PAULY, HENNING: Interview mit Henning Pauly und Juan Roos

06.12.2005 | 20:55

Mit "Credit Where Credit Is Due", das man wohl am besten mit Melodic Industrial Hard Rock umschreiben kann, hat der Deutsche HENNING PAULY, der seit einigen Jahren in der unmittelbaren Nähe der Film-Metropole Los Angeles lebt, ein neues und saustarkes Solo-Album am Start. Nur wenige Monate nach Erscheinen des letzten ebenfalls von PAULY federführend ausgearbeiteten und eingespielten FRAMESHIFT-Albums "An Absence Of Empathy" mit Sebastian Bach (ex-SKID ROW) am Gesang, legt der bekennende Videospiel-Freak und offensichtlich unglaublich kreative Musiker/Songschreiber/Produzent mit einem auf den ersten Blick recht modernen Album nach. PAULY hat auf der aktuellen CD alles selbst eingespielt und nur für den Gesang die Hilfe des TRANSMISSION-Sängers Juan Roos in Anspruch genommen. Das Besonders an dem Album ist die erfreuliche Tatsache, dass die Beiden sich selbst nicht allzu ernst nehmen und trotz der sehr anspruchsvollen und gelungenen Musik an allen Ecken und Kanten Humor einfließen lassen. Pünktlich wie ein Maurer klingelte also ein sehr gut gelaunter HENNING PAULY bei mir durch und wie der Zufall so will war auch Juan Roos, der sonst bei den deutschen Proggern von TRANSMISSION singt, bei PAULY zu Besuch im sonnigen Kalifornien. Per Telefon-Konferenz konnte also ein sehr entspanntes und lustiges Interview beginnen. Im Mittelpunkt standen natürlich "Credit Where Credit Due" und die weiteren Baustellen des Hessen PAULY, aber auch ein gewisser Herr Bach – seines Zeichens Rockstar – sollte immer wieder ein Thema werden. Auch TRANSMISSION war natürlich Gegenstand des Gesprächs. Ach ja, die Tatsache, dass ich noch nie bei einem Interview so viel kürzen musste, um nicht einen Roman zu schreiben, sollte nicht unerwähnt bleiben. Aber kein Interview hat bislang auch nur halb so viel Spaß gemacht, doch lest selbst...

Martin:
Hallo, ihr Beiden! Prima, das alles zu klappen scheint...

Henning:
Ja, wir haben auch gerade dein Review bekommen und gelesen. Du scheinst die Platte ja zu mögen, was mich etwas wundert (lacht). Wir bekommen momentan ziemlich zweigeteilte Reviews. Viele scheinen mit dem Humor so ihre Probleme zu haben...

Martin:
Aber dann doch eher die englischsprachige Fraktion, oder?

Henning:
Nein, witzigerweise nicht. Es gibt da so ein paar andere deutsche Websites, nun ja. In einem stand außer dem Song 'German Metalhead' und dem tollen Gesang sei nichts zu empfehlen und der Humor sei so auf unterem Fassnachtsniveau (lacht). Und man würde ja hören, dass alles in wenigen Wochen gemacht wurde.

Martin:
Das sehe ich nun nicht so, aber kommen wir mal zu meiner ersten Frage. Mich interessiert, wie es dazu kam, dass ein gebürtiger Hesse seit Jahren in Amerika lebt und arbeitet?

