NO RAZA: Tiefere Einblicke dank Juan Cano
27.06.2025 | 13:36Hinter "Tyrona" steckt weitaus mehr als nur ein Death-Metal-Album! Es ist exotisch, heiß, mystisch und gewaltig! Und darüber hinaus birgt es auch eine sehr geschmackvolle Cover-Version eines der schönsten Stücke, die die Metalwelt zu bieten hat. Richtig, für ihr schon fünftes Album holen die Kolumbianer von NO RAZA zum ganz großen Schwung aus. Was hinter Albumtitel und Artwork steckt, was wir von der Thematik noch lernen können und wie groß die südamerikanische Metalszene wirklich ist, erfahren wir im Austausch mit Gitarrist und Sänger Juan Cano.
Juan, wie geht es dir?
Hallo Marcel! Vielen Dank, dass du uns eingeladen hast. Ja, es ist eine sehr aufregende Zeit für NO RAZA. Wir haben gerade unser neues Album "Tyrona" veröffentlicht und fühlen uns von der bisherigen Resonanz ermutigt. Es ist ein starkes Kapitel für uns - nicht nur musikalisch, sondern auch spirituell und persönlich. Wir bereiten uns darauf vor, wieder auf Tour zu gehen, und freuen uns darauf, durch dieses Album mit noch mehr Menschen in Kontakt zu treten.
Ich habe gelesen, dass ihr von Kolumbien nach Florida gezogen seid. Liege ich da richtig? Warum der Umzug? Ist es, weil Florida eine Brutstätte für Death Metal ist?
Ja, das ist richtig. Wir hatten schon immer eine starke Bindung zu Kolumbien - dort wurde die Band geboren und dort liegen unsere Wurzeln. Unser Bassist, Mike Spillane, ist amerikanischer Ureinwohner, während der Rest von uns aus Kolumbien stammt, genauer gesagt aus Bello, Antioquia. Nach unserer Tournee in Großbritannien 2017 erhielt ich - Sänger Juan Guillermo Cano - meine Aufenthaltsgenehmigung für die USA, was dazu führte, dass ich nach Florida zog. Camilo Sánchez (Gitarre) und Jairo Gómez (Schlagzeug) leben immer noch in Medellín. Seitdem arbeiten wir zwischen den USA und Kolumbien hin und her - eine Konstellation, die es uns ermöglicht hat, unsere Verbindung zu beiden Szenen aufrecht zu erhalten. Floridas Death-Metal-Erbe ist unbestreitbar, und hier zu sein, bringt uns definitiv näher an ein größeres Publikum, eine starke Szene und mehr Möglichkeiten, zusammenzuarbeiten und zu touren. Es war kein geplanter Schritt um des Genres willen, aber es hat sich auf eine Art und Weise entwickelt, die sich natürlich und voller Potenzial anfühlt.
Ihr wart damals eines der ersten Signings bei Noble Demon - wie kam der Kontakt zustande und wie fühlt es sich an, von Anfang an Teil der Entwicklung dieses Labels gewesen zu sein?
Wir fühlen uns geehrt, eine der ersten Bands gewesen zu sein, die bei Noble Demon unterschrieben haben. Die Verbindung kam durch gegenseitigen Respekt und eine gemeinsame Vision zustande. Patrick, der Labelchef, hat vom ersten Tag an verstanden, worum es bei NO RAZA geht. Wir waren nicht nur auf der Suche nach einem Label, sondern nach einem Team, das an unsere Musik und unsere Botschaft glaubt. Von Anfang an dabei zu sein, war unglaublich - das Label wachsen zu sehen, während wir uns selbst weiterentwickeln, hat sich angefühlt, als würden wir gemeinsam etwas aufbauen.
Du hast "Tyrona" schon angesprochen, fünf Jahre nach "Transcending Material Sins" ein neues Album. Mit welchen Zielen seid ihr an das Werk herangegangen und hat Florida aufgrund seiner für den Death Metal so wichtigen Geschichte einen Einfluss auf euer Songwriting gehabt?
Fünf Jahre sind eine lange Zeit, und wir haben sie genutzt, um nachzudenken, zu wachsen und unseren Sound zu verfeinern. Mit "Tyrona" wollten wir nicht einfach nur Songs schreiben - wir wollten eine Geschichte erzählen, unser Erbe ehren und uns selbst herausfordern, uns weiterzuentwickeln. Die Death-Metal-Szene Floridas, sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart, hat unsere Denkweise definitiv beeinflusst - vor allem die Rohheit, die Technik und das Vermächtnis der Bands, die uns den Weg geebnet haben. Aber das Herz dieses Albums schlägt immer noch mit dem Geist der Anden und unserer kolumbianischen Wurzeln.
