POTENTIA ANIMI: Interview mit Bruder Liebe

25.04.2006 | 16:42

Wie ernst darf man eine Mittelalter-Formation nehmen, die sich selbst als "Bruderschaft" (unter anderem bestehend aus einem Sophisten, einem Mormonen und einem Kommunisten!) bezeichnet, dabei stilecht in Mönchskutten auftritt, diese jedoch mit riesigen Gummi-Gesichtsmasken kombiniert? Die noch dazu auf "Das erste Gebet" mit dem herrlich frivolen 'Gaudete' so gar nicht keusch tönt und auf dem aktuellen Werk "Psalm II" lateinische Texte in Rap- oder gar Techno-Klänge verpackt? Nicht sonderlich ernst vermutlich. Aber genau das macht das Besondere von POTENTIA ANIMI, der Band um Titus Jany (Ex-Schlagzeuger der INCHTABOKATABLES) alias "Bruder Liebe" aus. Genretypische Sackpfeifen-Musik vermischt sich mit modernen Sound-Zutaten, traditionelle Texte aus der Carmina Burana werden mit frechen Eigenkreationen ergänzt, und live wird das Ganze noch mit köstlichen Ansagen garniert. POTENTIA ANIMI haben damit eigentlich fast schon ein neues Genre erschaffen, das man "Mittelalter-Comedy" nennen könnte.

Ich hatte das Vergnügen, Bruder Liebe auf dem Oster-Kloster-Fest in Chorin (Brandenburg, ca. eine Stunde von Berlin entfernt) anzutreffen, einem jährlich zu Ostern stattfindenden viertägigen Mittelalter-Spektakel. Nach einem recht sonnigen Tag kam zum Zeitpunkt des Interviews plötzlich ein heftiger Schauer vom Himmel, über den Bruder Liebe seine ganz eigene Philosophie entwickelte. Aber lest selbst und entscheidet, wie viel Sinn und Unsinn sich hinter seinen Antworten verbirgt.

Elke:
Du hattest deine musikalischen Ursprünge unter anderem in der Mittelalter-Formation SPILWUT, die auch dieses Fest hier veranstaltet, und warst danach jahrelang bei den INCHTABOKATABLES als Schlagzeuger tätig. Bist du mit POTENTIA ANIMI jetzt wieder zu deiner wahren Berufung zurückgekehrt?

Bruder Liebe:
Nein, ich habe die Bruderschaft gegründet, um wieder auf den Pfad der Tugend zurückzukehren, den ich 12 Jahre zuvor verlassen hatte.

Elke:
Zwei deiner Mitbrüder, Bruder Nachtfraß und Bruder Schaft, haben eine schauspielerische Vergangenheit. Kommt daher das besonders ausgeprägte Show-Element bei den Live-Auftritten?

Bruder Liebe:
Das stimmt. Schnabausus Rex, unser Novize, ist außerdem ein ganz berühmter Geiger aus der ehemaligen DDR. Er wird es vermutlich nicht mehr schaffen, zum Bruder zu werden, weil er vorher dahinscheiden wird, denn er ist schon sehr alt. Bruder Schlaf [oder auch Schlafes Bruder - Anmerkung der Verfasserin] jedoch ist namenlos und unbekannt - jedenfalls hat er nichts getan, was man öffentlich nennen sollte, weil das alles noch nicht verjährt ist (lacht).
Sicher haben Bruder Nachtfraß und Bruder Schaft das schauspielerische Element bei uns mit eingebracht, aber es gehört ganz allgemein zum Mittelalter-Genre, dass man nicht nur Musik macht, sondern diese auch ordentlich verkauft - wie eigentlich auch im Rock'n'Roll.

Elke:
Wie kamt ihr auf die Idee, als Bruderschaft die Mittelalter-Szene zu erleuchten?

Bruder Liebe:
Das liegt einfach nahe, dass man in diesen Sündenpfuhl etwas Moral einbringen muss. (betrachtet den heftigen Regenguss) Schau dich doch um: Wenn wir spielen, scheint die Sonne, und wenn wir nicht spielen, regnet es - das sagt doch alles!

Elke:
Das Auffälligste an eurer Bruderschaft sind die Gummimasken, mit denen ihr in der Regel die Bühne zu betreten pflegt.

Bruder Liebe:
Das sind die Erscheinungsbilder, die uns bevorstehen, wenn wir älter und reifer sind. Es sind sehr reife Gesichter, von Denkerfalten durchzogen. Sie versinnbildlichen einen Vorgeschmack auf das Ende eines jeden Menschen.

Elke:
Wie warm wird es unter diesen Masken?

Bruder Liebe:
Höllisch warm! Der Schweiß läuft bis in die letzte Ritze. Wir haben sie trotzdem schon mal eine dreiviertel Stunde lang getragen. Das ist wie eine Gesichtssauna, hinterher ist man wieder nüchtern.

Elke:
Was euch von anderen Mittalter-Bands abhebt, ist euer bereits erwähntes Show-Element, verbunden mit den unterhaltsamen Ansagen zwischen den Stücken. Steckt dahinter ein gewisses Konzept?