Henning:
Ja also, ich habe in Boston studiert, weil mein Papa gemeint hat, wenn du schon Musiker werden willst, dann zeig mir eine Schule, bei der du mir, wenn du fertig bist, nicht auf der Tasche sitzt. In Deutschland kann man sehr gut Klassik und vielleicht Jazz studieren, aber da muss man schon so gut sein, dass man eigentlich gar nicht mehr auf die Schule gehen muss. In Deutschland so richtig amtlich moderne Musik zu studieren ist ein Problem. Und nach einigem Umhören kam halt raus, dass das Berkley College in Boston eine sehr gute Adresse für ein breites musikalisches Spektrum ist. Ich hätte nie gedacht, dass ich da rein komme, aber es hat geklappt und so habe ich da drei Jahre sehr intensiv studiert. Danach wollte ich eigentlich wieder heim und beispielsweise fürs Fernsehen Musik schreiben oder so, aber da haben meine Lehrer gesagt: "Du bist ja schon mal eher gut, also geh doch mal nach L.A. und schau mal, was du dort machen kannst." Das wollte ich erst nicht, weil L.A. ist ja heiß, groß und gefährlich, d.h. man wird da schon mal erschossen. Aber ich habe mir ein Jahr zur Probe gegeben und habe da im Gitarren- und Keyboard-Center gearbeitet. Nebenbei habe ich dann an meiner eigenen Musik gearbeitet und als ein Label die erste CHAIN-Platte gesignt hat, ging das so los. Dann hieß es: Schreib doch mal eine Platte für James LaBrie von DREAM THEATER und das habe ich dann ja auch gemacht. Ich dachte zwar zuerst, die haben sie nicht alle, aber ich habe dann trotzdem erstmal angefangen. Jetzt wohne ich in der Nähe von L.A., etwas abseits in den Bergen in 2000 Meter Höhe und hier lässt es sich leben.

Martin:
Die aktuelle Scheibe ist wirklich in vier Wochen geschrieben, aufgenommen und produziert worden? Ich bin zwar selber kein Musiker, aber aus meiner Sicht klingt das unglaublich, zumal da ein richtiges Pfund draus geworden ist. Wie geht so was?

Henning:
Also, generell kann ich unter Zeitdruck immer besser arbeiten. Ich kam nach der letzten FRAMESHIFT zurück ins Studio und habe mit Matt Cash, der ja auch bei CHAIN singt, eine moderne Country-Platte aufgenommen und da wir dort keinen Zeitdruck hatten, ist die Platte immer noch nicht fertig. Und es ist so, wenn ich hier im Studio rumsitze und nichts mache, verdient mein Chef hier auch kein Geld und da dachte ich: Gut, bevor ich gar nichts mache, da nehme ich schnell eine Platte auf, so dass er sein Geld zumindest nicht für gar nichts rausschmeißt. Der Plan war schlicht, mir mein Gehalt hier zu erspielen. Er meinte, ich solle das machen und so fehlte mir plötzlich nur ein Sänger. Diesmal sollte es auf jeden Fall kein großer Superstar sein, denn die kosten Geld und machen einem Stress! Glaub mir, das ist so! Es sollte jemand sein, der eine tolle Stimme hat, und den ich schon kannte, so dass die Zusammenarbeit auch gut klappen würde. Durch die deutsche Band TRANSMISSION, wo zwei meiner Kumpels spielen, kannte ich den Juan schon ein wenig und da habe ich ihn angerufen. Er hatte witzigerweise gerade zwei Wochen Urlaub beantragt und wollte eigentlich nur die Füße ein wenig hochlegen. Da habe ich gedacht, dass könnte er doch auch hier tun und nebenbei eine Platte einsingen. Das Ding war halt, dass ich ab dem Anruf und seiner Zusage genau zwei Wochen Zeit hatte, bevor er hier aufschlug. Also habe ich sofort angefangen und das geht schon, wenn man nicht viel denkt. Musik, die aus dem Bauch herauskommt, muss ja nicht schlechter sein, als das, was man nach tausend mal umarrangieren fabriziert. Deswegen sind vielleicht auch so viele verschiedene Sachen und Stile drauf. Einen Tag bevor Juan hier war, ist die Musik fertig gewesen. Dann haben wir noch zusammen Texte und Melodien geschrieben und eineinhalb Wochen den Gesang aufgenommen und das war's.

Martin:
Wie waren die Aufnahmen für dich, Juan? Viel Zeit habt ihr ja nicht zur Verfügung gehabt.

Juan:
Eigentlich recht locker. Ich hatte ja immer zwischendurch per E-Mail MP3s bekommen und mir fiel aber ehrlich gesagt nicht wirklich viel dazu ein. Aber komischerweise hat sich das gelegt, als wir dann ins Studio gegangen sind. Nach einigen Gesprächen und Blödeleien auch mit Matt ging es dann relativ schnell. Im Schnitt haben wir ein bis zwei Songs pro Tag geschafft, also Texte schreiben und aufnehmen, was auch für uns überraschend schnell war. Natürlich gab es hier und da mal Situationen, wo man mal Kopfschmerzen kriegt und sich selbst unter Spannung setzt, aber es war insgesamt eine sehr relaxte Zeit.

