NECROMANCIA: Interview mit Marcelo d´Castro

01.01.1970 | 01:00

Die Brasilianer NECROMANCIA veröffentlichen dieser Tage über Mausoleum Records ihren Brecher "Check Mate", der stilistisch den Zuckerhut-Tribal-Thrashern SEPULTURA alle Ehre macht. Seit fast zwanzig Jahren in der dortigen Szene aktiv, bahnte sich ein interessantes Gespräch mit Marcelo d’Castro, seines Zeichens Gitarrist der Band, an. Überrascht und zugleich erfreut darüber, mit einem Mitarbeiter eines deutschen Magazins ein Interview zu machen, legt mein Gesprächspartner wie aus der Pistole geschossen los.

Marcelo d’Castro:
Als erstes möchte ich dir, Alex, und Powermetal.de für die Chance danken, dass ich euch und euren Lesern Aktuelles und Historisches über NECROMANCIA erzählen kann.

Alex Straka:
Gern geschehen Marcelo. Als Erstes möchte ich von dir den derzeitigen Stand der brasilianischen Metalszene erfahren. Einst war Brasilien ein wahrer Quell von Tribal Metal und Crossover. Wie sieht es momentan in Sao Paulo und im gesamten Land aus?

Marcelo d’Castro:
In Sao Paulo haben wir eine sehr breit gefächerte Metalszene, die alle Stilistiken des harten Rocks in sich birgt: Gothic, Thrash, Melodic und Death Metal. Hier gibt es eine sehr starke und große metallische Gemeinschaft, die es für ausländische Bands lohnend macht, einen Zwischenstop bei uns zu machen.

Alex Straka:
Ihr habt euer erstes Album 1996 veröffentlicht, das damals sehr von BLACK SABBATH und IRON MAIDEN beeinflusst gewesen sein soll.

Marcelo d’Castro:
Ja, unser Debüt war sehr traditionell gehalten, hat aber auch schon damals Thrash Metal der Marke Bay Area inne gehabt. Diese spezielle Art des Thrashs hat schon seit jeher einen großen Einfluss auf unsere Musik gehabt. Unser Beitrag auf der 1987 veröffentlichten Compilation "Headthrashers Live", war hingegen glasklarer Death Metal.

Alex Straka:
Die neue Scheibe "Check Mate" hat einen unüberhörbaren Einfluss: SEPULTURA. Teilweise tönt es frappierend nach deren "Chaos A.D."-Album. Kannst du mir beipflichten?

Marcelo d’Castro:
"Check Mate" ist eine Mischung der eben erwähnten Stile, also Traditionelles, Thrash Metal und ein wenig Death Metal. Diese Mischung haben wir aber sehr groovig gehalten. Wir haben die Art dieser Songs nicht geplant. Sie sind spontan aus dem Bauch heraus entstanden, ohne zu einem bestimmten Genre gehören zu wollen.

Alex Straka:
Du hast es schon angesprochen. Ihr legt euer musikalisches Gewicht auf heftige und tonnenschwere Grooves und Hooks. Nur gelegentlich lasst ihr das Biest von der Leine und latscht das Gaspedal voll durch. Ist die slow thrashende Herangehensweise eher eure Baustelle?

Marcelo d’Castro:
Nicht wirklich. Wir versuchen einfach, gute Songs zu komponieren. Wir mögen es genauso, schnelle Songs zu spielen. Auf unserer nächsten Langrille, die ausführlich Highspeed-Trash beinhaltet, wirst du nur noch wenige slow thrashende Baustellen finden.

Alex Straka:
Was sind eure persönlichen Faves? Gerade Musiker härterer Genres hören ja nicht selten völlig anders gelagerte Musik.

Marcelo d’Castro:
Wir mögen vieles aus der aktuellen Metalszene und sind eigentlich immer auf der Höhe der Zeit. Sachen wie NEVERMORE, KRISIUN, SEPULTURA, VOIVOD, EXODUS und IN FLAMES stehen bei uns hoch im Kurs. Ebenso mögen wir aber auch FRANK ZAPPA und HENDRIX. Ich versuche täglich, verschiedenste Arten von Musik in mich aufzunehmen. Manchmal sogar völlig unmetallisches Zeug, wie MILES DAVIES oder CHICK COREA.