Handelt "Tyrona" von einem bestimmten Konzept oder gibt es einen roten Faden, der sich durch das Album zieht? Was genau bedeutet "Tyrona"?
Tyrona ist sowohl eine Hommage als auch eine Botschaft. Der Name bezieht sich auf die Tyrona-Zivilisation - ein indigenes Volk aus der Sierra Nevada de Santa Marta in Kolumbien, das für seine tiefe spirituelle Verbindung mit der Natur und dem kosmischen Gleichgewicht bekannt ist. Das Album dreht sich um diese Weltanschauung: Respekt für die Erde, Weisheit der Vorfahren und Widerstand gegen Kolonialismus und Zerstörung. Jeder Song befasst sich mit unterschiedlichen Aspekten dieses übergeordneten Konzepts - von historischen Ungerechtigkeiten bis hin zu modernen Umweltkrisen - aber alle sind unter demselben spirituellen und kulturellen Dach vereint.
Um ehrlich zu sein, lässt mich das Artwork des neuen, großartigen Albums ein wenig ratlos zurück. Was genau sagt es aus und wie bezieht es sich auf die Songs auf "Tyrona"?
Das Artwork soll mystisch, symbolisch und vielschichtig wirken - genau wie die Kultur, die es ehrt. Es repräsentiert die heiligen Wächter der Erde, die Dualität von Licht und Dunkelheit und die kosmischen Kräfte, die die Natur beherrschen. Es finden sich Verweise auf Sonnen- und Mondgottheiten, indianische Krieger und heilige Tiere. All das steht in Verbindung mit den Themen des Albums, dem Schutz der Vorfahren und dem ständigen Kampf um das spirituelle Gleichgewicht in einer korrumpierten Welt.
Musikalisch gefällt mir besonders 'Imperial Holocaust', mit dem ihr die als Macht getarnte Vernichtung thematisiert. Möchtest du näher erläutern, was genau ihr damit meint? Und ist es nicht schrecklich, dass die Menschheit bis heute nichts aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat?
Ich danke dir! 'Imperial Holocaust' ist eines der Kernstücke des Albums. Es ist eine Reflexion darüber, wie Eroberung, Herrschaft und Völkermord oft mit der Illusion von Zivilisation und Fortschritt gerechtfertigt wurden. Im Laufe der Geschichte haben Imperien ihre Gewalt mit Bannern der Ordnung und des Wohlstands verbrämt - aber zu welchem Preis? Das Lied erinnert daran, dass diese Muster auch heute noch bestehen. Traurigerweise wiederholen wir dieselben Fehler. Der Durst nach Macht, Kontrolle und Profit zerstört weiterhin Leben, Kulturen und Ökosysteme. Das ist die Tragödie, und deshalb müssen wir weiter schreien.
Ganz offen und ehrlich - in diesem Zusammenhang: Was glaubst du, wie spät es auf der Weltuntergangsuhr ist? Wie weit ist die Menschheit von der totalen Zerstörung entfernt?
Wir würden sagen, es ist gefährlich nahe an Mitternacht. Das Gleichgewicht ist in vielerlei Hinsicht gestört - in ökologischer, sozialer und spiritueller Hinsicht. Die Menschheit stößt unreflektiert an ihre Grenzen, und wir sehen, wie sich die Folgen in Echtzeit entfalten. Aber gleichzeitig gibt es immer noch Menschen, die für Veränderungen, für Bewusstsein und für Heilung kämpfen. Darin liegt unsere Hoffnung.
'Overflowed' beschäftigt sich ein wenig mit diesem Thema - im Gleichgewicht mit dem Land und geleitet von der Weisheit eurer Vorfahren. Was genau hat diese Harmonie zerstört? Und was genau glauben du, hat das mit der Überbevölkerung zu tun?