Martin:
Jetzt mal an euch beide die Frage: Wie würdet ihr selber die Musik beschreiben?

Juan:
Also, ich muss dir echt ein Kompliment aussprechen, denn in deinem Review triffst du ziemlich genau den Punkt. Ich musste wirklich innerlich lachen, denn ich hätte das wohl genauso beschrieben. Die Idee war einfach das Ganze etwas moderner zu machen, also so Richtung NINE INCH NAILS oder MARILYN MANSON, aber trotzdem ist es kein New Metal oder so geworden. Deine Vergleiche passen wirklich.

Henning:
Würde ich auch sagen. Die Scheibe ist modern von der Produktion her, wie in 'I Don't Wanna Be A Rock Star' mit den digital verzerrten Gitarren beispielsweise, aber von den Melodien und der Gesangsführung eben nicht. Da kann man ja eigentlich nicht aus seiner Haut, von dem was man schön findet. Und da bin ich eben sehr weit weg von NIN, LINKIN PARK oder MANSON. Das ist dann schon mehr an Metal und "Eighties Rock" angelehnt.

Martin:
Gibt es auf "Credit Where Credit Is Due" für euch jeweils einen bestimmten Lieblingssong?

Juan:
Sagen wir mal so, das hängt auch von den Erfahrungen bei den Aufnahmen ab. Für mich ist ohne Zweifel der magischste Song 'Seven'. Als der fertig war, haben wir uns nur ungläubig angeguckt. Wir haben den in zwei Stunden aufgenommen. Dafür ist das echt ein geiler Song geworden. Wie du schon geschrieben hast, ist auch 'Three' was Besonderes. Der Song verfügt über eine große Spannung. Dann finde ich 'Halo' auch sehr geil. Insgesamt hat die Platte echt unsere Erwartungen übertroffen. Eigentlich wollten wir ja auch nur zwei Wochen Spaß haben(lacht). Auch das Interesse der Presse übertrifft echt unsere Erwartungen.

Henning:
Also, mit ein Grund für die Platte und die Art wie sie entstanden ist, war ja das ganze Debakel mit SEBASTIAN BACH. Er hat mir u.a. öffentlich Prügel angedroht. Er hätte ja alles geschrieben und überhaupt. Da kamen auch allen Ernstes Anschuldigungen an uns, dass wir ihn bewusst in die Mitte des Booklet gesetzt hätten, wo dann die Heftklammer genau in seinem Gesicht saß und so was! Dieser Kinderkram hat mich emotional echt ein wenig fertig gemacht. Da kamen dann Beschimpfungen seiner Fans im Netz gegen meine Person, wo du denkst, dass das alles nicht wahr sein kann. Und wie kommt ein Musiker mit Emotionen klar? Er schreibt Musik! Deshalb haben wir so einige Sachen, die da passiert sind oder eben auch nicht, bewusst durch den Kakao gezogen. Wir haben das aktuelle Booklet dann als Gag so gestaltet, dass, wenn man die Hintergründe kennt, man sich totlachen kann. Das haben wir jedenfalls beim Gestalten des Teils. BACH sagt immer, wenn er das böse Wort mit "M" sagen will, "Mothertrucker", daher haben wir den ersten Song 'Your Mother Is A Trucker' genannt. Das muss man halt wissen. Obwohl es in diesem Song überhaupt nicht um ihn geht, sondern schlicht um die Mamis. In 'Copyright Conspiracy' geht es um den Typen, der denkt, er hätte die Heftklammer erfunden, aber die Regierung hat halt sein Copyright gestohlen. 'Seven' behandelt auf etwas ernstere Art und Weise die Kontroverse oder wie wir mit der Behauptung umgehen, dass wir in seinen Augen gar kein Leben führen würden, weil ich beispielsweise nicht in L.A. im Rainbow abhängen und mit den "Rockstars" rumlungern würde. Aber das ist halt nicht mein Ding und ich bin auch kein Rockstar. Ich sitze lieber zu Hause und spiele Videospiele, aber das ist doch meine Sache. Daher auch der Song 'I Don't Wanna Be A Rockstar'. In fast jedem Song sind so Kleinigkeiten, mit denen ich diese Sache verarbeite, und die sich einem erst erschließen, wenn man die Details kennt.
Aber zurück zur Frage, ich finde die ganze Platte gelungen und wenn du nach einem Highlight fragst, dann wohl 'Halo' und auch auf 'Three' bin ich sehr stolz, denn wenn du da die verzerrten Gitarren wegnimmst, dann hätte den auch CELINE DION oder MICHAEL BOLTON singen können. Weißt du denn, worum es genau geht?

