses Jahr auf der Pre-Party im Keller spielten, holen wir im nächsten Jahr auch auf die Hauptbühne. Und natürlich planen wir wieder einige Überraschungen - Bands, die noch völlig unbekannt sind. Wir haben noch etliche auf unserer Liste, und wir freuen uns natürlich auf die kommenden Demos. Bezüglich des zweiten Headliners werden wir sehen, ob wir einen weiteren großen Namen engagieren oder es so wie gestern machen und zwei Bands jeweils eine Stunde und fünfzehn Minuten spielen lassen.

Für das 10-jährige Jubiläum denken wir darüber nach, Arjen Lucassen zu verpflichten. Wenn er mit AYREON und STREAM OF PASSION gleichzeitig auftritt, kann er die gleichen Musiker nehmen, das wäre billiger für uns (lacht). OPETH sind ebenfalls auf unserer Liste, denn das ist eine der Bands, die durch das ProgPower ganz groß wurden. Sie spielten 2000 hier und kaum jemand kannte sie damals.

Rouven:
Was würdest du jemandem antworten, der dir sagen würde, dass er auf dem nächsten ProgPower kein SAVATAGE-Set von JON OLIVA'S PAIN hören will?

Rene:
Dann würde ich ihn fragen, ob er mir eine Definition von Progressive Metal geben kann.

Redakteur:
Elke Huber

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