Die Harmonie wurde zerstört, als Gier die Dankbarkeit ersetzte. In der modernen Welt haben Konsum, Expansion und Profit Vorrang vor Respekt und Nachhaltigkeit. Unsere Vorfahren sahen sich nicht als Herren der Natur - sie sahen sich als Teil von ihr. Die Überbevölkerung ist ein Symptom dieser Entfremdung. Es geht nicht nur um Zahlen, sondern darum, wie wir leben, wie wir Ressourcen ausbeuten und wie sehr wir uns von den natürlichen Kreisläufen abgekoppelt haben. 'Overflowed' ist ein Aufruf, sich daran zu erinnern, dass ein Ungleichgewicht Konsequenzen hat.
Sehr überraschend, aber so geschmackvoll, habt ihr eine der schönsten Balladen der härteren Musikgeschichte gecovert. Welchen Einfluss hatte BATHORY auf NO RAZA und warum habt ihr ausgerechnet 'Ring Of Gold' ausgewählt?
BATHORY war immer ein großer Einfluss - nicht nur musikalisch, sondern auch in Bezug auf die Vision und den Geist. 'Ring Of Gold' hat uns mit seiner Melancholie und Stärke tief beeindruckt. Es ist ein Song, der sich wie ein Abschied und gleichzeitig wie ein Versprechen anfühlt. Wir wollten ihn auf unsere eigene Weise neu interpretieren und dabei seine Essenz respektieren. Er unterscheidet sich vom Rest des Albums, ja, aber er passt zu der emotionalen Tiefe von "Tyrona". Für uns ist es wie ein letztes Ritual zum Abschluss des Albums.
Was passiert mit NO RAZA nach der Veröffentlichung dieses Death-Metal-Krachers? Und wann kommt ihr nach Deutschland, um uns eine ordentliche Tracht Prügel zu verpassen?
Wir arbeiten bereits an Tourplänen, und Deutschland steht ganz oben auf unserer Liste. Wir haben die deutsche Metalszene schon immer bewundert - ihre Leidenschaft, ihre Loyalität, ihre Energie. Nach den US-Terminen in diesem Jahr hoffen wir, "Tyrona" im Jahr 2026 nach Europa zu bringen. Es ist an der Zeit, diese Energie von Angesicht zu Angesicht zu teilen!
Schande über mich, aber ich kenne eigentlich nicht viele Metal-Bands aus Kolumbien. Wie sieht die Metalszene dort aus, wie kann ich sie mir vorstellen? Ich weiß nur, dass Metalfans aus Südamerika sehr euphorisch sein können.
Überhaupt keine Schande! Die kolumbianische Metalszene ist kraftvoll, leidenschaftlich und hat sich im Laufe der Jahre enorm entwickelt. Es gibt so viele großartige Bands, die die Grenzen des Death, Black, Thrash und Progressive Metal verschieben. Zu den bekannteren Namen gehören MASACRE, WITCHTRAP, REVENGE, ESHTADUR, VITAM ET MORTEM und UNDER THREAT - Bands, die sowohl lokal als auch international einen starken Eindruck hinterlassen haben. Aber es gibt auch viele andere, die noch nicht so viel internationale Aufmerksamkeit erlangt haben, aber voller Talent und Potenzial sind - Bands wie MORTEM, CARNAL STRENGTH und TENEBRARUM, um nur einige zu nennen. Ehrlich gesagt, es gibt so viele, dass es schwer wäre, sie alle aufzuzählen. Die Fans sind unglaublich loyal und ausdrucksstark - sie hören sich die Musik nicht nur an, sie leben sie. Es ist eine Szene, die auf Leidenschaft, Widerstand und einer tiefen Liebe zum Metal aufbaut. Festivals wie "Rock al Parque" haben dazu beigetragen, den Bekanntheitsgrad zu erhöhen, und es gibt ein wachsendes Gefühl der Zusammengehörigkeit unter Bands und Fans gleichermaßen. Kolumbien mag für einige unter dem Radar sein, aber die Szene ist absolut lebendig und brennt.
Juan, vielen Dank für das Gespräch! Was möchtest du unseren Lesern und euren Fans noch mitteilen?
Danke, Marcel - und danke an alle Leser von POWERMETAL.de. Wir laden euch ein, "Tyrona" mit offenen Ohren und offenem Herzen zu hören. Es ist ein schweres Album, ja, aber es ist auch ein spirituelles Angebot - verwurzelt in Widerstand, Erinnerung und der tiefen Liebe, die wir für unser Erbe haben. Wir hoffen, dass wir euch bald auf der Straße sehen. Bis dahin, bleibt stark, bleibt laut und haltet das Feuer am Brennen!
- Redakteur:
- Marcel Rapp