Bruder Liebe:
Das ergibt sich eigentlich von selbst. Kuck uns an - wir können gar nicht anders, als total lächerlich daherzukommen. Für viele ist es ja lächerlich, aber eigentlich ist es total ernst. Bloß dass natürlich die Wahrheit meist verlacht wird. Uns ist es unheimlich ernst mit allem, was wir sagen.

Elke:
OOMPH! werden derzeit von kirchlicher Seite für ihren Song 'Gott ist ein Popstar' kritisiert. Hattet ihr bereits ähnliche Probleme?

Bruder Liebe:
Nein. Wir sind ja nicht kontra, sonder pro. Es ist völlig klar, dass OOMPH! Ärger bekommen, sie haben ihr Album ja auch "GlaubeLiebeTod" genannt, was ja nicht stimmt, denn es heißt "Glaube, Liebe, Hoffnung". Wenn man sich da versündigt, das schlägt auf einen nieder, und das kann nicht gut gehen. Es ist ein gutes Beispiel dafür: Wer mit dem Teufel im Bunde ist, der wird auch gleich bestraft.

Elke:
Wobei euer Stück 'Gaudete' nun auch nicht gerade ein besonders frommes Lied ist.

Bruder Liebe:
Das ist richtig. Aber das sind Sachen, die einfach mal gesagt werden müssen. Wir warnen vor diesen Dingen. Es nützt nichts, wenn man die Leute dumm sterben lässt. Über die Gefährlichkeit der Unzucht sollte man ihnen schon Auskunft geben, damit sie überhaupt wissen, wovor sie sich bewahren sollen.

Elke:
Wie viel Original-Textmaterial aus dem Mittelalter verwendet ihr in euren Stücken?

Bruder Liebe:
Wir nehmen sehr viel aus der Carmina Burana, die aber auch eine sehr umfangreiche Liederhandschrift ist, und verwenden auch Werke von Herrn Schiller, Herrn Lenau und Herrn Klemperer. Wir machen aber auch eigene Texte, also quer durch den klösterlichen Gemüsegarten.

Elke:
Bei eurer ersten Veröffentlichung gab es ja diverse Startschwierigkeiten.

Bruder Liebe:
"Das erste Gebet" war ganz schwierig. Vielklang mussten Insolvenz anmelden, noch bevor wir bei ihnen unterschrieben hatten. Das Album ist schließlich bei Pica erschienen, also den Kollegen von CORVUS CORAX. Zuvor hatten wir es bereits selbst mit einem anderen Cover und weniger Songs veröffentlicht. Wir sind also nicht daran schuld, dass Vielklang den Bach runtergegangen sind, denn wir hatten noch gar nicht unterschrieben. Wäre das bereits der Fall gewesen, gäbe es das Label heute noch und sie wären reich und berühmt.

Elke:
Dank euch haben Metal Blade nun ein eigenes Mittelalterlabel, Staupa Musica, gegründet, wo "Psalm II" erscheinen wird.

Bruder Liebe:
Auch ihnen stand der drohende Tod vor Augen, und sie dachten sich, wenn sie in die Hölle kommen, sehen sie ihre ganzen Schweine-Grunz-Kapellen wieder, und das wollten sie nicht. (lacht) Deswegen wollten sie noch etwas Gutes tun und haben schnell die Bruderschaft unter Vertrag genommen, um die Pforten der Hölle vor sich zu schließen und nicht hinter sich.

Elke:
Habt ihr bei 'Ave Maria' eine Gastsängerin verwendet?

Bruder Liebe:
Ja, das ist Bruder Schlaf (lacht hämisch). Er wird im Booklet auch als Frau dargestellt. Jeder Bruder wird dort mit seinem Fetisch abgebildet... Doch, wir haben schon noch eine Gastsängerin zur Unterstützung dazu geholt, eine Schwester aus einem befreundeten Nonnenstift. Ihr Name ist Schwester Anja.

Elke:
Ihr interpretiert ja nun das mittelalterliche Liedgut relativ frei. Wie kommt man zum Beispiel auf die Idee, einen lateinischen Rapsong wie 'Qui Per Mundum' zu vertonen?

Bruder Liebe:
Das ist die Sache von Bruder Nachtfraß. Das wird ihm vom Herrn direkt ins Hirn gegeben und er gibt es weiter an Tastatur und Papier. Er ist nur Medium, daher können wir uns dazu nicht äußern. Es ist das, was der Herr auf die Erde nieder senden wollte, als Botschaft und in dieser Form.

Elke:
Ist Latein Grundvoraussetzung für die Aufnahme in die Bruderschaft?

Bruder Liebe:
Nein, da gibt es ganz andere Voraussetzungen, die ich aber hier nicht nennen darf.

Elke:
'Anima et Animus' scheint ein häufig verwendeter Begriff in der Psychologie zu sein. Worum geht es darin?