Alex Straka:
Euer Stil geht als Mischung von SOULFLY, MACHINE HEAD und SEPULTURA durch. Manch einer sieht den Ursprung dieser Art Musik in SEPULTURAs "Chaos A.D."-Release von 1993. Was meinst du, ist diese Art Metal typisch brasilianisch?

Marcelo d’Castro:
Nein, ganz bestimmt nicht. In Brasilien kann man sämtliche Phrasierungen des Metals finden. Nimm als Beispiel ANGRA oder SHAMAN, die ein völlig anderes Genre abdecken. Aber SEPULTURA haben natürlich gerade mit "Chaos A.D." eine Menge Bands beeinflusst. Nicht zuletzt uns.

Alex Straka:
Wie bereits erwähnt, habt ihr 1987 zwei Tracks auf der "Headtrashers Live"-Compilation veröffentlicht. Du hast hinsichtlich dieser Tracks von Death Metal gesprochen. Wie viel von "Check Mate" steckte bereits vor siebzehn Jahren in eurer Musik?

Marcelo d’Castro:
"Check Mate" ist die Konsequenz aus allem, was wir seit "Headthrashers Live" musikalisch gemacht haben. Neben NECROMANCIA sind wir als Session-Musiker tätig, sowohl live als auch im Studio. Das gibt uns natürlich ebenfalls massive Impulse, die mit in unser Songwriting einfließen. Wir versuchen uns das Ziel zu setzen, uns nie zu wiederholen und uns von Album zu Album weiterzuentwickeln.

Alex Straka:
Das "Check Mate"-Cover ist mächtig thrashig und absolut old chool. Wer ist der Designer?

Marcelo d’Castro:
Ein sehr talentierter Zeichner namens Elias Melo. Er hat bereits unser Debüt veredelt und wird auch unser nächstes Album in malerische Bahnen lenken. Allerdings hat die europäische Version ein anderes Cover. Die Jungs von Mausoleum Records haben das entschieden und wir mussten zustimmen. Letztendlich sieht aber auch dieses Cover sehr cool aus.

Alex Straka:
Kommt ihr mit dem "Check Mate"-Material auch auf Tour?

Marcelo d’Castro:
Ja, natürlich. Wir sind gerade in der Planungsphase.

Alex Straka:
Werden wir euch in Deutschland bestaunen können?

Marcelo d’Castro:
Deutschland ist unser erster Anlaufpunkt, da hier unsere Kontakte zusammenlaufen, die eine Tour überhaupt erst möglich machen.

Alex Straka:
Ihr habt im Studio mit SEPULTURAs Andreas Kisser zusammengearbeitet, der "Check Mate" produziert hat, ein Gitarrensolo und Backingvocals zu 'Greed Up To Kill' beigesteuert hat. Außerdem ist KRISIUNs Alex Camargo mit von der Partie, der mit seinen Vocals 'The Blooding' veredelt. Kannst du mir mehr über die Zusammenarbeit mit diesen beiden Szene-Ikonen erzählen?

Marcelo d’Castro:
Wir trafen Andi bereits, bevor er bei SEPULTURA anheuerte. Wiederum handelte es sich bei diesem Kontakt um die "Headthrashers Live"-Compilation, die Andi mit seiner damaligen Band eröffnete. Als wir mit der "Check Mate"-Produktion in die Vollen gingen, steckte Andi gerade in der Vorproduktion zu SEPULTURAs "Nation". Andi wollte sich zu diesem Zeitpunkt erste Sporen als Produzent verdienen und nutzte seine Freizeit, um die Arbeit mit uns zu beginnen. Wir gaben ihm unser Demo und er war derart begeistert, dass er sich gleich einige Melodievorschläge einfallen ließ. Er steuerte die Lyrics zu 'The Blooding' bei, zockt bei 'Action/Reaction' und 'Overkill' und singt Backings bei 'Greed Up To Kill'.
KRISIUN sind alte Freunde von uns. Sie produzierten "Angelus Venomous" im selben Studio. Somit bot sich ein Mitwirken auf "Check Mate" an, ebenso wie die alltäglichen Gerstensaft-Sessions nach getaner Arbeit.

Alex Straka:
Kannst du für unsere Leser den NECROMANCIA-Sound in deinen Worten definieren und was den geneigten Hörer auf euren Gigs erwartet?