Martin:
Ich kann es mir denken...

Henning:
Man denkt halt beim oberflächlichen Hören, es handle sich um eine normale Beziehungsnummer, aber der Song handelt im Prinzip von einem Typen, der sich im Internet Pornos anschaut und naja, spätestens die Zeile "the touch of my skin in my hands" verrät dann das Thema. Der Witz ist, dass viele Mädels auf mein Message-Board gehen, weil sie 'Three' mögen und dann plötzlich, wenn sie erst merken, worum es geht, den Song blöd finden.
Und bei den Kerlen ist die Reaktion meist ungekehrt. Es macht mich echt stolz so eine gute Nummer geschrieben zu haben, bei der es eigentlich um so einen Scheiß geht. Viele Musiker nehmen sich oft echt viel zu ernst, was wir auf dieser Platte wohl nicht tun.

Martin:
BACH's Performance auf der zweiten FRAMESHIFT-Scheibe ist dennoch ziemlich geil. Wie bist du denn überhaupt mit dem "Rockstar" in Kontakt gekommen?

Henning:
Das lief über James LaBrie (DREAM THEATER), der selber zu beschäftigt war und außerdem wohl auch nicht so gut gepasst hätte, denn wir wollten jemanden, der die Thematik der Aggression, welche die Platte beherrscht, gut rüberbringen kann. James meinte halt der Sebastian wäre ein Kumpel von ihm und so ging das. Ich hätte mir auch Geoff Tate (QUEENSRYCHE) gut vorstellen können. Auch wenn der Sebastian mein Wunschkandidat war, fingen von dem Moment an die Probleme an. Er bekam das Material, und ließ erstmal nichts von sich hören. Da meinte ich dann, dass ich mir jemand anders suchen würde und ihm vielleicht später eine Scheibe auf den Leib schreiben würde. Denn das Material der FRAMESHIFT-Scheibe war ja meine Musik und nicht sein Solo-Album, was viele gedacht haben. Plötzlich meinte er, dass es ja doch gut wäre und er das gern singen würde. Aber später im Studio hat er ständig hier und da rumgenörgelt, was mich echt Nerven gekostet hat. Ich könne ja sowieso nichts, und auch Matt Cash, der nicht umsonst immer dabei ist, wenn wir Melodien und Hooklines schreiben, sei ja niemand im Gegensatz zu ihm, dem "Rockstar". Das ging jeden Tag so. Was soll man da noch zu sagen? Die Zeit im Studio war der absolute Horror! Jetzt, wo sich alle Kritiker überschlagen und sagen, es sei die beste Performance von ihm überhaupt, da stellt er sich hin und behauptet allen Ernstes er hätte alles geschrieben und alles wäre ja so toll. Auch bei SKID ROW hat er außer der starken Gesangsperformance ja bis auf zwei oder drei Texte nix zu Stande gebracht. Du hättest mal seine Kommentare am Anfang hören sollen. Ich mache so was nie wieder, und wenn doch mal wieder jemand "Namhaftes" in Frage kommt, dann kläre ich vorher die menschliche Seite sehr intensiv ab, um so ein Desaster zu vermeiden. Aber ich finde immer noch "Absence Of Empathy" absolut geil, auch wenn mir das Ganze dieses Jahr etwas vermiest hat.

Martin:
Wird es denn überhaupt eine dritte FRAMESHIFT-Platte geben und wer könnte singen?