Bruder Liebe:
Es geht um Psychologie. (lacht) Wir behandeln darin schwerwiegende psychologische Themen, aber natürlich mit religiösem Hintergrund. Religiös deswegen, weil wir nicht sehr christlich sind. Wir nehmen alle Religionen unter unsere Fittiche, wenn wir können. Schnabausus Rex ist ein klassischer Sophist [er spricht es aber "Suphist" aus - Anmerkung der Verfasserin], also ein so genannter "Suffi". Bruder Schlaf ist Mormone, hat also mehrere Frauen zu Hause, und Bruder Schaft ist Kommunist, was jetzt nicht direkt eine Religion ist, aber es kann ja noch eine werden. Wenn Kommunisten noch mehr zu einer Minderheit verkommen, dann sind sie irgendwann sicher eine Religion.

Elke:
Auf "Das erste Gebet" gab es noch reine Instrumentalstücke, die auf "Psalm II" gänzlich weggefallen sind. Hat euch der Herr dieses Mal mehr Text eingegeben?

Bruder Liebe:
Mehr Worte, er hat uns Raum für Wörter gelassen! Auf dem ersten Album waren auch so schon genug Worte, die Botschaft kam an. Beim zweiten wollten wir noch etwas deutlicher werden. Es ist auch insgesamt etwas strenger ausgefallen, geht mehr in die moralische Richtung, und den Menschen wird allgemein mehr ins Gewissen gesungen.

Elke:
Das stimmt. Ich habe nämlich ein zweites 'Gaudete' vermisst.

Bruder Liebe:
Das haben wir extra nicht gemacht, damit niemand auf die Idee kommt, dass wir lustig sind. Davon wollen wir nichts wissen.

Elke:
A propos lustig: Was ich bis heute nicht verstanden habe, ist der Witz hinter dem Text von 'Bruder Titus' auf dem ersten Album.

Bruder Liebe:
Das ist eine Original-Aufnahme aus Ägypten. Es ist eine ganz komplizierte Geschichte. Wir hatten den Song zur Hälfte schon fertig, empfanden ihn aber als noch nicht ausgereift. Daraufhin habe ich, als ich von meinen Exerzitien aus Ägypten zurückkam, diese Aufnahme mitgebracht, wo mich jemand anspricht und ich ihm versuche meinen Namen zu erklären. Dann singt noch im Hintergrund bzw. davor der Muezzin. Das passte tonal sowie rhythmisch genau auf die Gesänge der Mönche, worauf wir beschlossen, hier zwei Religionen zusammen zu führen, die sich überhaupt nicht riechen können, um deutlich vorzumachen, dass es musikalisch jedenfalls möglich wäre. Das war daran das größte Experiment, der Rest ist nur das Beiwerk.

Elke:
Live seid ihr offenbar sehr flexibel. Hier habt ihr gerade auf einem reinen Mittelalterfest gespielt, wo entsprechend stärker die Sackpfeife zum Einsatz kam. Ihr seid aber auch bereits auf dem Wacken Open Air aufgetreten. Bruder Schaft hatte auf der Listening Session zu "Psalm II" erzählt, dass der Himmel dort just zu eurem Auftritt seine Schleusen öffnete und die Menschen in Scharen in die trockene Zeltbühne flüchteten, um eurem Konzert beizuwohnen.

Bruder Liebe:
Ich glaube, das Zelt war vorher schon voll, weil die Menschen zuvor bei den Schweine-Grunz-Kapellen standen und sich satanische Botschaften anhörten. Die singen glaube ich alle rückwärts. (lacht) Nein, man muss es sich rückwärts anhören, damit man die Botschaft versteht. Die Leute waren natürlich verwirrt, weil wir vorwärts wie rückwärts das Gleiche singen (lacht wieder). Ich weiß nicht, was Bruder Schaft dir erzählt hat. Jeder von uns sieht ja in seinem Leben andere Dinge, und es kommt auch immer darauf an, was man vorher gegessen hat.

Elke:
Was findet ihr persönlich spannender - ein Auftritt hier oder in Wacken?

Bruder Liebe:
Das ist uns völlig egal. Wir gehen dahin, wo man uns braucht. Offensichtlich hat man uns in Wacken auch gebraucht. Hier sind die Leute von der Grundstimmung her bereits bekehrt, da müssen wir nicht ganz so arg predigen und geißeln. In Wacken bei den ganzen Schwarzen musste man doch härter ran.

Elke:
Gibt es denn bereits einige denkwürdige Live-Konzerte, über die du berichten könntest?

Bruder Liebe:
Denkwürdig heißt, dass man sich daran erinnert, und ich erinnere mich an gar nichts - hatte wohl vorher immer zu viel Kaffee (schaut auf seinen Becher und grinst). Das was hinter mir liegt, ist geschehen, und das was vor mir liegt, geht mich noch nichts an.

Elke:
Habt ihr denn langfristig vor, als Bruderschaft zusammen zu musizieren?

Bruder Liebe:
Das wissen wir nicht, das entscheidet der Herr. Wenn er uns zerreißt und in alle vier Winde zerstreut, dann werden wir dem folgen müssen. Wir können auch gar nicht so langfristig denken, denn wir haben Schnabausus Rex in der Bruderschaft. Der ist schon so alt, wir können nicht länger als fünf Stunden im voraus planen, weil wir nicht wissen, ob er dann noch lebt.

Redakteur:
Elke Huber

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