Marcelo d’Castro:
Wir sind purer Thrash Metal, der alte und neue Einflüsse, alles was uns all die Jahre on the road geprägt hat, unter einem Dach vereinigt. Live agieren wir energiegeladen und bieten dem Publikum sattes Entertainment.

Alex Straka:
Was möchtet ihr mit der Musik NECROMANCIAs ausdrücken?

Marcelo d’Castro:
Unsere Gedanken, unsere Lebenseinstellung und unsere Einstellung zu Themen wie Krieg, Gier und Unterdrückung. Wir nehmen dabei nicht für uns in Anspruch, die definitiv richtigen Meinungen zu haben. Wir möchten einfach in einer besseren Welt leben und NECROMANCIA ist das Portal, diese Welt zu beschreiben. Allerdings haben unsere Texte nichts mit Weissagungen zu tun.

Alex Straka:
Wie darf ich mir euren Songwritingprozess vorstellen? Entstehen eure Lieder im Proberaum unter Mitwirkung aller Mitglieder oder existieren bereits fertig arrangierte Ideen, die im Proberaum lediglich umgesetzt werden müssen?

Marcelo d’Castro:
Normalerweise habe ich die Riffs im Gepäck und stelle diese im Proberaum vor. Zusammen setzen wir dann die Melodylines drauf. Ganz am Ende erst gesellen sich die Lyrics hinzu.

Alex Straka:
Noch mal kurz zu euren Lyrics. Kannst du eure Gedankengänge etwas ausführlicher darstellen?

Marcelo d’Castro:
'Greed Up To Kill' handelt von Politikern, die nichts unversucht lassen, um noch reicher und noch mächtiger zu werden. Aber je höher sie die Leiter empor steigen, desto tiefer und härter fallen sie. 'Action/Reaction' handelt vom Verlust der eigenen Identität und dessen Konsequenzen.
'Virus' handelt von chemischer Kriegsführung, 'The Blooding' vom Krieg im Allgemeinen. 'Catastrophe' handelt von Naturkatastrophen und der Welt, die sich gegen uns wendet.
'The Riddle' behandelt das Thema Schizophrenie und den Irrgarten der menschlichen Psyche. Es ist ein sehr persönlicher Text, da ich einen psychisch kranken Onkel habe.
Zu guter Letzt 'Check Mate', das sich mit dem Konflikt im mittleren Osten beschäftigt.
Ich muss hinzufügen, dass das Album schon etwas älter ist und die meisten Songs im Jahr 2001 fertiggestellt wurden.

Alex Straka:
Das MOTÖRHEAD-Cover 'Overkill' ist ziemlich gelungen und geht ab wie eine Rakete. Im Mittelteil jamt ihr euch die Seele aus dem Leib und soliert wie die Irren. Wie kam es zu der Auswahl dieses Kultsongs?

Marcelo d’Castro:
Wir sind vom MOTÖRHEAD-Fanclub dazu eingeladen worden, einen Beitrag zu einem Tribut beizusteuern. Unsere Wahl fiel letztlich auf 'Overkill', da er stilistisch ganz gut zu uns passt. Das Tribut-Album wurde nicht veröffentlicht und so entschieden wir uns, den Song mit auf "Check Mate" zu nehmen. Bei 'Overkill' spielt Andreas Kisser alle Klampfen, den Bass und die Soli auf dem linken Kanal. Den Gesang hat er sich mit mir geteilt. Wie du gesagt hast, eine saucoole Rock´n´Roll-Jamsession!

Alex Straka:
Zu guter Letzt: Wie schätzt ihr selbst eure Chancen hinsichtlich des metallischen Marktes ein?

Marcelo d’Castro:
Der europäische Release von "Check Mate" über Mausoleum Records ist ein riesiger Schritt für uns. Wir lieben es, in Europa unterwegs zu sein und unser Potenzial live zu beweisen. Außerdem können wir euch bereits neues Material des nächsten Longplayers vorstellen, der wohl Anfang nächsten Jahres das Licht der Welt erblickt.

Alex Straka:
Marcelo, vielen Dank für dieses Interview. Ich wünsche euch ein erfolgreiches Jahr 2004. Lasst euch in Deutschland blicken und grüßt mir KRISIUN.

Marcelo d’Castro:
Mach ich! Wir hoffen, bald zu euch überzusetzen und einige Metalpartys mit euch zu feiern. See you soon.

Redakteur:
Alex Straka

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