Henning:
Also, Wunschkandidaten, ohne Rücksicht auf die Musik, wären – ob du es glaubst oder nicht – die Jungs von HANSON! Dann ganz klar MICHAEL BOLTON, der eine unglaubliche Stimme hat, dem aber meist nur so ein Lolly-Pop-Kram geschrieben wird. Stell dir mal vor, was der singen könnte. Von den neuen Sachen gefällt mir DISTURBED saugut. Die Band tritt dir voll in die Eier! Der Sänger von denen wäre eine Herausforderung für mich, ganz klar. Wahrscheinlich würde das noch mehr Probleme geben, aber von der Stimme her und vom Songwriting wäre JON BON JOVI auch sehr reizvoll, wobei dann auch Ritchie Sambora (BON JOVI), der sogar eine noch bessere Stimme hat, finde ich. Viele Leute sagen immer: Versuch mal was mit BRUCE DICKINSON oder dem Typen von STEELHOUSE LANE oder mit anderen Metal-Typen, aber das habe ich ja schon gemacht. Mich reizt es dann eher wieder in eine andere Richtung zu gehen. Meine bisherigen sieben Platten hören sich alle wirklich anders an. Jetzt die Scheibe ist eben mein Versuch mal eine Industrial-beeinflußte Scheibe zu machen, und das ist dann für mich ausgereizt. Sachen immer nur zu wiederholen, ist für mich keine Herausforderung.
Im Raum steht aktuell noch eine Singer/Songwriter-Platte mit Michael Sadler von SAGA, die eher ins Akustische geht, zu machen. Der Mike ist einer der nettesten Typen und besten Sänger für mich. Seine Solo-Platte "Clear" finde ich sehr gut, aber zu Keyboard-lastig und da wäre es toll mal was in der Richtung zu machen, aber ohne Keys, sondern viel mit Piano, Streichern und akustischer Gitarre. Im Gegensatz zu den zweifellos sehr guten Sängern James und Sebastian, die aber keine Songwriter sind, kann Mike das halt.

Martin:
Henning, ich habe gelesen, dass du kein großer Freund von Live-Auftritten bist...

Henning:
Selbst spielen ist schon geil. Aber wie soll das funktionieren, da ich ja alles selber spiele? Um FRAMESHIFT oder eben "Credit Where Credit Is Due" auf die Bühne zu bringen, braucht man ja mal mindestens fünf oder sechs andere Musiker und dann auch noch keine Schlechten. Man muss bestimmt einen Monat proben, wobei das dann auch bezahlt werden muss. Und dann ist die Frage, wie viel Leute überhaupt kommen würden. Es würde sich einfach nicht rechnen. Ich spiele aber schon gerne live und dann geht es auf der Bühne auch richtig ab. Ein weiteres Problem ist auch, dass ich die Sachen ja alleine einspiele und dann aber auch wieder vergesse, d.h. ich muss meine eigenen Sachen unter Umständen auch wieder neu lernen. Wenn du mich jetzt fragst, ob ich diesen oder jenen Part eines meiner Songs noch mal spiele, könnte ich das wahrscheinlich gar nicht ohne weiteres. Ich bin selbst auch kein großer Konzertgänger, denn das kostet Geld und bedeutet gerade in Deutschland oft Stress, da man gut mal vier Stunden stehend warten muss, bis der Hauptact anfängt. Hier in den USA ist das auf Grund der Sitzplätze ein wenig einfacher, aber auch teurer. Natürlich gibt es den einen oder anderen Act, den ich mir auch anschauen muss, aber eigentlich bin ich eher so ein ruhiger Typ und bleibe auch mal daheim. (lacht)

Martin:
Juan, erzähl doch mal kurz den Stand der Dinge in Sachen TRANSMISSION...

Juan:
Im Gegensatz zu dieser Studio-Band oder Projektgeschichte ist TRANSMISSION halt schon eine richtige Band. Die gut fünfzigminütige CD "ID, Ego And Superego" wird demnächst erscheinen und wir wollen und werden auch auf Tour gehen. Das Ganze ist dann so Metal oder Prog Metal, wie immer man das auch nennen mag. Teilweise sehr hart, aber mit progressiven Einflüssen, ohne in unendliches Gefrickel abzudriften, wird das Ergebnis dann klingen. Es wird rockige Nummern, spanische Einflüsse und eben auch richtig was auf die Fresse geben. Ich denke auch, wir haben da etwas sehr Eigenständiges geschaffen. Anfang oder Mitte nächsten Jahres werdet ihr alle mehr wissen. Thematisch wird es zwar kein Konzeptalbum im eigentlichen Sinne, aber es dreht sich vieles um die verschiedenen Seiten der Menschen bzw. ein Querschnitt durch die menschliche Psyche. Wir spielen schon seit Jahren zusammen und das Ziel ist ganz klar die Musik auch live zu präsentieren. Es wird quasi das Debüt werden, denn wir haben zwar auch ein Demo draußen, aber man entwickelt sich ja auch weiter und damals klangen wir noch etwas mehr nach Power Metal, da auch die Besetzung eine leicht andere war. Unsere Homepage wird auch gerade überarbeitet und in Kürze wird es auch Studio-Logs und dergleichen geben. Was ich auf jeden Fall noch sagen möchte ist, dass ich echt lachen musste, als ich dein Review zu "Credit Where Credit Is Due" gelesen habe. Du vergleichst meine Stimme da mit Tony Hatley von SPANDAU BALLET, was echt witzig ist, denn ob du es glaubst oder nicht, der erste Song, den ich je professionell aufgenommen habe, war "Through The Barricades".

Henning:
Ja, ich habe ihm ja auch alles beigebracht. (lacht) Eigentlich hätte ich die Scheibe auch alleine einsingen können, aber ich wollte nicht immer im Rampenlicht stehen.

Martin:
Ah, daher auch der Songtitel 'I Don't Wanna Be A Rockstar'...

Henning:
Genau! Nein, im Ernst, mich kotzt das oft echt an, wenn Leute, die im Rampenlicht stehen, meinen, dass sie etwas Besseres sind. Die begreifen nicht, dass sie ohne Fans, also die Leute, die sie letztendlich bezahlen, gar nichts wären. Bei James LaBrie ist das nicht so, aber jemand wie Sebastian Bach denkt ehrlich, er sei was Besseres, nur weil er mit Lemmy oder wem auch immer abhängt. Ich habe einen ganz normalen Job, mache aber eben Musik, weil ich da vielleicht ein wenig Talent habe, aber jemand der Bücher schreibt oder Brötchen backt, hat eben andere Talente und ist genau so viel wert wie die sogenannten "Stars".

Martin:
Eine sehr gesunde Einstellung wie ich finde.

Henning:
Der Irrglaube, dass jemand, nur weil er im Fernsehen ist, wichtig ist, ist in unserer Kultur leider sehr verbreitet. Wir haben keine Ahnung, wer letztes Jahr den Nobelpreis in Physik gewonnen hat, wissen aber vermutlich alle, dass Brad Pitt sich von wem auch immer getrennt hat. Ich habe keinen Fernseher und lese kaum Zeitungen, halte mich viel fern von so was, bekomme das aber trotzdem irgendwie mit, beispielsweise im Supermarkt.

Martin:
Du hast also keinen Fernseher, verfügst aber über eine sehr tolle und informative Homepage mit allem was man sich denken kann, wie beispielsweise diversen Videos aus dem Studio, einem Forum und sehr viel Musik. Ich denke, da können sich manche "Größen" der Branche schon was abschneiden! Man trifft dich auch sehr oft im Form an...

Henning:
Die Videos für die Homepage machen Spaß und ich finde das sehr wichtig. Und persönlich so oft es geht im Forum dabei zu sein, ist auch eine Einstellungssache. Selbst meine Mutter, die von Musik eigentlich keine Ahnung hat, schreibt da hin und wieder was rein, was sehr witzig ist. Es ist doch so, dass diejenigen, die unsere Platten kaufen quasi unser Gehalt zahlen und mein Chef sind, d.h. es wäre doch falsch nicht auch regelmäßig E-Mails oder Foreneinträge zu beantworten, oder? Natürlich schreibe ich nicht genau das bzw. mache die Musik, die jeder von mir hören will, aber entweder dem völlig fern zu bleiben oder gar das Publikum zu beleidigen ist doch völliger Bullshit. Selbst wenn ich mal wesentlich bekannter werden sollte, hoffe ich doch sehr, trotzdem in der Lage zu sein, auf jede Mail zu antworten. Ich mache die Musik ja in erster Linie für die Fans, das darf man nie vergessen...

Martin:
Bevor ich's vergesse, du schreibst gerade an der Rockoper "Babysteps". Wasserstand?

Henning:
Ja, die sollte schon Sommer 2004 fertig sein (lacht). Momentan sollte ich auch gerade dran schrauben, aber das ist so etwas eine Geldfrage. Also, die Idee ist eine Doppel-CD zu machen, wobei vieles schon fertig geschrieben ist. Einiges ist auch schon aufgenommen, so hat James LaBrie seine Sachen schon gesungen. Michael Sadler (SAGA) wird drauf singen, Jody Ashworth vom TRANSSIBEARIAN ORCHESTRA wird dabei sein und Al Pitrelli (ex-MEGADETH, ex-SAVATAGE) wird vermutlich etwas Gitarre spielen. Alan Morse (SPOCK'S BEARD) wird dabei sein und Gitarre und Cello spielen. Leute von SAGA werden was spielen. Eine sehr illustre Gesellschaft habe ich da versammelt, was aber nur klasse ist, wenn auch die Musik was taugt, also bin ich da echt gefordert. Das Ganze wird mehr straight-forward sein, und jetzt ohne dem einen Stempel aufzudrücken, wird es so in die Richtung TRANSSIBEARIAN ORCHESTRA mit mehr Eiern gehen und in der Basis orchestraler Metal und Rock sein, aber detaillierter und etwas komplexer arrangiert als TSO. (lacht)

Martin:
Klingt schon mal genial! Worum geht es thematisch dabei?

Henning:
Also, da ist eine Gruppe von fünf schwerkranken Patienten in einer Reha-Klinik, die sich anfreunden, weil ihre Familien sich von ihnen abwenden, da sie mit der Situation nicht klar kommen. Die Patienten treten sich sprichwörtlich gegenseitig in den Arsch und wollen wieder auf die Beine kommen. James LaBrie singt den bösen Doktor, der zwar ein guter Arzt ist, aber nicht rafft, dass die Psyche ein ganz wesentlicher Teil der Genesung ist. Mike Sadler singt einen Arzt, der das Prinzip eher durchschaut und die ganzen verschiedenen Storys von den Leuten, wo jeder ein anderes Ziel hat, machen dann die eigentliche Geschichte aus. Die komplexe Storyline wird auch im recht aufwändigen Booklet unterstützend erklärt und illustriert. Neunzig Prozent davon ist übrigens wahr, denn als ich Zivi in einer Reha-Klinik war, sind mir die verschiedensten Patienten über den Weg gelaufen. Mal schauen, wann es weitergeht, denn es kommt immer was dazwischen...

Martin:
Meine Mini-Disc läuft jetzt noch gut drei Minuten und ich muss natürlich noch nach dem 'Bonus-Dreck' auf "Credit Where Credit Is Due" fragen. Wer kam auf diese, nun ja, Idee? Und vor allem, wer hat das gesprochen?

Henning:
(lacht) Klar! Die Idee ist von mir, wobei eigentlich nur eine kurze Passage mit Headbanger und Ritchie an 'Scheisslautundhartwiedreck' angehängt werden sollte. Gesprochen hat das der Juan, wobei ich die Anita bin. Der Stefan von TRANSMISSION meinte dann, wir sollten da noch weiter machen und am Ende was dranhängen. Wir haben dann einfach improvisiert und das zusammengeschnitten. Mir hat das einfach Spaß gemacht da noch diverse Effekte einzubauen, wie die Musik durch die Wand klingt und so. Wie haben uns da gar nichts bei gedacht und nun haben einige Kritiker gemeint, das sei ja alles unterstes Niveau und so. Andere meinten, wir hätten wirklich die Jungs von BADESALZ auf der Platte, wobei hoffentlich lesen die das nicht, denn sonst bekommen wir noch rechtliche Probleme. Wir haben einfach zwei Stunden Spaß im Studio gehabt und uns nass gemacht vor lachen. Wir haben übrigens insgesamt 160 Dollar für Engery-Drinks im Studio ausgegeben... (lacht)

Martin:
Und die englischsprachigen Fans haben darauf wenig reagiert?

Henning:
Das ist auch wieder sehr witzig, denn gerade die haben das meist lustig gefunden, ohne die Bedeutung der Worte zu verstehen. Kritik kam da eher von den deutschsprachigen Leuten. Es war halt von vornherein klar, dass dieser Gag für maximal zehn Leute in Hessen lustig ist...

Martin:
Und für einen in Kiel! Henning und Juan, ich danke euch für dieses sehr interessante und lustige Interview!

Redakteur:
Martin Stark

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